Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].bei Wiederholung des Stückes würden sie gerade ebenso handeln wie das erste Mal. Ob sie irgend eine akademische Strafe erhielten, ist mir entfallen, doch weiß ich, daß seitdem die Weihe der Kraft in Berlin nicht mehr gegeben wurde, bis sie endlich im Jahre 1868 wieder auf dem Victoria-Theater erschien. Die Musikstunden, welche mein Vater uns von klein auf ertheilen ließ, hatten bei den vier Kindern einen sehr verschiedenen Effekt. Fritz war gänzlich unfähig, die ersten Anfangsgründe zu begreifen. Weil es mir gelungen war, ihn in der Kenntniß des Zifferblattes zu unterrichten, so versuchte ich auch, ihm die fünf Notenlinien, die Takteintheilung und den Werth der Noten deutlicher zu machen, als der Musiklehrer es vermochte. Dies ging wohl auf dem Papiere, aber die Uebertragung des Begriffenen auf die schwarzen und weißen Tasten des Klaviers war bei Fritz eine reine Unmöglichkeit. Der verständige Musiklehrer erklärte sehr bald, daß trotz meiner Privatrepetitionen Fritz niemals dahin kommen werde, das kleinste Stück zu spielen, und die Stunden hörten auf. Mir selbst wurde das Auffassen der Theorie der Musik sehr leicht; über den Unterschied von cis und des, über die schwierigen Intervallen, über die Vorzeichnungen mit # und b, über die gleichschwebende Temperatur und den Quintenzirkel wußte ich sehr gut Bescheid zu geben; eine leichte Melodie konnte ich aus dem Kopfe nachspielen, auch wohl zu Papiere bringen; in den oft gehörten Mozartschen und Gluckschen Opern war ich so sehr zu Hause, daß ich nach wenigen angeschlagenen Takten die betreffende Stelle ohne Fehl bezeichnen konnte; da es mir aber an Leichtigkeit im Notenlesen und an Fingerfertigkeit bei Wiederholung des Stückes würden sie gerade ebenso handeln wie das erste Mal. Ob sie irgend eine akademische Strafe erhielten, ist mir entfallen, doch weiß ich, daß seitdem die Weihe der Kraft in Berlin nicht mehr gegeben wurde, bis sie endlich im Jahre 1868 wieder auf dem Victoria-Theater erschien. Die Musikstunden, welche mein Vater uns von klein auf ertheilen ließ, hatten bei den vier Kindern einen sehr verschiedenen Effekt. Fritz war gänzlich unfähig, die ersten Anfangsgründe zu begreifen. Weil es mir gelungen war, ihn in der Kenntniß des Zifferblattes zu unterrichten, so versuchte ich auch, ihm die fünf Notenlinien, die Takteintheilung und den Werth der Noten deutlicher zu machen, als der Musiklehrer es vermochte. Dies ging wohl auf dem Papiere, aber die Uebertragung des Begriffenen auf die schwarzen und weißen Tasten des Klaviers war bei Fritz eine reine Unmöglichkeit. Der verständige Musiklehrer erklärte sehr bald, daß trotz meiner Privatrepetitionen Fritz niemals dahin kommen werde, das kleinste Stück zu spielen, und die Stunden hörten auf. Mir selbst wurde das Auffassen der Theorie der Musik sehr leicht; über den Unterschied von cis und des, über die schwierigen Intervallen, über die Vorzeichnungen mit # und b, über die gleichschwebende Temperatur und den Quintenzirkel wußte ich sehr gut Bescheid zu geben; eine leichte Melodie konnte ich aus dem Kopfe nachspielen, auch wohl zu Papiere bringen; in den oft gehörten Mozartschen und Gluckschen Opern war ich so sehr zu Hause, daß ich nach wenigen angeschlagenen Takten die betreffende Stelle ohne Fehl bezeichnen konnte; da es mir aber an Leichtigkeit im Notenlesen und an Fingerfertigkeit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0121" n="113"/> bei Wiederholung des Stückes würden sie gerade ebenso handeln wie das erste Mal. 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Mir selbst wurde das Auffassen der Theorie der Musik sehr leicht; über den Unterschied von cis und des, über die schwierigen Intervallen, über die Vorzeichnungen mit # und b, über die gleichschwebende Temperatur und den Quintenzirkel wußte ich sehr gut Bescheid zu geben; eine leichte Melodie konnte ich aus dem Kopfe nachspielen, auch wohl zu Papiere bringen; in den oft gehörten Mozartschen und Gluckschen Opern war ich so sehr zu Hause, daß ich nach wenigen angeschlagenen Takten die betreffende Stelle ohne Fehl bezeichnen konnte; da es mir aber an Leichtigkeit im Notenlesen und an Fingerfertigkeit </p> </div> </body> </text> </TEI> [113/0121]
bei Wiederholung des Stückes würden sie gerade ebenso handeln wie das erste Mal. Ob sie irgend eine akademische Strafe erhielten, ist mir entfallen, doch weiß ich, daß seitdem die Weihe der Kraft in Berlin nicht mehr gegeben wurde, bis sie endlich im Jahre 1868 wieder auf dem Victoria-Theater erschien.
Die Musikstunden, welche mein Vater uns von klein auf ertheilen ließ, hatten bei den vier Kindern einen sehr verschiedenen Effekt. Fritz war gänzlich unfähig, die ersten Anfangsgründe zu begreifen. Weil es mir gelungen war, ihn in der Kenntniß des Zifferblattes zu unterrichten, so versuchte ich auch, ihm die fünf Notenlinien, die Takteintheilung und den Werth der Noten deutlicher zu machen, als der Musiklehrer es vermochte. Dies ging wohl auf dem Papiere, aber die Uebertragung des Begriffenen auf die schwarzen und weißen Tasten des Klaviers war bei Fritz eine reine Unmöglichkeit. Der verständige Musiklehrer erklärte sehr bald, daß trotz meiner Privatrepetitionen Fritz niemals dahin kommen werde, das kleinste Stück zu spielen, und die Stunden hörten auf. Mir selbst wurde das Auffassen der Theorie der Musik sehr leicht; über den Unterschied von cis und des, über die schwierigen Intervallen, über die Vorzeichnungen mit # und b, über die gleichschwebende Temperatur und den Quintenzirkel wußte ich sehr gut Bescheid zu geben; eine leichte Melodie konnte ich aus dem Kopfe nachspielen, auch wohl zu Papiere bringen; in den oft gehörten Mozartschen und Gluckschen Opern war ich so sehr zu Hause, daß ich nach wenigen angeschlagenen Takten die betreffende Stelle ohne Fehl bezeichnen konnte; da es mir aber an Leichtigkeit im Notenlesen und an Fingerfertigkeit
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/121>, abgerufen am 26.07.2024. |