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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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gebrach, so rückte ich äußerst langsam vorwärts. Meinem guten Vater zu Gefallen nahm ich den Klavierunterricht immer fort, bis ich, 17 oder 18 Jahr alt, endlich einsah, daß es Zeit sei, einen Entschluß zu fassen. Ich fragte also eines Tages meinen Vater, welches Endziel er mir bei meinem Bemühen stecke? Als er darauf erwiederte, daß ich wenigstens einen bezifferten Baß und eine leichte Partitur vom Blatte spielen müsse, zeigte ich ihm die gänzliche Vergeblichkeit, diesem unerreichbaren Ziele nachzujagen, und er ließ in Folge davon die Klavierstunden aufhören. Jedoch konnte ich nicht umhin, ihm zu Liebe das Violoncello zu lernen, das er in seiner Jugend mit großer Fertigkeit spielte. Dies ging schon besser: denn das Auge hatte nur eine Notenreihe zu übersehn, und die fatalen Doppelgriffe kamen nicht zu oft vor. Auch brachte ich es dahin, einige Terzette und Quartette zu spielen, ließ aber bald auch dieses Instrument liegen. Jetzt genieße ich in meinem Alter die Freude, meinen Sohn und meine Tochter in den klassischen Werken von Haydn, Mozart, Beethoven u. a. als tüchtige Spieler zu hören. Mit dem Gesange ging es mir nicht besser als mit dem Spiele; ich hatte wohl Ohr genug, um eine Melodie leicht aufzufassen, allein es fehlte mir an Stimme; daher brachte ich es niemals weiter, als bis zu einem sehr bescheidenen zweiten Tenor.

Meine Schwester Lilli besaß mehr Talent zur Musik als ich, konnte auch mehr Zeit auf das Ueben verwenden. Sie gelangte bis zu den Beethovenschen Sonaten. Mit Entzücken gedenke ich der Sommer-Sonntage, wann sie im großen Gartensaale das "Rondeau en G." von Beethoven spielte, während ich im grünen Zimmer über der Präparation zum Homer saß, und die summenden Bienen

gebrach, so rückte ich äußerst langsam vorwärts. Meinem guten Vater zu Gefallen nahm ich den Klavierunterricht immer fort, bis ich, 17 oder 18 Jahr alt, endlich einsah, daß es Zeit sei, einen Entschluß zu fassen. Ich fragte also eines Tages meinen Vater, welches Endziel er mir bei meinem Bemühen stecke? Als er darauf erwiederte, daß ich wenigstens einen bezifferten Baß und eine leichte Partitur vom Blatte spielen müsse, zeigte ich ihm die gänzliche Vergeblichkeit, diesem unerreichbaren Ziele nachzujagen, und er ließ in Folge davon die Klavierstunden aufhören. Jedoch konnte ich nicht umhin, ihm zu Liebe das Violoncello zu lernen, das er in seiner Jugend mit großer Fertigkeit spielte. Dies ging schon besser: denn das Auge hatte nur eine Notenreihe zu übersehn, und die fatalen Doppelgriffe kamen nicht zu oft vor. Auch brachte ich es dahin, einige Terzette und Quartette zu spielen, ließ aber bald auch dieses Instrument liegen. Jetzt genieße ich in meinem Alter die Freude, meinen Sohn und meine Tochter in den klassischen Werken von Haydn, Mozart, Beethoven u. a. als tüchtige Spieler zu hören. Mit dem Gesange ging es mir nicht besser als mit dem Spiele; ich hatte wohl Ohr genug, um eine Melodie leicht aufzufassen, allein es fehlte mir an Stimme; daher brachte ich es niemals weiter, als bis zu einem sehr bescheidenen zweiten Tenor.

Meine Schwester Lilli besaß mehr Talent zur Musik als ich, konnte auch mehr Zeit auf das Ueben verwenden. Sie gelangte bis zu den Beethovenschen Sonaten. Mit Entzücken gedenke ich der Sommer-Sonntage, wann sie im großen Gartensaale das „Rondeau en G.“ von Beethoven spielte, während ich im grünen Zimmer über der Präparation zum Homer saß, und die summenden Bienen

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[114/0122] gebrach, so rückte ich äußerst langsam vorwärts. Meinem guten Vater zu Gefallen nahm ich den Klavierunterricht immer fort, bis ich, 17 oder 18 Jahr alt, endlich einsah, daß es Zeit sei, einen Entschluß zu fassen. Ich fragte also eines Tages meinen Vater, welches Endziel er mir bei meinem Bemühen stecke? Als er darauf erwiederte, daß ich wenigstens einen bezifferten Baß und eine leichte Partitur vom Blatte spielen müsse, zeigte ich ihm die gänzliche Vergeblichkeit, diesem unerreichbaren Ziele nachzujagen, und er ließ in Folge davon die Klavierstunden aufhören. Jedoch konnte ich nicht umhin, ihm zu Liebe das Violoncello zu lernen, das er in seiner Jugend mit großer Fertigkeit spielte. Dies ging schon besser: denn das Auge hatte nur eine Notenreihe zu übersehn, und die fatalen Doppelgriffe kamen nicht zu oft vor. Auch brachte ich es dahin, einige Terzette und Quartette zu spielen, ließ aber bald auch dieses Instrument liegen. Jetzt genieße ich in meinem Alter die Freude, meinen Sohn und meine Tochter in den klassischen Werken von Haydn, Mozart, Beethoven u. a. als tüchtige Spieler zu hören. Mit dem Gesange ging es mir nicht besser als mit dem Spiele; ich hatte wohl Ohr genug, um eine Melodie leicht aufzufassen, allein es fehlte mir an Stimme; daher brachte ich es niemals weiter, als bis zu einem sehr bescheidenen zweiten Tenor. Meine Schwester Lilli besaß mehr Talent zur Musik als ich, konnte auch mehr Zeit auf das Ueben verwenden. Sie gelangte bis zu den Beethovenschen Sonaten. Mit Entzücken gedenke ich der Sommer-Sonntage, wann sie im großen Gartensaale das „Rondeau en G.“ von Beethoven spielte, während ich im grünen Zimmer über der Präparation zum Homer saß, und die summenden Bienen

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/122>, abgerufen am 24.11.2024.