Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].entreißen, und möchte am liebsten wieder auf die Universität Wittenberg zurückgehn. Die älteren Schauspieler scheinen sich in Bezug auf Hamlets Aeußeres näher an Shakspeare angeschlossen zu haben. Chodowiecki zeigt uns in mehreren ausgeführten Blättern den Herrn Brockmann als Hamlet (No. 213. 214). Dieser ist nicht nur wohlbeleibt, sondern auch kahl, wovon im Stücke keine Andeutung steht. Dagegen würde man jetzt die abscheulichen Frisuren der Ophelia und der Königin aus dem Jahre 1778 u. 1779 kaum erträglich finden. Es ist bekannt, daß der Hamlet mit zu Garricks Hauptrollen gehörte; wir haben auch eine recht anschauliche Beschreibung von Lichtenberg (verm. Schriften 3, 239 ff.), wonach Garrick ein kleiner, untersetzter, aber sehr wohlgebildeter Mann war. Den König im Hamlet gab mein Schulfreund Gern, der fast wider Willen zu dieser ernsthaften Rolle gekommen war, während er sonst ausschließlich dem komischen Fache sich widmete. Er löste seine Aufgabe sehr gut, indem er den Brudermörder so widerwärtig im Aeußeren und Inneren darstellte, daß man seine endliche Bestrafung von Herzen billigte. Bei der Scene im Schlafgemache der Königin erschien der Geist, wie gewöhnlich, im Harnisch. Göthe rügt es mit Recht, daß keine Theaterdirektion den Muth habe, den Geist nach Shakspeares Anweisung, im Schlafrocke (in his nightgown) erscheinen zu lassen. Auf dem kleinen Weimarer Theater wäre dies am ersten thunlich gewesen, auf einer großen Bühne kann man kaum die Menschen, geschweige denn die Geister, bloß an ihren Gesichtszügen erkennen. entreißen, und möchte am liebsten wieder auf die Universität Wittenberg zurückgehn. Die älteren Schauspieler scheinen sich in Bezug auf Hamlets Aeußeres näher an Shakspeare angeschlossen zu haben. Chodowiecki zeigt uns in mehreren ausgeführten Blättern den Herrn Brockmann als Hamlet (No. 213. 214). Dieser ist nicht nur wohlbeleibt, sondern auch kahl, wovon im Stücke keine Andeutung steht. Dagegen würde man jetzt die abscheulichen Frisuren der Ophelia und der Königin aus dem Jahre 1778 u. 1779 kaum erträglich finden. Es ist bekannt, daß der Hamlet mit zu Garricks Hauptrollen gehörte; wir haben auch eine recht anschauliche Beschreibung von Lichtenberg (verm. Schriften 3, 239 ff.), wonach Garrick ein kleiner, untersetzter, aber sehr wohlgebildeter Mann war. Den König im Hamlet gab mein Schulfreund Gern, der fast wider Willen zu dieser ernsthaften Rolle gekommen war, während er sonst ausschließlich dem komischen Fache sich widmete. Er löste seine Aufgabe sehr gut, indem er den Brudermörder so widerwärtig im Aeußeren und Inneren darstellte, daß man seine endliche Bestrafung von Herzen billigte. Bei der Scene im Schlafgemache der Königin erschien der Geist, wie gewöhnlich, im Harnisch. Göthe rügt es mit Recht, daß keine Theaterdirektion den Muth habe, den Geist nach Shakspeares Anweisung, im Schlafrocke (in his nightgown) erscheinen zu lassen. Auf dem kleinen Weimarer Theater wäre dies am ersten thunlich gewesen, auf einer großen Bühne kann man kaum die Menschen, geschweige denn die Geister, bloß an ihren Gesichtszügen erkennen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0108" n="100"/> entreißen, und möchte am liebsten wieder auf die Universität Wittenberg zurückgehn. </p><lb/> <p>Die älteren Schauspieler scheinen sich in Bezug auf Hamlets Aeußeres näher an Shakspeare angeschlossen zu haben. Chodowiecki zeigt uns in mehreren ausgeführten Blättern den Herrn Brockmann als Hamlet (No. 213. 214). Dieser ist nicht nur wohlbeleibt, sondern auch kahl, wovon im Stücke keine Andeutung steht. Dagegen würde man jetzt die abscheulichen Frisuren der Ophelia und der Königin aus dem Jahre 1778 u. 1779 kaum erträglich finden. Es ist bekannt, daß der Hamlet mit zu Garricks Hauptrollen gehörte; wir haben auch eine recht anschauliche Beschreibung von Lichtenberg (verm. Schriften 3, 239 ff.), wonach Garrick ein kleiner, untersetzter, aber sehr wohlgebildeter Mann war. </p><lb/> <p>Den König im Hamlet gab mein Schulfreund Gern, der fast wider Willen zu dieser ernsthaften Rolle gekommen war, während er sonst ausschließlich dem komischen Fache sich widmete. Er löste seine Aufgabe sehr gut, indem er den Brudermörder so widerwärtig im Aeußeren und Inneren darstellte, daß man seine endliche Bestrafung von Herzen billigte. </p><lb/> <p>Bei der Scene im Schlafgemache der Königin erschien der Geist, wie gewöhnlich, im Harnisch. Göthe rügt es mit Recht, daß keine Theaterdirektion den Muth habe, den Geist nach Shakspeares Anweisung, im Schlafrocke (in his nightgown) erscheinen zu lassen. Auf dem kleinen Weimarer Theater wäre dies am ersten thunlich gewesen, auf einer großen Bühne kann man kaum die Menschen, geschweige denn die Geister, bloß an ihren Gesichtszügen erkennen. </p> </div> </body> </text> </TEI> [100/0108]
entreißen, und möchte am liebsten wieder auf die Universität Wittenberg zurückgehn.
Die älteren Schauspieler scheinen sich in Bezug auf Hamlets Aeußeres näher an Shakspeare angeschlossen zu haben. Chodowiecki zeigt uns in mehreren ausgeführten Blättern den Herrn Brockmann als Hamlet (No. 213. 214). Dieser ist nicht nur wohlbeleibt, sondern auch kahl, wovon im Stücke keine Andeutung steht. Dagegen würde man jetzt die abscheulichen Frisuren der Ophelia und der Königin aus dem Jahre 1778 u. 1779 kaum erträglich finden. Es ist bekannt, daß der Hamlet mit zu Garricks Hauptrollen gehörte; wir haben auch eine recht anschauliche Beschreibung von Lichtenberg (verm. Schriften 3, 239 ff.), wonach Garrick ein kleiner, untersetzter, aber sehr wohlgebildeter Mann war.
Den König im Hamlet gab mein Schulfreund Gern, der fast wider Willen zu dieser ernsthaften Rolle gekommen war, während er sonst ausschließlich dem komischen Fache sich widmete. Er löste seine Aufgabe sehr gut, indem er den Brudermörder so widerwärtig im Aeußeren und Inneren darstellte, daß man seine endliche Bestrafung von Herzen billigte.
Bei der Scene im Schlafgemache der Königin erschien der Geist, wie gewöhnlich, im Harnisch. Göthe rügt es mit Recht, daß keine Theaterdirektion den Muth habe, den Geist nach Shakspeares Anweisung, im Schlafrocke (in his nightgown) erscheinen zu lassen. Auf dem kleinen Weimarer Theater wäre dies am ersten thunlich gewesen, auf einer großen Bühne kann man kaum die Menschen, geschweige denn die Geister, bloß an ihren Gesichtszügen erkennen.
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/108>, abgerufen am 26.07.2024. |