Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].fangs zur ersten Partei, trat aber zur zweiten über, je mehr ich in den Plan des Stückes eindrang, und mir die einzelnen Schönheiten zu einem Granzen abrundete. Darüber waren beide Parteien einig, daß Iphigenie an Grosheit der Konception höher stehe als Tasso, daß Tasso aber sich einer noch vollkomneren Diction erfreue. Zu Wolfs besten Leistungen gehörte der Hamlet, weil er nicht viel Aufwand von Kraft erfordert, aber ein desto tieferes Eindringen in die unvergleichlich sinnvollen Reden, aus denen die ganze Rolle besteht. Wolf gab den philosophirenden, reflektirenden Schwächling gerade so wie ihn Göthe im Wilhelm Meister richtig schildert: eine ungeheure That, die Rache für den ermordeten Vater, wird in eine zu schwache Hand gelegt; das edle Gefäß ist dem Inhalte nicht gewachsen und wird gesprengt. Im Aeußeren aber entsprach Wolf eben so wenig als alle andern Hamlets, welche ich gesehn, den Shakspearischen Andeutungen. Daß er als Däne blond sein müsse, hat schon Göthe bemerkt, daß er fett, oder milder ausgedrückt, wohlbeleibt sei, sagt seine Mutter, als sie ihm beim Zweikampfe den Schweiß abtrocknet; der magre Wolf hatte sich aber den Gürtel so fest geschnallt, daß er einem ausgenommenen Häring gleich sah. Und doch ist gerade jene wohlhäbige Beleibtheit unerläßlich für Hamlets thatenloses Hinbrüten. Ein junger Prinz, der sorglos seinen philosophischen Studien lebt, und schon auf der Universität Fett ansetzt, ist gewiß nicht geeignet, eine gewaltige That, die den kühnsten Entschluß erfordert, zu vollbringen. So bleibt der grübelnde Jüngling, trotz aller Anmahnungen des Geistes, in unthätiger Ruhe. Er läßt sich die Krone, die ihm als einzigem, volljährigem Sohne gehört, von seinem Oheim fangs zur ersten Partei, trat aber zur zweiten über, je mehr ich in den Plan des Stückes eindrang, und mir die einzelnen Schönheiten zu einem Granzen abrundete. Darüber waren beide Parteien einig, daß Iphigenie an Grosheit der Konception höher stehe als Tasso, daß Tasso aber sich einer noch vollkomneren Diction erfreue. Zu Wolfs besten Leistungen gehörte der Hamlet, weil er nicht viel Aufwand von Kraft erfordert, aber ein desto tieferes Eindringen in die unvergleichlich sinnvollen Reden, aus denen die ganze Rolle besteht. Wolf gab den philosophirenden, reflektirenden Schwächling gerade so wie ihn Göthe im Wilhelm Meister richtig schildert: eine ungeheure That, die Rache für den ermordeten Vater, wird in eine zu schwache Hand gelegt; das edle Gefäß ist dem Inhalte nicht gewachsen und wird gesprengt. Im Aeußeren aber entsprach Wolf eben so wenig als alle andern Hamlets, welche ich gesehn, den Shakspearischen Andeutungen. Daß er als Däne blond sein müsse, hat schon Göthe bemerkt, daß er fett, oder milder ausgedrückt, wohlbeleibt sei, sagt seine Mutter, als sie ihm beim Zweikampfe den Schweiß abtrocknet; der magre Wolf hatte sich aber den Gürtel so fest geschnallt, daß er einem ausgenommenen Häring gleich sah. Und doch ist gerade jene wohlhäbige Beleibtheit unerläßlich für Hamlets thatenloses Hinbrüten. Ein junger Prinz, der sorglos seinen philosophischen Studien lebt, und schon auf der Universität Fett ansetzt, ist gewiß nicht geeignet, eine gewaltige That, die den kühnsten Entschluß erfordert, zu vollbringen. So bleibt der grübelnde Jüngling, trotz aller Anmahnungen des Geistes, in unthätiger Ruhe. 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Im Aeußeren aber entsprach Wolf eben so wenig als alle andern Hamlets, welche ich gesehn, den Shakspearischen Andeutungen. Daß er als Däne blond sein müsse, hat schon Göthe bemerkt, daß er fett, oder milder ausgedrückt, wohlbeleibt sei, sagt seine Mutter, als sie ihm beim Zweikampfe den Schweiß abtrocknet; der magre Wolf hatte sich aber den Gürtel so fest geschnallt, daß er einem ausgenommenen Häring gleich sah. Und doch ist gerade jene wohlhäbige Beleibtheit unerläßlich für Hamlets thatenloses Hinbrüten. Ein junger Prinz, der sorglos seinen philosophischen Studien lebt, und schon auf der Universität Fett ansetzt, ist gewiß nicht geeignet, eine gewaltige That, die den kühnsten Entschluß erfordert, zu vollbringen. So bleibt der grübelnde Jüngling, trotz aller Anmahnungen des Geistes, in unthätiger Ruhe. Er läßt sich die Krone, die ihm als einzigem, volljährigem Sohne gehört, von seinem Oheim </p> </div> </body> </text> </TEI> [99/0107]
fangs zur ersten Partei, trat aber zur zweiten über, je mehr ich in den Plan des Stückes eindrang, und mir die einzelnen Schönheiten zu einem Granzen abrundete. Darüber waren beide Parteien einig, daß Iphigenie an Grosheit der Konception höher stehe als Tasso, daß Tasso aber sich einer noch vollkomneren Diction erfreue.
Zu Wolfs besten Leistungen gehörte der Hamlet, weil er nicht viel Aufwand von Kraft erfordert, aber ein desto tieferes Eindringen in die unvergleichlich sinnvollen Reden, aus denen die ganze Rolle besteht. Wolf gab den philosophirenden, reflektirenden Schwächling gerade so wie ihn Göthe im Wilhelm Meister richtig schildert: eine ungeheure That, die Rache für den ermordeten Vater, wird in eine zu schwache Hand gelegt; das edle Gefäß ist dem Inhalte nicht gewachsen und wird gesprengt. Im Aeußeren aber entsprach Wolf eben so wenig als alle andern Hamlets, welche ich gesehn, den Shakspearischen Andeutungen. Daß er als Däne blond sein müsse, hat schon Göthe bemerkt, daß er fett, oder milder ausgedrückt, wohlbeleibt sei, sagt seine Mutter, als sie ihm beim Zweikampfe den Schweiß abtrocknet; der magre Wolf hatte sich aber den Gürtel so fest geschnallt, daß er einem ausgenommenen Häring gleich sah. Und doch ist gerade jene wohlhäbige Beleibtheit unerläßlich für Hamlets thatenloses Hinbrüten. Ein junger Prinz, der sorglos seinen philosophischen Studien lebt, und schon auf der Universität Fett ansetzt, ist gewiß nicht geeignet, eine gewaltige That, die den kühnsten Entschluß erfordert, zu vollbringen. So bleibt der grübelnde Jüngling, trotz aller Anmahnungen des Geistes, in unthätiger Ruhe. Er läßt sich die Krone, die ihm als einzigem, volljährigem Sohne gehört, von seinem Oheim
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/107>, abgerufen am 26.07.2024. |