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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

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Armee ihnen alles Mehl und Fleisch entzögen; die Landleute klagten, daß sie selbst auf den Dörfern nicht genug hätten, um die zahlreichen feindlichen Truppen zu beköstigen. In unserm Hause waren die täglichen Ausgaben an Fleisch für die Tafel der Generale so bedeutend, daß es sehr bald als das gerathenste erschien, einen ganzen Ochsen zu kaufen und einzuschlachten, um wenigstens für einige Zeit Vorrath zu haben.

Diese Begebenheit hatte für die Kinder die allergröste Wichtigkeit. Wir erkundigten uns, wie es möglich sei, ein so gewaltiges Thier zu tödten, und erfuhren, daß der Schlächter es durch einen Schlag mit umgekehrtem Beile vor die Stirn betäube, und ihm dann den Kopf abschneide. Weil der Hof ganz voll französischer Pferde stand, so sollte die Operation im kleinen Garten vor sich gehn, zu dem eine Treppe von 6 Stufen hinabführte. Aus unseren Hoffenstern sahen wir, wie das gewaltige hellgraue Thier vorbeigebracht ward, dann liefen wir beide, meine Schwester und ich, nach den Gartenfenstern, um den weiteren Verlauf mit einem aus Grauen und Vergnügen gemischten Gefühle abzuwarten. Fritz hatte die unerhörte Keckheit, den Kopf durch die nach dem Hausflur führende Küchenthür zu stecken. Allein es dauerte lange, ehe das Schlachtopfer im Garten erschien. Die 6 Stufen hatten nicht geringe Schwierigkeiten gemacht. Das Thier war unruhig geworden, und wollte sich nicht bändigen lassen. So weit konnten wir die Sache vom Fenster aus ansehn, als aber der verhängnisvolle Schlag vor die Stirn erfolgen sollte, bedeckten wir die Augen mit den Händen, und warfen uns mit dem Gesichte auf das Sopha. Fritz behauptete den Schlag deutlich gehört zu haben, aber wir glaubten

Armee ihnen alles Mehl und Fleisch entzögen; die Landleute klagten, daß sie selbst auf den Dörfern nicht genug hätten, um die zahlreichen feindlichen Truppen zu beköstigen. In unserm Hause waren die täglichen Ausgaben an Fleisch für die Tafel der Generale so bedeutend, daß es sehr bald als das gerathenste erschien, einen ganzen Ochsen zu kaufen und einzuschlachten, um wenigstens für einige Zeit Vorrath zu haben.

Diese Begebenheit hatte für die Kinder die allergröste Wichtigkeit. Wir erkundigten uns, wie es möglich sei, ein so gewaltiges Thier zu tödten, und erfuhren, daß der Schlächter es durch einen Schlag mit umgekehrtem Beile vor die Stirn betäube, und ihm dann den Kopf abschneide. Weil der Hof ganz voll französischer Pferde stand, so sollte die Operation im kleinen Garten vor sich gehn, zu dem eine Treppe von 6 Stufen hinabführte. Aus unseren Hoffenstern sahen wir, wie das gewaltige hellgraue Thier vorbeigebracht ward, dann liefen wir beide, meine Schwester und ich, nach den Gartenfenstern, um den weiteren Verlauf mit einem aus Grauen und Vergnügen gemischten Gefühle abzuwarten. Fritz hatte die unerhörte Keckheit, den Kopf durch die nach dem Hausflur führende Küchenthür zu stecken. Allein es dauerte lange, ehe das Schlachtopfer im Garten erschien. Die 6 Stufen hatten nicht geringe Schwierigkeiten gemacht. Das Thier war unruhig geworden, und wollte sich nicht bändigen lassen. So weit konnten wir die Sache vom Fenster aus ansehn, als aber der verhängnisvolle Schlag vor die Stirn erfolgen sollte, bedeckten wir die Augen mit den Händen, und warfen uns mit dem Gesichte auf das Sopha. Fritz behauptete den Schlag deutlich gehört zu haben, aber wir glaubten

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[74/0086] Armee ihnen alles Mehl und Fleisch entzögen; die Landleute klagten, daß sie selbst auf den Dörfern nicht genug hätten, um die zahlreichen feindlichen Truppen zu beköstigen. In unserm Hause waren die täglichen Ausgaben an Fleisch für die Tafel der Generale so bedeutend, daß es sehr bald als das gerathenste erschien, einen ganzen Ochsen zu kaufen und einzuschlachten, um wenigstens für einige Zeit Vorrath zu haben. Diese Begebenheit hatte für die Kinder die allergröste Wichtigkeit. Wir erkundigten uns, wie es möglich sei, ein so gewaltiges Thier zu tödten, und erfuhren, daß der Schlächter es durch einen Schlag mit umgekehrtem Beile vor die Stirn betäube, und ihm dann den Kopf abschneide. Weil der Hof ganz voll französischer Pferde stand, so sollte die Operation im kleinen Garten vor sich gehn, zu dem eine Treppe von 6 Stufen hinabführte. Aus unseren Hoffenstern sahen wir, wie das gewaltige hellgraue Thier vorbeigebracht ward, dann liefen wir beide, meine Schwester und ich, nach den Gartenfenstern, um den weiteren Verlauf mit einem aus Grauen und Vergnügen gemischten Gefühle abzuwarten. Fritz hatte die unerhörte Keckheit, den Kopf durch die nach dem Hausflur führende Küchenthür zu stecken. Allein es dauerte lange, ehe das Schlachtopfer im Garten erschien. Die 6 Stufen hatten nicht geringe Schwierigkeiten gemacht. Das Thier war unruhig geworden, und wollte sich nicht bändigen lassen. So weit konnten wir die Sache vom Fenster aus ansehn, als aber der verhängnisvolle Schlag vor die Stirn erfolgen sollte, bedeckten wir die Augen mit den Händen, und warfen uns mit dem Gesichte auf das Sopha. Fritz behauptete den Schlag deutlich gehört zu haben, aber wir glaubten

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/86>, abgerufen am 28.05.2024.