Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Grosvater in einem besonderen Schränkchen sorglich hatte aufstellen lassen. Weiße's Kinderfreund und der Briefwechsel desselben hatten nicht viel Anziehungskraft: denn so liebenswürdig sich auch der Karakter des Verfassers darin ausspricht, so sind die Belehrungen zu fragmentarisch und von allzuvielen Betrachtungen unterbrochen. Auch war schon damals manches veraltet. Wenn Karlchen einen Postillon d'amour erhält, oder Lottchen ihre Poschen verliert, so waren das für uns unbekannte Größen. Die gefälligen und unterrichtenden Reden des Herrn Spirit und des Magisters Philoteknus konnten den Mangel einer durchgehenden Handlung nicht ersetzen. In allen Schriften für das jugendliche Alter muß etwas geschehen, und aus den Vorgängen selbst muß Belehrung oder Warnung sich herleiten lassen. Deshalb ward auch der trockne Text zu Salzmanns Elementarbuch selten zur Hand genommen; die Kupfer dagegen, welche der Grosvater nach seiner soliden Art alle einzeln hatte auf Pappe kleben lassen, bildeten neben den Chodowieckis eine unerschöpfliche Quelle der Lust. Kotzebues Geschichten für meine Söhne wurden trotz ihrer platten Moral gern gelesen. Den grösten Beifall fanden die 12 Bände von Campes Reisen, welche in mir zuerst den Trieb erweckten, recht viele fremde Länder zu sehn. Die Krone von allen Kinderbüchern war natürlich der Robinson, den wir abwechselnd der Reihe nach immer von neuem durchlasen. Wenn der Grosvater sich zum Schlafengehn erhob, so wetteiferten wir, wer ihm mit dem Leuchter bis zu seiner Wohnstube vorangehn sollte. Meistentheils lief Fritz mir den Rang ab, weil ich mich zu sehr in die Bücher vertiefte. Grosvater in einem besonderen Schränkchen sorglich hatte aufstellen lassen. Weiße’s Kinderfreund und der Briefwechsel desselben hatten nicht viel Anziehungskraft: denn so liebenswürdig sich auch der Karakter des Verfassers darin ausspricht, so sind die Belehrungen zu fragmentarisch und von allzuvielen Betrachtungen unterbrochen. Auch war schon damals manches veraltet. Wenn Karlchen einen Postillon d’amour erhält, oder Lottchen ihre Poschen verliert, so waren das für uns unbekannte Größen. Die gefälligen und unterrichtenden Reden des Herrn Spirit und des Magisters Philoteknus konnten den Mangel einer durchgehenden Handlung nicht ersetzen. In allen Schriften für das jugendliche Alter muß etwas geschehen, und aus den Vorgängen selbst muß Belehrung oder Warnung sich herleiten lassen. Deshalb ward auch der trockne Text zu Salzmanns Elementarbuch selten zur Hand genommen; die Kupfer dagegen, welche der Grosvater nach seiner soliden Art alle einzeln hatte auf Pappe kleben lassen, bildeten neben den Chodowieckis eine unerschöpfliche Quelle der Lust. Kotzebues Geschichten für meine Söhne wurden trotz ihrer platten Moral gern gelesen. Den grösten Beifall fanden die 12 Bände von Campes Reisen, welche in mir zuerst den Trieb erweckten, recht viele fremde Länder zu sehn. Die Krone von allen Kinderbüchern war natürlich der Robinson, den wir abwechselnd der Reihe nach immer von neuem durchlasen. Wenn der Grosvater sich zum Schlafengehn erhob, so wetteiferten wir, wer ihm mit dem Leuchter bis zu seiner Wohnstube vorangehn sollte. Meistentheils lief Fritz mir den Rang ab, weil ich mich zu sehr in die Bücher vertiefte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0059" n="47"/> Grosvater in einem besonderen Schränkchen sorglich hatte aufstellen lassen. Weiße’s Kinderfreund und der Briefwechsel desselben hatten nicht viel Anziehungskraft: denn so liebenswürdig sich auch der Karakter des Verfassers darin ausspricht, so sind die Belehrungen zu fragmentarisch und von allzuvielen Betrachtungen unterbrochen. Auch war schon damals manches veraltet. Wenn Karlchen einen Postillon d’amour erhält, oder Lottchen ihre Poschen verliert, so waren das für uns unbekannte Größen. Die gefälligen und unterrichtenden Reden des Herrn Spirit und des Magisters Philoteknus konnten den Mangel einer durchgehenden Handlung nicht ersetzen. </p><lb/> <p>In allen Schriften für das jugendliche Alter muß etwas geschehen, und aus den Vorgängen selbst muß Belehrung oder Warnung sich herleiten lassen. Deshalb ward auch der trockne Text zu Salzmanns Elementarbuch selten zur Hand genommen; die Kupfer dagegen, welche der Grosvater nach seiner soliden Art alle einzeln hatte auf Pappe kleben lassen, bildeten neben den Chodowieckis eine unerschöpfliche Quelle der Lust. Kotzebues Geschichten für meine Söhne wurden trotz ihrer platten Moral gern gelesen. Den grösten Beifall fanden die 12 Bände von Campes Reisen, welche in mir zuerst den Trieb erweckten, recht viele fremde Länder zu sehn. Die Krone von allen Kinderbüchern war natürlich der Robinson, den wir abwechselnd der Reihe nach immer von neuem durchlasen. </p><lb/> <p>Wenn der Grosvater sich zum Schlafengehn erhob, so wetteiferten wir, wer ihm mit dem Leuchter bis zu seiner Wohnstube vorangehn sollte. Meistentheils lief Fritz mir den Rang ab, weil ich mich zu sehr in die Bücher vertiefte. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [47/0059]
Grosvater in einem besonderen Schränkchen sorglich hatte aufstellen lassen. Weiße’s Kinderfreund und der Briefwechsel desselben hatten nicht viel Anziehungskraft: denn so liebenswürdig sich auch der Karakter des Verfassers darin ausspricht, so sind die Belehrungen zu fragmentarisch und von allzuvielen Betrachtungen unterbrochen. Auch war schon damals manches veraltet. Wenn Karlchen einen Postillon d’amour erhält, oder Lottchen ihre Poschen verliert, so waren das für uns unbekannte Größen. Die gefälligen und unterrichtenden Reden des Herrn Spirit und des Magisters Philoteknus konnten den Mangel einer durchgehenden Handlung nicht ersetzen.
In allen Schriften für das jugendliche Alter muß etwas geschehen, und aus den Vorgängen selbst muß Belehrung oder Warnung sich herleiten lassen. Deshalb ward auch der trockne Text zu Salzmanns Elementarbuch selten zur Hand genommen; die Kupfer dagegen, welche der Grosvater nach seiner soliden Art alle einzeln hatte auf Pappe kleben lassen, bildeten neben den Chodowieckis eine unerschöpfliche Quelle der Lust. Kotzebues Geschichten für meine Söhne wurden trotz ihrer platten Moral gern gelesen. Den grösten Beifall fanden die 12 Bände von Campes Reisen, welche in mir zuerst den Trieb erweckten, recht viele fremde Länder zu sehn. Die Krone von allen Kinderbüchern war natürlich der Robinson, den wir abwechselnd der Reihe nach immer von neuem durchlasen.
Wenn der Grosvater sich zum Schlafengehn erhob, so wetteiferten wir, wer ihm mit dem Leuchter bis zu seiner Wohnstube vorangehn sollte. Meistentheils lief Fritz mir den Rang ab, weil ich mich zu sehr in die Bücher vertiefte.
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/59>, abgerufen am 05.07.2024. |