Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].ihrer Schwester bei Altenburg zu gehn, und am 10. März 1814 hatten wir die Freude, die Tante Jettchen wieder in Berlin zu begrüßen. Nun wurden ihre Briefe durch die mündlichen Mittheilungen erst recht lebendig; wir hörten ihr ganze Abende zu, wenn sie von dem veränderten Leben, von der Einsamkeit der Wintertage, von den bezaubernden Effekten der Wintersonne auf die Schneefelder, von den vielen lächerlichen Misverständnissen mit dem böhmischen Dienstpersonale erzählte. Eine düstre Schilderung machte sie von der geistigen Versunkenheit des Landes, von der völligen Stumpfsinnigkeit der Böhmen in politischer Hinsicht, von der krassen Unwissenheit und dem Mangel an jeder höheren Bildung. Oestreich hatte eben so viel, vielleicht noch mehr als Preußen von Napoleon zu leiden gehabt, aber von einem nationalen Aufschwunge wußte man in Oestreich nichts. Böhmen war wunderbarer Weise von einem französischen Heere nie betreten worden, die Einwohner hatten daher die Schrecken des Krieges nie in der Nähe gesehn, und bezeigten sich sehr gleichgültig bei der drohenden Nähe des Feindes. Von dem Geldwesen und der Finanznoth gab uns die Tante ein halb trauriges, halb komisches Bild. Die Regierung, sagte sie, habe den armen Leuten nicht nur vier Viertel, sondern fünf Viertel ihres Vermögens genommen, indem man zuerst das Silberzeug mit einem Viertel seines Werthes besteuerte, bald darauf aber alles Silberzeug, selbst das der Kirchen, mit Beschlag belegte und einschmolz. Dennoch war es den reichen Domgeistlichen in Prag möglich, den Sarg des heiligen Nepomuck zu retten, der eilf Zentner massiven Silbers enthalten sollte. Im gewöhnlichen Verkehre gab es nichts als Papiergeld und Kupfer; die ihrer Schwester bei Altenburg zu gehn, und am 10. März 1814 hatten wir die Freude, die Tante Jettchen wieder in Berlin zu begrüßen. Nun wurden ihre Briefe durch die mündlichen Mittheilungen erst recht lebendig; wir hörten ihr ganze Abende zu, wenn sie von dem veränderten Leben, von der Einsamkeit der Wintertage, von den bezaubernden Effekten der Wintersonne auf die Schneefelder, von den vielen lächerlichen Misverständnissen mit dem böhmischen Dienstpersonale erzählte. Eine düstre Schilderung machte sie von der geistigen Versunkenheit des Landes, von der völligen Stumpfsinnigkeit der Böhmen in politischer Hinsicht, von der krassen Unwissenheit und dem Mangel an jeder höheren Bildung. Oestreich hatte eben so viel, vielleicht noch mehr als Preußen von Napoléon zu leiden gehabt, aber von einem nationalen Aufschwunge wußte man in Oestreich nichts. Böhmen war wunderbarer Weise von einem französischen Heere nie betreten worden, die Einwohner hatten daher die Schrecken des Krieges nie in der Nähe gesehn, und bezeigten sich sehr gleichgültig bei der drohenden Nähe des Feindes. Von dem Geldwesen und der Finanznoth gab uns die Tante ein halb trauriges, halb komisches Bild. Die Regierung, sagte sie, habe den armen Leuten nicht nur vier Viertel, sondern fünf Viertel ihres Vermögens genommen, indem man zuerst das Silberzeug mit einem Viertel seines Werthes besteuerte, bald darauf aber alles Silberzeug, selbst das der Kirchen, mit Beschlag belegte und einschmolz. Dennoch war es den reichen Domgeistlichen in Prag möglich, den Sarg des heiligen Nepomuck zu retten, der eilf Zentner massiven Silbers enthalten sollte. Im gewöhnlichen Verkehre gab es nichts als Papiergeld und Kupfer; die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0441" n="429"/> ihrer Schwester bei Altenburg zu gehn, und am 10. März 1814 hatten wir die Freude, die Tante Jettchen wieder in Berlin zu begrüßen. Nun wurden ihre Briefe durch die mündlichen Mittheilungen erst recht lebendig; wir hörten ihr ganze Abende zu, wenn sie von dem veränderten Leben, von der Einsamkeit der Wintertage, von den bezaubernden Effekten der Wintersonne auf die Schneefelder, von den vielen lächerlichen Misverständnissen mit dem böhmischen Dienstpersonale erzählte. Eine düstre Schilderung machte sie von der geistigen Versunkenheit des Landes, von der völligen Stumpfsinnigkeit der Böhmen in politischer Hinsicht, von der krassen Unwissenheit und dem Mangel an jeder höheren Bildung. Oestreich hatte eben so viel, vielleicht noch mehr als Preußen von Napoléon zu leiden gehabt, aber von einem nationalen Aufschwunge wußte man in Oestreich nichts. Böhmen war wunderbarer Weise von einem französischen Heere nie betreten worden, die Einwohner hatten daher die Schrecken des Krieges nie in der Nähe gesehn, und bezeigten sich sehr gleichgültig bei der drohenden Nähe des Feindes. </p><lb/> <p>Von dem Geldwesen und der Finanznoth gab uns die Tante ein halb trauriges, halb komisches Bild. Die Regierung, sagte sie, habe den armen Leuten nicht nur vier Viertel, sondern fünf Viertel ihres Vermögens genommen, indem man zuerst das Silberzeug mit einem Viertel seines Werthes besteuerte, bald darauf aber alles Silberzeug, selbst das der Kirchen, mit Beschlag belegte und einschmolz. Dennoch war es den reichen Domgeistlichen in Prag möglich, den Sarg des heiligen Nepomuck zu retten, der eilf Zentner massiven Silbers enthalten sollte. Im gewöhnlichen Verkehre gab es nichts als Papiergeld und Kupfer; die </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [429/0441]
ihrer Schwester bei Altenburg zu gehn, und am 10. März 1814 hatten wir die Freude, die Tante Jettchen wieder in Berlin zu begrüßen. Nun wurden ihre Briefe durch die mündlichen Mittheilungen erst recht lebendig; wir hörten ihr ganze Abende zu, wenn sie von dem veränderten Leben, von der Einsamkeit der Wintertage, von den bezaubernden Effekten der Wintersonne auf die Schneefelder, von den vielen lächerlichen Misverständnissen mit dem böhmischen Dienstpersonale erzählte. Eine düstre Schilderung machte sie von der geistigen Versunkenheit des Landes, von der völligen Stumpfsinnigkeit der Böhmen in politischer Hinsicht, von der krassen Unwissenheit und dem Mangel an jeder höheren Bildung. Oestreich hatte eben so viel, vielleicht noch mehr als Preußen von Napoléon zu leiden gehabt, aber von einem nationalen Aufschwunge wußte man in Oestreich nichts. Böhmen war wunderbarer Weise von einem französischen Heere nie betreten worden, die Einwohner hatten daher die Schrecken des Krieges nie in der Nähe gesehn, und bezeigten sich sehr gleichgültig bei der drohenden Nähe des Feindes.
Von dem Geldwesen und der Finanznoth gab uns die Tante ein halb trauriges, halb komisches Bild. Die Regierung, sagte sie, habe den armen Leuten nicht nur vier Viertel, sondern fünf Viertel ihres Vermögens genommen, indem man zuerst das Silberzeug mit einem Viertel seines Werthes besteuerte, bald darauf aber alles Silberzeug, selbst das der Kirchen, mit Beschlag belegte und einschmolz. Dennoch war es den reichen Domgeistlichen in Prag möglich, den Sarg des heiligen Nepomuck zu retten, der eilf Zentner massiven Silbers enthalten sollte. Im gewöhnlichen Verkehre gab es nichts als Papiergeld und Kupfer; die
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/441>, abgerufen am 05.07.2024. |