Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Papiergulden hießen Scheine, und so ward bald alles Geld spottweise "ein Scheingeld" genannt. Um den Kleinverkehr nicht ganz stocken zu lassen, prägte man für diese Scheingulden je 60 Kupferkreuzer; sie erhielten folgerichtig den Namen "Scheinkreuzer" und standen zu den ächten alten Kreuzern, die sich nicht gleich dem Verkehre entziehn ließen, in einem wechselnden, aber immer incommensurabeln Verhältnisse, Gold- und Silbermünzen waren gänzlich verschwunden, oder wurden, wo sie sich zeigten, zu enormen Preisen bezahlt. Frau von der Recke hatte ihr Reisegeld in schönen, vollwichtigen holländischen Dukaten mitgebracht; diese wurden in Nachod zu je 55 Papiergulden ausgegeben. Schon vor dem Jahre 1811 hatte der östreichische Staat nur in Papiergeld gezahlt, das zwar dem Namen nach in allen kaiserlichen Kassen für voll sollte angenommen werden, aber sehr bald tief unter dem Nennwerthe stand. Bei dem großen Staatsbankerotte im Jahr 1811 wurde dieses schlechte Papiergeld bis auf ungefähr ein Viertel seines Werthes herabgesetzt, und zahllose Familien geriethen dadurch in das äußerste Elend. Tiedge, der ein recht guter Lateiner war, hörte in Nachod von der Tante Jettchen, daß sie sich schon früher zur Erlernung der Botanik mit dem lateinischen beschäftigt. Er schlug ihr vor, täglich eine Stunde dieser Sprache zu widmen, für welche die Schloßbibliothek einige Hülfsmittel bot. Sie ergriff diesen Vorschlag mit solchem Eifer, und wendete einen so ausdauernden Fleiß auf ihre Präparationen, daß sie am Ende des Winters zusammen den Horaz lasen. Papiergulden hießen Scheine, und so ward bald alles Geld spottweise „ein Scheingeld“ genannt. Um den Kleinverkehr nicht ganz stocken zu lassen, prägte man für diese Scheingulden je 60 Kupferkreuzer; sie erhielten folgerichtig den Namen „Scheinkreuzer“ und standen zu den ächten alten Kreuzern, die sich nicht gleich dem Verkehre entziehn ließen, in einem wechselnden, aber immer incommensurabeln Verhältnisse, Gold- und Silbermünzen waren gänzlich verschwunden, oder wurden, wo sie sich zeigten, zu enormen Preisen bezahlt. Frau von der Recke hatte ihr Reisegeld in schönen, vollwichtigen holländischen Dukaten mitgebracht; diese wurden in Nachod zu je 55 Papiergulden ausgegeben. Schon vor dem Jahre 1811 hatte der östreichische Staat nur in Papiergeld gezahlt, das zwar dem Namen nach in allen kaiserlichen Kassen für voll sollte angenommen werden, aber sehr bald tief unter dem Nennwerthe stand. Bei dem großen Staatsbankerotte im Jahr 1811 wurde dieses schlechte Papiergeld bis auf ungefähr ein Viertel seines Werthes herabgesetzt, und zahllose Familien geriethen dadurch in das äußerste Elend. Tiedge, der ein recht guter Lateiner war, hörte in Nachod von der Tante Jettchen, daß sie sich schon früher zur Erlernung der Botanik mit dem lateinischen beschäftigt. Er schlug ihr vor, täglich eine Stunde dieser Sprache zu widmen, für welche die Schloßbibliothek einige Hülfsmittel bot. Sie ergriff diesen Vorschlag mit solchem Eifer, und wendete einen so ausdauernden Fleiß auf ihre Präparationen, daß sie am Ende des Winters zusammen den Horaz lasen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0442" n="430"/> Papiergulden hießen Scheine, und so ward bald alles Geld spottweise „ein Scheingeld“ genannt. Um den Kleinverkehr nicht ganz stocken zu lassen, prägte man für diese Scheingulden je 60 Kupferkreuzer; sie erhielten folgerichtig den Namen „Scheinkreuzer“ und standen zu den ächten alten Kreuzern, die sich nicht gleich dem Verkehre entziehn ließen, in einem wechselnden, aber immer incommensurabeln Verhältnisse, Gold- und Silbermünzen waren gänzlich verschwunden, oder wurden, wo sie sich zeigten, zu enormen Preisen bezahlt. Frau von der Recke hatte ihr Reisegeld in schönen, vollwichtigen holländischen Dukaten mitgebracht; diese wurden in Nachod zu je 55 Papiergulden ausgegeben. Schon vor dem Jahre 1811 hatte der östreichische Staat nur in Papiergeld gezahlt, das zwar dem Namen nach in allen kaiserlichen Kassen für voll sollte angenommen werden, aber sehr bald tief unter dem Nennwerthe stand. Bei dem großen Staatsbankerotte im Jahr 1811 wurde dieses schlechte Papiergeld bis auf ungefähr ein Viertel seines Werthes herabgesetzt, und zahllose Familien geriethen dadurch in das äußerste Elend. </p><lb/> <p>Tiedge, der ein recht guter Lateiner war, hörte in Nachod von der Tante Jettchen, daß sie sich schon früher zur Erlernung der Botanik mit dem lateinischen beschäftigt. Er schlug ihr vor, täglich eine Stunde dieser Sprache zu widmen, für welche die Schloßbibliothek einige Hülfsmittel bot. Sie ergriff diesen Vorschlag mit solchem Eifer, und wendete einen so ausdauernden Fleiß auf ihre Präparationen, daß sie am Ende des Winters zusammen den Horaz lasen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [430/0442]
Papiergulden hießen Scheine, und so ward bald alles Geld spottweise „ein Scheingeld“ genannt. Um den Kleinverkehr nicht ganz stocken zu lassen, prägte man für diese Scheingulden je 60 Kupferkreuzer; sie erhielten folgerichtig den Namen „Scheinkreuzer“ und standen zu den ächten alten Kreuzern, die sich nicht gleich dem Verkehre entziehn ließen, in einem wechselnden, aber immer incommensurabeln Verhältnisse, Gold- und Silbermünzen waren gänzlich verschwunden, oder wurden, wo sie sich zeigten, zu enormen Preisen bezahlt. Frau von der Recke hatte ihr Reisegeld in schönen, vollwichtigen holländischen Dukaten mitgebracht; diese wurden in Nachod zu je 55 Papiergulden ausgegeben. Schon vor dem Jahre 1811 hatte der östreichische Staat nur in Papiergeld gezahlt, das zwar dem Namen nach in allen kaiserlichen Kassen für voll sollte angenommen werden, aber sehr bald tief unter dem Nennwerthe stand. Bei dem großen Staatsbankerotte im Jahr 1811 wurde dieses schlechte Papiergeld bis auf ungefähr ein Viertel seines Werthes herabgesetzt, und zahllose Familien geriethen dadurch in das äußerste Elend.
Tiedge, der ein recht guter Lateiner war, hörte in Nachod von der Tante Jettchen, daß sie sich schon früher zur Erlernung der Botanik mit dem lateinischen beschäftigt. Er schlug ihr vor, täglich eine Stunde dieser Sprache zu widmen, für welche die Schloßbibliothek einige Hülfsmittel bot. Sie ergriff diesen Vorschlag mit solchem Eifer, und wendete einen so ausdauernden Fleiß auf ihre Präparationen, daß sie am Ende des Winters zusammen den Horaz lasen.
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