Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

ausgesetzt, Napoleon habe während des Gefechtes ausgerufen: ce ne sont plus les Prussiens de 1806!

Dieses erste Misgeschick war wohl geeignet, bedenkliche Stimmungen in Berlin hervorzurufen. Das preußische Heer zog sich durch Sachsen gegen Schlesien zurück, und die Hauptstadt des Landes war noch einmal dem andringenden Feinde blosgestellt. Die Regierung beschloß daher für Berlin den Landsturm zusammenzurufen, der alle waffenfähigen Männer vom 40-60. Jahre umfaßte. Ließ sich auch kaum erwarten, daß diese Milizen gegen ein geordnetes Heer etwas ausrichten würden, so zeigte diese Maasregel wenigstens den festen Entschluß Preußens, den Kampf bis an die äußerste Gränze der Möglichkeit aufrecht zu erhalten. Obgleich die jungen männlichen Einwohner Berlins theils als Freiwillige, theils als Landwehrleute ausgezogen waren, so blieben doch genug mittelaltrige übrig, um viele Kompagnien daraus zu bilden.

Der Brüderstraßen-Bezirk versammelte sich auf unserem Hofe, als dem geräumigsten im ganzen Viertel; wir Kinder guckten aus den Fenstern der Gallerie herab, zu der mancher der Landsturmleute mit Verwunderung hinaufsah; mein Vater schaute aus einem Fenster des ersten Stockwerks durch seinen Operngucker auf die Versammlung herunter. Der Probst Hanstein von der Petrikirche, ein kleiner feuriger Mann mit hellen durchdringenden Augen und einer volltönenden klaren Stimme hielt eine begeisterte Anrede, deren Text mir wohl im Gedächtnisse geblieben ist: Und sie warfen ihre Banner auf im Namen des Herrn! Es war damals noch etwas ungewöhnliches, bei kriegerischen Vorgängen den Gott des Friedens anzurufen, und in allen bis dahin erlebten Kriegszeiten war uns dergleichen

ausgesetzt, Napoléon habe während des Gefechtes ausgerufen: ce ne sont plus les Prussiens de 1806!

Dieses erste Misgeschick war wohl geeignet, bedenkliche Stimmungen in Berlin hervorzurufen. Das preußische Heer zog sich durch Sachsen gegen Schlesien zurück, und die Hauptstadt des Landes war noch einmal dem andringenden Feinde blosgestellt. Die Regierung beschloß daher für Berlin den Landsturm zusammenzurufen, der alle waffenfähigen Männer vom 40–60. Jahre umfaßte. Ließ sich auch kaum erwarten, daß diese Milizen gegen ein geordnetes Heer etwas ausrichten würden, so zeigte diese Maasregel wenigstens den festen Entschluß Preußens, den Kampf bis an die äußerste Gränze der Möglichkeit aufrecht zu erhalten. Obgleich die jungen männlichen Einwohner Berlins theils als Freiwillige, theils als Landwehrleute ausgezogen waren, so blieben doch genug mittelaltrige übrig, um viele Kompagnien daraus zu bilden.

Der Brüderstraßen-Bezirk versammelte sich auf unserem Hofe, als dem geräumigsten im ganzen Viertel; wir Kinder guckten aus den Fenstern der Gallerie herab, zu der mancher der Landsturmleute mit Verwunderung hinaufsah; mein Vater schaute aus einem Fenster des ersten Stockwerks durch seinen Operngucker auf die Versammlung herunter. Der Probst Hanstein von der Petrikirche, ein kleiner feuriger Mann mit hellen durchdringenden Augen und einer volltönenden klaren Stimme hielt eine begeisterte Anrede, deren Text mir wohl im Gedächtnisse geblieben ist: Und sie warfen ihre Banner auf im Namen des Herrn! Es war damals noch etwas ungewöhnliches, bei kriegerischen Vorgängen den Gott des Friedens anzurufen, und in allen bis dahin erlebten Kriegszeiten war uns dergleichen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0366" n="354"/>
ausgesetzt, Napoléon habe während des Gefechtes ausgerufen: ce ne sont plus les Prussiens de 1806! </p><lb/>
          <p>Dieses erste Misgeschick war wohl geeignet, bedenkliche Stimmungen in Berlin hervorzurufen. Das preußische Heer zog sich durch Sachsen gegen Schlesien zurück, und die Hauptstadt des Landes war noch einmal dem andringenden Feinde blosgestellt. Die Regierung beschloß daher für Berlin den Landsturm zusammenzurufen, der alle waffenfähigen Männer vom 40&#x2013;60. Jahre umfaßte. Ließ sich auch kaum erwarten, daß diese Milizen gegen ein geordnetes Heer etwas ausrichten würden, so zeigte diese Maasregel wenigstens den festen Entschluß Preußens, den Kampf bis an die äußerste Gränze der Möglichkeit aufrecht zu erhalten. Obgleich die jungen männlichen Einwohner Berlins theils als Freiwillige, theils als Landwehrleute ausgezogen waren, so blieben doch genug mittelaltrige übrig, um viele Kompagnien daraus zu bilden. </p><lb/>
          <p>Der Brüderstraßen-Bezirk versammelte sich auf unserem Hofe, als dem geräumigsten im ganzen Viertel; wir Kinder guckten aus den Fenstern der Gallerie herab, zu der mancher der Landsturmleute mit Verwunderung hinaufsah; mein Vater schaute aus einem Fenster des ersten Stockwerks durch seinen Operngucker auf die Versammlung herunter. Der Probst Hanstein von der Petrikirche, ein kleiner feuriger Mann mit hellen durchdringenden Augen und einer volltönenden klaren Stimme hielt eine begeisterte Anrede, deren Text mir wohl im Gedächtnisse geblieben ist: Und sie warfen ihre Banner auf im Namen des Herrn! Es war damals noch etwas ungewöhnliches, bei kriegerischen Vorgängen den Gott des Friedens anzurufen, und in allen bis dahin erlebten Kriegszeiten war uns dergleichen
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[354/0366] ausgesetzt, Napoléon habe während des Gefechtes ausgerufen: ce ne sont plus les Prussiens de 1806! Dieses erste Misgeschick war wohl geeignet, bedenkliche Stimmungen in Berlin hervorzurufen. Das preußische Heer zog sich durch Sachsen gegen Schlesien zurück, und die Hauptstadt des Landes war noch einmal dem andringenden Feinde blosgestellt. Die Regierung beschloß daher für Berlin den Landsturm zusammenzurufen, der alle waffenfähigen Männer vom 40–60. Jahre umfaßte. Ließ sich auch kaum erwarten, daß diese Milizen gegen ein geordnetes Heer etwas ausrichten würden, so zeigte diese Maasregel wenigstens den festen Entschluß Preußens, den Kampf bis an die äußerste Gränze der Möglichkeit aufrecht zu erhalten. Obgleich die jungen männlichen Einwohner Berlins theils als Freiwillige, theils als Landwehrleute ausgezogen waren, so blieben doch genug mittelaltrige übrig, um viele Kompagnien daraus zu bilden. Der Brüderstraßen-Bezirk versammelte sich auf unserem Hofe, als dem geräumigsten im ganzen Viertel; wir Kinder guckten aus den Fenstern der Gallerie herab, zu der mancher der Landsturmleute mit Verwunderung hinaufsah; mein Vater schaute aus einem Fenster des ersten Stockwerks durch seinen Operngucker auf die Versammlung herunter. Der Probst Hanstein von der Petrikirche, ein kleiner feuriger Mann mit hellen durchdringenden Augen und einer volltönenden klaren Stimme hielt eine begeisterte Anrede, deren Text mir wohl im Gedächtnisse geblieben ist: Und sie warfen ihre Banner auf im Namen des Herrn! Es war damals noch etwas ungewöhnliches, bei kriegerischen Vorgängen den Gott des Friedens anzurufen, und in allen bis dahin erlebten Kriegszeiten war uns dergleichen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/366
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/366>, abgerufen am 25.11.2024.