Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].aber wenn der Krieg sich in die Länge ziehe, was dann? Daß es dem gewaltigen Völkerbezwinger gelingen werde, das ungeheure Rußland im Laufe eines einzigen Feldzuges zu erobern, oder auch nur zum Frieden zu zwingen, das müsse selbst den erklärtesten Bewunderern des Kaisers als ein ausschweifender Gedanke erscheinen. Wie gefährlich es sei, sich mit einem Heere in das innere Rußland zu vertiefen, das habe vor gerade 100 Jahren das Beispiel Karls XII. gezeigt, der nach der Schlacht von Pultawa gezwungen war, bei den Erbfeinden der Christenheit, bei den Türken eine Zuflucht zu suchen. Indessen war der Kaiser Napoleon aus Paris bei der Armee angelangt, und die Franzosen rückten ungehindert vorwärts. Ihr Marsch wurde von pomphaften Armeebulletins begleitet, die damals beinahe den ganzen Inhalt der Berliner Zeitungen ausmachten. Es gelangten aber daneben auch einige Privatnachrichten in das Publikum, die mit desto größerer Begierde aufgefaßt und herumgetragen wurden, wenn sie irgend etwas für die Franzosen nachtheiliges enthielten. So hieß es unter andern: als der Kaiser bei seiner ersten Recognoscirung den Niemen entlang geritten, sei plötzlich sein Pferd in eine Grube getreten, und habe ihn abgeworfen. "Un Romain serait retourne", sagte er, und bestieg ruhig ein anderes Pferd. Bis zum Uebergange über den Niemen hatte eine drückende Hitze geherrscht, so daß Menschen und Thiere fast verschmachteten, und die 8 Uebergangsbrücken nur mit großer Mühe geschlagen wurden. In der ersten Nacht, die das französische Heer auf russischem Boden zubrachte, erhob sich ein schweres Gewitter, und entlud ganze Wasserströme auf das Lager. Die Wirkung auf die Pferde war eine so aber wenn der Krieg sich in die Länge ziehe, was dann? Daß es dem gewaltigen Völkerbezwinger gelingen werde, das ungeheure Rußland im Laufe eines einzigen Feldzuges zu erobern, oder auch nur zum Frieden zu zwingen, das müsse selbst den erklärtesten Bewunderern des Kaisers als ein ausschweifender Gedanke erscheinen. Wie gefährlich es sei, sich mit einem Heere in das innere Rußland zu vertiefen, das habe vor gerade 100 Jahren das Beispiel Karls XII. gezeigt, der nach der Schlacht von Pultawa gezwungen war, bei den Erbfeinden der Christenheit, bei den Türken eine Zuflucht zu suchen. Indessen war der Kaiser Napoléon aus Paris bei der Armee angelangt, und die Franzosen rückten ungehindert vorwärts. Ihr Marsch wurde von pomphaften Armeebulletins begleitet, die damals beinahe den ganzen Inhalt der Berliner Zeitungen ausmachten. Es gelangten aber daneben auch einige Privatnachrichten in das Publikum, die mit desto größerer Begierde aufgefaßt und herumgetragen wurden, wenn sie irgend etwas für die Franzosen nachtheiliges enthielten. So hieß es unter andern: als der Kaiser bei seiner ersten Recognoscirung den Niemen entlang geritten, sei plötzlich sein Pferd in eine Grube getreten, und habe ihn abgeworfen. „Un Romain serait retourné“, sagte er, und bestieg ruhig ein anderes Pferd. Bis zum Uebergange über den Niemen hatte eine drückende Hitze geherrscht, so daß Menschen und Thiere fast verschmachteten, und die 8 Uebergangsbrücken nur mit großer Mühe geschlagen wurden. In der ersten Nacht, die das französische Heer auf russischem Boden zubrachte, erhob sich ein schweres Gewitter, und entlud ganze Wasserströme auf das Lager. Die Wirkung auf die Pferde war eine so <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0334" n="322"/> aber wenn der Krieg sich in die Länge ziehe, was dann? 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So hieß es unter andern: als der Kaiser bei seiner ersten Recognoscirung den Niemen entlang geritten, sei plötzlich sein Pferd in eine Grube getreten, und habe ihn abgeworfen. „Un Romain serait retourné“, sagte er, und bestieg ruhig ein anderes Pferd. Bis zum Uebergange über den Niemen hatte eine drückende Hitze geherrscht, so daß Menschen und Thiere fast verschmachteten, und die 8 Uebergangsbrücken nur mit großer Mühe geschlagen wurden. In der ersten Nacht, die das französische Heer auf russischem Boden zubrachte, erhob sich ein schweres Gewitter, und entlud ganze Wasserströme auf das Lager. Die Wirkung auf die Pferde war eine so </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [322/0334]
aber wenn der Krieg sich in die Länge ziehe, was dann? Daß es dem gewaltigen Völkerbezwinger gelingen werde, das ungeheure Rußland im Laufe eines einzigen Feldzuges zu erobern, oder auch nur zum Frieden zu zwingen, das müsse selbst den erklärtesten Bewunderern des Kaisers als ein ausschweifender Gedanke erscheinen. Wie gefährlich es sei, sich mit einem Heere in das innere Rußland zu vertiefen, das habe vor gerade 100 Jahren das Beispiel Karls XII. gezeigt, der nach der Schlacht von Pultawa gezwungen war, bei den Erbfeinden der Christenheit, bei den Türken eine Zuflucht zu suchen.
Indessen war der Kaiser Napoléon aus Paris bei der Armee angelangt, und die Franzosen rückten ungehindert vorwärts. Ihr Marsch wurde von pomphaften Armeebulletins begleitet, die damals beinahe den ganzen Inhalt der Berliner Zeitungen ausmachten. Es gelangten aber daneben auch einige Privatnachrichten in das Publikum, die mit desto größerer Begierde aufgefaßt und herumgetragen wurden, wenn sie irgend etwas für die Franzosen nachtheiliges enthielten. So hieß es unter andern: als der Kaiser bei seiner ersten Recognoscirung den Niemen entlang geritten, sei plötzlich sein Pferd in eine Grube getreten, und habe ihn abgeworfen. „Un Romain serait retourné“, sagte er, und bestieg ruhig ein anderes Pferd. Bis zum Uebergange über den Niemen hatte eine drückende Hitze geherrscht, so daß Menschen und Thiere fast verschmachteten, und die 8 Uebergangsbrücken nur mit großer Mühe geschlagen wurden. In der ersten Nacht, die das französische Heer auf russischem Boden zubrachte, erhob sich ein schweres Gewitter, und entlud ganze Wasserströme auf das Lager. Die Wirkung auf die Pferde war eine so
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