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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

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einsamkeit, die fast ohne alle menschlichen Wohnungen bis Potschapel reichte. Welch ein Hochgenuß für die aus dem trostlosen Sande Berlins herübergekommenen Kinder, diese Wildniß zu betreten, durch Gestrüpp und Buschwerk die Felsen zu erklimmen, auf einem athemlos erreichten Höhenpunkte den sehnsüchtigen Blick in weite Fernen zu richten, oder im Thale die rauschende Weiseritz auf schwankendem Stege zu überschreiten! Hier zum ersten Male ging meinem inneren Sinne das Gefühl für die Schönheit der Natur, für die Unendlichkeit ihrer Erscheinungen auf, ohne daß ich demselben Worte geben konnte. Daß dieses Gefühl, zu immer vollerem Bewußtsein herangereift, mich fort und fort durchs Leben begleitet hat, rechne ich mir als ein hohes Glück an.

Da man den Plauenschen Grund vom Falkenschlage aus leicht zu Fuß erreichen kann, so pilgerten wir recht oft dahin, und kamen mit immer erneutem Entzücken heim. Vetter Christian war wohl auch ein Freund der schönen Natur, allein das Wilde an Felsen und Gewässern war nicht ganz nach seinem Geschmacke. Er lobte sich mehr das kunstvoll geläuterte, und führte uns eines Abends nach Resewitzens Garten, einem sehr besuchten Vergnügungsorte der Dresdner. Hier fanden wir ein großes Haus im Roccocostyl, sauber geebnete Kiesgänge zwischen hohen, nach der Schnur beschnittenen Hecken, ein steinernes Bassin mit wasserspeienden Meergöttem, eine Kegelbahn und eine Vogelstange. Nachdem der Garten in allen Richtungen durchschritten und durchlaufen war, bewirthete uns der Vetter mit einer Schüssel Krebse, die so schnell vertilgt wurde, daß er alsbald eine neue kommen ließ; daran schlossen sich zahlreiche Butterbemmchen, eine vor-

einsamkeit, die fast ohne alle menschlichen Wohnungen bis Potschapel reichte. Welch ein Hochgenuß für die aus dem trostlosen Sande Berlins herübergekommenen Kinder, diese Wildniß zu betreten, durch Gestrüpp und Buschwerk die Felsen zu erklimmen, auf einem athemlos erreichten Höhenpunkte den sehnsüchtigen Blick in weite Fernen zu richten, oder im Thale die rauschende Weiseritz auf schwankendem Stege zu überschreiten! Hier zum ersten Male ging meinem inneren Sinne das Gefühl für die Schönheit der Natur, für die Unendlichkeit ihrer Erscheinungen auf, ohne daß ich demselben Worte geben konnte. Daß dieses Gefühl, zu immer vollerem Bewußtsein herangereift, mich fort und fort durchs Leben begleitet hat, rechne ich mir als ein hohes Glück an.

Da man den Plauenschen Grund vom Falkenschlage aus leicht zu Fuß erreichen kann, so pilgerten wir recht oft dahin, und kamen mit immer erneutem Entzücken heim. Vetter Christian war wohl auch ein Freund der schönen Natur, allein das Wilde an Felsen und Gewässern war nicht ganz nach seinem Geschmacke. Er lobte sich mehr das kunstvoll geläuterte, und führte uns eines Abends nach Resewitzens Garten, einem sehr besuchten Vergnügungsorte der Dresdner. Hier fanden wir ein großes Haus im Roccocostyl, sauber geebnete Kiesgänge zwischen hohen, nach der Schnur beschnittenen Hecken, ein steinernes Bassin mit wasserspeienden Meergöttem, eine Kegelbahn und eine Vogelstange. Nachdem der Garten in allen Richtungen durchschritten und durchlaufen war, bewirthete uns der Vetter mit einer Schüssel Krebse, die so schnell vertilgt wurde, daß er alsbald eine neue kommen ließ; daran schlossen sich zahlreiche Butterbemmchen, eine vor-

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einsamkeit, die fast ohne alle menschlichen Wohnungen bis Potschapel reichte. Welch ein Hochgenuß für die aus dem trostlosen Sande Berlins herübergekommenen Kinder, diese Wildniß zu betreten, durch Gestrüpp und Buschwerk die Felsen zu erklimmen, auf einem athemlos erreichten Höhenpunkte den sehnsüchtigen Blick in weite Fernen zu richten, oder im Thale die rauschende Weiseritz auf schwankendem Stege zu überschreiten! Hier zum ersten Male ging meinem inneren Sinne das Gefühl für die Schönheit der Natur, für die Unendlichkeit ihrer Erscheinungen auf, ohne daß ich demselben Worte geben konnte. Daß dieses Gefühl, zu immer vollerem Bewußtsein herangereift, mich fort und fort durchs Leben begleitet hat, rechne ich mir als ein hohes Glück an. </p><lb/>
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[299/0311] einsamkeit, die fast ohne alle menschlichen Wohnungen bis Potschapel reichte. Welch ein Hochgenuß für die aus dem trostlosen Sande Berlins herübergekommenen Kinder, diese Wildniß zu betreten, durch Gestrüpp und Buschwerk die Felsen zu erklimmen, auf einem athemlos erreichten Höhenpunkte den sehnsüchtigen Blick in weite Fernen zu richten, oder im Thale die rauschende Weiseritz auf schwankendem Stege zu überschreiten! Hier zum ersten Male ging meinem inneren Sinne das Gefühl für die Schönheit der Natur, für die Unendlichkeit ihrer Erscheinungen auf, ohne daß ich demselben Worte geben konnte. Daß dieses Gefühl, zu immer vollerem Bewußtsein herangereift, mich fort und fort durchs Leben begleitet hat, rechne ich mir als ein hohes Glück an. Da man den Plauenschen Grund vom Falkenschlage aus leicht zu Fuß erreichen kann, so pilgerten wir recht oft dahin, und kamen mit immer erneutem Entzücken heim. Vetter Christian war wohl auch ein Freund der schönen Natur, allein das Wilde an Felsen und Gewässern war nicht ganz nach seinem Geschmacke. Er lobte sich mehr das kunstvoll geläuterte, und führte uns eines Abends nach Resewitzens Garten, einem sehr besuchten Vergnügungsorte der Dresdner. Hier fanden wir ein großes Haus im Roccocostyl, sauber geebnete Kiesgänge zwischen hohen, nach der Schnur beschnittenen Hecken, ein steinernes Bassin mit wasserspeienden Meergöttem, eine Kegelbahn und eine Vogelstange. Nachdem der Garten in allen Richtungen durchschritten und durchlaufen war, bewirthete uns der Vetter mit einer Schüssel Krebse, die so schnell vertilgt wurde, daß er alsbald eine neue kommen ließ; daran schlossen sich zahlreiche Butterbemmchen, eine vor-

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/311>, abgerufen am 02.06.2024.