Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].stauden gepflanzt, von denen der Grosvater uns ächte Lambertsnüsse, so groß wie ein Daumenglied versprach. An eine sonnige Stelle der Mauer kam ein Maulbeerbaum, der die besten Früchte liefern sollte. Im folgenden Frühjahre zeigte sich eine so übermäßige Menge der gewöhnlichen weißen Kohlschmetterlinge (von den Berlinern "Kalitten" genannt), daß man mit Recht einen zerstörenden Raupenfraß, und ein Misrathen der ganzen Obsterndte erwarten durfte. Hier mußte Hülfe geschafft werden, und der Grosvater griff mit gewohnter Energie ein. Er versprach uns für jedes Dutzend todter Kalitten, die wir ihm bringen würden, aus seiner Tasche zuerst einen Groschen, dann, als dies zu sehr in's Geld lief, einen Sechser, endlich, als die Kalitten sich in's Unendliche mehrten, einen Dreier. Wir waren nun in jeder freien Minute, mit Fangscheeren und Fliegennetzen bewaffnet, die eifrigsten Jäger. Wenn jetzt Freunde und Freundinnen zum Besuch kamen, was fast täglich geschah, so wurden keine geselligen Spiele vorgenommen, sondern die Gäste halfen uns beim Kalittenfangen, und erhielten auch ihre Bezahlung. Wir erwarben auf diese Weise mehrere Thaler; allein wie wenig bedeuteten die paar Tausend vertilgter Raupenerzeuger gegen die Myriaden der lebendig gebliebenen! Daher ging denn in diesem Sommer das Kernobst fast sämmtlich zu Grunde, wodurch die vom Grosvater gehofften Einnahmen nicht wenig geschmälert wurden. Ich hatte zwar auf dem neuen Plane des Gartens jeden Obstbaum sorgfältig eingetragen; allein was half diese mühsame Kontrolle, wenn kein Obst auf den Bäumen wuchs? Als der Herbst herankam, zeigte der Gärtner dem Grosvater eine ganze Menge Mistbeetfenster, die in so stauden gepflanzt, von denen der Grosvater uns ächte Lambertsnüsse, so groß wie ein Daumenglied versprach. An eine sonnige Stelle der Mauer kam ein Maulbeerbaum, der die besten Früchte liefern sollte. Im folgenden Frühjahre zeigte sich eine so übermäßige Menge der gewöhnlichen weißen Kohlschmetterlinge (von den Berlinern „Kalitten“ genannt), daß man mit Recht einen zerstörenden Raupenfraß, und ein Misrathen der ganzen Obsterndte erwarten durfte. Hier mußte Hülfe geschafft werden, und der Grosvater griff mit gewohnter Energie ein. Er versprach uns für jedes Dutzend todter Kalitten, die wir ihm bringen würden, aus seiner Tasche zuerst einen Groschen, dann, als dies zu sehr in’s Geld lief, einen Sechser, endlich, als die Kalitten sich in’s Unendliche mehrten, einen Dreier. Wir waren nun in jeder freien Minute, mit Fangscheeren und Fliegennetzen bewaffnet, die eifrigsten Jäger. Wenn jetzt Freunde und Freundinnen zum Besuch kamen, was fast täglich geschah, so wurden keine geselligen Spiele vorgenommen, sondern die Gäste halfen uns beim Kalittenfangen, und erhielten auch ihre Bezahlung. Wir erwarben auf diese Weise mehrere Thaler; allein wie wenig bedeuteten die paar Tausend vertilgter Raupenerzeuger gegen die Myriaden der lebendig gebliebenen! Daher ging denn in diesem Sommer das Kernobst fast sämmtlich zu Grunde, wodurch die vom Grosvater gehofften Einnahmen nicht wenig geschmälert wurden. Ich hatte zwar auf dem neuen Plane des Gartens jeden Obstbaum sorgfältig eingetragen; allein was half diese mühsame Kontrolle, wenn kein Obst auf den Bäumen wuchs? Als der Herbst herankam, zeigte der Gärtner dem Grosvater eine ganze Menge Mistbeetfenster, die in so <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div> <p><pb facs="#f0254" n="242"/> stauden gepflanzt, von denen der Grosvater uns ächte Lambertsnüsse, so groß wie ein Daumenglied versprach. 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Wenn jetzt Freunde und Freundinnen zum Besuch kamen, was fast täglich geschah, so wurden keine geselligen Spiele vorgenommen, sondern die Gäste halfen uns beim Kalittenfangen, und erhielten auch ihre Bezahlung. Wir erwarben auf diese Weise mehrere Thaler; allein wie wenig bedeuteten die paar Tausend vertilgter Raupenerzeuger gegen die Myriaden der lebendig gebliebenen! Daher ging denn in diesem Sommer das Kernobst fast sämmtlich zu Grunde, wodurch die vom Grosvater gehofften Einnahmen nicht wenig geschmälert wurden. Ich hatte zwar auf dem neuen Plane des Gartens jeden Obstbaum sorgfältig eingetragen; allein was half diese mühsame Kontrolle, wenn kein Obst auf den Bäumen wuchs? </p><lb/> <p>Als der Herbst herankam, zeigte der Gärtner dem Grosvater eine ganze Menge Mistbeetfenster, die in so </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [242/0254]
stauden gepflanzt, von denen der Grosvater uns ächte Lambertsnüsse, so groß wie ein Daumenglied versprach. An eine sonnige Stelle der Mauer kam ein Maulbeerbaum, der die besten Früchte liefern sollte.
Im folgenden Frühjahre zeigte sich eine so übermäßige Menge der gewöhnlichen weißen Kohlschmetterlinge (von den Berlinern „Kalitten“ genannt), daß man mit Recht einen zerstörenden Raupenfraß, und ein Misrathen der ganzen Obsterndte erwarten durfte. Hier mußte Hülfe geschafft werden, und der Grosvater griff mit gewohnter Energie ein. Er versprach uns für jedes Dutzend todter Kalitten, die wir ihm bringen würden, aus seiner Tasche zuerst einen Groschen, dann, als dies zu sehr in’s Geld lief, einen Sechser, endlich, als die Kalitten sich in’s Unendliche mehrten, einen Dreier. Wir waren nun in jeder freien Minute, mit Fangscheeren und Fliegennetzen bewaffnet, die eifrigsten Jäger. Wenn jetzt Freunde und Freundinnen zum Besuch kamen, was fast täglich geschah, so wurden keine geselligen Spiele vorgenommen, sondern die Gäste halfen uns beim Kalittenfangen, und erhielten auch ihre Bezahlung. Wir erwarben auf diese Weise mehrere Thaler; allein wie wenig bedeuteten die paar Tausend vertilgter Raupenerzeuger gegen die Myriaden der lebendig gebliebenen! Daher ging denn in diesem Sommer das Kernobst fast sämmtlich zu Grunde, wodurch die vom Grosvater gehofften Einnahmen nicht wenig geschmälert wurden. Ich hatte zwar auf dem neuen Plane des Gartens jeden Obstbaum sorgfältig eingetragen; allein was half diese mühsame Kontrolle, wenn kein Obst auf den Bäumen wuchs?
Als der Herbst herankam, zeigte der Gärtner dem Grosvater eine ganze Menge Mistbeetfenster, die in so
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/254>, abgerufen am 16.07.2024. |