Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 3. Leipzig, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

"Mutter," sagte Elisabeth, diesen letzten Punkt gerade festhaltend, um dadurch das Gespräch vielleicht auf eine allgemeinere Bahn zu bringen und sich ein Examen zu ersparen, welches ihr jetzt zu drohen schien, "Du siehst die Dinge in einem andern Lichte, als wir, die Jugend von heute, sie sehen. Wenn Du statt in dieser Zurückgezogenheit mit der Welt fortgelebt hättest, so würde Dir Vieles weder auffallend noch befremdlich vorkommen, das mich in tiefinnerster Seele bewegt. Du hast es oft selbst gesagt, daß die Welt anders geworden sei seit Deiner Jugend, und daß Du deshalb Dich von ihr zurückgezogen, um so Wenig als möglich von diesen Veränderungen gewahr zu werden -- das durftet Ihr wohl thun, Du und der Vater, Ihr hattet Eurer Zeit gelebt und ihr genug gethan und sie Euch -- aber die nach Euch kommen, müssen nun wieder ihrer Zeit leben und dürfen nicht nach Vergangenem zurücksehen -- und so geht es von Geschlecht zu Geschlecht --"

"Elisabeth," unterbrach sie die Gräfin in zürnendem Ton, "diese Sprache hätte ich nie gewagt gegen meine Mutter zu führen."

Das Mädchen sah bestürzt vor sich nieder und küßte mit einem Seufzer die Mutterhand -- es fühlte eben, daß es nichts Unehrerbietiges gesagt und daß nun nie ein inneres Verstehen mehr möglich sei, wo nicht zwei verschiedene

„Mutter,“ sagte Elisabeth, diesen letzten Punkt gerade festhaltend, um dadurch das Gespräch vielleicht auf eine allgemeinere Bahn zu bringen und sich ein Examen zu ersparen, welches ihr jetzt zu drohen schien, „Du siehst die Dinge in einem andern Lichte, als wir, die Jugend von heute, sie sehen. Wenn Du statt in dieser Zurückgezogenheit mit der Welt fortgelebt hättest, so würde Dir Vieles weder auffallend noch befremdlich vorkommen, das mich in tiefinnerster Seele bewegt. Du hast es oft selbst gesagt, daß die Welt anders geworden sei seit Deiner Jugend, und daß Du deshalb Dich von ihr zurückgezogen, um so Wenig als möglich von diesen Veränderungen gewahr zu werden — das durftet Ihr wohl thun, Du und der Vater, Ihr hattet Eurer Zeit gelebt und ihr genug gethan und sie Euch — aber die nach Euch kommen, müssen nun wieder ihrer Zeit leben und dürfen nicht nach Vergangenem zurücksehen — und so geht es von Geschlecht zu Geschlecht —“

„Elisabeth,“ unterbrach sie die Gräfin in zürnendem Ton, „diese Sprache hätte ich nie gewagt gegen meine Mutter zu führen.“

Das Mädchen sah bestürzt vor sich nieder und küßte mit einem Seufzer die Mutterhand — es fühlte eben, daß es nichts Unehrerbietiges gesagt und daß nun nie ein inneres Verstehen mehr möglich sei, wo nicht zwei verschiedene

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0052" n="48"/>
        <p> &#x201E;Mutter,&#x201C; sagte Elisabeth, diesen letzten Punkt gerade festhaltend, um dadurch das Gespräch vielleicht auf eine allgemeinere Bahn zu bringen und sich ein Examen zu ersparen, welches ihr jetzt zu drohen schien, &#x201E;Du siehst die Dinge in einem andern Lichte, als wir, die Jugend von heute, sie sehen. Wenn Du statt in dieser Zurückgezogenheit mit der Welt fortgelebt hättest, so würde Dir Vieles weder auffallend noch befremdlich vorkommen, das mich in tiefinnerster Seele bewegt. Du hast es oft selbst gesagt, daß die Welt anders geworden sei seit Deiner Jugend, und daß Du deshalb Dich von ihr zurückgezogen, um so Wenig als möglich von diesen Veränderungen gewahr zu werden &#x2014; das durftet Ihr wohl thun, Du und der Vater, Ihr hattet Eurer Zeit gelebt und ihr genug gethan und sie Euch &#x2014; aber die nach Euch kommen, müssen nun wieder ihrer Zeit leben und dürfen nicht nach Vergangenem zurücksehen &#x2014; und so geht es von Geschlecht zu Geschlecht &#x2014;&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Elisabeth,&#x201C; unterbrach sie die Gräfin in zürnendem Ton, &#x201E;diese Sprache hätte ich nie gewagt gegen meine Mutter zu führen.&#x201C;</p>
        <p>Das Mädchen sah bestürzt vor sich nieder und küßte mit einem Seufzer die Mutterhand &#x2014; es fühlte eben, daß es nichts Unehrerbietiges gesagt und daß nun nie ein inneres Verstehen mehr möglich sei, wo nicht zwei verschiedene
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0052] „Mutter,“ sagte Elisabeth, diesen letzten Punkt gerade festhaltend, um dadurch das Gespräch vielleicht auf eine allgemeinere Bahn zu bringen und sich ein Examen zu ersparen, welches ihr jetzt zu drohen schien, „Du siehst die Dinge in einem andern Lichte, als wir, die Jugend von heute, sie sehen. Wenn Du statt in dieser Zurückgezogenheit mit der Welt fortgelebt hättest, so würde Dir Vieles weder auffallend noch befremdlich vorkommen, das mich in tiefinnerster Seele bewegt. Du hast es oft selbst gesagt, daß die Welt anders geworden sei seit Deiner Jugend, und daß Du deshalb Dich von ihr zurückgezogen, um so Wenig als möglich von diesen Veränderungen gewahr zu werden — das durftet Ihr wohl thun, Du und der Vater, Ihr hattet Eurer Zeit gelebt und ihr genug gethan und sie Euch — aber die nach Euch kommen, müssen nun wieder ihrer Zeit leben und dürfen nicht nach Vergangenem zurücksehen — und so geht es von Geschlecht zu Geschlecht —“ „Elisabeth,“ unterbrach sie die Gräfin in zürnendem Ton, „diese Sprache hätte ich nie gewagt gegen meine Mutter zu führen.“ Das Mädchen sah bestürzt vor sich nieder und küßte mit einem Seufzer die Mutterhand — es fühlte eben, daß es nichts Unehrerbietiges gesagt und daß nun nie ein inneres Verstehen mehr möglich sei, wo nicht zwei verschiedene

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Repository TextGrid: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-08-23T11:52:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christoph Leijser, Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-08-23T11:52:15Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-08-23T11:52:15Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss03_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss03_1846/52
Zitationshilfe: Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 3. Leipzig, 1846, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss03_1846/52>, abgerufen am 22.11.2024.