Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846."Auf diesem Wege freilich! -- Aber was haben wir denn zu verlieren, warum sollten wir nicht einmal Alles wagen? warum nicht wider die Reichen zu Felde ziehen -- sie mögten dann sehen, ob denn wirklich in ihrem Gold ein allmächtiger Gott wohne, daß wir gar Nichts gegen sie ausrichten könnten!" "Bruder, Bruder -- lass' diese frevelhaften Reden!" "Ei ja doch -- frevelhaft! Und was sind denn die Handlungen der Reichen? Nenne mir doch einen Frevel, den nicht sie an uns verübt haben? Wir sind schon im Mutterleibe verflucht und von der Berechtigung als Menschen zu leben ausgeschlossen -- und so geht es fort, Fluch an Fluch und Frevel an Frevel über uns, an uns, durch unser ganzes elendes Leben, und so geht es wieder fort auf unsere Kinder und Kindeskinder. -- Aber nein! So soll es nicht länger fort gehen seit dem Tage, wo mir jener Brief an Dich die Augen mit Eins geöffnet!" "Ach, jener Brief, wär' er nimmer gekommen!" "Nein, das war ein Glückstag, wo er kam, den hab' ich als meinen Feiertag roth angestrichen im Kalender." "Wilhelm -- meinst Du, ich habe nicht Alles das, was Du vorhin aussprachst, in meinen bösen Stunden auch gedacht, Tausend Mal mir gesagt, mir wiederholt, immer wieder und wieder? Denkst Du nicht, ich habe oft Stunden lang in das unselige Papier gestarrt, es weggeworfen, „Auf diesem Wege freilich! — Aber was haben wir denn zu verlieren, warum sollten wir nicht einmal Alles wagen? warum nicht wider die Reichen zu Felde ziehen — sie mögten dann sehen, ob denn wirklich in ihrem Gold ein allmächtiger Gott wohne, daß wir gar Nichts gegen sie ausrichten könnten!“ „Bruder, Bruder — lass’ diese frevelhaften Reden!“ „Ei ja doch — frevelhaft! Und was sind denn die Handlungen der Reichen? Nenne mir doch einen Frevel, den nicht sie an uns verübt haben? Wir sind schon im Mutterleibe verflucht und von der Berechtigung als Menschen zu leben ausgeschlossen — und so geht es fort, Fluch an Fluch und Frevel an Frevel über uns, an uns, durch unser ganzes elendes Leben, und so geht es wieder fort auf unsere Kinder und Kindeskinder. — Aber nein! So soll es nicht länger fort gehen seit dem Tage, wo mir jener Brief an Dich die Augen mit Eins geöffnet!“ „Ach, jener Brief, wär’ er nimmer gekommen!“ „Nein, das war ein Glückstag, wo er kam, den hab’ ich als meinen Feiertag roth angestrichen im Kalender.“ „Wilhelm — meinst Du, ich habe nicht Alles das, was Du vorhin aussprachst, in meinen bösen Stunden auch gedacht, Tausend Mal mir gesagt, mir wiederholt, immer wieder und wieder? Denkst Du nicht, ich habe oft Stunden lang in das unselige Papier gestarrt, es weggeworfen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0188" n="182"/> <p> „Auf diesem Wege freilich! — Aber was haben wir denn zu verlieren, warum sollten wir nicht einmal Alles wagen? warum nicht wider die Reichen zu Felde ziehen — sie mögten dann sehen, ob denn wirklich in ihrem Gold ein allmächtiger Gott wohne, daß wir gar Nichts gegen sie ausrichten könnten!“</p> <p>„Bruder, Bruder — lass’ diese frevelhaften Reden!“</p> <p>„Ei ja doch — frevelhaft! Und was sind denn die Handlungen der Reichen? Nenne mir doch einen Frevel, den nicht sie an uns verübt haben? Wir sind schon im Mutterleibe verflucht und von der Berechtigung als Menschen zu leben ausgeschlossen — und so geht es fort, Fluch an Fluch und Frevel an Frevel über uns, an uns, durch unser ganzes elendes Leben, und so geht es wieder fort auf unsere Kinder und Kindeskinder. — Aber nein! So soll es nicht länger fort gehen seit dem Tage, wo mir jener Brief an Dich die Augen mit Eins geöffnet!“</p> <p>„Ach, jener Brief, wär’ er nimmer gekommen!“</p> <p>„Nein, das war ein Glückstag, wo er kam, den hab’ ich als meinen Feiertag roth angestrichen im Kalender.“</p> <p>„Wilhelm — meinst Du, ich habe nicht Alles das, was Du vorhin aussprachst, in meinen bösen Stunden auch gedacht, Tausend Mal mir gesagt, mir wiederholt, immer wieder und wieder? Denkst Du nicht, ich habe oft Stunden lang in das unselige Papier gestarrt, es weggeworfen, </p> </div> </body> </text> </TEI> [182/0188]
„Auf diesem Wege freilich! — Aber was haben wir denn zu verlieren, warum sollten wir nicht einmal Alles wagen? warum nicht wider die Reichen zu Felde ziehen — sie mögten dann sehen, ob denn wirklich in ihrem Gold ein allmächtiger Gott wohne, daß wir gar Nichts gegen sie ausrichten könnten!“
„Bruder, Bruder — lass’ diese frevelhaften Reden!“
„Ei ja doch — frevelhaft! Und was sind denn die Handlungen der Reichen? Nenne mir doch einen Frevel, den nicht sie an uns verübt haben? Wir sind schon im Mutterleibe verflucht und von der Berechtigung als Menschen zu leben ausgeschlossen — und so geht es fort, Fluch an Fluch und Frevel an Frevel über uns, an uns, durch unser ganzes elendes Leben, und so geht es wieder fort auf unsere Kinder und Kindeskinder. — Aber nein! So soll es nicht länger fort gehen seit dem Tage, wo mir jener Brief an Dich die Augen mit Eins geöffnet!“
„Ach, jener Brief, wär’ er nimmer gekommen!“
„Nein, das war ein Glückstag, wo er kam, den hab’ ich als meinen Feiertag roth angestrichen im Kalender.“
„Wilhelm — meinst Du, ich habe nicht Alles das, was Du vorhin aussprachst, in meinen bösen Stunden auch gedacht, Tausend Mal mir gesagt, mir wiederholt, immer wieder und wieder? Denkst Du nicht, ich habe oft Stunden lang in das unselige Papier gestarrt, es weggeworfen,
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Zitationshilfe: | Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss02_1846/188>, abgerufen am 22.07.2024. |