Johannes gehabt?" begann die Pfarrerin, "er sah ganz erhitzt aus, wie er vorhin fortging, halb mitleidig, halb trotzig; ich hatte ihn noch niemals so gesehen!"
"Weiß der Himmel," begann der Pfarrer seufzend, "ich könnte meinen eignen Sohn nicht lieber haben als diesen Menschen! Er ist fromm und gut wie ein Kind und dabei hab' ich noch keinen andern jungen Mann ge- kannt, der höhere geistige Gaben gehabt als er -- aber es ist ein Umgestüm und Thatendrang in ihm, den ich zügeln möchte. Er geht in allen Dingen, die er unter- nimmt, so rasch und zuversichtlich zu Werke, als könn' es ihm gar nicht fehlen, daß ich immer denke, er wird noch einmal unvermerkt an solchen Widerstand stoßen, daß er daran zu Grunde geht. Dabei, wenn man ihm, wie die Leute sagen, nur den kleinen Finger giebt, so nimmt er gleich die ganze Hand, daß ich ihm vorhin eben ernstlich sagte, ich möge mit seinen Plänen Nichts mehr zu thun haben, er möge mich aus dem Spiele lassen und ich würde es auch dem Schulmeister sagen, daß er sich nicht mehr von ihm verführen ließe. "Verführen, o mein Gott!" rief er. "Sie auch?!" und er stürzte fort, ohne weiter Etwas zu antworten oder von mir eine fer- nere Antwort abzuwarten. Beinah hätt' ich ihm nachge- rufen und mich von seiner Leidenschaftlichkeit verleiten lassen, meine Worte zurückzunehmen oder durch väterliches
Johannes gehabt?“ begann die Pfarrerin, „er ſah ganz erhitzt aus, wie er vorhin fortging, halb mitleidig, halb trotzig; ich hatte ihn noch niemals ſo geſehen!“
„Weiß der Himmel,“ begann der Pfarrer ſeufzend, „ich koͤnnte meinen eignen Sohn nicht lieber haben als dieſen Menſchen! Er iſt fromm und gut wie ein Kind und dabei hab’ ich noch keinen andern jungen Mann ge- kannt, der hoͤhere geiſtige Gaben gehabt als er — aber es iſt ein Umgeſtuͤm und Thatendrang in ihm, den ich zuͤgeln moͤchte. Er geht in allen Dingen, die er unter- nimmt, ſo raſch und zuverſichtlich zu Werke, als koͤnn’ es ihm gar nicht fehlen, daß ich immer denke, er wird noch einmal unvermerkt an ſolchen Widerſtand ſtoßen, daß er daran zu Grunde geht. Dabei, wenn man ihm, wie die Leute ſagen, nur den kleinen Finger giebt, ſo nimmt er gleich die ganze Hand, daß ich ihm vorhin eben ernſtlich ſagte, ich moͤge mit ſeinen Plaͤnen Nichts mehr zu thun haben, er moͤge mich aus dem Spiele laſſen und ich wuͤrde es auch dem Schulmeiſter ſagen, daß er ſich nicht mehr von ihm verfuͤhren ließe. „Verfuͤhren, o mein Gott!“ rief er. „Sie auch?!“ und er ſtuͤrzte fort, ohne weiter Etwas zu antworten oder von mir eine fer- nere Antwort abzuwarten. Beinah haͤtt’ ich ihm nachge- rufen und mich von ſeiner Leidenſchaftlichkeit verleiten laſſen, meine Worte zuruͤckzunehmen oder durch vaͤterliches
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0238"n="230"/>
Johannes gehabt?“ begann die Pfarrerin, „er ſah<lb/>
ganz erhitzt aus, wie er vorhin fortging, halb mitleidig,<lb/>
halb trotzig; ich hatte ihn noch niemals ſo geſehen!“</p><lb/><p>„Weiß der Himmel,“ begann der Pfarrer ſeufzend,<lb/>„ich koͤnnte meinen eignen Sohn nicht lieber haben als<lb/>
dieſen Menſchen! Er iſt fromm und gut wie ein Kind<lb/>
und dabei hab’ ich noch keinen andern jungen Mann ge-<lb/>
kannt, der hoͤhere geiſtige Gaben gehabt als er — aber<lb/>
es iſt ein Umgeſtuͤm und Thatendrang in ihm, den ich<lb/>
zuͤgeln moͤchte. Er geht in allen Dingen, die er unter-<lb/>
nimmt, ſo raſch und zuverſichtlich zu Werke, als koͤnn’<lb/>
es ihm gar nicht fehlen, daß ich immer denke, er wird<lb/>
noch einmal unvermerkt an ſolchen Widerſtand ſtoßen,<lb/>
daß er daran zu Grunde geht. Dabei, wenn man ihm,<lb/>
wie die Leute ſagen, nur den kleinen Finger giebt, ſo<lb/>
nimmt er gleich die ganze Hand, daß ich ihm vorhin eben<lb/>
ernſtlich ſagte, ich moͤge mit ſeinen Plaͤnen Nichts mehr<lb/>
zu thun haben, er moͤge mich aus dem Spiele laſſen<lb/>
und ich wuͤrde es auch dem Schulmeiſter ſagen, daß er<lb/>ſich nicht mehr von ihm verfuͤhren ließe. „Verfuͤhren, o<lb/>
mein Gott!“ rief er. „Sie auch?!“ und er ſtuͤrzte fort,<lb/>
ohne weiter Etwas zu antworten oder von mir eine fer-<lb/>
nere Antwort abzuwarten. Beinah haͤtt’ ich ihm nachge-<lb/>
rufen und mich von ſeiner Leidenſchaftlichkeit verleiten<lb/>
laſſen, meine Worte zuruͤckzunehmen oder durch vaͤterliches<lb/></p></div></body></text></TEI>
[230/0238]
Johannes gehabt?“ begann die Pfarrerin, „er ſah
ganz erhitzt aus, wie er vorhin fortging, halb mitleidig,
halb trotzig; ich hatte ihn noch niemals ſo geſehen!“
„Weiß der Himmel,“ begann der Pfarrer ſeufzend,
„ich koͤnnte meinen eignen Sohn nicht lieber haben als
dieſen Menſchen! Er iſt fromm und gut wie ein Kind
und dabei hab’ ich noch keinen andern jungen Mann ge-
kannt, der hoͤhere geiſtige Gaben gehabt als er — aber
es iſt ein Umgeſtuͤm und Thatendrang in ihm, den ich
zuͤgeln moͤchte. Er geht in allen Dingen, die er unter-
nimmt, ſo raſch und zuverſichtlich zu Werke, als koͤnn’
es ihm gar nicht fehlen, daß ich immer denke, er wird
noch einmal unvermerkt an ſolchen Widerſtand ſtoßen,
daß er daran zu Grunde geht. Dabei, wenn man ihm,
wie die Leute ſagen, nur den kleinen Finger giebt, ſo
nimmt er gleich die ganze Hand, daß ich ihm vorhin eben
ernſtlich ſagte, ich moͤge mit ſeinen Plaͤnen Nichts mehr
zu thun haben, er moͤge mich aus dem Spiele laſſen
und ich wuͤrde es auch dem Schulmeiſter ſagen, daß er
ſich nicht mehr von ihm verfuͤhren ließe. „Verfuͤhren, o
mein Gott!“ rief er. „Sie auch?!“ und er ſtuͤrzte fort,
ohne weiter Etwas zu antworten oder von mir eine fer-
nere Antwort abzuwarten. Beinah haͤtt’ ich ihm nachge-
rufen und mich von ſeiner Leidenſchaftlichkeit verleiten
laſſen, meine Worte zuruͤckzunehmen oder durch vaͤterliches
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/238>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.