Sohnes, ihr war, als habe sie nun etwas gut zu machen an ihm, weil die kurze Erzählung seiner Liebe und sei- nes Leides ihn doch schmerzvoll bewegt hatte -- und daran war sie nur schuld. Sie hatte darüber auch ganz vergessen, was sie eigentlich hatte mit ihm sprechen wol- len. Er schwieg auch in Erinnerung versunken. So verging ziemlich lange Zeit, in der beide ganz still neben- einander saßen. Die Lerche war unterdeß vielmal auf- und niedergestiegen und hatte die höhersteigende Sonne auch immer höher angesungen; andere Vögel hatten sich in die dichtern Zweige verkrochen, im Schatten der wach- senden Hitze auszuweichen. Die Bienen hatten wer weiß wie viel zu thun, indem jetzt alle Blumen sich er- schlossen und frische Beute in den glühenden Tiefen ihrer Kelche verhießen. Die Ameisen krochen zum Sonnen- schein hervor und schleppten geschäftig ganze Lasten mit sich, die sie zu ihren künstlichen Bauen gebrauchten. Dies Alles und noch viel Anderes war geschehen, indeß unsre Beiden müssig und stumm da saßen. Die Mutter wagte gar kein Wort mehr -- sie hätte dem Liebling so gern die traurigen Gedanken vertrieben, die sie selbst erst geweckt, aber sie wußte nun gar nicht, wovon sie begin- nen sollte, daß sie's nur nicht ärger machte. -- Jhm aber fiel es doch wieder auf, daß die Mutter, die doch sonst immer gesprächig war, jetzt so stumm blieb und so dacht'
Sohnes, ihr war, als habe ſie nun etwas gut zu machen an ihm, weil die kurze Erzaͤhlung ſeiner Liebe und ſei- nes Leides ihn doch ſchmerzvoll bewegt hatte — und daran war ſie nur ſchuld. Sie hatte daruͤber auch ganz vergeſſen, was ſie eigentlich hatte mit ihm ſprechen wol- len. Er ſchwieg auch in Erinnerung verſunken. So verging ziemlich lange Zeit, in der beide ganz ſtill neben- einander ſaßen. Die Lerche war unterdeß vielmal auf- und niedergeſtiegen und hatte die hoͤherſteigende Sonne auch immer hoͤher angeſungen; andere Voͤgel hatten ſich in die dichtern Zweige verkrochen, im Schatten der wach- ſenden Hitze auszuweichen. Die Bienen hatten wer weiß wie viel zu thun, indem jetzt alle Blumen ſich er- ſchloſſen und friſche Beute in den gluͤhenden Tiefen ihrer Kelche verhießen. Die Ameiſen krochen zum Sonnen- ſchein hervor und ſchleppten geſchaͤftig ganze Laſten mit ſich, die ſie zu ihren kuͤnſtlichen Bauen gebrauchten. Dies Alles und noch viel Anderes war geſchehen, indeß unſre Beiden muͤſſig und ſtumm da ſaßen. Die Mutter wagte gar kein Wort mehr — ſie haͤtte dem Liebling ſo gern die traurigen Gedanken vertrieben, die ſie ſelbſt erſt geweckt, aber ſie wußte nun gar nicht, wovon ſie begin- nen ſollte, daß ſie’s nur nicht aͤrger machte. — Jhm aber fiel es doch wieder auf, daß die Mutter, die doch ſonſt immer geſpraͤchig war, jetzt ſo ſtumm blieb und ſo dacht’
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Sohnes, ihr war, als habe ſie nun etwas gut zu machen
an ihm, weil die kurze Erzaͤhlung ſeiner Liebe und ſei-
nes Leides ihn doch ſchmerzvoll bewegt hatte — und
daran war ſie nur ſchuld. Sie hatte daruͤber auch ganz
vergeſſen, was ſie eigentlich hatte mit ihm ſprechen wol-
len. Er ſchwieg auch in Erinnerung verſunken. So
verging ziemlich lange Zeit, in der beide ganz ſtill neben-
einander ſaßen. Die Lerche war unterdeß vielmal auf-
und niedergeſtiegen und hatte die hoͤherſteigende Sonne
auch immer hoͤher angeſungen; andere Voͤgel hatten ſich
in die dichtern Zweige verkrochen, im Schatten der wach-
ſenden Hitze auszuweichen. Die Bienen hatten wer weiß
wie viel zu thun, indem jetzt alle Blumen ſich er-
ſchloſſen und friſche Beute in den gluͤhenden Tiefen ihrer
Kelche verhießen. Die Ameiſen krochen zum Sonnen-
ſchein hervor und ſchleppten geſchaͤftig ganze Laſten mit
ſich, die ſie zu ihren kuͤnſtlichen Bauen gebrauchten.
Dies Alles und noch viel Anderes war geſchehen, indeß
unſre Beiden muͤſſig und ſtumm da ſaßen. Die Mutter
wagte gar kein Wort mehr — ſie haͤtte dem Liebling ſo
gern die traurigen Gedanken vertrieben, die ſie ſelbſt erſt
geweckt, aber ſie wußte nun gar nicht, wovon ſie begin-
nen ſollte, daß ſie’s nur nicht aͤrger machte. — Jhm
aber fiel es doch wieder auf, daß die Mutter, die doch ſonſt
immer geſpraͤchig war, jetzt ſo ſtumm blieb und ſo dacht’
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/192>, abgerufen am 24.11.2024.
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