blick nicht, wie er sich verhalten soll. Er bringt sie in keine der beiden Kategorien unter, in die er sonst die Frauen zu teilen pflegt. Die Studentin arbeitet mit ihm um dasselbe Ziel; sie ist ernst, aber es fehlt die gewohnte gesellschaftliche Umgebung, wo sonst guterzogene junge Mädchen zu finden sind. Da gibt es denn drei Möglich- keiten, wie der junge Mann mit der "Frauenbewegung" fertig wird; eine beleidigende Gleichgültigkeit, die jede Studentin als Luft im wörtlichsten Sinne behandelt; dann die Gleichstellung der Frau mit denjenigen unglücklichen Wesen, die man auf der Straße und in mindern Kneipen trifft, und als drittes die Behandlung der Frau als ge- sellschaftlich gleichgestellte Dame. Das erste und zweite scheint sehr häufig vorzukommen; manche Studenten strei- chen im Gefühle ihrer Unsicherheit ihre schlechten Ma- nieren besonders heraus. Viel zu leiden haben die Aus- länderinnen, namentlich alle, die man unter dem Namen "Russinnen" zusammenfaßt. Sie sind für manche Stu- denten tatsächlich das "Freiwild." Da man über ihre Sitten, ihre Anschauungen sich zu unterrichten nicht für der Mühe wert hält, gibt man ihnen dafür Verachtung und unziemliches Entgegentreten.
Eine eigentümliche Empfindlichkeit herrscht daher in der Universität zwischen den Geschlechtern. Was der eine oder andere Teil sagt, wird oft in die strengste Untersuchung genommen und so lange zerpflückt, bis eine harmlose Bemerkung in eine schwerwiegende Aufklärung verwandelt ist. Mancher Student, der ein ehrlicher Freund der Frauenbewegung war, ist durch das abweisende Verhal- ten der Studentinnen zum erbitterten Frauengegner ge- worden. Es handelt sich nicht immer um schwerwie- gende Aeußerungen oder Handlungen. Die Studentinnen glauben, Rücksicht auf ihren guten Ruf oder auf die Fa-
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blick nicht, wie er sich verhalten soll. Er bringt sie in keine der beiden Kategorien unter, in die er sonst die Frauen zu teilen pflegt. Die Studentin arbeitet mit ihm um dasselbe Ziel; sie ist ernst, aber es fehlt die gewohnte gesellschaftliche Umgebung, wo sonst guterzogene junge Mädchen zu finden sind. Da gibt es denn drei Möglich- keiten, wie der junge Mann mit der „Frauenbewegung“ fertig wird; eine beleidigende Gleichgültigkeit, die jede Studentin als Luft im wörtlichsten Sinne behandelt; dann die Gleichstellung der Frau mit denjenigen unglücklichen Wesen, die man auf der Straße und in mindern Kneipen trifft, und als drittes die Behandlung der Frau als ge- sellschaftlich gleichgestellte Dame. Das erste und zweite scheint sehr häufig vorzukommen; manche Studenten strei- chen im Gefühle ihrer Unsicherheit ihre schlechten Ma- nieren besonders heraus. Viel zu leiden haben die Aus- länderinnen, namentlich alle, die man unter dem Namen „Russinnen“ zusammenfaßt. Sie sind für manche Stu- denten tatsächlich das „Freiwild.“ Da man über ihre Sitten, ihre Anschauungen sich zu unterrichten nicht für der Mühe wert hält, gibt man ihnen dafür Verachtung und unziemliches Entgegentreten.
Eine eigentümliche Empfindlichkeit herrscht daher in der Universität zwischen den Geschlechtern. Was der eine oder andere Teil sagt, wird oft in die strengste Untersuchung genommen und so lange zerpflückt, bis eine harmlose Bemerkung in eine schwerwiegende Aufklärung verwandelt ist. Mancher Student, der ein ehrlicher Freund der Frauenbewegung war, ist durch das abweisende Verhal- ten der Studentinnen zum erbitterten Frauengegner ge- worden. Es handelt sich nicht immer um schwerwie- gende Aeußerungen oder Handlungen. Die Studentinnen glauben, Rücksicht auf ihren guten Ruf oder auf die Fa-
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[19/0018]
blick nicht, wie er sich verhalten soll. Er bringt sie
in keine der beiden Kategorien unter, in die er sonst die
Frauen zu teilen pflegt. Die Studentin arbeitet mit ihm
um dasselbe Ziel; sie ist ernst, aber es fehlt die gewohnte
gesellschaftliche Umgebung, wo sonst guterzogene junge
Mädchen zu finden sind. Da gibt es denn drei Möglich-
keiten, wie der junge Mann mit der „Frauenbewegung“
fertig wird; eine beleidigende Gleichgültigkeit, die jede
Studentin als Luft im wörtlichsten Sinne behandelt; dann
die Gleichstellung der Frau mit denjenigen unglücklichen
Wesen, die man auf der Straße und in mindern Kneipen
trifft, und als drittes die Behandlung der Frau als ge-
sellschaftlich gleichgestellte Dame. Das erste und zweite
scheint sehr häufig vorzukommen; manche Studenten strei-
chen im Gefühle ihrer Unsicherheit ihre schlechten Ma-
nieren besonders heraus. Viel zu leiden haben die Aus-
länderinnen, namentlich alle, die man unter dem Namen
„Russinnen“ zusammenfaßt. Sie sind für manche Stu-
denten tatsächlich das „Freiwild.“ Da man über ihre
Sitten, ihre Anschauungen sich zu unterrichten nicht für
der Mühe wert hält, gibt man ihnen dafür Verachtung
und unziemliches Entgegentreten.
Eine eigentümliche Empfindlichkeit herrscht daher in
der Universität zwischen den Geschlechtern. Was der eine
oder andere Teil sagt, wird oft in die strengste Untersuchung
genommen und so lange zerpflückt, bis eine harmlose
Bemerkung in eine schwerwiegende Aufklärung verwandelt
ist. Mancher Student, der ein ehrlicher Freund der
Frauenbewegung war, ist durch das abweisende Verhal-
ten der Studentinnen zum erbitterten Frauengegner ge-
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Ohr, Julie: Die Studentin der Gegenwart. München-Gern, 1909, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ohr_studentin_1909/18>, abgerufen am 16.07.2024.
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