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Ohr, Julie: Die Studentin der Gegenwart. München-Gern, 1909.

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Studentinnen kennen das Korpsstudententum aus ihrer
eigenen Familie; sie bringen die Bewunderung für Band
und Mütze mit in die Universität.

Den Professoren gegenüber stellt sich die Studentin
häufig in das Verhältnis des blinden Gehorsams zur
Autorität. Das darf einen nicht wundern. Sie überträgt
nur, was ihr während der Jahre der Erziehung mit
allerlei tauglichen und untauglichen Mitteln eingetrichtert
wurde, auf die Universität. Die Vorbereitung für das
akademische Studium ist oft ein kritikloses Aufnehmen.
Jn Kursen, die auf die Mädchenschule aufgebaut sind, durch
Privatstunden, in Vorbereitungsanstalten, wo innerhalb
einer möglichst kurzen Zeit die Kenntnisse fürs Abiturium
erworben werden müssen, lernt ein großer Teil der jungen
Abiturientinnen das, wozu die Gymnasiasten sechs bis
sieben Jahre Zeit und dazu noch einen geregelten Lehrplan
haben. Daß die Mädchen in einem ungeregelten Lehrplan
nicht die Ruhe der gleichmäßigen Verarbeitung, nicht die
Muße der Kritik haben, ist begreiflich, und der Schaden
zeigt sich sehr häufig in einem mechanischen Hinnehmen
dessen, was geboten wird. So sehr reformbedürftig der
Lehrplan der Knabengymnasien ist, er ist noch weit besser
als im allgemeinen die Vorbereitung der Abiturientinnen.
Sonst würde neben dem erzieherischen Moment der Koe-
dukation die fortschrittliche Frauenbewegung nicht so sehr
auf den Eintritt der Mädchen ins Knabengymnasium dringen.

Nun einen Blick auf die Kommilitonen und ihr Ver-
halten zu den studierenden Frauen. Der junge Mann
bringt auf die Universität die Ansichten mit, die er zu
Hause, in der Gesellschaft, in der Verbindung, von Freun-
den und älteren Bekannten, die sich verpflichtet glauben,
ihn "in die Welt einführen zu müssen", gelernt hat.
Vor der Studentin stehend, weiß er im ersten Augen-

Studentinnen kennen das Korpsstudententum aus ihrer
eigenen Familie; sie bringen die Bewunderung für Band
und Mütze mit in die Universität.

Den Professoren gegenüber stellt sich die Studentin
häufig in das Verhältnis des blinden Gehorsams zur
Autorität. Das darf einen nicht wundern. Sie überträgt
nur, was ihr während der Jahre der Erziehung mit
allerlei tauglichen und untauglichen Mitteln eingetrichtert
wurde, auf die Universität. Die Vorbereitung für das
akademische Studium ist oft ein kritikloses Aufnehmen.
Jn Kursen, die auf die Mädchenschule aufgebaut sind, durch
Privatstunden, in Vorbereitungsanstalten, wo innerhalb
einer möglichst kurzen Zeit die Kenntnisse fürs Abiturium
erworben werden müssen, lernt ein großer Teil der jungen
Abiturientinnen das, wozu die Gymnasiasten sechs bis
sieben Jahre Zeit und dazu noch einen geregelten Lehrplan
haben. Daß die Mädchen in einem ungeregelten Lehrplan
nicht die Ruhe der gleichmäßigen Verarbeitung, nicht die
Muße der Kritik haben, ist begreiflich, und der Schaden
zeigt sich sehr häufig in einem mechanischen Hinnehmen
dessen, was geboten wird. So sehr reformbedürftig der
Lehrplan der Knabengymnasien ist, er ist noch weit besser
als im allgemeinen die Vorbereitung der Abiturientinnen.
Sonst würde neben dem erzieherischen Moment der Koe-
dukation die fortschrittliche Frauenbewegung nicht so sehr
auf den Eintritt der Mädchen ins Knabengymnasium dringen.

Nun einen Blick auf die Kommilitonen und ihr Ver-
halten zu den studierenden Frauen. Der junge Mann
bringt auf die Universität die Ansichten mit, die er zu
Hause, in der Gesellschaft, in der Verbindung, von Freun-
den und älteren Bekannten, die sich verpflichtet glauben,
ihn „in die Welt einführen zu müssen“, gelernt hat.
Vor der Studentin stehend, weiß er im ersten Augen-

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[18/0017] Studentinnen kennen das Korpsstudententum aus ihrer eigenen Familie; sie bringen die Bewunderung für Band und Mütze mit in die Universität. Den Professoren gegenüber stellt sich die Studentin häufig in das Verhältnis des blinden Gehorsams zur Autorität. Das darf einen nicht wundern. Sie überträgt nur, was ihr während der Jahre der Erziehung mit allerlei tauglichen und untauglichen Mitteln eingetrichtert wurde, auf die Universität. Die Vorbereitung für das akademische Studium ist oft ein kritikloses Aufnehmen. Jn Kursen, die auf die Mädchenschule aufgebaut sind, durch Privatstunden, in Vorbereitungsanstalten, wo innerhalb einer möglichst kurzen Zeit die Kenntnisse fürs Abiturium erworben werden müssen, lernt ein großer Teil der jungen Abiturientinnen das, wozu die Gymnasiasten sechs bis sieben Jahre Zeit und dazu noch einen geregelten Lehrplan haben. Daß die Mädchen in einem ungeregelten Lehrplan nicht die Ruhe der gleichmäßigen Verarbeitung, nicht die Muße der Kritik haben, ist begreiflich, und der Schaden zeigt sich sehr häufig in einem mechanischen Hinnehmen dessen, was geboten wird. So sehr reformbedürftig der Lehrplan der Knabengymnasien ist, er ist noch weit besser als im allgemeinen die Vorbereitung der Abiturientinnen. Sonst würde neben dem erzieherischen Moment der Koe- dukation die fortschrittliche Frauenbewegung nicht so sehr auf den Eintritt der Mädchen ins Knabengymnasium dringen. Nun einen Blick auf die Kommilitonen und ihr Ver- halten zu den studierenden Frauen. Der junge Mann bringt auf die Universität die Ansichten mit, die er zu Hause, in der Gesellschaft, in der Verbindung, von Freun- den und älteren Bekannten, die sich verpflichtet glauben, ihn „in die Welt einführen zu müssen“, gelernt hat. Vor der Studentin stehend, weiß er im ersten Augen-

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Zitationshilfe: Ohr, Julie: Die Studentin der Gegenwart. München-Gern, 1909, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ohr_studentin_1909/17>, abgerufen am 16.04.2024.