Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

Was ist aus dir geworden, liebe Mut¬
ter? sagte Fabel, du scheinst mir gänzlich
verändert; ohne inneres Anzeichen hätt' ich
dich nicht erkannt. Ich hoffte mich an dei¬
ner Brust einmal wieder zu erquicken; ich
habe lange nach dir geschmachtet. Ginni¬
stan liebkoste sie zärtlich, und sah heiter und
freundlich aus. Ich dachte es gleich, sagte
sie, daß dich der Schreiber nicht würde ge¬
fangen haben. Dein Anblick erfrischt mich.
Es geht mir schlimm und knapp genug,
aber ich tröste mich bald. Vielleicht habe ich
einen Augenblick Ruhe. Eros ist in der Nä¬
he, und wenn er dich sieht, und du ihm vor¬
plauderst, verweilt er vielleicht einige Zeit.
Indeß kannst du dich an meine Brust legen;
ich will dir geben, was ich habe. Sie
nahm die Kleine auf den Schooß, reichte ihr
die Brust, und fuhr fort, indem sie lächelnd
auf die Kleine hinunter sah, die es sich gut

Was iſt aus dir geworden, liebe Mut¬
ter? ſagte Fabel, du ſcheinſt mir gänzlich
verändert; ohne inneres Anzeichen hätt' ich
dich nicht erkannt. Ich hoffte mich an dei¬
ner Bruſt einmal wieder zu erquicken; ich
habe lange nach dir geſchmachtet. Ginni¬
ſtan liebkoſte ſie zärtlich, und ſah heiter und
freundlich aus. Ich dachte es gleich, ſagte
ſie, daß dich der Schreiber nicht würde ge¬
fangen haben. Dein Anblick erfriſcht mich.
Es geht mir ſchlimm und knapp genug,
aber ich tröſte mich bald. Vielleicht habe ich
einen Augenblick Ruhe. Eros iſt in der Nä¬
he, und wenn er dich ſieht, und du ihm vor¬
plauderſt, verweilt er vielleicht einige Zeit.
Indeß kannſt du dich an meine Bruſt legen;
ich will dir geben, was ich habe. Sie
nahm die Kleine auf den Schooß, reichte ihr
die Bruſt, und fuhr fort, indem ſie lächelnd
auf die Kleine hinunter ſah, die es ſich gut

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0317" n="309"/>
            <p>Was i&#x017F;t aus dir geworden, liebe Mut¬<lb/>
ter? &#x017F;agte Fabel, du &#x017F;chein&#x017F;t mir gänzlich<lb/>
verändert; ohne inneres Anzeichen hätt' ich<lb/>
dich nicht erkannt. Ich hoffte mich an dei¬<lb/>
ner Bru&#x017F;t einmal wieder zu erquicken; ich<lb/>
habe lange nach dir ge&#x017F;chmachtet. Ginni¬<lb/>
&#x017F;tan liebko&#x017F;te &#x017F;ie zärtlich, und &#x017F;ah heiter und<lb/>
freundlich aus. Ich dachte es gleich, &#x017F;agte<lb/>
&#x017F;ie, daß dich der Schreiber nicht würde ge¬<lb/>
fangen haben. Dein Anblick erfri&#x017F;cht mich.<lb/>
Es geht mir &#x017F;chlimm und knapp genug,<lb/>
aber ich trö&#x017F;te mich bald. Vielleicht habe ich<lb/>
einen Augenblick Ruhe. Eros i&#x017F;t in der Nä¬<lb/>
he, und wenn er dich &#x017F;ieht, und du ihm vor¬<lb/>
plauder&#x017F;t, verweilt er vielleicht einige Zeit.<lb/>
Indeß kann&#x017F;t du dich an meine Bru&#x017F;t legen;<lb/>
ich will dir geben, was ich habe. Sie<lb/>
nahm die Kleine auf den Schooß, reichte ihr<lb/>
die Bru&#x017F;t, und fuhr fort, indem &#x017F;ie lächelnd<lb/>
auf die Kleine hinunter &#x017F;ah, die es &#x017F;ich gut<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[309/0317] Was iſt aus dir geworden, liebe Mut¬ ter? ſagte Fabel, du ſcheinſt mir gänzlich verändert; ohne inneres Anzeichen hätt' ich dich nicht erkannt. Ich hoffte mich an dei¬ ner Bruſt einmal wieder zu erquicken; ich habe lange nach dir geſchmachtet. Ginni¬ ſtan liebkoſte ſie zärtlich, und ſah heiter und freundlich aus. Ich dachte es gleich, ſagte ſie, daß dich der Schreiber nicht würde ge¬ fangen haben. Dein Anblick erfriſcht mich. Es geht mir ſchlimm und knapp genug, aber ich tröſte mich bald. Vielleicht habe ich einen Augenblick Ruhe. Eros iſt in der Nä¬ he, und wenn er dich ſieht, und du ihm vor¬ plauderſt, verweilt er vielleicht einige Zeit. Indeß kannſt du dich an meine Bruſt legen; ich will dir geben, was ich habe. Sie nahm die Kleine auf den Schooß, reichte ihr die Bruſt, und fuhr fort, indem ſie lächelnd auf die Kleine hinunter ſah, die es ſich gut

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/317
Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/317>, abgerufen am 19.05.2024.