Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

K[ö]nig. Rauschend strömte Eridanus von
der Decke, und Fabel zog die Leyer aus sei¬
nen blinkenden Fluten.

Fabel that einige weißagende Griffe;
der König ließ ihr den Becher reichen,
aus dem sie nippte und mit vielen Dank¬
sagungen hinweg eilte. Sie glitt in rei¬
zenden Bogenschwüngen über das Eismeer,
indem sie fröliche Musik aus den Saiten
lockte.

Das Eis gab unter ihren Tritten die
herrlichsten Töne von sich. Der Felsen der
Trauer hielt sie für Stimmen seiner suchen¬
den rückkehrenden Kinder, und antwortete
in einem tausendfachen Echo.

Fabel hatte bald das Gestade erreicht.
Sie begegnete ihrer Mutter, die abgezehrt
und bleich aussah, schlank und ernst gewor¬
den war, und in edlen Zügen die Spuren ei¬
nes hoffnungslosen Grams, und rührender
Treue verrieth.

K[ö]nig. Rauſchend ſtrömte Eridanus von
der Decke, und Fabel zog die Leyer aus ſei¬
nen blinkenden Fluten.

Fabel that einige weißagende Griffe;
der König ließ ihr den Becher reichen,
aus dem ſie nippte und mit vielen Dank¬
ſagungen hinweg eilte. Sie glitt in rei¬
zenden Bogenſchwüngen über das Eismeer,
indem ſie fröliche Muſik aus den Saiten
lockte.

Das Eis gab unter ihren Tritten die
herrlichſten Töne von ſich. Der Felſen der
Trauer hielt ſie für Stimmen ſeiner ſuchen¬
den rückkehrenden Kinder, und antwortete
in einem tauſendfachen Echo.

Fabel hatte bald das Geſtade erreicht.
Sie begegnete ihrer Mutter, die abgezehrt
und bleich ausſah, ſchlank und ernſt gewor¬
den war, und in edlen Zügen die Spuren ei¬
nes hoffnungsloſen Grams, und rührender
Treue verrieth.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0316" n="308"/>
K<supplied>ö</supplied>nig. Rau&#x017F;chend &#x017F;trömte Eridanus von<lb/>
der Decke, und Fabel zog die Leyer aus &#x017F;ei¬<lb/>
nen blinkenden Fluten.</p><lb/>
            <p>Fabel that einige weißagende Griffe;<lb/>
der König ließ ihr den Becher reichen,<lb/>
aus dem &#x017F;ie nippte und mit vielen Dank¬<lb/>
&#x017F;agungen hinweg eilte. Sie glitt in rei¬<lb/>
zenden Bogen&#x017F;chwüngen über das Eismeer,<lb/>
indem &#x017F;ie fröliche Mu&#x017F;ik aus den Saiten<lb/>
lockte.</p><lb/>
            <p>Das Eis gab unter ihren Tritten die<lb/>
herrlich&#x017F;ten Töne von &#x017F;ich. Der Fel&#x017F;en der<lb/>
Trauer hielt &#x017F;ie für Stimmen &#x017F;einer &#x017F;uchen¬<lb/>
den rückkehrenden Kinder, und antwortete<lb/>
in einem tau&#x017F;endfachen Echo.</p><lb/>
            <p>Fabel hatte bald das Ge&#x017F;tade erreicht.<lb/>
Sie begegnete ihrer Mutter, die abgezehrt<lb/>
und bleich aus&#x017F;ah, &#x017F;chlank und ern&#x017F;t gewor¬<lb/>
den war, und in edlen Zügen die Spuren ei¬<lb/>
nes hoffnungslo&#x017F;en Grams, und rührender<lb/>
Treue verrieth.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[308/0316] König. Rauſchend ſtrömte Eridanus von der Decke, und Fabel zog die Leyer aus ſei¬ nen blinkenden Fluten. Fabel that einige weißagende Griffe; der König ließ ihr den Becher reichen, aus dem ſie nippte und mit vielen Dank¬ ſagungen hinweg eilte. Sie glitt in rei¬ zenden Bogenſchwüngen über das Eismeer, indem ſie fröliche Muſik aus den Saiten lockte. Das Eis gab unter ihren Tritten die herrlichſten Töne von ſich. Der Felſen der Trauer hielt ſie für Stimmen ſeiner ſuchen¬ den rückkehrenden Kinder, und antwortete in einem tauſendfachen Echo. Fabel hatte bald das Geſtade erreicht. Sie begegnete ihrer Mutter, die abgezehrt und bleich ausſah, ſchlank und ernſt gewor¬ den war, und in edlen Zügen die Spuren ei¬ nes hoffnungsloſen Grams, und rührender Treue verrieth.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/316
Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/316>, abgerufen am 26.05.2024.