ängstlichen Ungewißheit, von jener blinden Furcht des Aberglaubens. Und so ist auch die kühle, belebende Wärme eines dichteri¬ schen Gemüths gerade das Widerspiel von je¬ ner wilden Hitze eines kränklichen Herzens. Diese ist arm, betäubend und vorübergehend; jene sondert alle Gestalten rein ab, begün¬ stigt die Ausbildung der mannigfaltigsten Verhältnisse, und ist ewig durch sich selbst. Der junge Dichter kann nicht kühl, nicht be¬ sonnen genug seyn. Zur wahren, melodi¬ schen Gesprächigkeit gehört ein weiter, auf¬ merksamer und ruhiger Sinn. Es wird ein verworrnes Geschwätz, wenn ein reißender Sturm in der Brust tobt, und die Aufmerk¬ samkeit in eine zitternde Gedankenlosigkeit auflöst. Nochmals wiederhole ich, das ächte Gemüth ist wie das Licht, eben so ruhig und empfindlich, eben so elastisch und durchdring¬ lich, eben so mächtig und eben so unmerklich
ängſtlichen Ungewißheit, von jener blinden Furcht des Aberglaubens. Und ſo iſt auch die kühle, belebende Wärme eines dichteri¬ ſchen Gemüths gerade das Widerſpiel von je¬ ner wilden Hitze eines kränklichen Herzens. Dieſe iſt arm, betäubend und vorübergehend; jene ſondert alle Geſtalten rein ab, begün¬ ſtigt die Ausbildung der mannigfaltigſten Verhältniſſe, und iſt ewig durch ſich ſelbſt. Der junge Dichter kann nicht kühl, nicht be¬ ſonnen genug ſeyn. Zur wahren, melodi¬ ſchen Geſprächigkeit gehört ein weiter, auf¬ merkſamer und ruhiger Sinn. Es wird ein verworrnes Geſchwätz, wenn ein reißender Sturm in der Bruſt tobt, und die Aufmerk¬ ſamkeit in eine zitternde Gedankenloſigkeit auflöſt. Nochmals wiederhole ich, das ächte Gemüth iſt wie das Licht, eben ſo ruhig und empfindlich, eben ſo elaſtiſch und durchdring¬ lich, eben ſo mächtig und eben ſo unmerklich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0250"n="242"/>
ängſtlichen Ungewißheit, von jener blinden<lb/>
Furcht des Aberglaubens. Und ſo iſt auch<lb/>
die kühle, belebende Wärme eines dichteri¬<lb/>ſchen Gemüths gerade das Widerſpiel von je¬<lb/>
ner wilden Hitze eines kränklichen Herzens.<lb/>
Dieſe iſt arm, betäubend und vorübergehend;<lb/>
jene ſondert alle Geſtalten rein ab, begün¬<lb/>ſtigt die Ausbildung der mannigfaltigſten<lb/>
Verhältniſſe, und iſt ewig durch ſich ſelbſt.<lb/>
Der junge Dichter kann nicht kühl, nicht be¬<lb/>ſonnen genug ſeyn. Zur wahren, melodi¬<lb/>ſchen Geſprächigkeit gehört ein weiter, auf¬<lb/>
merkſamer und ruhiger Sinn. Es wird ein<lb/>
verworrnes Geſchwätz, wenn ein reißender<lb/>
Sturm in der Bruſt tobt, und die Aufmerk¬<lb/>ſamkeit in eine zitternde Gedankenloſigkeit<lb/>
auflöſt. Nochmals wiederhole ich, das ächte<lb/>
Gemüth iſt wie das Licht, eben ſo ruhig und<lb/>
empfindlich, eben ſo elaſtiſch und durchdring¬<lb/>
lich, eben ſo mächtig und eben ſo unmerklich<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[242/0250]
ängſtlichen Ungewißheit, von jener blinden
Furcht des Aberglaubens. Und ſo iſt auch
die kühle, belebende Wärme eines dichteri¬
ſchen Gemüths gerade das Widerſpiel von je¬
ner wilden Hitze eines kränklichen Herzens.
Dieſe iſt arm, betäubend und vorübergehend;
jene ſondert alle Geſtalten rein ab, begün¬
ſtigt die Ausbildung der mannigfaltigſten
Verhältniſſe, und iſt ewig durch ſich ſelbſt.
Der junge Dichter kann nicht kühl, nicht be¬
ſonnen genug ſeyn. Zur wahren, melodi¬
ſchen Geſprächigkeit gehört ein weiter, auf¬
merkſamer und ruhiger Sinn. Es wird ein
verworrnes Geſchwätz, wenn ein reißender
Sturm in der Bruſt tobt, und die Aufmerk¬
ſamkeit in eine zitternde Gedankenloſigkeit
auflöſt. Nochmals wiederhole ich, das ächte
Gemüth iſt wie das Licht, eben ſo ruhig und
empfindlich, eben ſo elaſtiſch und durchdring¬
lich, eben ſo mächtig und eben ſo unmerklich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/250>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.