Talvj, Volkslieder der Serben, 1825Horch! da schrie ein Kuckuk aus dem Hause. Doch es war kein grauer Kuckuk drinnen, Sondern ihre greise Mutter war es. Als Jelitza jetzt der Thüre nahte, Rief sie also aus dem weißen Halse: 110 "Arme Mutter, öffne mir die Thüre!" -- Aus dem Haus antwortete die Mutter: "Gehe du von hinnen, Pest des Herren! Todt sind meine Söhne alle neune, Willst du auch noch ihre greise Mutter?" 115 Aber ihr entgegnete Jelitza: "Arme Mutter, öffne mir die Thüre! Nicht die Pest des Herren ist hier draussen, 'S ist Dein liebes Töchterchen, Jelitza!"-- Drauf die Pforte öffnete die Mutter, 120 Und sie schrie und ächzte, wie ein Kuckuk. Fest umschlingend sich mit weißen Armen, Sanken Beide todt zur Erde nieder. Horch! da schrie ein Kuckuk aus dem Hause. Doch es war kein grauer Kuckuk drinnen, Sondern ihre greise Mutter war es. Als Jelitza jetzt der Thüre nahte, Rief sie also aus dem weißen Halse: 110 „Arme Mutter, öffne mir die Thüre!“ — Aus dem Haus antwortete die Mutter: „Gehe du von hinnen, Pest des Herren! Todt sind meine Söhne alle neune, Willst du auch noch ihre greise Mutter?“ 115 Aber ihr entgegnete Jelitza: „Arme Mutter, öffne mir die Thüre! Nicht die Pest des Herren ist hier draussen, 'S ist Dein liebes Töchterchen, Jelitza!“— Drauf die Pforte öffnete die Mutter, 120 Und sie schrie und ächzte, wie ein Kuckuk. Fest umschlingend sich mit weißen Armen, Sanken Beide todt zur Erde nieder. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0230" n="164"/> <lg> <l>Horch! da schrie ein Kuckuk aus dem Hause.</l><lb/> <l>Doch es war kein grauer Kuckuk drinnen,</l><lb/> <l>Sondern ihre greise Mutter war es.</l><lb/> <l>Als Jelitza jetzt der Thüre nahte,</l><lb/> <l>Rief sie also aus dem weißen Halse: <note place="right">110</note></l><lb/> <l>„Arme Mutter, öffne mir die Thüre!“ —</l><lb/> <l>Aus dem Haus antwortete die Mutter:</l> </lg><lb/> <lg> <l>„Gehe du von hinnen, Pest des Herren!</l><lb/> <l>Todt sind meine Söhne alle neune,</l><lb/> <l>Willst du auch noch ihre greise Mutter?“ <note place="right">115</note></l><lb/> <l>Aber ihr entgegnete Jelitza:</l><lb/> <l>„Arme Mutter, öffne mir die Thüre!</l><lb/> <l>Nicht die Pest des Herren ist hier draussen,</l><lb/> <l>'S ist Dein liebes Töchterchen, Jelitza!“—</l><lb/> <l>Drauf die Pforte öffnete die Mutter, <note place="right">120</note></l><lb/> <l>Und sie schrie und ächzte, wie ein Kuckuk.</l><lb/> <l>Fest umschlingend sich mit weißen Armen,</l><lb/> <l>Sanken Beide todt zur Erde nieder.</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [164/0230]
Horch! da schrie ein Kuckuk aus dem Hause.
Doch es war kein grauer Kuckuk drinnen,
Sondern ihre greise Mutter war es.
Als Jelitza jetzt der Thüre nahte,
Rief sie also aus dem weißen Halse:
„Arme Mutter, öffne mir die Thüre!“ —
Aus dem Haus antwortete die Mutter:
„Gehe du von hinnen, Pest des Herren!
Todt sind meine Söhne alle neune,
Willst du auch noch ihre greise Mutter?“
Aber ihr entgegnete Jelitza:
„Arme Mutter, öffne mir die Thüre!
Nicht die Pest des Herren ist hier draussen,
'S ist Dein liebes Töchterchen, Jelitza!“—
Drauf die Pforte öffnete die Mutter,
Und sie schrie und ächzte, wie ein Kuckuk.
Fest umschlingend sich mit weißen Armen,
Sanken Beide todt zur Erde nieder.
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