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Talvj, Volkslieder der Serben, 1825

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Kommst noch Du, noch Deine Hochzeitleute!
Eilig woll' uns Deine Meinung melden!
Einen Brief schrieb meiner lieben Tochter,
Meiner Tochter, die Du Schnur einst nanntest,
Daß sie einem Andem sich vermähle, 210
Einen Edlen, ihres Gleichen suche!
Aber Du, such' Schlechtes nur als Gleiches!" --
Zernojewitsch Iwan las das Schreiben,
Las es, und ein heft'ger Schmerz ergriff ihn.
Keiner war von seinen weisen Helden, 215
Keiner war ihm nahe, unter Allen,
Daß er seinen Kummer ihm vertraue.
Trüben Auges blickt' er auf die Gattin:
"Gieb mir einen Rath jetzt, meine Gattin!
Soll der Schnur ich solch ein Schreiben senden, 220
Daß sie einem Andern sich vermähle?
Soll ich's senden? oder soll ich's lassen?"
Weis' erwiedert seine Ehehälfte:
"Mein Gebieter, Zernojewitsch Iwan!
Wann doch war's die Gattin, welche Rath gab? 225
Wann bisher? und soll es nun geschehen?
Frauen sind langhaarig, doch kurzsinnig;
Aber gern will ich mein Wort Dir sagen:
Vor dem höchsten Gott ist's große Sünde,
Aber Schimpf und Schand' ist's vor den Leuten, 230
Dieses Mädchens Glück zu unterdrücken.

Kommst noch Du, noch Deine Hochzeitleute!
Eilig woll' uns Deine Meinung melden!
Einen Brief schrieb meiner lieben Tochter,
Meiner Tochter, die Du Schnur einst nanntest,
Daß sie einem Andem sich vermähle, 210
Einen Edlen, ihres Gleichen suche!
Aber Du, such' Schlechtes nur als Gleiches!“ —
Zernojewitsch Iwan las das Schreiben,
Las es, und ein heft'ger Schmerz ergriff ihn.
Keiner war von seinen weisen Helden, 215
Keiner war ihm nahe, unter Allen,
Daß er seinen Kummer ihm vertraue.
Trüben Auges blickt' er auf die Gattin:
„Gieb mir einen Rath jetzt, meine Gattin!
Soll der Schnur ich solch ein Schreiben senden, 220
Daß sie einem Andern sich vermähle?
Soll ich's senden? oder soll ich's lassen?“
Weis' erwiedert seine Ehehälfte:
„Mein Gebieter, Zernojewitsch Iwan!
Wann doch war's die Gattin, welche Rath gab? 225
Wann bisher? und soll es nun geschehen?
Frauen sind langhaarig, doch kurzsinnig;
Aber gern will ich mein Wort Dir sagen:
Vor dem höchsten Gott ist's große Sünde,
Aber Schimpf und Schand' ist's vor den Leuten, 230
Dieses Mädchens Glück zu unterdrücken.

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[79/0145] Kommst noch Du, noch Deine Hochzeitleute! Eilig woll' uns Deine Meinung melden! Einen Brief schrieb meiner lieben Tochter, Meiner Tochter, die Du Schnur einst nanntest, Daß sie einem Andem sich vermähle, Einen Edlen, ihres Gleichen suche! Aber Du, such' Schlechtes nur als Gleiches!“ — Zernojewitsch Iwan las das Schreiben, Las es, und ein heft'ger Schmerz ergriff ihn. Keiner war von seinen weisen Helden, Keiner war ihm nahe, unter Allen, Daß er seinen Kummer ihm vertraue. Trüben Auges blickt' er auf die Gattin: „Gieb mir einen Rath jetzt, meine Gattin! Soll der Schnur ich solch ein Schreiben senden, Daß sie einem Andern sich vermähle? Soll ich's senden? oder soll ich's lassen?“ Weis' erwiedert seine Ehehälfte: „Mein Gebieter, Zernojewitsch Iwan! Wann doch war's die Gattin, welche Rath gab? Wann bisher? und soll es nun geschehen? Frauen sind langhaarig, doch kurzsinnig; Aber gern will ich mein Wort Dir sagen: Vor dem höchsten Gott ist's große Sünde, Aber Schimpf und Schand' ist's vor den Leuten, Dieses Mädchens Glück zu unterdrücken.

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Zitationshilfe: Talvj, Volkslieder der Serben, 1825, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/145>, abgerufen am 28.03.2024.