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Sonntags-Blatt. Nr. 32. Berlin, 9. August 1868.

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[Beginn Spaltensatz] ihm die Bedingung genannt, welche ihm allein das Hierbleiben
möglich mache. Sie sei sonderbar genug: Cäcilie solle während des
Barons Anwesenheit auf dem Edelhof der kranken Frau von Twink-
horst Gesellschaft leisten. Der Baron habe die Zustimmung des
Vaters erbeten, nachdem sie selbst, wie er behauptet, schon eingewilligt.
Nun aber frage er, der Vater, ob sie wirklich daran denken könne,
in die Fremde zu gehen, Dienste zu nehmen, sie, seine freie Tochter?

Cäcilie war nur wenig überrascht, aber noch weniger fähig zu
antworten. Sie sagte, sie habe kaum geglaubt, daß es dem Baron
Ernst sei mit seinem Antrag.

Jn der That aber dachte sie sehr ernstlich daran. Schwere Sor-
gen bedrückten sie. Jhre Einbildungskraft war erfüllt mit ängstigen-
den Bildern. Sie begann an das Verhängniß zu glauben, welches
sie, welches ihren Vater bedrohe. Wie sollte es enden, wenn sie des
unseligen Gefühls, das sie ergriffen, nicht wieder Herr wurde? Wo
war die Zufluchtsstätte, wo war sie geschützt gegen diesen wilden,
mächtigen Mann, gegen des eigenen Herzens unendlichen Drang? Jm
Vaterhaus schlich sie bang herum und ertrug kaum den stumm mah-
nenden Anblick ihrer Lieben. O Gott, was war aus ihr geworden!
Ein ihr selbst fremdes Wesen, das nicht mehr Wahr und Falsch, Gut
und Böse unterschied, das verabscheuen sollte, wo es innig empfand,
und nur nach haltloser Beschönigung suchte! Vergebens strebte sie, den
Mann zu hassen, der sie so verwandelt hatte. Was konnte er dafür?
Wer kann gegen die Allgewalt der Zuneigung? Und war er nicht
redlich und edel? Warnte er sie nicht vor sich selbst, vor dem unglück-
seligen, fluchbeladenen Menschen?

Ja, sie erkannte schnell die Absicht, die ihn leitete, wenn er sie
entfernen, wenn er sie in das Haus bringen wollte, wo sie allein auf
Schutz, auf Rettung hoffen durfte. An seinem eigenen Herd, unter
den Augen des Weibes, welchem seine Pflicht gehörte -- da wußte
er sie sicher, da hielt ihn, da hielt sie die Heiligkeit des Orts zurück
vor Sünde und Verrath. Daheim, im Hause ihres Vaters, war
er übermächtig, weil er allein vor sie trat, allein und frei von jedem
andern Gesetz, als dem unerbittlichen Gesetz der Liebe -- wie wenig
vermochte da der blasse Gedanke, daß ihn ein unzerreißbares Band
in die Ferne ziehe! Aber dort stand neben ihm eine Andere, dort
stand sein Weib, dort mußte der unberechtigte Traum schwinden vor
dem Recht, dessen Dasein, dessen Geltung immer neu vor die Seele
trat. Sie begriff ihn: die Trennung wollte er, und mehr als Tren-
nung, die allein ja nicht retten konnte; denn nicht Trennung allein
konnte die auseinander reißen, die sich so heiß liebten. Nein, aus
ihren Herzen mußte die Liebe weichen, diese Liebe, welche Wahnsinn
und Verbrechen zugleich war!

Ach, vor wenigen Tagen -- da hätte sie nur das Eine wissen
mögen, ob sie ihm wohl auch etwas bedeute, ob er für sie nur den
hundertsten Theil des Gefühls habe, welches sie für ihn erfüllte, und
sie hatte gewähnt, wenn es so wäre, das müßte das Uebermaß der
Seligkeit sein. Und jetzt, jetzt, da sie es nur zu gut wußte, empfand
sie statt des ersehnten Glücks ein unsagbares Weh.

Zwei Tage lang kämpfte sie mit sich selbst. Wie sollte sie dem
Vater erklären, daß sie bereit sei, des Barons Wunsch zu erfüllen?
War es nicht vielleicht besser, wenn sie sich dem Vater entdeckte,
wenn sie ihm sagte, wie unglücklich sein armes Kind sei, wenn sie
ihn, ihren besten Freund, bat, ihrer Schwäche zu Hülfe zu kommen?

Jn diesen zwei Tagen ließ sich der Baron nicht sehen, und sie
ging zuletzt, die Brust voll Qual und Zweifel, aus dem Hause, wo
es so dumpf und schwül war. Aber dumpf und schwül war es
überall, auch im Wald, obwohl auf jedem Blatt ein Thautropfen
glänzte, obwohl die Vögel lustig sangen und das Eichhorn keck von
Zweig zu Zweig hüpfte. Sie merkte nichts von alledem und
erschrak wie ein Missethäter, als ihr plötzlich der Justitiar begegnete.

Ohne die Antwort auf seinen Gruß zu erwarten, sagte er:

"Jst es wahr, was ich heut vernommen? Daß der Baron Sie
eingeladen, die Gesellschafterin seiner Frau zu werden?"

"Es ist wahr", versetzte sie.

"Und Sie denken daran, dieser Einladung zu folgen?"

"Jch bin noch nicht entschlossen."

"Aber ich bitte Sie, was könnte Sie dazu bewegen, die Aeltern
und Geschwister zu verlassen?"

Cäcilie wollte erwidern, daß sie ihm keine Rechenschaft schuldig
sei; doch seinen warmen Ton konnte sie nicht durch schroffe Zurück-
weisung beantworten. Sie schwieg wieder.

"Meine liebe Freundin -- denn so darf ich Sie nennen, weil ich
Jhr aufrichtiger Freund bin -- glauben Sie mir, nirgend ist es
besser, ist es sicherer, als im Vaterhaus, als unter den Augen der
Mutter."

"Das weiß ich", versetzte das Mädchen; "aber bin ich die Erste,
die Vater und Mutter verlassen, weil sie den Aeltern nicht immer
zur Last fallen, weil sie auch ihren Gang durch die Welt machen
wollte?"

[Spaltenumbruch]

Cäcilie wußte recht gut, wie schwer er ihr vor wenig Wochen ge-
wesen wäre, dieser Gang durch die Welt! Hatte sie doch den
Sinn der Unabhängigkeit vom Vater überkommen, hatte doch der
Vater selbst den härtesten Fluch der Armuth den genannt, daß sie
die eigenen Kinder in die Sklaverei verstoßen müsse.

"Wenn Sie Jhren Aeltern eine Sorge abnehmen wollen, so ist
das gewiß löblich", sagte der Justitiar; "aber die plötzlichen Ent-
schlüsse sind nicht gut, wenn das Leben, mehr als das Leben davon
abhängt."

Cäcilie suchte zu lächeln.

"Das soll wohl heißen: die irdische und die himmlische Seligkeit
-- das klingt freilich ernsthaft; zum Glück bin ich noch nicht ent-
schlossen."

"Sie werden dem Zureden des Barons nicht widerstehen", rief
Hammer lebhaft.

Cäcilie blickte den Justitiar betroffen an. Wie sie aber wieder
sein verständiges Auge so ernst auf sich ruhen sah, da ward ihr
dieser strenge Beobachter unheimlich. Von allen Menschen Keinem
mochte sie weniger zugestehen, was sie innerlich bewegte. Ein sonder-
barer Eifer ward in ihr wach. Wollte sie den Justitiar verstummen
machen, wollte sie ihm wehe thun, als sie nun bestimmt und schnell
sagte:

"Sie haben Recht: ich werde des Barons Bitte erfüllen. Seine
Frau ist krank; er kann nicht bei ihr sein, er muß hier bleiben.
Jch glaube, wohl zu handeln, wenn ich aller gutgemeinten Abmah-
nung zum Trotz ein Amt übernehme, das meinen Kräften angemessen
ist. Es giebt leider nicht viele solcher Aemter."

Bei den letzten Worten hatte sie eine scherzhafte Weise angenom-
men. Aber des Justitiars Miene verdüsterte sich.

"Sie begeben sich auf einen Boden, den Sie nicht kennen. Hüten
Sie Jhre Schritte!"

Sie sagte nichts, sondern schien das Gespräch abbrechen zu
wollen. Aber er faßte ihre Hand und drückte sie warm. War es
wirklich? Schimmerte sein Auge feucht? Cäcilie wurde gerührt; sie
fühlte plötzlich die Scheidewand verschwinden, die sich zwischen ihr
und diesem Manne erhoben; sie erinnerte sich, wie wohl ihr sonst das
Wesen, das Gespräch dieses Mannes gethan.

Da sagte er:

"Der Baron hat jetzt vor, hier zu bleiben. Allein er ist wankel-
müthig, beherrscht von seinen Launen, und -- überhaupt, haben Sie
nicht zu großes Vertrauen!"

Das war unwürdig. Wozu brauchte er den Baron, seinen Freund,
zu verunglimpfen? War es doch Eifersucht, was den Justitiar trieb?
Cäcilie dachte daran nicht zum ersten Mal.

Sie gab sich den Schein, Hammers letzte Rede nicht gehört zu
haben, sprach noch einige gleichgültige Worte und ging dann.

Wohl empfand sie schwer ihr so völlig verändertes Wesen allen
Menschen gegenüber. Sonst hatte sie kein unwahres Wort zu sagen
gewußt, nichts verheimlicht, nichts beschönigt. Und nun -- wie
schnell hatte sie Falschheit gelernt, wie wenig kosteten ihr Verstellung
und Betrug gegen den Nächsten!

Das mußte aufhören. Wenn es nicht aufhörte, so ging sie zu
Grunde an innerer Verderbniß, auch ohne ein Unheil von außen.

Woher sollte ihr jetzt die Kraft kommen, vor dem Vater offen zu
sein? Nein, das gab sie auf. Es blieb nur Eins -- die Flucht.
Und sie wußte jetzt, welche letzte Lüge sie zu thun hatte. Sie hatte
ja ins Angesicht des Justitiars so trefflich gelogen!

So mußte denn der alte Moser hören, wie die Tochter längst so
schmerzlich von dem Gedanken bedrückt worden sei, daß sie ihre Tage
so unnütz und müßig verbringe. Wenn der Vater ihr den edeln
Trieb der Freiheit eingeimpft, so habe er sie auch gelehrt, daß Jeder
die Pflicht habe, seine Kräfte zu brauchen und für sich und Andere
zu wirken. Sie meine, Beides, die Freiheit und die Thätigkeit, ver-
binden zu können. Sie habe es schon immer gewollt, und nun biete
sich eine zu gute Gelegenheit, als daß sie nicht wenigstens einen Ver-
such machen sollte. Heut wisse sie genau, was sie zu gewärtigen habe,
und das sei ein seltener Vortheil. Der Baron habe ihr gesagt, daß seine
Frau zwar krank, aber herzensgut sei und in ihr die Freundin, keine
Dienerin sehen werde; mit guten Büchern, guter Musik werde sie sich
beschäftigen, daneben neue Menschen, eine neue Gegend kennen lernen.
So werde sie dereinst an Kenntnissen und Erfahrungen reicher zurück-
kehren, noch dazu mit der Befriedigung, inzwischen nicht nur sich
selbst genützt, sondern auch ein nur allzu sehr beschwertes Dasein
liebevoll erleichtert zu haben. Das könne unmöglich den Begriffen
des Vaters über die Pflichten der Menschen gegen einander wider-
streiten. Er selbst habe ja kaum erst sich zum Heil seiner Mitmen-
schen Einrichtungen unterworfen, welche er sonst über Alles gehaßt,
sei in den Dienst eines Edelmanns getreten; und mehr nicht, nein,
weniger werde von ihr jetzt verlangt.

( Fortsetzung folgt. )



[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] ihm die Bedingung genannt, welche ihm allein das Hierbleiben
möglich mache. Sie sei sonderbar genug: Cäcilie solle während des
Barons Anwesenheit auf dem Edelhof der kranken Frau von Twink-
horst Gesellschaft leisten. Der Baron habe die Zustimmung des
Vaters erbeten, nachdem sie selbst, wie er behauptet, schon eingewilligt.
Nun aber frage er, der Vater, ob sie wirklich daran denken könne,
in die Fremde zu gehen, Dienste zu nehmen, sie, seine freie Tochter?

Cäcilie war nur wenig überrascht, aber noch weniger fähig zu
antworten. Sie sagte, sie habe kaum geglaubt, daß es dem Baron
Ernst sei mit seinem Antrag.

Jn der That aber dachte sie sehr ernstlich daran. Schwere Sor-
gen bedrückten sie. Jhre Einbildungskraft war erfüllt mit ängstigen-
den Bildern. Sie begann an das Verhängniß zu glauben, welches
sie, welches ihren Vater bedrohe. Wie sollte es enden, wenn sie des
unseligen Gefühls, das sie ergriffen, nicht wieder Herr wurde? Wo
war die Zufluchtsstätte, wo war sie geschützt gegen diesen wilden,
mächtigen Mann, gegen des eigenen Herzens unendlichen Drang? Jm
Vaterhaus schlich sie bang herum und ertrug kaum den stumm mah-
nenden Anblick ihrer Lieben. O Gott, was war aus ihr geworden!
Ein ihr selbst fremdes Wesen, das nicht mehr Wahr und Falsch, Gut
und Böse unterschied, das verabscheuen sollte, wo es innig empfand,
und nur nach haltloser Beschönigung suchte! Vergebens strebte sie, den
Mann zu hassen, der sie so verwandelt hatte. Was konnte er dafür?
Wer kann gegen die Allgewalt der Zuneigung? Und war er nicht
redlich und edel? Warnte er sie nicht vor sich selbst, vor dem unglück-
seligen, fluchbeladenen Menschen?

Ja, sie erkannte schnell die Absicht, die ihn leitete, wenn er sie
entfernen, wenn er sie in das Haus bringen wollte, wo sie allein auf
Schutz, auf Rettung hoffen durfte. An seinem eigenen Herd, unter
den Augen des Weibes, welchem seine Pflicht gehörte — da wußte
er sie sicher, da hielt ihn, da hielt sie die Heiligkeit des Orts zurück
vor Sünde und Verrath. Daheim, im Hause ihres Vaters, war
er übermächtig, weil er allein vor sie trat, allein und frei von jedem
andern Gesetz, als dem unerbittlichen Gesetz der Liebe — wie wenig
vermochte da der blasse Gedanke, daß ihn ein unzerreißbares Band
in die Ferne ziehe! Aber dort stand neben ihm eine Andere, dort
stand sein Weib, dort mußte der unberechtigte Traum schwinden vor
dem Recht, dessen Dasein, dessen Geltung immer neu vor die Seele
trat. Sie begriff ihn: die Trennung wollte er, und mehr als Tren-
nung, die allein ja nicht retten konnte; denn nicht Trennung allein
konnte die auseinander reißen, die sich so heiß liebten. Nein, aus
ihren Herzen mußte die Liebe weichen, diese Liebe, welche Wahnsinn
und Verbrechen zugleich war!

Ach, vor wenigen Tagen — da hätte sie nur das Eine wissen
mögen, ob sie ihm wohl auch etwas bedeute, ob er für sie nur den
hundertsten Theil des Gefühls habe, welches sie für ihn erfüllte, und
sie hatte gewähnt, wenn es so wäre, das müßte das Uebermaß der
Seligkeit sein. Und jetzt, jetzt, da sie es nur zu gut wußte, empfand
sie statt des ersehnten Glücks ein unsagbares Weh.

Zwei Tage lang kämpfte sie mit sich selbst. Wie sollte sie dem
Vater erklären, daß sie bereit sei, des Barons Wunsch zu erfüllen?
War es nicht vielleicht besser, wenn sie sich dem Vater entdeckte,
wenn sie ihm sagte, wie unglücklich sein armes Kind sei, wenn sie
ihn, ihren besten Freund, bat, ihrer Schwäche zu Hülfe zu kommen?

Jn diesen zwei Tagen ließ sich der Baron nicht sehen, und sie
ging zuletzt, die Brust voll Qual und Zweifel, aus dem Hause, wo
es so dumpf und schwül war. Aber dumpf und schwül war es
überall, auch im Wald, obwohl auf jedem Blatt ein Thautropfen
glänzte, obwohl die Vögel lustig sangen und das Eichhorn keck von
Zweig zu Zweig hüpfte. Sie merkte nichts von alledem und
erschrak wie ein Missethäter, als ihr plötzlich der Justitiar begegnete.

Ohne die Antwort auf seinen Gruß zu erwarten, sagte er:

„Jst es wahr, was ich heut vernommen? Daß der Baron Sie
eingeladen, die Gesellschafterin seiner Frau zu werden?“

„Es ist wahr“, versetzte sie.

„Und Sie denken daran, dieser Einladung zu folgen?“

„Jch bin noch nicht entschlossen.“

„Aber ich bitte Sie, was könnte Sie dazu bewegen, die Aeltern
und Geschwister zu verlassen?“

Cäcilie wollte erwidern, daß sie ihm keine Rechenschaft schuldig
sei; doch seinen warmen Ton konnte sie nicht durch schroffe Zurück-
weisung beantworten. Sie schwieg wieder.

„Meine liebe Freundin — denn so darf ich Sie nennen, weil ich
Jhr aufrichtiger Freund bin — glauben Sie mir, nirgend ist es
besser, ist es sicherer, als im Vaterhaus, als unter den Augen der
Mutter.“

„Das weiß ich“, versetzte das Mädchen; „aber bin ich die Erste,
die Vater und Mutter verlassen, weil sie den Aeltern nicht immer
zur Last fallen, weil sie auch ihren Gang durch die Welt machen
wollte?“

[Spaltenumbruch]

Cäcilie wußte recht gut, wie schwer er ihr vor wenig Wochen ge-
wesen wäre, dieser Gang durch die Welt! Hatte sie doch den
Sinn der Unabhängigkeit vom Vater überkommen, hatte doch der
Vater selbst den härtesten Fluch der Armuth den genannt, daß sie
die eigenen Kinder in die Sklaverei verstoßen müsse.

„Wenn Sie Jhren Aeltern eine Sorge abnehmen wollen, so ist
das gewiß löblich“, sagte der Justitiar; „aber die plötzlichen Ent-
schlüsse sind nicht gut, wenn das Leben, mehr als das Leben davon
abhängt.“

Cäcilie suchte zu lächeln.

„Das soll wohl heißen: die irdische und die himmlische Seligkeit
— das klingt freilich ernsthaft; zum Glück bin ich noch nicht ent-
schlossen.“

„Sie werden dem Zureden des Barons nicht widerstehen“, rief
Hammer lebhaft.

Cäcilie blickte den Justitiar betroffen an. Wie sie aber wieder
sein verständiges Auge so ernst auf sich ruhen sah, da ward ihr
dieser strenge Beobachter unheimlich. Von allen Menschen Keinem
mochte sie weniger zugestehen, was sie innerlich bewegte. Ein sonder-
barer Eifer ward in ihr wach. Wollte sie den Justitiar verstummen
machen, wollte sie ihm wehe thun, als sie nun bestimmt und schnell
sagte:

„Sie haben Recht: ich werde des Barons Bitte erfüllen. Seine
Frau ist krank; er kann nicht bei ihr sein, er muß hier bleiben.
Jch glaube, wohl zu handeln, wenn ich aller gutgemeinten Abmah-
nung zum Trotz ein Amt übernehme, das meinen Kräften angemessen
ist. Es giebt leider nicht viele solcher Aemter.“

Bei den letzten Worten hatte sie eine scherzhafte Weise angenom-
men. Aber des Justitiars Miene verdüsterte sich.

„Sie begeben sich auf einen Boden, den Sie nicht kennen. Hüten
Sie Jhre Schritte!“

Sie sagte nichts, sondern schien das Gespräch abbrechen zu
wollen. Aber er faßte ihre Hand und drückte sie warm. War es
wirklich? Schimmerte sein Auge feucht? Cäcilie wurde gerührt; sie
fühlte plötzlich die Scheidewand verschwinden, die sich zwischen ihr
und diesem Manne erhoben; sie erinnerte sich, wie wohl ihr sonst das
Wesen, das Gespräch dieses Mannes gethan.

Da sagte er:

„Der Baron hat jetzt vor, hier zu bleiben. Allein er ist wankel-
müthig, beherrscht von seinen Launen, und — überhaupt, haben Sie
nicht zu großes Vertrauen!“

Das war unwürdig. Wozu brauchte er den Baron, seinen Freund,
zu verunglimpfen? War es doch Eifersucht, was den Justitiar trieb?
Cäcilie dachte daran nicht zum ersten Mal.

Sie gab sich den Schein, Hammers letzte Rede nicht gehört zu
haben, sprach noch einige gleichgültige Worte und ging dann.

Wohl empfand sie schwer ihr so völlig verändertes Wesen allen
Menschen gegenüber. Sonst hatte sie kein unwahres Wort zu sagen
gewußt, nichts verheimlicht, nichts beschönigt. Und nun — wie
schnell hatte sie Falschheit gelernt, wie wenig kosteten ihr Verstellung
und Betrug gegen den Nächsten!

Das mußte aufhören. Wenn es nicht aufhörte, so ging sie zu
Grunde an innerer Verderbniß, auch ohne ein Unheil von außen.

Woher sollte ihr jetzt die Kraft kommen, vor dem Vater offen zu
sein? Nein, das gab sie auf. Es blieb nur Eins — die Flucht.
Und sie wußte jetzt, welche letzte Lüge sie zu thun hatte. Sie hatte
ja ins Angesicht des Justitiars so trefflich gelogen!

So mußte denn der alte Moser hören, wie die Tochter längst so
schmerzlich von dem Gedanken bedrückt worden sei, daß sie ihre Tage
so unnütz und müßig verbringe. Wenn der Vater ihr den edeln
Trieb der Freiheit eingeimpft, so habe er sie auch gelehrt, daß Jeder
die Pflicht habe, seine Kräfte zu brauchen und für sich und Andere
zu wirken. Sie meine, Beides, die Freiheit und die Thätigkeit, ver-
binden zu können. Sie habe es schon immer gewollt, und nun biete
sich eine zu gute Gelegenheit, als daß sie nicht wenigstens einen Ver-
such machen sollte. Heut wisse sie genau, was sie zu gewärtigen habe,
und das sei ein seltener Vortheil. Der Baron habe ihr gesagt, daß seine
Frau zwar krank, aber herzensgut sei und in ihr die Freundin, keine
Dienerin sehen werde; mit guten Büchern, guter Musik werde sie sich
beschäftigen, daneben neue Menschen, eine neue Gegend kennen lernen.
So werde sie dereinst an Kenntnissen und Erfahrungen reicher zurück-
kehren, noch dazu mit der Befriedigung, inzwischen nicht nur sich
selbst genützt, sondern auch ein nur allzu sehr beschwertes Dasein
liebevoll erleichtert zu haben. Das könne unmöglich den Begriffen
des Vaters über die Pflichten der Menschen gegen einander wider-
streiten. Er selbst habe ja kaum erst sich zum Heil seiner Mitmen-
schen Einrichtungen unterworfen, welche er sonst über Alles gehaßt,
sei in den Dienst eines Edelmanns getreten; und mehr nicht, nein,
weniger werde von ihr jetzt verlangt.

( Fortsetzung folgt. )



[Ende Spaltensatz]
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[251/0003] 251 ihm die Bedingung genannt, welche ihm allein das Hierbleiben möglich mache. Sie sei sonderbar genug: Cäcilie solle während des Barons Anwesenheit auf dem Edelhof der kranken Frau von Twink- horst Gesellschaft leisten. Der Baron habe die Zustimmung des Vaters erbeten, nachdem sie selbst, wie er behauptet, schon eingewilligt. Nun aber frage er, der Vater, ob sie wirklich daran denken könne, in die Fremde zu gehen, Dienste zu nehmen, sie, seine freie Tochter? Cäcilie war nur wenig überrascht, aber noch weniger fähig zu antworten. Sie sagte, sie habe kaum geglaubt, daß es dem Baron Ernst sei mit seinem Antrag. Jn der That aber dachte sie sehr ernstlich daran. Schwere Sor- gen bedrückten sie. Jhre Einbildungskraft war erfüllt mit ängstigen- den Bildern. Sie begann an das Verhängniß zu glauben, welches sie, welches ihren Vater bedrohe. Wie sollte es enden, wenn sie des unseligen Gefühls, das sie ergriffen, nicht wieder Herr wurde? Wo war die Zufluchtsstätte, wo war sie geschützt gegen diesen wilden, mächtigen Mann, gegen des eigenen Herzens unendlichen Drang? Jm Vaterhaus schlich sie bang herum und ertrug kaum den stumm mah- nenden Anblick ihrer Lieben. O Gott, was war aus ihr geworden! Ein ihr selbst fremdes Wesen, das nicht mehr Wahr und Falsch, Gut und Böse unterschied, das verabscheuen sollte, wo es innig empfand, und nur nach haltloser Beschönigung suchte! Vergebens strebte sie, den Mann zu hassen, der sie so verwandelt hatte. Was konnte er dafür? Wer kann gegen die Allgewalt der Zuneigung? Und war er nicht redlich und edel? Warnte er sie nicht vor sich selbst, vor dem unglück- seligen, fluchbeladenen Menschen? Ja, sie erkannte schnell die Absicht, die ihn leitete, wenn er sie entfernen, wenn er sie in das Haus bringen wollte, wo sie allein auf Schutz, auf Rettung hoffen durfte. An seinem eigenen Herd, unter den Augen des Weibes, welchem seine Pflicht gehörte — da wußte er sie sicher, da hielt ihn, da hielt sie die Heiligkeit des Orts zurück vor Sünde und Verrath. Daheim, im Hause ihres Vaters, war er übermächtig, weil er allein vor sie trat, allein und frei von jedem andern Gesetz, als dem unerbittlichen Gesetz der Liebe — wie wenig vermochte da der blasse Gedanke, daß ihn ein unzerreißbares Band in die Ferne ziehe! Aber dort stand neben ihm eine Andere, dort stand sein Weib, dort mußte der unberechtigte Traum schwinden vor dem Recht, dessen Dasein, dessen Geltung immer neu vor die Seele trat. Sie begriff ihn: die Trennung wollte er, und mehr als Tren- nung, die allein ja nicht retten konnte; denn nicht Trennung allein konnte die auseinander reißen, die sich so heiß liebten. Nein, aus ihren Herzen mußte die Liebe weichen, diese Liebe, welche Wahnsinn und Verbrechen zugleich war! Ach, vor wenigen Tagen — da hätte sie nur das Eine wissen mögen, ob sie ihm wohl auch etwas bedeute, ob er für sie nur den hundertsten Theil des Gefühls habe, welches sie für ihn erfüllte, und sie hatte gewähnt, wenn es so wäre, das müßte das Uebermaß der Seligkeit sein. Und jetzt, jetzt, da sie es nur zu gut wußte, empfand sie statt des ersehnten Glücks ein unsagbares Weh. Zwei Tage lang kämpfte sie mit sich selbst. Wie sollte sie dem Vater erklären, daß sie bereit sei, des Barons Wunsch zu erfüllen? War es nicht vielleicht besser, wenn sie sich dem Vater entdeckte, wenn sie ihm sagte, wie unglücklich sein armes Kind sei, wenn sie ihn, ihren besten Freund, bat, ihrer Schwäche zu Hülfe zu kommen? Jn diesen zwei Tagen ließ sich der Baron nicht sehen, und sie ging zuletzt, die Brust voll Qual und Zweifel, aus dem Hause, wo es so dumpf und schwül war. Aber dumpf und schwül war es überall, auch im Wald, obwohl auf jedem Blatt ein Thautropfen glänzte, obwohl die Vögel lustig sangen und das Eichhorn keck von Zweig zu Zweig hüpfte. Sie merkte nichts von alledem und erschrak wie ein Missethäter, als ihr plötzlich der Justitiar begegnete. Ohne die Antwort auf seinen Gruß zu erwarten, sagte er: „Jst es wahr, was ich heut vernommen? Daß der Baron Sie eingeladen, die Gesellschafterin seiner Frau zu werden?“ „Es ist wahr“, versetzte sie. „Und Sie denken daran, dieser Einladung zu folgen?“ „Jch bin noch nicht entschlossen.“ „Aber ich bitte Sie, was könnte Sie dazu bewegen, die Aeltern und Geschwister zu verlassen?“ Cäcilie wollte erwidern, daß sie ihm keine Rechenschaft schuldig sei; doch seinen warmen Ton konnte sie nicht durch schroffe Zurück- weisung beantworten. Sie schwieg wieder. „Meine liebe Freundin — denn so darf ich Sie nennen, weil ich Jhr aufrichtiger Freund bin — glauben Sie mir, nirgend ist es besser, ist es sicherer, als im Vaterhaus, als unter den Augen der Mutter.“ „Das weiß ich“, versetzte das Mädchen; „aber bin ich die Erste, die Vater und Mutter verlassen, weil sie den Aeltern nicht immer zur Last fallen, weil sie auch ihren Gang durch die Welt machen wollte?“ Cäcilie wußte recht gut, wie schwer er ihr vor wenig Wochen ge- wesen wäre, dieser Gang durch die Welt! Hatte sie doch den Sinn der Unabhängigkeit vom Vater überkommen, hatte doch der Vater selbst den härtesten Fluch der Armuth den genannt, daß sie die eigenen Kinder in die Sklaverei verstoßen müsse. „Wenn Sie Jhren Aeltern eine Sorge abnehmen wollen, so ist das gewiß löblich“, sagte der Justitiar; „aber die plötzlichen Ent- schlüsse sind nicht gut, wenn das Leben, mehr als das Leben davon abhängt.“ Cäcilie suchte zu lächeln. „Das soll wohl heißen: die irdische und die himmlische Seligkeit — das klingt freilich ernsthaft; zum Glück bin ich noch nicht ent- schlossen.“ „Sie werden dem Zureden des Barons nicht widerstehen“, rief Hammer lebhaft. Cäcilie blickte den Justitiar betroffen an. Wie sie aber wieder sein verständiges Auge so ernst auf sich ruhen sah, da ward ihr dieser strenge Beobachter unheimlich. Von allen Menschen Keinem mochte sie weniger zugestehen, was sie innerlich bewegte. Ein sonder- barer Eifer ward in ihr wach. Wollte sie den Justitiar verstummen machen, wollte sie ihm wehe thun, als sie nun bestimmt und schnell sagte: „Sie haben Recht: ich werde des Barons Bitte erfüllen. Seine Frau ist krank; er kann nicht bei ihr sein, er muß hier bleiben. Jch glaube, wohl zu handeln, wenn ich aller gutgemeinten Abmah- nung zum Trotz ein Amt übernehme, das meinen Kräften angemessen ist. Es giebt leider nicht viele solcher Aemter.“ Bei den letzten Worten hatte sie eine scherzhafte Weise angenom- men. Aber des Justitiars Miene verdüsterte sich. „Sie begeben sich auf einen Boden, den Sie nicht kennen. Hüten Sie Jhre Schritte!“ Sie sagte nichts, sondern schien das Gespräch abbrechen zu wollen. Aber er faßte ihre Hand und drückte sie warm. War es wirklich? Schimmerte sein Auge feucht? Cäcilie wurde gerührt; sie fühlte plötzlich die Scheidewand verschwinden, die sich zwischen ihr und diesem Manne erhoben; sie erinnerte sich, wie wohl ihr sonst das Wesen, das Gespräch dieses Mannes gethan. Da sagte er: „Der Baron hat jetzt vor, hier zu bleiben. Allein er ist wankel- müthig, beherrscht von seinen Launen, und — überhaupt, haben Sie nicht zu großes Vertrauen!“ Das war unwürdig. Wozu brauchte er den Baron, seinen Freund, zu verunglimpfen? War es doch Eifersucht, was den Justitiar trieb? Cäcilie dachte daran nicht zum ersten Mal. Sie gab sich den Schein, Hammers letzte Rede nicht gehört zu haben, sprach noch einige gleichgültige Worte und ging dann. Wohl empfand sie schwer ihr so völlig verändertes Wesen allen Menschen gegenüber. Sonst hatte sie kein unwahres Wort zu sagen gewußt, nichts verheimlicht, nichts beschönigt. Und nun — wie schnell hatte sie Falschheit gelernt, wie wenig kosteten ihr Verstellung und Betrug gegen den Nächsten! Das mußte aufhören. Wenn es nicht aufhörte, so ging sie zu Grunde an innerer Verderbniß, auch ohne ein Unheil von außen. Woher sollte ihr jetzt die Kraft kommen, vor dem Vater offen zu sein? Nein, das gab sie auf. Es blieb nur Eins — die Flucht. Und sie wußte jetzt, welche letzte Lüge sie zu thun hatte. Sie hatte ja ins Angesicht des Justitiars so trefflich gelogen! So mußte denn der alte Moser hören, wie die Tochter längst so schmerzlich von dem Gedanken bedrückt worden sei, daß sie ihre Tage so unnütz und müßig verbringe. Wenn der Vater ihr den edeln Trieb der Freiheit eingeimpft, so habe er sie auch gelehrt, daß Jeder die Pflicht habe, seine Kräfte zu brauchen und für sich und Andere zu wirken. Sie meine, Beides, die Freiheit und die Thätigkeit, ver- binden zu können. Sie habe es schon immer gewollt, und nun biete sich eine zu gute Gelegenheit, als daß sie nicht wenigstens einen Ver- such machen sollte. Heut wisse sie genau, was sie zu gewärtigen habe, und das sei ein seltener Vortheil. Der Baron habe ihr gesagt, daß seine Frau zwar krank, aber herzensgut sei und in ihr die Freundin, keine Dienerin sehen werde; mit guten Büchern, guter Musik werde sie sich beschäftigen, daneben neue Menschen, eine neue Gegend kennen lernen. So werde sie dereinst an Kenntnissen und Erfahrungen reicher zurück- kehren, noch dazu mit der Befriedigung, inzwischen nicht nur sich selbst genützt, sondern auch ein nur allzu sehr beschwertes Dasein liebevoll erleichtert zu haben. Das könne unmöglich den Begriffen des Vaters über die Pflichten der Menschen gegen einander wider- streiten. Er selbst habe ja kaum erst sich zum Heil seiner Mitmen- schen Einrichtungen unterworfen, welche er sonst über Alles gehaßt, sei in den Dienst eines Edelmanns getreten; und mehr nicht, nein, weniger werde von ihr jetzt verlangt. ( Fortsetzung folgt. )

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 32. Berlin, 9. August 1868, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt32_1868/3>, abgerufen am 17.06.2024.