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Sonntags-Blatt. Nr. 32. Berlin, 9. August 1868.

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[Beginn Spaltensatz] den jüngeren Geschwistern die täglich neuen Blüthen gezeigt hatte,
war ihr heut versagt. So vergingen Tage und Wochen. Ein
Schreiben des Barons ließ an seine nahe Ankunft glauben; dann
ward dieselbe durch einen neuen Brief hinausgeschoben. Unerwartet
stand er plötzlich eines Abends in der Stube Mosers.

Er gab Allen die Hand, Cäcilien zuletzt; denn sie lehnte am
Fenster und trat erst näher, als er ihr seinen besondern Gruß dar-
brachte. Für die Kleinen hatte er einige Geschenke, unbedeutend
genug, um die große Empfindlichkeit des Vaters nicht zu reizen.
Cäcilie erhielt nichts. Die Mutter aber machte er scherzend auf-
merksam auf den Diener, den er mitgebracht; es sei ein geschickter,
nützlicher Mensch, aus dessen Erfahrungen und Kenntnissen sich viel
für die Wirthschaft lernen lasse.

"Wir sind ja, Jhrer Meinung nach, lieber Moser, bestimmt, ein-
ander zu rathen und zu helfen."

Nun setzte er sich zu den Uebrigen, erzählte, daß er viel Arbeit
und Mühen durchgemacht und daß er nun für eine längere Zeit hier
zu bleiben hoffe.

"Jch habe bedacht", sagte er, "daß von den Leuten unmöglich
große Anhänglichkeit zu erwarten ist, wenn sich der Gutsherr in vor-
nehmer Entfernung hält. Jch erhole mich in dieser abgeschiedenen
Haidegegend und werde bekannt mit meiner Besitzung und deren Jn-
sassen. Und wenn Sie, meine Freunde", sprach er zu Moser und
dem Justitiar, "wenn Sie sich mit mir vereinigen, so soll es hier so
gut werden, als es eben anf einem Stück Erde möglich ist, dem noch
das Mittelalter anklebt."

Hammer meinte, der Baron setze eine Geduld und Ausdauer bei
sich voraus, welche durch das einförmige Leben auf Hof Twinkhorst
einer starken Prüfung unterzogen werden würde. Darauf erwiderte der
Baron nicht, vielmehr sagte er, es hänge noch sein ganzer hiesiger
Aufenthalt von einer Bedingung ab.

Man fragte ihn nach dieser Bedingung, aber er wollte sie ein
ander Mal mittheilen; denn ihre Erfüllung sei, das könne er nicht
bergen, weder für ihn noch für die Uebrigen ganz unschmerzlich, und
er wolle nicht gleich diesen ersten Tag stören. Die Mienen wurden
bedenklich, doch er lächelte und nahm auf seine rasche Weise Abschied.

Am nächsten Tage kam er schon in der Frühe. Er dankte für
die außerordentliche Freundlichkeit und Geschicklichkeit, womit ihm in-
mitten von Moder und Trümmern eine so behagliche Stätte bereitet
worden. Er sagte Cäcilien die verbindlichsten Worte; aber das
Mädchen erwiderte, sie habe dem Wunsch des Vaters gemäß ge-
handelt. Der Baron schüttelte den Kopf. Warum sie denn so grau-
sam seinen Glauben zerstöre, daß auch ihre eigene Freundschaft einen
Antheil gehabt[unleserliches Material]? Nicht zufällig, habe er gewähnt, sei das Klavier in
die Bethalle gestellt worden, sondern damit er der heiligen Cäcilie
sein Dankopfer spende. Und später, als er allein mit ihr war,
äußerte er:

"Das Uebermaß des Stolzes und der Sprödigkeit verlernt sich.
Jeder muß sich beugen, und wohl dem, der es aus Liebe thut. Jch
bin so stolz gesinnt wie Einer; aber wenn das Herz mir voll ist,
werde ich demüthig wie der Aermste."

Leider sah Cäcilie das nur zu sehr auch für sich bestätigt. Sie
verlernte ihren Stolz und behielt mühsam noch die ruhige Miene,
während sie innerlich die Beute einer räthselhaften Gewalt wurde.
Die Tage verkürzten sich ihr zu Stunden -- zu den Stunden, da er an-
wesend war. Jn der übrigen Zeit hatte für sie das Leben keinen Sinn
mehr. Wohl kämpfte sie, wohl schreckte sie der stille Blick des Ju-
stitiars auf, wohl gedachte sie seiner Worte, daß eine thörichte, eine
verkehrte Liebe beherrscht werden müsse. Aber er hatte ja auch ge-
sagt, daß es keinen Widerstand gebe gegen eine Empfindung, die sich
jedem Maße, jeder verständigen Ueberlegung entziehe!

Ob der Baron sie errieth, ob er in ihr Herz schaute? Sie zweifelte
daran nicht; in Allem was er sprach, was er that, lag ein inniges
Verständniß. Aber sie wußte ihm nicht Dank genug für seine Zart-
heit, seine Zurückhaltung. Er brauchte die Macht nicht, welche er
besaß; er vergaß nie seine und ihre Stellung; er ließ kein Wort ver-
lauten, das sie beschämt hätte. Vater und Mutter wurden ihm stets
geneigter, ohne in seiner häufigen Anwesenheit mehr als das Ver-
gnügen an ihrer Gesellschaft zu erblicken. Der Justitiar freilich war
oft in sonderbar gereizter Laune; doch mochte er das selbst wissen,
denn er kam nur sehr selten, indem er allerlei Arbeiten vorschützte.

Cäcilie war manchmal mit Twinkhorst allein. Sonderbar! Jn
solchen Augenblicken wünschte sie fast, daß er ein allzu kühnes, ein
verletzendes Wort sage. Vielleicht hätte sie sich dann ermannt, hätte
den Muth gefunden, ihm kalt und streng zu begegnen.

Sie standen vor dem Haus unter der Linde, in deren Zweigen
jetzt die Nächte hindurch die Nachtigall sang. Da fragte Twinkhorst
plötzlich und so heftig, als könne er die Antwort nicht erwarten, ob
sie ihm eine Bitte, eine große Bitte erfüllen wolle.

Was hatte er zu erbitten? Cäcilie war entschlossen, Alles, das
Kleinste, zu verweigern.

[Spaltenumbruch]

"Jch habe von einer Bedingung meines Hierbleibens gesprochen;
aber ach! zu lange zögerte ich, sie zu nennen, und nun besteht sie
nicht mehr für mich."

Cäcilie erwartete schweigend die Erklärung dieser dunkeln, leiden-
schaftlich hervorgestoßenen Worte.

"Die Bedingung hieß, daß Sie, während ich hier verweile, fort-
gehen, zu meiner Gattin gehen sollten, welche am Körper und an der
Seele leidet und meine Abwesenheit schwer erträgt."

Cäcilie schaute den Baron mit höchster Befremdung an. Diese Bitte
hatte sie nicht erwartet.

"Sagen Sie nicht, daß meine Stelle dort ist an der Seite der
Frau, an die mich ein allzu unseliges Geschick gefesselt hat! Sie
wissen nichts von den Schatten des Verhängnisses, welches mein
Leben umnachtet. Aber glauben Sie mir, wenn ich Jhnen sage, ich
bin sehr unglücklich!" Nach einer stummen Pause fuhr er ruhiger
fort: "Jch bin hierher gekommmen, weil ich -- so wähnte ich --
unfähig eigenen Glücks, die Absicht hatte, das Glück Anderer zu be-
reiten. Jm Gebiet dieser Gutsherrschaft sollte dereinst, so bildete ich
mir ein, meine Erinnerung fortleben als an ihren elendesten Besitzer,
der aber Segen und Wohlthat wie kein Anderer spendete. Und
auf daß ich zum ersten Mal ungestört durch die Hemmung, die sich
sonst immer in meinen Weg legt, meinem edeln Werk obliegen könne,
ersah ich Sie, Cäcilie, zu meiner Gehülfin. Sie sollten jene Hem-
mung von mir fern halten. Sie sollten bei der Frau weilen, die
mein ganzes Leben zerstört, meinen Muth gebrochen, meine Kraft ge-
lähmt hat. Jhre Mienen sagen, daß Sie mich nicht verstehen. Mö-
gen Sie nie verstehen lernen, was es heißt, ein Opfer sein ohne Liebe.
Seitdem ich recht von mir weiß, weiß ich auch, daß ich an meinem
Fuß eine Kette nachschleppe, an welche man mich geschmiedet hatte,
ehe ich die Freiheit kannte. Diese Kette -- Sie, Cäcilie, sollten sie
mir erleichtern. Sie sollten jenes arme Weib beruhigen und be-
schwichtigen, beschwichtigen vor Allem die wahnsinnige Sucht nach
meiner Nähe, nach mir, der ich nur lebe, wenn ich ihr fern bin!"

Cäcilie hörte ihn schweigend an. Sie wußte zu wenig von des
Barons Geschichte, um ihn völlig zu fassen. Aber der düstere Ernst
seiner Worte, seiner Geberden drang ihr tief ins Herz.

"Der schöne Traum! Als ich Sie sah, das erste Mal sah, über-
kam es mich wie Ahnung eines ungehofften Heils. Jch las in
Jhrem Antlitz eine Theilnahme, welche ich noch nie gefunden, ob ich
auch danach gelechzt mein Leben lang, und mir war, als müßten
Sie wie eine Erlöserin in mein dunkles Leben treten. Als ich dann
geschieden von Jhnen war, stand Jhr Bild, Jhr Bild, Cäcilie, vor
meiner Seele, und meine Seele malte sich jenen schönen Traum aus.
Aber wehe! es ist ein Traum. Wie könnte ich, ich Fluchbeladener,
etwas Anderes bringen als Fluch und Verdammniß? Der Traum
ist eine Lüge! Eine Lüge ist's, daß ich Glück stiften wollte und Frie-
den und Freude! Jch kam hierher, und Jammer und Unsegen haften
an meinen Sohlen -- jetzt weiß ich es."

Er sagte das und starrte vor sich hin, als sähe er das unab-
wendbare Schicksal schon nahen. Zitternd hörte Cäcilie diesen Ausbruch
eines schwerbedrängten Gemüths.

Und er hob wieder an:

"Eine Lüge ist es, daß ich Sie fortschicken wollte von hier, indeß
ich hier bin! Denn um Jhretwillen, Cäcilie, bin ich an diesen Ort
zurückgekehrt. Jhr Bild hat mich hierher gezogen, und anstatt daß
sein reiner Anblick mich von dem Fluche befreit, werde ich Sie in meine
Nacht herabziehen. O Cäcilie", rief er flehend mit herzbewegender
Jnbrunst, "hören Sie mich! Jch weiß, daß ich diese Stätte nicht
verlassen, daß ich nicht mehr von hinnen gehen werde, daß ich bleiben
werde, um dem Schicksal ein Glück abzutrotzen, auf das ich kein
Recht habe, und Pein und Schmach werden das Ende sein. Darum
fliehen Sie, fliehen Sie, bevor es zu spät, bevor der Fluch, der mit
mir wandelt, sich auf Sie herabgewälzt hat und auf das greise
Haupt ihres Vaters!"

Bebend in Todesangst stand das Mädchen. Solche Schrecken
also waren verhüllt unter der stolzen, lächelnden Miene dieses Mannes!
Sie betrachtete ihn wie ein finsteres Unheil, welchem sie nicht schnell
genug entrinnen mochte. Sie wendete sich ab von ihm, aber ihr
Auge sah nichts von der Heiterkeit des Aethers, von dem goldenen
Glanz der Sonne.

"Kehren Sie sich nicht lachend von mir, um meiner Raserei
zu spotten!" rief Twinkhorst. "Heut, heut bin ich noch hellsehend
genug, Sie zu warnen vor mir selber. Heut noch sage ich: fliehen
Sie mich! Heut noch: gehen Sie -- -- und in Wahrheit will ich
doch, daß Sie bleiben, daß -- --"

Er brach ab und that ein Paar Schritte von ihr weg, kam dann
aber wieder und sagte mit plötzlicher Ruhe:

"Jch werde Jhrem Vater meine Bitte vortragen, daß Sie, so
lange ich auf Twinkhorst bin, bei meiner Gattin als Gesellschafterin
oder als Freundin verweilen möchten."

Wirklich sagte am Abend Moser zu seiner Tochter, der Baron habe
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] den jüngeren Geschwistern die täglich neuen Blüthen gezeigt hatte,
war ihr heut versagt. So vergingen Tage und Wochen. Ein
Schreiben des Barons ließ an seine nahe Ankunft glauben; dann
ward dieselbe durch einen neuen Brief hinausgeschoben. Unerwartet
stand er plötzlich eines Abends in der Stube Mosers.

Er gab Allen die Hand, Cäcilien zuletzt; denn sie lehnte am
Fenster und trat erst näher, als er ihr seinen besondern Gruß dar-
brachte. Für die Kleinen hatte er einige Geschenke, unbedeutend
genug, um die große Empfindlichkeit des Vaters nicht zu reizen.
Cäcilie erhielt nichts. Die Mutter aber machte er scherzend auf-
merksam auf den Diener, den er mitgebracht; es sei ein geschickter,
nützlicher Mensch, aus dessen Erfahrungen und Kenntnissen sich viel
für die Wirthschaft lernen lasse.

„Wir sind ja, Jhrer Meinung nach, lieber Moser, bestimmt, ein-
ander zu rathen und zu helfen.“

Nun setzte er sich zu den Uebrigen, erzählte, daß er viel Arbeit
und Mühen durchgemacht und daß er nun für eine längere Zeit hier
zu bleiben hoffe.

„Jch habe bedacht“, sagte er, „daß von den Leuten unmöglich
große Anhänglichkeit zu erwarten ist, wenn sich der Gutsherr in vor-
nehmer Entfernung hält. Jch erhole mich in dieser abgeschiedenen
Haidegegend und werde bekannt mit meiner Besitzung und deren Jn-
sassen. Und wenn Sie, meine Freunde“, sprach er zu Moser und
dem Justitiar, „wenn Sie sich mit mir vereinigen, so soll es hier so
gut werden, als es eben anf einem Stück Erde möglich ist, dem noch
das Mittelalter anklebt.“

Hammer meinte, der Baron setze eine Geduld und Ausdauer bei
sich voraus, welche durch das einförmige Leben auf Hof Twinkhorst
einer starken Prüfung unterzogen werden würde. Darauf erwiderte der
Baron nicht, vielmehr sagte er, es hänge noch sein ganzer hiesiger
Aufenthalt von einer Bedingung ab.

Man fragte ihn nach dieser Bedingung, aber er wollte sie ein
ander Mal mittheilen; denn ihre Erfüllung sei, das könne er nicht
bergen, weder für ihn noch für die Uebrigen ganz unschmerzlich, und
er wolle nicht gleich diesen ersten Tag stören. Die Mienen wurden
bedenklich, doch er lächelte und nahm auf seine rasche Weise Abschied.

Am nächsten Tage kam er schon in der Frühe. Er dankte für
die außerordentliche Freundlichkeit und Geschicklichkeit, womit ihm in-
mitten von Moder und Trümmern eine so behagliche Stätte bereitet
worden. Er sagte Cäcilien die verbindlichsten Worte; aber das
Mädchen erwiderte, sie habe dem Wunsch des Vaters gemäß ge-
handelt. Der Baron schüttelte den Kopf. Warum sie denn so grau-
sam seinen Glauben zerstöre, daß auch ihre eigene Freundschaft einen
Antheil gehabt[unleserliches Material]? Nicht zufällig, habe er gewähnt, sei das Klavier in
die Bethalle gestellt worden, sondern damit er der heiligen Cäcilie
sein Dankopfer spende. Und später, als er allein mit ihr war,
äußerte er:

„Das Uebermaß des Stolzes und der Sprödigkeit verlernt sich.
Jeder muß sich beugen, und wohl dem, der es aus Liebe thut. Jch
bin so stolz gesinnt wie Einer; aber wenn das Herz mir voll ist,
werde ich demüthig wie der Aermste.“

Leider sah Cäcilie das nur zu sehr auch für sich bestätigt. Sie
verlernte ihren Stolz und behielt mühsam noch die ruhige Miene,
während sie innerlich die Beute einer räthselhaften Gewalt wurde.
Die Tage verkürzten sich ihr zu Stunden — zu den Stunden, da er an-
wesend war. Jn der übrigen Zeit hatte für sie das Leben keinen Sinn
mehr. Wohl kämpfte sie, wohl schreckte sie der stille Blick des Ju-
stitiars auf, wohl gedachte sie seiner Worte, daß eine thörichte, eine
verkehrte Liebe beherrscht werden müsse. Aber er hatte ja auch ge-
sagt, daß es keinen Widerstand gebe gegen eine Empfindung, die sich
jedem Maße, jeder verständigen Ueberlegung entziehe!

Ob der Baron sie errieth, ob er in ihr Herz schaute? Sie zweifelte
daran nicht; in Allem was er sprach, was er that, lag ein inniges
Verständniß. Aber sie wußte ihm nicht Dank genug für seine Zart-
heit, seine Zurückhaltung. Er brauchte die Macht nicht, welche er
besaß; er vergaß nie seine und ihre Stellung; er ließ kein Wort ver-
lauten, das sie beschämt hätte. Vater und Mutter wurden ihm stets
geneigter, ohne in seiner häufigen Anwesenheit mehr als das Ver-
gnügen an ihrer Gesellschaft zu erblicken. Der Justitiar freilich war
oft in sonderbar gereizter Laune; doch mochte er das selbst wissen,
denn er kam nur sehr selten, indem er allerlei Arbeiten vorschützte.

Cäcilie war manchmal mit Twinkhorst allein. Sonderbar! Jn
solchen Augenblicken wünschte sie fast, daß er ein allzu kühnes, ein
verletzendes Wort sage. Vielleicht hätte sie sich dann ermannt, hätte
den Muth gefunden, ihm kalt und streng zu begegnen.

Sie standen vor dem Haus unter der Linde, in deren Zweigen
jetzt die Nächte hindurch die Nachtigall sang. Da fragte Twinkhorst
plötzlich und so heftig, als könne er die Antwort nicht erwarten, ob
sie ihm eine Bitte, eine große Bitte erfüllen wolle.

Was hatte er zu erbitten? Cäcilie war entschlossen, Alles, das
Kleinste, zu verweigern.

[Spaltenumbruch]

„Jch habe von einer Bedingung meines Hierbleibens gesprochen;
aber ach! zu lange zögerte ich, sie zu nennen, und nun besteht sie
nicht mehr für mich.“

Cäcilie erwartete schweigend die Erklärung dieser dunkeln, leiden-
schaftlich hervorgestoßenen Worte.

„Die Bedingung hieß, daß Sie, während ich hier verweile, fort-
gehen, zu meiner Gattin gehen sollten, welche am Körper und an der
Seele leidet und meine Abwesenheit schwer erträgt.“

Cäcilie schaute den Baron mit höchster Befremdung an. Diese Bitte
hatte sie nicht erwartet.

„Sagen Sie nicht, daß meine Stelle dort ist an der Seite der
Frau, an die mich ein allzu unseliges Geschick gefesselt hat! Sie
wissen nichts von den Schatten des Verhängnisses, welches mein
Leben umnachtet. Aber glauben Sie mir, wenn ich Jhnen sage, ich
bin sehr unglücklich!“ Nach einer stummen Pause fuhr er ruhiger
fort: „Jch bin hierher gekommmen, weil ich — so wähnte ich —
unfähig eigenen Glücks, die Absicht hatte, das Glück Anderer zu be-
reiten. Jm Gebiet dieser Gutsherrschaft sollte dereinst, so bildete ich
mir ein, meine Erinnerung fortleben als an ihren elendesten Besitzer,
der aber Segen und Wohlthat wie kein Anderer spendete. Und
auf daß ich zum ersten Mal ungestört durch die Hemmung, die sich
sonst immer in meinen Weg legt, meinem edeln Werk obliegen könne,
ersah ich Sie, Cäcilie, zu meiner Gehülfin. Sie sollten jene Hem-
mung von mir fern halten. Sie sollten bei der Frau weilen, die
mein ganzes Leben zerstört, meinen Muth gebrochen, meine Kraft ge-
lähmt hat. Jhre Mienen sagen, daß Sie mich nicht verstehen. Mö-
gen Sie nie verstehen lernen, was es heißt, ein Opfer sein ohne Liebe.
Seitdem ich recht von mir weiß, weiß ich auch, daß ich an meinem
Fuß eine Kette nachschleppe, an welche man mich geschmiedet hatte,
ehe ich die Freiheit kannte. Diese Kette — Sie, Cäcilie, sollten sie
mir erleichtern. Sie sollten jenes arme Weib beruhigen und be-
schwichtigen, beschwichtigen vor Allem die wahnsinnige Sucht nach
meiner Nähe, nach mir, der ich nur lebe, wenn ich ihr fern bin!“

Cäcilie hörte ihn schweigend an. Sie wußte zu wenig von des
Barons Geschichte, um ihn völlig zu fassen. Aber der düstere Ernst
seiner Worte, seiner Geberden drang ihr tief ins Herz.

„Der schöne Traum! Als ich Sie sah, das erste Mal sah, über-
kam es mich wie Ahnung eines ungehofften Heils. Jch las in
Jhrem Antlitz eine Theilnahme, welche ich noch nie gefunden, ob ich
auch danach gelechzt mein Leben lang, und mir war, als müßten
Sie wie eine Erlöserin in mein dunkles Leben treten. Als ich dann
geschieden von Jhnen war, stand Jhr Bild, Jhr Bild, Cäcilie, vor
meiner Seele, und meine Seele malte sich jenen schönen Traum aus.
Aber wehe! es ist ein Traum. Wie könnte ich, ich Fluchbeladener,
etwas Anderes bringen als Fluch und Verdammniß? Der Traum
ist eine Lüge! Eine Lüge ist's, daß ich Glück stiften wollte und Frie-
den und Freude! Jch kam hierher, und Jammer und Unsegen haften
an meinen Sohlen — jetzt weiß ich es.“

Er sagte das und starrte vor sich hin, als sähe er das unab-
wendbare Schicksal schon nahen. Zitternd hörte Cäcilie diesen Ausbruch
eines schwerbedrängten Gemüths.

Und er hob wieder an:

„Eine Lüge ist es, daß ich Sie fortschicken wollte von hier, indeß
ich hier bin! Denn um Jhretwillen, Cäcilie, bin ich an diesen Ort
zurückgekehrt. Jhr Bild hat mich hierher gezogen, und anstatt daß
sein reiner Anblick mich von dem Fluche befreit, werde ich Sie in meine
Nacht herabziehen. O Cäcilie“, rief er flehend mit herzbewegender
Jnbrunst, „hören Sie mich! Jch weiß, daß ich diese Stätte nicht
verlassen, daß ich nicht mehr von hinnen gehen werde, daß ich bleiben
werde, um dem Schicksal ein Glück abzutrotzen, auf das ich kein
Recht habe, und Pein und Schmach werden das Ende sein. Darum
fliehen Sie, fliehen Sie, bevor es zu spät, bevor der Fluch, der mit
mir wandelt, sich auf Sie herabgewälzt hat und auf das greise
Haupt ihres Vaters!“

Bebend in Todesangst stand das Mädchen. Solche Schrecken
also waren verhüllt unter der stolzen, lächelnden Miene dieses Mannes!
Sie betrachtete ihn wie ein finsteres Unheil, welchem sie nicht schnell
genug entrinnen mochte. Sie wendete sich ab von ihm, aber ihr
Auge sah nichts von der Heiterkeit des Aethers, von dem goldenen
Glanz der Sonne.

„Kehren Sie sich nicht lachend von mir, um meiner Raserei
zu spotten!“ rief Twinkhorst. „Heut, heut bin ich noch hellsehend
genug, Sie zu warnen vor mir selber. Heut noch sage ich: fliehen
Sie mich! Heut noch: gehen Sie — — und in Wahrheit will ich
doch, daß Sie bleiben, daß — —“

Er brach ab und that ein Paar Schritte von ihr weg, kam dann
aber wieder und sagte mit plötzlicher Ruhe:

„Jch werde Jhrem Vater meine Bitte vortragen, daß Sie, so
lange ich auf Twinkhorst bin, bei meiner Gattin als Gesellschafterin
oder als Freundin verweilen möchten.“

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[Ende Spaltensatz]

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[250/0002] 250 den jüngeren Geschwistern die täglich neuen Blüthen gezeigt hatte, war ihr heut versagt. So vergingen Tage und Wochen. Ein Schreiben des Barons ließ an seine nahe Ankunft glauben; dann ward dieselbe durch einen neuen Brief hinausgeschoben. Unerwartet stand er plötzlich eines Abends in der Stube Mosers. Er gab Allen die Hand, Cäcilien zuletzt; denn sie lehnte am Fenster und trat erst näher, als er ihr seinen besondern Gruß dar- brachte. Für die Kleinen hatte er einige Geschenke, unbedeutend genug, um die große Empfindlichkeit des Vaters nicht zu reizen. Cäcilie erhielt nichts. Die Mutter aber machte er scherzend auf- merksam auf den Diener, den er mitgebracht; es sei ein geschickter, nützlicher Mensch, aus dessen Erfahrungen und Kenntnissen sich viel für die Wirthschaft lernen lasse. „Wir sind ja, Jhrer Meinung nach, lieber Moser, bestimmt, ein- ander zu rathen und zu helfen.“ Nun setzte er sich zu den Uebrigen, erzählte, daß er viel Arbeit und Mühen durchgemacht und daß er nun für eine längere Zeit hier zu bleiben hoffe. „Jch habe bedacht“, sagte er, „daß von den Leuten unmöglich große Anhänglichkeit zu erwarten ist, wenn sich der Gutsherr in vor- nehmer Entfernung hält. Jch erhole mich in dieser abgeschiedenen Haidegegend und werde bekannt mit meiner Besitzung und deren Jn- sassen. Und wenn Sie, meine Freunde“, sprach er zu Moser und dem Justitiar, „wenn Sie sich mit mir vereinigen, so soll es hier so gut werden, als es eben anf einem Stück Erde möglich ist, dem noch das Mittelalter anklebt.“ Hammer meinte, der Baron setze eine Geduld und Ausdauer bei sich voraus, welche durch das einförmige Leben auf Hof Twinkhorst einer starken Prüfung unterzogen werden würde. Darauf erwiderte der Baron nicht, vielmehr sagte er, es hänge noch sein ganzer hiesiger Aufenthalt von einer Bedingung ab. Man fragte ihn nach dieser Bedingung, aber er wollte sie ein ander Mal mittheilen; denn ihre Erfüllung sei, das könne er nicht bergen, weder für ihn noch für die Uebrigen ganz unschmerzlich, und er wolle nicht gleich diesen ersten Tag stören. Die Mienen wurden bedenklich, doch er lächelte und nahm auf seine rasche Weise Abschied. Am nächsten Tage kam er schon in der Frühe. Er dankte für die außerordentliche Freundlichkeit und Geschicklichkeit, womit ihm in- mitten von Moder und Trümmern eine so behagliche Stätte bereitet worden. Er sagte Cäcilien die verbindlichsten Worte; aber das Mädchen erwiderte, sie habe dem Wunsch des Vaters gemäß ge- handelt. Der Baron schüttelte den Kopf. Warum sie denn so grau- sam seinen Glauben zerstöre, daß auch ihre eigene Freundschaft einen Antheil gehabt_ ? Nicht zufällig, habe er gewähnt, sei das Klavier in die Bethalle gestellt worden, sondern damit er der heiligen Cäcilie sein Dankopfer spende. Und später, als er allein mit ihr war, äußerte er: „Das Uebermaß des Stolzes und der Sprödigkeit verlernt sich. Jeder muß sich beugen, und wohl dem, der es aus Liebe thut. Jch bin so stolz gesinnt wie Einer; aber wenn das Herz mir voll ist, werde ich demüthig wie der Aermste.“ Leider sah Cäcilie das nur zu sehr auch für sich bestätigt. Sie verlernte ihren Stolz und behielt mühsam noch die ruhige Miene, während sie innerlich die Beute einer räthselhaften Gewalt wurde. Die Tage verkürzten sich ihr zu Stunden — zu den Stunden, da er an- wesend war. Jn der übrigen Zeit hatte für sie das Leben keinen Sinn mehr. Wohl kämpfte sie, wohl schreckte sie der stille Blick des Ju- stitiars auf, wohl gedachte sie seiner Worte, daß eine thörichte, eine verkehrte Liebe beherrscht werden müsse. Aber er hatte ja auch ge- sagt, daß es keinen Widerstand gebe gegen eine Empfindung, die sich jedem Maße, jeder verständigen Ueberlegung entziehe! Ob der Baron sie errieth, ob er in ihr Herz schaute? Sie zweifelte daran nicht; in Allem was er sprach, was er that, lag ein inniges Verständniß. Aber sie wußte ihm nicht Dank genug für seine Zart- heit, seine Zurückhaltung. Er brauchte die Macht nicht, welche er besaß; er vergaß nie seine und ihre Stellung; er ließ kein Wort ver- lauten, das sie beschämt hätte. Vater und Mutter wurden ihm stets geneigter, ohne in seiner häufigen Anwesenheit mehr als das Ver- gnügen an ihrer Gesellschaft zu erblicken. Der Justitiar freilich war oft in sonderbar gereizter Laune; doch mochte er das selbst wissen, denn er kam nur sehr selten, indem er allerlei Arbeiten vorschützte. Cäcilie war manchmal mit Twinkhorst allein. Sonderbar! Jn solchen Augenblicken wünschte sie fast, daß er ein allzu kühnes, ein verletzendes Wort sage. Vielleicht hätte sie sich dann ermannt, hätte den Muth gefunden, ihm kalt und streng zu begegnen. Sie standen vor dem Haus unter der Linde, in deren Zweigen jetzt die Nächte hindurch die Nachtigall sang. Da fragte Twinkhorst plötzlich und so heftig, als könne er die Antwort nicht erwarten, ob sie ihm eine Bitte, eine große Bitte erfüllen wolle. Was hatte er zu erbitten? Cäcilie war entschlossen, Alles, das Kleinste, zu verweigern. „Jch habe von einer Bedingung meines Hierbleibens gesprochen; aber ach! zu lange zögerte ich, sie zu nennen, und nun besteht sie nicht mehr für mich.“ Cäcilie erwartete schweigend die Erklärung dieser dunkeln, leiden- schaftlich hervorgestoßenen Worte. „Die Bedingung hieß, daß Sie, während ich hier verweile, fort- gehen, zu meiner Gattin gehen sollten, welche am Körper und an der Seele leidet und meine Abwesenheit schwer erträgt.“ Cäcilie schaute den Baron mit höchster Befremdung an. Diese Bitte hatte sie nicht erwartet. „Sagen Sie nicht, daß meine Stelle dort ist an der Seite der Frau, an die mich ein allzu unseliges Geschick gefesselt hat! Sie wissen nichts von den Schatten des Verhängnisses, welches mein Leben umnachtet. Aber glauben Sie mir, wenn ich Jhnen sage, ich bin sehr unglücklich!“ Nach einer stummen Pause fuhr er ruhiger fort: „Jch bin hierher gekommmen, weil ich — so wähnte ich — unfähig eigenen Glücks, die Absicht hatte, das Glück Anderer zu be- reiten. Jm Gebiet dieser Gutsherrschaft sollte dereinst, so bildete ich mir ein, meine Erinnerung fortleben als an ihren elendesten Besitzer, der aber Segen und Wohlthat wie kein Anderer spendete. Und auf daß ich zum ersten Mal ungestört durch die Hemmung, die sich sonst immer in meinen Weg legt, meinem edeln Werk obliegen könne, ersah ich Sie, Cäcilie, zu meiner Gehülfin. Sie sollten jene Hem- mung von mir fern halten. Sie sollten bei der Frau weilen, die mein ganzes Leben zerstört, meinen Muth gebrochen, meine Kraft ge- lähmt hat. Jhre Mienen sagen, daß Sie mich nicht verstehen. Mö- gen Sie nie verstehen lernen, was es heißt, ein Opfer sein ohne Liebe. Seitdem ich recht von mir weiß, weiß ich auch, daß ich an meinem Fuß eine Kette nachschleppe, an welche man mich geschmiedet hatte, ehe ich die Freiheit kannte. Diese Kette — Sie, Cäcilie, sollten sie mir erleichtern. Sie sollten jenes arme Weib beruhigen und be- schwichtigen, beschwichtigen vor Allem die wahnsinnige Sucht nach meiner Nähe, nach mir, der ich nur lebe, wenn ich ihr fern bin!“ Cäcilie hörte ihn schweigend an. Sie wußte zu wenig von des Barons Geschichte, um ihn völlig zu fassen. Aber der düstere Ernst seiner Worte, seiner Geberden drang ihr tief ins Herz. „Der schöne Traum! Als ich Sie sah, das erste Mal sah, über- kam es mich wie Ahnung eines ungehofften Heils. Jch las in Jhrem Antlitz eine Theilnahme, welche ich noch nie gefunden, ob ich auch danach gelechzt mein Leben lang, und mir war, als müßten Sie wie eine Erlöserin in mein dunkles Leben treten. Als ich dann geschieden von Jhnen war, stand Jhr Bild, Jhr Bild, Cäcilie, vor meiner Seele, und meine Seele malte sich jenen schönen Traum aus. Aber wehe! es ist ein Traum. Wie könnte ich, ich Fluchbeladener, etwas Anderes bringen als Fluch und Verdammniß? Der Traum ist eine Lüge! Eine Lüge ist's, daß ich Glück stiften wollte und Frie- den und Freude! Jch kam hierher, und Jammer und Unsegen haften an meinen Sohlen — jetzt weiß ich es.“ Er sagte das und starrte vor sich hin, als sähe er das unab- wendbare Schicksal schon nahen. Zitternd hörte Cäcilie diesen Ausbruch eines schwerbedrängten Gemüths. Und er hob wieder an: „Eine Lüge ist es, daß ich Sie fortschicken wollte von hier, indeß ich hier bin! Denn um Jhretwillen, Cäcilie, bin ich an diesen Ort zurückgekehrt. Jhr Bild hat mich hierher gezogen, und anstatt daß sein reiner Anblick mich von dem Fluche befreit, werde ich Sie in meine Nacht herabziehen. O Cäcilie“, rief er flehend mit herzbewegender Jnbrunst, „hören Sie mich! Jch weiß, daß ich diese Stätte nicht verlassen, daß ich nicht mehr von hinnen gehen werde, daß ich bleiben werde, um dem Schicksal ein Glück abzutrotzen, auf das ich kein Recht habe, und Pein und Schmach werden das Ende sein. Darum fliehen Sie, fliehen Sie, bevor es zu spät, bevor der Fluch, der mit mir wandelt, sich auf Sie herabgewälzt hat und auf das greise Haupt ihres Vaters!“ Bebend in Todesangst stand das Mädchen. Solche Schrecken also waren verhüllt unter der stolzen, lächelnden Miene dieses Mannes! Sie betrachtete ihn wie ein finsteres Unheil, welchem sie nicht schnell genug entrinnen mochte. Sie wendete sich ab von ihm, aber ihr Auge sah nichts von der Heiterkeit des Aethers, von dem goldenen Glanz der Sonne. „Kehren Sie sich nicht lachend von mir, um meiner Raserei zu spotten!“ rief Twinkhorst. „Heut, heut bin ich noch hellsehend genug, Sie zu warnen vor mir selber. Heut noch sage ich: fliehen Sie mich! Heut noch: gehen Sie — — und in Wahrheit will ich doch, daß Sie bleiben, daß — —“ Er brach ab und that ein Paar Schritte von ihr weg, kam dann aber wieder und sagte mit plötzlicher Ruhe: „Jch werde Jhrem Vater meine Bitte vortragen, daß Sie, so lange ich auf Twinkhorst bin, bei meiner Gattin als Gesellschafterin oder als Freundin verweilen möchten.“ Wirklich sagte am Abend Moser zu seiner Tochter, der Baron habe

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 32. Berlin, 9. August 1868, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt32_1868/2>, abgerufen am 14.08.2024.