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Sonntags-Blatt. Nr. 20. Berlin, 17. Mai 1868.

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[Beginn Spaltensatz] fremden Menschen nicht anvertrauen, was ich auf dem Herzen habe!
Wir sprachen recht gleichgültig mit einander."

"Sprach er nicht von gewissen Gefühlen, welche er für ein Fräulein
Marie hege?" fragte die Braut weiter, und in dem Ton, mit welchem
gefragt wurde, lag viel Jronie.

Marie merkte es nicht; sie wurde wieder roth und verlegen und
erwiderte hastig:

"Nein, das that er nicht. Es wäre auch recht unbescheiden ge-
wesen, gleich beim ersten Zusammentreffen über so etwas zu sprechen.
Jch bin ihm recht dankbar dafür, daß er es nicht that."

Das Gespräch wurde unterbrochen, da die Musik wieder begann.
Marie wurde von ihrem Platz geholt, und die Braut hing sich an
den Arm des herantretenden Assessors und sprach diesem ihre Be-
friedigung über die erste Begegnung aus.

Es war eine geschickte Jntrigue, welche sie da spann. Der
Assessor hatte sie um Rath gefragt wegen seines Freundes, den er
verheirathen wollte. Jhre Wahl war gemeinschaftlich auf Marie ge-
fallen, welche sie als ein hübsches und -- was für den Arzt von Werth
sein mußte -- sehr vermögendes Mädchen kannten. Jhre Unbefangen-
heit und Lebendigkeit mußten dem Doktor gefallen. Der Assessor
hatte seine Aufgabe erfüllt, er hatte seinen Freund aufmerksam ge-
macht. Mit viel größerem Geschick aber hatte seine Braut gearbeitet.
Sie wußte, daß Marie im väterlichen Hause sich nicht wohl fühle.
Daran hatte sie ihren Plan geknüpft. Sie müsse sich verheirathen,
und dazu habe sie jetzt die beste Gelegenheit. Ja, besser könnte sie
sie gar nicht finden. Sie Beide müßten die besten Freundinnen, so
lange sie lebten, bleiben; sie würde an ihr -- und dabei umarmte sie
die arglose Marie -- stets die Stütze haben, welche sie an ihrem
Vater nicht fände. Ja, ja, sie als Freundin wolle ihr Etwas im
Vertrauen mittheilen! Der Doktor Sander sei der beste Freund ihres
Bräutigams. Ob sie ihn kenne? Die Frage wurde verneint. Ge-
wiß, sie müsse ihn kennen, er sei ihr schon oft begegnet, selbst in
ihrer Gesellschaft.

"Dieser" -- und nun bog sie sich zu ihr und sprach mit leiser
Stimme, denn sie fürchtete sich vor ihrer eigenen Lüge, -- "ist in Dich
verliebt, Marie. Er hat es mir selbst gestanden. Und er wird um
Dich anhalten, sobald er hoffen kann, daß Du einwilligst."

So hatte sie die Schlinge geschickt gelegt. Marie hatte mit dem
größten Jnteresse den Augenblick erwartet, wo sie den Betreffenden
zuerst erblicken sollte, und die erste Musterung war günstig aus-
gefallen.

Jm Laufe des Abends hatte sie dann noch öfter Gelegenheit, mit
dem Arzt zu sprechen. Dieser schien sich um nichts, als um sie zu
kümmern; er tanzte mit keiner andern Dame und beim Souper
aß er an ihrer Seite. Sie wurden bald gute Bekannte. Jhm gefiel
die naive Weltanschauung des Mädchens, welche sie so zuversichtlich
aussprach, und er zeigte sich in solcher Weise theilnehmend, daß sie voll-
ständig versichert war, die Andeutungen ihrer Freundin seien wahr.
Als er sie nun am Ende des Balls an den Wagen geleitete und mit
herzlichen Worten Abschied nahm, bezeigte ihm ein freundlicher Druck
der Hand, daß sie sich wirklich über diesen Abend glücklich fühle, wie
er es gewünscht hatte. Jn ihrem einsamen Schlafzimmer aber setzte
sie sich auf das Sopha und dachte noch lange mit ihrem kleinen
Kopf nach und brachte ihr langes braunes Haar mit ihren Händen
in große Unordnung und lächelte und weinte und war unendlich
froh, geliebt zu sein.

Der Doktor hatte Abschied vom Assessor und seiner Braut ge-
nommen und versprochen, am andern Morgen zum Frühstück im
Hause der Braut zu erscheinen. Er wurde mißvergnügt, als er an
die frische Luft kam und die Aufregung des Ballsaals hinter sich hatte.
Wie ein Kind fühlte er sich, das man führen könne, wohin es Einem
beliebe. War er nicht wider seinen Willen an dies Mädchen gedrängt
worden? Und er hatte nichts gethan, um sich zu widersetzen; im Gegen-
theil, er war immer mehr auf die Fährte gekommen, die ihm vor-
geschrieben war! Wußte er denn, wer das Mädchen war, an das er
sich diesen Abend fast gebunden hätte? Er hatte sie früher noch nie
gesehen; er kannte nicht die Verhältnisse, in denen sie aufgezogen war,
und doch war er blind ihren Fußstapfen gefolgt.

Mit solchen Vorwürfen kam er in seine Wohnung. Auch er
stützte den Kopf auf die Hand, als er auf dem Sopha saß, und
ließ an sich die Vorgänge des Abends vorübergleiten; immer wieder
trat die schöne Erscheinung vor seine Augen, und als er matt sich auf
das Bett warf, geleitete sie ihn aus dem Wachen zum Schlaf.

Des andern Morgens folgte eine lange Berathung, bei welcher
die Braut den Vorsitz führte. Der Assessor beschränkte sich bei der
Diskussion darauf, die Unabweisbarkeit eines Ehebündnisses dar-
zulegen. Die Braut dagegen bestürmte den armen Doktor so lange,
daß er endlich gestehen mußte, er sei in ihre Freundin verliebt, und
daß er die Zusage gab, um sie anhalten zu wollen. Als er so weit
unterlegen war, mußte er denn auch den letzten Schritt thun und ver-
sprechen, heut noch den Antrag zu machen. Es wurde ihm ver-
[Spaltenumbruch] sichert, daß kein Hinderniß bestehe, und daß er dreist als Freier auf-
treten dürfe.

Mit tiefer Unruhe im Herzen mußte er dann den Gang zu seiner
Patientin machen, an die er die letzten Stunden nicht mehr gedacht
hatte. Er fand das Mädchen noch immer in den Kissen vergraben
und von heftigem Fieber geschüttelt. Als er aber sich überzeugt hatte,
daß der Zustand wenigstens nicht schlimmer geworden sei, gab er
schnell seine Verordnungen und ging. Der Vater hatte sich während
seines Besuches nicht im Zimmer gezeigt, nur die Haushälterin be-
obachtete ihn.

So hatte er seiner Pflicht heut Genüge gethan, und er bereitete
sich nun für den Gang zum Banquier vor.

Vor der Stadt, in geringer Entfernnug, lag das Haus des Ban-
quiers in einem schönen Garten. Obgleich noch nicht die Blumen in
demselben prangten, sah man dennoch ihm sowohl als dem Hause an,
daß hier ein reicher Mann Geld und Zeit darauf verwandt habe, sich
einen schönen Wohnsitz zu schaffen. Als der Doktor den Griff zur Glocke
in die Hand nahm, fühlte er erst ganz seine innere Beklemmung;
doch rasch entschlossen that er einen starken Ruck und -- er war ein-
gelassen. Es wurde ihm leichter gemacht, als er gedacht hatte.
Fräulein Marie empfing ihn im Wohnzimmer, und nach den ersten
Begrüßungen wurden Beide immer mehr verlegen, bis er, sich
ermannend, seine Sache vorbrachte. Eine halbe Zusage wurde ihm
gegeben und er an den Vater verwiesen, der kurz darauf ins Haus trat
und, von seiner Tochter unterrichtet, seinen künftigen Schwiegersohn
auf das freundlichste empfing.

Nach einigen Stunden saßen der Banquier und der Doktor bei
einer Flasche Wein allein im Zimmer. Der Banquier nahm dabei
Anlaß, ihm von der Mitgift seiner Braut zu sprechen. Ludwig war
überrascht, als er fand, daß der Banquier auf das freigebigste für
das Schicksal seiner Tochter sorgte. Er wies ihn darauf hin, daß
seine Tochter sein einziges Kind sei und Niemand weiter Ansprüche
an ihn machen könne. Mit erregter Stimme bat er ihn, für sein
Kind ein zärtlicher Gatte zu sein. Sie sei noch sehr jung, und Man-
ches möge ihr von dem abgehen, was er, als erfahrener Mann, von
einer Frau fordern könne; aber ihr frischer Geist und ihr vortreff-
licher Charakter werde bei guter Führung alles Fehlende ergänzen.
Als der Doktor darauf geantwortet hatte, entstand eine längere Pause.
Der Banquier ging mit schnellen Schritten in der Stube auf und
ab, dann hielt er mit einem Mal zögernd an und wandte sich wieder
an den Doktor.

"Jch bin Jhnen noch eine Erklärung schuldig. Ein Gerücht,
welches sich in der Stadt verbreitet hat, wird auch Jhnen wohl zu
Ohren gekommen sein. Man beschuldigt mich, daß ich meine Tochter
von mir fern halte. Gewiß -- versuchen Sie nicht, es zu entkräften
-- das Gerücht besteht, und wenn Sie es noch nicht wissen sollten,
so giebt es boshafte Menschen, die es Jhnen sofort mitzutheilen be-
strebt sein werden. Jnwiefern es begründet ist, werden Sie selbst,
der Sie von nun an der Freund meines Hauses sind, beurtheilen können.
Aber ich will Jhnen den Grund des Gerüchts aufdecken. Meine
Gattin ist vor mehreren Jahren gestorben und hat mir dies einzige
Kind hinterlassen. Unsere Ehe war keine glückliche. Theilweise lag
die Schuld an mir selbst". Der Banquier stockte. Dann aber, in-
dem er mit der Hand über die Augen fuhr, gleich als ob er einen
Schatten aus seinem Gesicht bannen wolle, fuhr er fort: "Erlebnisse
früherer Zeit waren die Ursache davon. Jch kann Jhnen darüber
nichts mittheilen; aber ich kann versichern, daß viele Stunden
meiner Mannesjahre durch das Andenken an dieselben getrübt worden
sind. Jetzt freilich bin ich fast ein Greis, und jetzt erst beginne ich,
ruhig über jene Zeiten nachzudenken. Doch genug davon. Jch kam
nach vielen Jahren hierher zurück zu der Zeit, als mein Vater starb.
Er hinterließ mir ein blühendes Geschäft und ein großes Vermögen.
Nachdem ich mich wieder in das Leben, wie es hier gebräuchlich ist,
gefunden hatte, wurde ich bestürmt, eine Frau zu nehmen und dadurch
mein Haus den Familien zu öffnen. Nach langem Zögern that ich
es. Jch heirathete nicht aus Neigung, sondern lediglich, um nicht
dem Umgang der Menschen mich zu entziehen, wozu ich damals große
Lust hatte und was, wie ich wohl einsah, für den Geschäftsmann
vieles Mißliche hatte. Meine Ehe blieb eine förmliche; kein Zug
des Herzens knüpfte Mann und Frau zusammen. Jch suchte allmälig
in heiterer Geselligkeit manches Frühere zu vergessen; meine Frau
theilte nicht mein Verlangen und meine Vergnügungen. Das Kind,
welches sie gebar, überließ ich ihr ganz, da sie es argwöhnisch selbst
von mir zurückzuhalten pflegte. Als es herangewachsen war, starb die
Mutter. Was sollte ich nun mit dem Kinde, das ich kaum kannte,
anfangen? Jch entschloß mich, es in eine gute Pension zu schicken
und dort ausbilden zu lassen. Vielleicht hatte an diesem Entschluß
Theil, daß ich mein Hauswesen nicht ändern und mich in meiner ge-
wohnten Lebensweise nicht stören lassen wollte. So ging das Mädchen
als ein fremdes von mir fort, und noch fremder kehrte es zu mir
zurück. Die Zeit seit der Rückkehr ist nur eine kurze, und noch ist
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] fremden Menschen nicht anvertrauen, was ich auf dem Herzen habe!
Wir sprachen recht gleichgültig mit einander.“

„Sprach er nicht von gewissen Gefühlen, welche er für ein Fräulein
Marie hege?“ fragte die Braut weiter, und in dem Ton, mit welchem
gefragt wurde, lag viel Jronie.

Marie merkte es nicht; sie wurde wieder roth und verlegen und
erwiderte hastig:

„Nein, das that er nicht. Es wäre auch recht unbescheiden ge-
wesen, gleich beim ersten Zusammentreffen über so etwas zu sprechen.
Jch bin ihm recht dankbar dafür, daß er es nicht that.“

Das Gespräch wurde unterbrochen, da die Musik wieder begann.
Marie wurde von ihrem Platz geholt, und die Braut hing sich an
den Arm des herantretenden Assessors und sprach diesem ihre Be-
friedigung über die erste Begegnung aus.

Es war eine geschickte Jntrigue, welche sie da spann. Der
Assessor hatte sie um Rath gefragt wegen seines Freundes, den er
verheirathen wollte. Jhre Wahl war gemeinschaftlich auf Marie ge-
fallen, welche sie als ein hübsches und — was für den Arzt von Werth
sein mußte — sehr vermögendes Mädchen kannten. Jhre Unbefangen-
heit und Lebendigkeit mußten dem Doktor gefallen. Der Assessor
hatte seine Aufgabe erfüllt, er hatte seinen Freund aufmerksam ge-
macht. Mit viel größerem Geschick aber hatte seine Braut gearbeitet.
Sie wußte, daß Marie im väterlichen Hause sich nicht wohl fühle.
Daran hatte sie ihren Plan geknüpft. Sie müsse sich verheirathen,
und dazu habe sie jetzt die beste Gelegenheit. Ja, besser könnte sie
sie gar nicht finden. Sie Beide müßten die besten Freundinnen, so
lange sie lebten, bleiben; sie würde an ihr — und dabei umarmte sie
die arglose Marie — stets die Stütze haben, welche sie an ihrem
Vater nicht fände. Ja, ja, sie als Freundin wolle ihr Etwas im
Vertrauen mittheilen! Der Doktor Sander sei der beste Freund ihres
Bräutigams. Ob sie ihn kenne? Die Frage wurde verneint. Ge-
wiß, sie müsse ihn kennen, er sei ihr schon oft begegnet, selbst in
ihrer Gesellschaft.

„Dieser“ — und nun bog sie sich zu ihr und sprach mit leiser
Stimme, denn sie fürchtete sich vor ihrer eigenen Lüge, — „ist in Dich
verliebt, Marie. Er hat es mir selbst gestanden. Und er wird um
Dich anhalten, sobald er hoffen kann, daß Du einwilligst.“

So hatte sie die Schlinge geschickt gelegt. Marie hatte mit dem
größten Jnteresse den Augenblick erwartet, wo sie den Betreffenden
zuerst erblicken sollte, und die erste Musterung war günstig aus-
gefallen.

Jm Laufe des Abends hatte sie dann noch öfter Gelegenheit, mit
dem Arzt zu sprechen. Dieser schien sich um nichts, als um sie zu
kümmern; er tanzte mit keiner andern Dame und beim Souper
aß er an ihrer Seite. Sie wurden bald gute Bekannte. Jhm gefiel
die naive Weltanschauung des Mädchens, welche sie so zuversichtlich
aussprach, und er zeigte sich in solcher Weise theilnehmend, daß sie voll-
ständig versichert war, die Andeutungen ihrer Freundin seien wahr.
Als er sie nun am Ende des Balls an den Wagen geleitete und mit
herzlichen Worten Abschied nahm, bezeigte ihm ein freundlicher Druck
der Hand, daß sie sich wirklich über diesen Abend glücklich fühle, wie
er es gewünscht hatte. Jn ihrem einsamen Schlafzimmer aber setzte
sie sich auf das Sopha und dachte noch lange mit ihrem kleinen
Kopf nach und brachte ihr langes braunes Haar mit ihren Händen
in große Unordnung und lächelte und weinte und war unendlich
froh, geliebt zu sein.

Der Doktor hatte Abschied vom Assessor und seiner Braut ge-
nommen und versprochen, am andern Morgen zum Frühstück im
Hause der Braut zu erscheinen. Er wurde mißvergnügt, als er an
die frische Luft kam und die Aufregung des Ballsaals hinter sich hatte.
Wie ein Kind fühlte er sich, das man führen könne, wohin es Einem
beliebe. War er nicht wider seinen Willen an dies Mädchen gedrängt
worden? Und er hatte nichts gethan, um sich zu widersetzen; im Gegen-
theil, er war immer mehr auf die Fährte gekommen, die ihm vor-
geschrieben war! Wußte er denn, wer das Mädchen war, an das er
sich diesen Abend fast gebunden hätte? Er hatte sie früher noch nie
gesehen; er kannte nicht die Verhältnisse, in denen sie aufgezogen war,
und doch war er blind ihren Fußstapfen gefolgt.

Mit solchen Vorwürfen kam er in seine Wohnung. Auch er
stützte den Kopf auf die Hand, als er auf dem Sopha saß, und
ließ an sich die Vorgänge des Abends vorübergleiten; immer wieder
trat die schöne Erscheinung vor seine Augen, und als er matt sich auf
das Bett warf, geleitete sie ihn aus dem Wachen zum Schlaf.

Des andern Morgens folgte eine lange Berathung, bei welcher
die Braut den Vorsitz führte. Der Assessor beschränkte sich bei der
Diskussion darauf, die Unabweisbarkeit eines Ehebündnisses dar-
zulegen. Die Braut dagegen bestürmte den armen Doktor so lange,
daß er endlich gestehen mußte, er sei in ihre Freundin verliebt, und
daß er die Zusage gab, um sie anhalten zu wollen. Als er so weit
unterlegen war, mußte er denn auch den letzten Schritt thun und ver-
sprechen, heut noch den Antrag zu machen. Es wurde ihm ver-
[Spaltenumbruch] sichert, daß kein Hinderniß bestehe, und daß er dreist als Freier auf-
treten dürfe.

Mit tiefer Unruhe im Herzen mußte er dann den Gang zu seiner
Patientin machen, an die er die letzten Stunden nicht mehr gedacht
hatte. Er fand das Mädchen noch immer in den Kissen vergraben
und von heftigem Fieber geschüttelt. Als er aber sich überzeugt hatte,
daß der Zustand wenigstens nicht schlimmer geworden sei, gab er
schnell seine Verordnungen und ging. Der Vater hatte sich während
seines Besuches nicht im Zimmer gezeigt, nur die Haushälterin be-
obachtete ihn.

So hatte er seiner Pflicht heut Genüge gethan, und er bereitete
sich nun für den Gang zum Banquier vor.

Vor der Stadt, in geringer Entfernnug, lag das Haus des Ban-
quiers in einem schönen Garten. Obgleich noch nicht die Blumen in
demselben prangten, sah man dennoch ihm sowohl als dem Hause an,
daß hier ein reicher Mann Geld und Zeit darauf verwandt habe, sich
einen schönen Wohnsitz zu schaffen. Als der Doktor den Griff zur Glocke
in die Hand nahm, fühlte er erst ganz seine innere Beklemmung;
doch rasch entschlossen that er einen starken Ruck und — er war ein-
gelassen. Es wurde ihm leichter gemacht, als er gedacht hatte.
Fräulein Marie empfing ihn im Wohnzimmer, und nach den ersten
Begrüßungen wurden Beide immer mehr verlegen, bis er, sich
ermannend, seine Sache vorbrachte. Eine halbe Zusage wurde ihm
gegeben und er an den Vater verwiesen, der kurz darauf ins Haus trat
und, von seiner Tochter unterrichtet, seinen künftigen Schwiegersohn
auf das freundlichste empfing.

Nach einigen Stunden saßen der Banquier und der Doktor bei
einer Flasche Wein allein im Zimmer. Der Banquier nahm dabei
Anlaß, ihm von der Mitgift seiner Braut zu sprechen. Ludwig war
überrascht, als er fand, daß der Banquier auf das freigebigste für
das Schicksal seiner Tochter sorgte. Er wies ihn darauf hin, daß
seine Tochter sein einziges Kind sei und Niemand weiter Ansprüche
an ihn machen könne. Mit erregter Stimme bat er ihn, für sein
Kind ein zärtlicher Gatte zu sein. Sie sei noch sehr jung, und Man-
ches möge ihr von dem abgehen, was er, als erfahrener Mann, von
einer Frau fordern könne; aber ihr frischer Geist und ihr vortreff-
licher Charakter werde bei guter Führung alles Fehlende ergänzen.
Als der Doktor darauf geantwortet hatte, entstand eine längere Pause.
Der Banquier ging mit schnellen Schritten in der Stube auf und
ab, dann hielt er mit einem Mal zögernd an und wandte sich wieder
an den Doktor.

„Jch bin Jhnen noch eine Erklärung schuldig. Ein Gerücht,
welches sich in der Stadt verbreitet hat, wird auch Jhnen wohl zu
Ohren gekommen sein. Man beschuldigt mich, daß ich meine Tochter
von mir fern halte. Gewiß — versuchen Sie nicht, es zu entkräften
— das Gerücht besteht, und wenn Sie es noch nicht wissen sollten,
so giebt es boshafte Menschen, die es Jhnen sofort mitzutheilen be-
strebt sein werden. Jnwiefern es begründet ist, werden Sie selbst,
der Sie von nun an der Freund meines Hauses sind, beurtheilen können.
Aber ich will Jhnen den Grund des Gerüchts aufdecken. Meine
Gattin ist vor mehreren Jahren gestorben und hat mir dies einzige
Kind hinterlassen. Unsere Ehe war keine glückliche. Theilweise lag
die Schuld an mir selbst“. Der Banquier stockte. Dann aber, in-
dem er mit der Hand über die Augen fuhr, gleich als ob er einen
Schatten aus seinem Gesicht bannen wolle, fuhr er fort: „Erlebnisse
früherer Zeit waren die Ursache davon. Jch kann Jhnen darüber
nichts mittheilen; aber ich kann versichern, daß viele Stunden
meiner Mannesjahre durch das Andenken an dieselben getrübt worden
sind. Jetzt freilich bin ich fast ein Greis, und jetzt erst beginne ich,
ruhig über jene Zeiten nachzudenken. Doch genug davon. Jch kam
nach vielen Jahren hierher zurück zu der Zeit, als mein Vater starb.
Er hinterließ mir ein blühendes Geschäft und ein großes Vermögen.
Nachdem ich mich wieder in das Leben, wie es hier gebräuchlich ist,
gefunden hatte, wurde ich bestürmt, eine Frau zu nehmen und dadurch
mein Haus den Familien zu öffnen. Nach langem Zögern that ich
es. Jch heirathete nicht aus Neigung, sondern lediglich, um nicht
dem Umgang der Menschen mich zu entziehen, wozu ich damals große
Lust hatte und was, wie ich wohl einsah, für den Geschäftsmann
vieles Mißliche hatte. Meine Ehe blieb eine förmliche; kein Zug
des Herzens knüpfte Mann und Frau zusammen. Jch suchte allmälig
in heiterer Geselligkeit manches Frühere zu vergessen; meine Frau
theilte nicht mein Verlangen und meine Vergnügungen. Das Kind,
welches sie gebar, überließ ich ihr ganz, da sie es argwöhnisch selbst
von mir zurückzuhalten pflegte. Als es herangewachsen war, starb die
Mutter. Was sollte ich nun mit dem Kinde, das ich kaum kannte,
anfangen? Jch entschloß mich, es in eine gute Pension zu schicken
und dort ausbilden zu lassen. Vielleicht hatte an diesem Entschluß
Theil, daß ich mein Hauswesen nicht ändern und mich in meiner ge-
wohnten Lebensweise nicht stören lassen wollte. So ging das Mädchen
als ein fremdes von mir fort, und noch fremder kehrte es zu mir
zurück. Die Zeit seit der Rückkehr ist nur eine kurze, und noch ist
[Ende Spaltensatz]

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[155/0003] 155 fremden Menschen nicht anvertrauen, was ich auf dem Herzen habe! Wir sprachen recht gleichgültig mit einander.“ „Sprach er nicht von gewissen Gefühlen, welche er für ein Fräulein Marie hege?“ fragte die Braut weiter, und in dem Ton, mit welchem gefragt wurde, lag viel Jronie. Marie merkte es nicht; sie wurde wieder roth und verlegen und erwiderte hastig: „Nein, das that er nicht. Es wäre auch recht unbescheiden ge- wesen, gleich beim ersten Zusammentreffen über so etwas zu sprechen. Jch bin ihm recht dankbar dafür, daß er es nicht that.“ Das Gespräch wurde unterbrochen, da die Musik wieder begann. Marie wurde von ihrem Platz geholt, und die Braut hing sich an den Arm des herantretenden Assessors und sprach diesem ihre Be- friedigung über die erste Begegnung aus. Es war eine geschickte Jntrigue, welche sie da spann. Der Assessor hatte sie um Rath gefragt wegen seines Freundes, den er verheirathen wollte. Jhre Wahl war gemeinschaftlich auf Marie ge- fallen, welche sie als ein hübsches und — was für den Arzt von Werth sein mußte — sehr vermögendes Mädchen kannten. Jhre Unbefangen- heit und Lebendigkeit mußten dem Doktor gefallen. Der Assessor hatte seine Aufgabe erfüllt, er hatte seinen Freund aufmerksam ge- macht. Mit viel größerem Geschick aber hatte seine Braut gearbeitet. Sie wußte, daß Marie im väterlichen Hause sich nicht wohl fühle. Daran hatte sie ihren Plan geknüpft. Sie müsse sich verheirathen, und dazu habe sie jetzt die beste Gelegenheit. Ja, besser könnte sie sie gar nicht finden. Sie Beide müßten die besten Freundinnen, so lange sie lebten, bleiben; sie würde an ihr — und dabei umarmte sie die arglose Marie — stets die Stütze haben, welche sie an ihrem Vater nicht fände. Ja, ja, sie als Freundin wolle ihr Etwas im Vertrauen mittheilen! Der Doktor Sander sei der beste Freund ihres Bräutigams. Ob sie ihn kenne? Die Frage wurde verneint. Ge- wiß, sie müsse ihn kennen, er sei ihr schon oft begegnet, selbst in ihrer Gesellschaft. „Dieser“ — und nun bog sie sich zu ihr und sprach mit leiser Stimme, denn sie fürchtete sich vor ihrer eigenen Lüge, — „ist in Dich verliebt, Marie. Er hat es mir selbst gestanden. Und er wird um Dich anhalten, sobald er hoffen kann, daß Du einwilligst.“ So hatte sie die Schlinge geschickt gelegt. Marie hatte mit dem größten Jnteresse den Augenblick erwartet, wo sie den Betreffenden zuerst erblicken sollte, und die erste Musterung war günstig aus- gefallen. Jm Laufe des Abends hatte sie dann noch öfter Gelegenheit, mit dem Arzt zu sprechen. Dieser schien sich um nichts, als um sie zu kümmern; er tanzte mit keiner andern Dame und beim Souper aß er an ihrer Seite. Sie wurden bald gute Bekannte. Jhm gefiel die naive Weltanschauung des Mädchens, welche sie so zuversichtlich aussprach, und er zeigte sich in solcher Weise theilnehmend, daß sie voll- ständig versichert war, die Andeutungen ihrer Freundin seien wahr. Als er sie nun am Ende des Balls an den Wagen geleitete und mit herzlichen Worten Abschied nahm, bezeigte ihm ein freundlicher Druck der Hand, daß sie sich wirklich über diesen Abend glücklich fühle, wie er es gewünscht hatte. Jn ihrem einsamen Schlafzimmer aber setzte sie sich auf das Sopha und dachte noch lange mit ihrem kleinen Kopf nach und brachte ihr langes braunes Haar mit ihren Händen in große Unordnung und lächelte und weinte und war unendlich froh, geliebt zu sein. Der Doktor hatte Abschied vom Assessor und seiner Braut ge- nommen und versprochen, am andern Morgen zum Frühstück im Hause der Braut zu erscheinen. Er wurde mißvergnügt, als er an die frische Luft kam und die Aufregung des Ballsaals hinter sich hatte. Wie ein Kind fühlte er sich, das man führen könne, wohin es Einem beliebe. War er nicht wider seinen Willen an dies Mädchen gedrängt worden? Und er hatte nichts gethan, um sich zu widersetzen; im Gegen- theil, er war immer mehr auf die Fährte gekommen, die ihm vor- geschrieben war! Wußte er denn, wer das Mädchen war, an das er sich diesen Abend fast gebunden hätte? Er hatte sie früher noch nie gesehen; er kannte nicht die Verhältnisse, in denen sie aufgezogen war, und doch war er blind ihren Fußstapfen gefolgt. Mit solchen Vorwürfen kam er in seine Wohnung. Auch er stützte den Kopf auf die Hand, als er auf dem Sopha saß, und ließ an sich die Vorgänge des Abends vorübergleiten; immer wieder trat die schöne Erscheinung vor seine Augen, und als er matt sich auf das Bett warf, geleitete sie ihn aus dem Wachen zum Schlaf. Des andern Morgens folgte eine lange Berathung, bei welcher die Braut den Vorsitz führte. Der Assessor beschränkte sich bei der Diskussion darauf, die Unabweisbarkeit eines Ehebündnisses dar- zulegen. Die Braut dagegen bestürmte den armen Doktor so lange, daß er endlich gestehen mußte, er sei in ihre Freundin verliebt, und daß er die Zusage gab, um sie anhalten zu wollen. Als er so weit unterlegen war, mußte er denn auch den letzten Schritt thun und ver- sprechen, heut noch den Antrag zu machen. Es wurde ihm ver- sichert, daß kein Hinderniß bestehe, und daß er dreist als Freier auf- treten dürfe. Mit tiefer Unruhe im Herzen mußte er dann den Gang zu seiner Patientin machen, an die er die letzten Stunden nicht mehr gedacht hatte. Er fand das Mädchen noch immer in den Kissen vergraben und von heftigem Fieber geschüttelt. Als er aber sich überzeugt hatte, daß der Zustand wenigstens nicht schlimmer geworden sei, gab er schnell seine Verordnungen und ging. Der Vater hatte sich während seines Besuches nicht im Zimmer gezeigt, nur die Haushälterin be- obachtete ihn. So hatte er seiner Pflicht heut Genüge gethan, und er bereitete sich nun für den Gang zum Banquier vor. Vor der Stadt, in geringer Entfernnug, lag das Haus des Ban- quiers in einem schönen Garten. Obgleich noch nicht die Blumen in demselben prangten, sah man dennoch ihm sowohl als dem Hause an, daß hier ein reicher Mann Geld und Zeit darauf verwandt habe, sich einen schönen Wohnsitz zu schaffen. Als der Doktor den Griff zur Glocke in die Hand nahm, fühlte er erst ganz seine innere Beklemmung; doch rasch entschlossen that er einen starken Ruck und — er war ein- gelassen. Es wurde ihm leichter gemacht, als er gedacht hatte. Fräulein Marie empfing ihn im Wohnzimmer, und nach den ersten Begrüßungen wurden Beide immer mehr verlegen, bis er, sich ermannend, seine Sache vorbrachte. Eine halbe Zusage wurde ihm gegeben und er an den Vater verwiesen, der kurz darauf ins Haus trat und, von seiner Tochter unterrichtet, seinen künftigen Schwiegersohn auf das freundlichste empfing. Nach einigen Stunden saßen der Banquier und der Doktor bei einer Flasche Wein allein im Zimmer. Der Banquier nahm dabei Anlaß, ihm von der Mitgift seiner Braut zu sprechen. Ludwig war überrascht, als er fand, daß der Banquier auf das freigebigste für das Schicksal seiner Tochter sorgte. Er wies ihn darauf hin, daß seine Tochter sein einziges Kind sei und Niemand weiter Ansprüche an ihn machen könne. Mit erregter Stimme bat er ihn, für sein Kind ein zärtlicher Gatte zu sein. Sie sei noch sehr jung, und Man- ches möge ihr von dem abgehen, was er, als erfahrener Mann, von einer Frau fordern könne; aber ihr frischer Geist und ihr vortreff- licher Charakter werde bei guter Führung alles Fehlende ergänzen. Als der Doktor darauf geantwortet hatte, entstand eine längere Pause. Der Banquier ging mit schnellen Schritten in der Stube auf und ab, dann hielt er mit einem Mal zögernd an und wandte sich wieder an den Doktor. „Jch bin Jhnen noch eine Erklärung schuldig. Ein Gerücht, welches sich in der Stadt verbreitet hat, wird auch Jhnen wohl zu Ohren gekommen sein. Man beschuldigt mich, daß ich meine Tochter von mir fern halte. Gewiß — versuchen Sie nicht, es zu entkräften — das Gerücht besteht, und wenn Sie es noch nicht wissen sollten, so giebt es boshafte Menschen, die es Jhnen sofort mitzutheilen be- strebt sein werden. Jnwiefern es begründet ist, werden Sie selbst, der Sie von nun an der Freund meines Hauses sind, beurtheilen können. Aber ich will Jhnen den Grund des Gerüchts aufdecken. Meine Gattin ist vor mehreren Jahren gestorben und hat mir dies einzige Kind hinterlassen. Unsere Ehe war keine glückliche. Theilweise lag die Schuld an mir selbst“. Der Banquier stockte. Dann aber, in- dem er mit der Hand über die Augen fuhr, gleich als ob er einen Schatten aus seinem Gesicht bannen wolle, fuhr er fort: „Erlebnisse früherer Zeit waren die Ursache davon. Jch kann Jhnen darüber nichts mittheilen; aber ich kann versichern, daß viele Stunden meiner Mannesjahre durch das Andenken an dieselben getrübt worden sind. Jetzt freilich bin ich fast ein Greis, und jetzt erst beginne ich, ruhig über jene Zeiten nachzudenken. Doch genug davon. Jch kam nach vielen Jahren hierher zurück zu der Zeit, als mein Vater starb. Er hinterließ mir ein blühendes Geschäft und ein großes Vermögen. Nachdem ich mich wieder in das Leben, wie es hier gebräuchlich ist, gefunden hatte, wurde ich bestürmt, eine Frau zu nehmen und dadurch mein Haus den Familien zu öffnen. Nach langem Zögern that ich es. Jch heirathete nicht aus Neigung, sondern lediglich, um nicht dem Umgang der Menschen mich zu entziehen, wozu ich damals große Lust hatte und was, wie ich wohl einsah, für den Geschäftsmann vieles Mißliche hatte. Meine Ehe blieb eine förmliche; kein Zug des Herzens knüpfte Mann und Frau zusammen. Jch suchte allmälig in heiterer Geselligkeit manches Frühere zu vergessen; meine Frau theilte nicht mein Verlangen und meine Vergnügungen. Das Kind, welches sie gebar, überließ ich ihr ganz, da sie es argwöhnisch selbst von mir zurückzuhalten pflegte. Als es herangewachsen war, starb die Mutter. Was sollte ich nun mit dem Kinde, das ich kaum kannte, anfangen? Jch entschloß mich, es in eine gute Pension zu schicken und dort ausbilden zu lassen. Vielleicht hatte an diesem Entschluß Theil, daß ich mein Hauswesen nicht ändern und mich in meiner ge- wohnten Lebensweise nicht stören lassen wollte. So ging das Mädchen als ein fremdes von mir fort, und noch fremder kehrte es zu mir zurück. Die Zeit seit der Rückkehr ist nur eine kurze, und noch ist

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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 20. Berlin, 17. Mai 1868, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt20_1868/3>, abgerufen am 06.06.2024.