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Sonntags-Blatt. Nr. 20. Berlin, 17. Mai 1868.

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[Beginn Spaltensatz] es nicht so geworden, wie das Verhältniß der Tochter zum Vater
sein sollte; ich fühle es selbst am besten. Glauben Sie mir aber,
daß ich bestrebt sein werde, dies zu ändern, und helfen Sie mir selbst
dazu. Sie sind jetzt meiner Tochter der Nächste geworden; ich will
Jhnen dankbar sein, wenn Sie es vermögen, mir eine liebende Tochter
zuzuführen."

Er hatte die letzten Worte mit tiefer, innerer Erregung ausgesprochen
und Thränen waren ihm in die Augen getreten. Die Hand, welche
ihm der Arzt reichte, nahm er mit seinen beiden Händen und hielt
sie lange fest, ehe er sie los ließ. Der Banquier war noch immer
ein schöner Mann, und obwohl schon viele graue Haare sich in
die ursprünglich dunkle Färbung mischten, hatte das schön geformte
[Spaltenumbruch] Gesicht mit den braunen Augen etwas Frisches, Jugendliches behalten.
Wie sie so beisammen standen, Beide in geistiger Spannung,
schienen sie zwei Freunde zu sein, welche eben, was sie auf dem Herzen
hielten, sich mitgetheilt hatten.

Und wirklich waren sich die zwei Männer in dieser Stunde nahe
getreten. Der Banquier erkannte in seinem Schwiegersohn einen
Mann, der tief empfinden und edel denken konnte. Dieser erste
Abend entschied über ihr beiderseitiges Verhältniß, und als später
Manches störend zwischen sie trat und sie zu trennen drohte, war es
die Erinnerung an diesen Abend, welche ihre Hände wieder ver-
söhnend in einander legte.

( Fortsetzung folgt. )

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]
Die blutige Maria.
Geschichtliche Skizze
von Julius Mühlfeld.

Schillers Wort: "Die Weltgeschichte ist das Weltgericht" nicht
erst in den ernsten, wissenschaftlichen Werken des Geschichts-
forschers, sondern bereits in der Stimme des Volkes, das seine
Bezeichnungen frisch und treffend nach Leben und Thaten bildet,
findet es sehr oft seine Bethätigung. Die Beinamen einzelner Per-
sönlichkeiten der Weltgeschichte enthalten oft eine ganze treffende
Charakteristik in einem Wort. Erfüllt es nun den mit dem Geist
der Humanität unserer Zeit durchdrungenen Menschen schon mit Be-
dauern und Grausen, wenn er Schreckensbeiworte, wie "der Grau-
same ", "der Schreckliche" und andere sich den Namen mächtiger Re-
genten im blutigen Purpur anschließen sieht, wie viel mehr noch muß
es ihn mit Schauder und Abscheu erfüllen, wenn einem Weibe, einer
Königin, das unheilverkündende Prädikat "die Blutige" vom Volks-
mund beigelegt wird, wie der Königin Maria von England, auch
"die Katholische" genannt.

Ein chaotisch düsteres Bild, die Regierung dieser Königin von
England, ja die ganze inhaltschwere Periode der englischen Geschichte
von ihres Vaters Thronbesteigung an bis zu ihrem tausendfältig
erwünschten Tode, der endlich wieder nach endlosen Tagen gleich grau-
samer Wechselwirthschaft einer verschüchterten und fast demoralisirten
Nation das Aufathmen gestattete.

Parlament und Volk waren unter der heillosen Wechselwirthschaft
ihrer Regenten gleich abgehetzt, gleich charakterlos geworden, gleich-
gültig und widerstandslos den Sultanslaunen des jeweilig Gebietenden
gehorchend und schmeichelnd.

Schiller hat in seiner Maria Stuart die Charakterlosigkeit des
damaligen Parlaments eben so wahr als vernichtend gezeichnet:

"Jch sehe dieses edle Oberhaus,
Gleich feil mit den erkäuflichen Gemeinen,
Gesetze prägen und verrufen, Ehen
Auflösen, binden, wie der Mächtige
Gebietet -- --"

König Heinrich VIII., das Ungeheuer, welcher eine legitime Bor-
dellwirthschaft auf dem Thron etablirte und die ihm überdrüssig ge-
wordenen Frauen abwechselnd verstieß und auf das Blutgerüst schickte,
hinterließ bei seinem Tode einen Sohn, Eduard, und zwei Töchter,
Maria und Elisabeth. Heinrich hatte durch eine mit allen Lastern
der Sultanslaunen ausgestattete Regierungswirthschaft die Demora-
lisation in England begründet. Sein einziges Verdienst ist die Be-
freiung Englands von der geistlichen Oberherrschaft des Papstes und
die Einführung einer Art Religionsverbesserung eigener Fabrik, zu
welcher ihm die von Luther in Deutschland angebahnte das Muster
lieferte. Seine Willkür schnitt aus Katholizismus und Lutherthum
eine Lehre zusammen, die den Papst völlig ausschloß. Freilich sein
Verdienst ist auch dieses einzige Gute Heinrichs nicht zu nennen, weil
es auch nur Ausfluß einer Sultanslaune war.

Heinrich hatte als Jüngling seines verstorbenen Bruders Weib,
Katharina von Arragonien, geehelicht, wurde ihrer aber nach achtzehn-
jähriger Ehe überdrüssig. Nach achtzehn Jahren meinte er, die Ehe
mit seines Bruders Weib sei eine unerlaubte, und verlangte vom
Papst die Auflösung derselben. Aber der Papst verweigerte diese und
erklärte unter Drohungen die Ehe für gültig. Da löste der englische
Sultan seine Ehe selbst auf, ließ durch das Parlament die Ober-
herrschaft des Papstes für beendet und sich selbst zum Oberherrn der
Kirche in England erklären, und verheirathete sich mit der schönen
Anna Boleyn, die nur zu bald darauf das Schaffot besteigen
mußte. Weil wiederum Johanna Seymour dem Könige besser ge-
fiel, als Anna, wurde diese zur Ehebrecherin gestempelt und hin-
gerichtet, ihre Tochter Elisabeth aber, sowie die Katharinens, Maria,
[Spaltenumbruch] als Bastard erklärt und von der Thronfolge ausgeschlossen. Johanna
Seymour starb an der Geburt des Thronerben Eduard; Anna von
Cleve, die vierte Gemahlin Heinrichs, wurde von ihm verstoßen,
Katharina Howard hingerichtet, die sechste endlich, Katharina Parre,
überlebte das wollüstige Ungeheuer, welches achtunddreißig Jahre lang
den Thron Englands besudelt hatte.

Heinrich hinterließ also eine Kirchenverbesserung, die, vom König
geschützt und befördert, in England schon bedeutende Fortschritte ge-
macht hatte. Der protestantische Bischof Cranmer war der treue und
unermüdliche Berather des Königs auf diesem Gebiet, und unter
seinem weisen Schutz befestigte sich der Bau der neuen Kirche.

Dieser Ausbau der Reformation in England nahm unter der Re-
gierung von Heinrichs Sohn und Nachfolger, Eduard VI., noch festere
Gestalt an. Eduard zeigte frühzeitig hervorragende Talente und
einen Wissensdurst, der sich vorzüglich auf das Gebiet der Religion
erstreckte. Das Studium der heiligen Schrift beschäftigte ihn schon
in frühen Jahren, und so bestieg er, obgleich kaum neun Jahre alt,
als entschiedener Freund und Beförderer der Reformation den Thron.
Die vom König Heinrich für den minderjährigen Prinzen eingesetzte
Regentschaft war ebenfalls protestantisch, und so machte die Refor-
mation unter der Regierung Eduards Riesenfortschritte. Leider blieben
sie jedoch auch nicht von Maßregeln der Gewalt gegen Katholiken
frei, welche die Umgebung des Königs zur schnelleren Ausbreitung der
neuen Lehre und zur Unterdrückung des Katholizismus unternahm.
Der kindlich fromme, gutmüthige König verweigerte wohl seine Zu-
stimmung zu Maßregeln des Gewissenszwangs und der blutigen Ver-
folgung gegen seine katholischen Landeskinder; aber er unterlag der
Ueberredung seiner Rathgeber und unterzeichnete, weinend und alle
Verantwortung auf ihr Haupt wälzend, die Todesurtheile wider Ka-
tholiken und Schwärmer.

Leider starb dieser gut und edel angelegte fürstliche Jüngling kaum
sechszehnjährig, also noch bevor er zur wirklichen Selbstständigkeit
gelangt war. Um das Werk der Kirchenverbesserung auch nach seinem
Tode zu schützen, schloß auch er die zu Bastarden erklärten Stief-
schwestern Maria und Elisabeth von der Thronfolge aus, weil Maria,
die Aeltere derselben, eine eifrige Katholikin war, und ernannte seine
Cousine, Johanna Grey, zur Thronfolgerin. Jhr wurde auch nach
Eduards Tod von der Partei ihres mächtigen Schwiegervaters, des Her-
zogs von Northumberland, gehuldigt; allein Maria fand den größern An-
hang im Volk und zog triumphirend in London ein. Johanna, eine lie-
benswürdige, durch seltene Geistesgaben ausgezeichnete Dame von kaum
siebzehn Jahren, hatte stets Maria's Anrecht auf den Thron an-
erkannt, und nur dem fast gewaltsamen Drängen ihres stolzen
Schwiegervaters, des Herzogs von Northumberland, und ihres jungen,
ehrgeizigen Gemahls hatte sie endlich nachgegeben und die Hand nach
der Krone ausgestreckt.

Maria zog mit wilden Rachegedanken in das Londoner Königsschloß
ein und ließ denselben freien Lauf, als sie ihre Gegnerin sammt ihrem
ganzen Anhang als Gefangene in ihre Hände fallen sah. Alle wur-
den zum Tode verurtheilt, und auch die jugendliche Johanna mußte
den zehntägigen Traum der Herrlichkeit auf dem Schaffot büßen.
Maria's grausamer Sinn fand keine Entschuldigung darin, daß man
Jene, die noch halb Kind war, wider ihren Willen auf den Thron
gedrängt hatte. Johanna aber, ihres Fehlers eingedenk, erlitt from-
men Sinnes und heiteren Muthes und ohne Maria anzuklagen, den
Tod. Erst nach ihrem Tode fand man in ihrer Schreibtafel eine
kurz vor der Hinrichtung eingeschriebene Sentenz, welche andeutete,
daß sie an Maria's Stelle anders gehandelt haben würde. Sie hatte
geschrieben: "Wenn mein Verbrechen Strafe verdient hat, so verdien-
ten wenigstens meine Jugend und Unvorsichtigkeit Entschuldigung.
Gott und die Nachwelt werden mir Gnade widerfahren lassen."

Das englische Volk aber hatte mit seiner Schilderhebung für die
katholische Maria eine Schreckenszeit über sich heraufbeschworen.

Maria's erste und höchste Bestrebung als Königin war, die Re-
formation in England mit Stumpf und Stiel wieder auszurotten
und die katholische Kirche in ihrer vollen Macht und Herrlichkeit
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] es nicht so geworden, wie das Verhältniß der Tochter zum Vater
sein sollte; ich fühle es selbst am besten. Glauben Sie mir aber,
daß ich bestrebt sein werde, dies zu ändern, und helfen Sie mir selbst
dazu. Sie sind jetzt meiner Tochter der Nächste geworden; ich will
Jhnen dankbar sein, wenn Sie es vermögen, mir eine liebende Tochter
zuzuführen.“

Er hatte die letzten Worte mit tiefer, innerer Erregung ausgesprochen
und Thränen waren ihm in die Augen getreten. Die Hand, welche
ihm der Arzt reichte, nahm er mit seinen beiden Händen und hielt
sie lange fest, ehe er sie los ließ. Der Banquier war noch immer
ein schöner Mann, und obwohl schon viele graue Haare sich in
die ursprünglich dunkle Färbung mischten, hatte das schön geformte
[Spaltenumbruch] Gesicht mit den braunen Augen etwas Frisches, Jugendliches behalten.
Wie sie so beisammen standen, Beide in geistiger Spannung,
schienen sie zwei Freunde zu sein, welche eben, was sie auf dem Herzen
hielten, sich mitgetheilt hatten.

Und wirklich waren sich die zwei Männer in dieser Stunde nahe
getreten. Der Banquier erkannte in seinem Schwiegersohn einen
Mann, der tief empfinden und edel denken konnte. Dieser erste
Abend entschied über ihr beiderseitiges Verhältniß, und als später
Manches störend zwischen sie trat und sie zu trennen drohte, war es
die Erinnerung an diesen Abend, welche ihre Hände wieder ver-
söhnend in einander legte.

( Fortsetzung folgt. )

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]
Die blutige Maria.
Geschichtliche Skizze
von Julius Mühlfeld.

Schillers Wort: „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht“ nicht
erst in den ernsten, wissenschaftlichen Werken des Geschichts-
forschers, sondern bereits in der Stimme des Volkes, das seine
Bezeichnungen frisch und treffend nach Leben und Thaten bildet,
findet es sehr oft seine Bethätigung. Die Beinamen einzelner Per-
sönlichkeiten der Weltgeschichte enthalten oft eine ganze treffende
Charakteristik in einem Wort. Erfüllt es nun den mit dem Geist
der Humanität unserer Zeit durchdrungenen Menschen schon mit Be-
dauern und Grausen, wenn er Schreckensbeiworte, wie „der Grau-
same “, „der Schreckliche“ und andere sich den Namen mächtiger Re-
genten im blutigen Purpur anschließen sieht, wie viel mehr noch muß
es ihn mit Schauder und Abscheu erfüllen, wenn einem Weibe, einer
Königin, das unheilverkündende Prädikat „die Blutige“ vom Volks-
mund beigelegt wird, wie der Königin Maria von England, auch
„die Katholische“ genannt.

Ein chaotisch düsteres Bild, die Regierung dieser Königin von
England, ja die ganze inhaltschwere Periode der englischen Geschichte
von ihres Vaters Thronbesteigung an bis zu ihrem tausendfältig
erwünschten Tode, der endlich wieder nach endlosen Tagen gleich grau-
samer Wechselwirthschaft einer verschüchterten und fast demoralisirten
Nation das Aufathmen gestattete.

Parlament und Volk waren unter der heillosen Wechselwirthschaft
ihrer Regenten gleich abgehetzt, gleich charakterlos geworden, gleich-
gültig und widerstandslos den Sultanslaunen des jeweilig Gebietenden
gehorchend und schmeichelnd.

Schiller hat in seiner Maria Stuart die Charakterlosigkeit des
damaligen Parlaments eben so wahr als vernichtend gezeichnet:

„Jch sehe dieses edle Oberhaus,
Gleich feil mit den erkäuflichen Gemeinen,
Gesetze prägen und verrufen, Ehen
Auflösen, binden, wie der Mächtige
Gebietet — —“

König Heinrich VIII., das Ungeheuer, welcher eine legitime Bor-
dellwirthschaft auf dem Thron etablirte und die ihm überdrüssig ge-
wordenen Frauen abwechselnd verstieß und auf das Blutgerüst schickte,
hinterließ bei seinem Tode einen Sohn, Eduard, und zwei Töchter,
Maria und Elisabeth. Heinrich hatte durch eine mit allen Lastern
der Sultanslaunen ausgestattete Regierungswirthschaft die Demora-
lisation in England begründet. Sein einziges Verdienst ist die Be-
freiung Englands von der geistlichen Oberherrschaft des Papstes und
die Einführung einer Art Religionsverbesserung eigener Fabrik, zu
welcher ihm die von Luther in Deutschland angebahnte das Muster
lieferte. Seine Willkür schnitt aus Katholizismus und Lutherthum
eine Lehre zusammen, die den Papst völlig ausschloß. Freilich sein
Verdienst ist auch dieses einzige Gute Heinrichs nicht zu nennen, weil
es auch nur Ausfluß einer Sultanslaune war.

Heinrich hatte als Jüngling seines verstorbenen Bruders Weib,
Katharina von Arragonien, geehelicht, wurde ihrer aber nach achtzehn-
jähriger Ehe überdrüssig. Nach achtzehn Jahren meinte er, die Ehe
mit seines Bruders Weib sei eine unerlaubte, und verlangte vom
Papst die Auflösung derselben. Aber der Papst verweigerte diese und
erklärte unter Drohungen die Ehe für gültig. Da löste der englische
Sultan seine Ehe selbst auf, ließ durch das Parlament die Ober-
herrschaft des Papstes für beendet und sich selbst zum Oberherrn der
Kirche in England erklären, und verheirathete sich mit der schönen
Anna Boleyn, die nur zu bald darauf das Schaffot besteigen
mußte. Weil wiederum Johanna Seymour dem Könige besser ge-
fiel, als Anna, wurde diese zur Ehebrecherin gestempelt und hin-
gerichtet, ihre Tochter Elisabeth aber, sowie die Katharinens, Maria,
[Spaltenumbruch] als Bastard erklärt und von der Thronfolge ausgeschlossen. Johanna
Seymour starb an der Geburt des Thronerben Eduard; Anna von
Cleve, die vierte Gemahlin Heinrichs, wurde von ihm verstoßen,
Katharina Howard hingerichtet, die sechste endlich, Katharina Parre,
überlebte das wollüstige Ungeheuer, welches achtunddreißig Jahre lang
den Thron Englands besudelt hatte.

Heinrich hinterließ also eine Kirchenverbesserung, die, vom König
geschützt und befördert, in England schon bedeutende Fortschritte ge-
macht hatte. Der protestantische Bischof Cranmer war der treue und
unermüdliche Berather des Königs auf diesem Gebiet, und unter
seinem weisen Schutz befestigte sich der Bau der neuen Kirche.

Dieser Ausbau der Reformation in England nahm unter der Re-
gierung von Heinrichs Sohn und Nachfolger, Eduard VI., noch festere
Gestalt an. Eduard zeigte frühzeitig hervorragende Talente und
einen Wissensdurst, der sich vorzüglich auf das Gebiet der Religion
erstreckte. Das Studium der heiligen Schrift beschäftigte ihn schon
in frühen Jahren, und so bestieg er, obgleich kaum neun Jahre alt,
als entschiedener Freund und Beförderer der Reformation den Thron.
Die vom König Heinrich für den minderjährigen Prinzen eingesetzte
Regentschaft war ebenfalls protestantisch, und so machte die Refor-
mation unter der Regierung Eduards Riesenfortschritte. Leider blieben
sie jedoch auch nicht von Maßregeln der Gewalt gegen Katholiken
frei, welche die Umgebung des Königs zur schnelleren Ausbreitung der
neuen Lehre und zur Unterdrückung des Katholizismus unternahm.
Der kindlich fromme, gutmüthige König verweigerte wohl seine Zu-
stimmung zu Maßregeln des Gewissenszwangs und der blutigen Ver-
folgung gegen seine katholischen Landeskinder; aber er unterlag der
Ueberredung seiner Rathgeber und unterzeichnete, weinend und alle
Verantwortung auf ihr Haupt wälzend, die Todesurtheile wider Ka-
tholiken und Schwärmer.

Leider starb dieser gut und edel angelegte fürstliche Jüngling kaum
sechszehnjährig, also noch bevor er zur wirklichen Selbstständigkeit
gelangt war. Um das Werk der Kirchenverbesserung auch nach seinem
Tode zu schützen, schloß auch er die zu Bastarden erklärten Stief-
schwestern Maria und Elisabeth von der Thronfolge aus, weil Maria,
die Aeltere derselben, eine eifrige Katholikin war, und ernannte seine
Cousine, Johanna Grey, zur Thronfolgerin. Jhr wurde auch nach
Eduards Tod von der Partei ihres mächtigen Schwiegervaters, des Her-
zogs von Northumberland, gehuldigt; allein Maria fand den größern An-
hang im Volk und zog triumphirend in London ein. Johanna, eine lie-
benswürdige, durch seltene Geistesgaben ausgezeichnete Dame von kaum
siebzehn Jahren, hatte stets Maria's Anrecht auf den Thron an-
erkannt, und nur dem fast gewaltsamen Drängen ihres stolzen
Schwiegervaters, des Herzogs von Northumberland, und ihres jungen,
ehrgeizigen Gemahls hatte sie endlich nachgegeben und die Hand nach
der Krone ausgestreckt.

Maria zog mit wilden Rachegedanken in das Londoner Königsschloß
ein und ließ denselben freien Lauf, als sie ihre Gegnerin sammt ihrem
ganzen Anhang als Gefangene in ihre Hände fallen sah. Alle wur-
den zum Tode verurtheilt, und auch die jugendliche Johanna mußte
den zehntägigen Traum der Herrlichkeit auf dem Schaffot büßen.
Maria's grausamer Sinn fand keine Entschuldigung darin, daß man
Jene, die noch halb Kind war, wider ihren Willen auf den Thron
gedrängt hatte. Johanna aber, ihres Fehlers eingedenk, erlitt from-
men Sinnes und heiteren Muthes und ohne Maria anzuklagen, den
Tod. Erst nach ihrem Tode fand man in ihrer Schreibtafel eine
kurz vor der Hinrichtung eingeschriebene Sentenz, welche andeutete,
daß sie an Maria's Stelle anders gehandelt haben würde. Sie hatte
geschrieben: „Wenn mein Verbrechen Strafe verdient hat, so verdien-
ten wenigstens meine Jugend und Unvorsichtigkeit Entschuldigung.
Gott und die Nachwelt werden mir Gnade widerfahren lassen.“

Das englische Volk aber hatte mit seiner Schilderhebung für die
katholische Maria eine Schreckenszeit über sich heraufbeschworen.

Maria's erste und höchste Bestrebung als Königin war, die Re-
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und die katholische Kirche in ihrer vollen Macht und Herrlichkeit
[Ende Spaltensatz]

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[156/0004] 156 es nicht so geworden, wie das Verhältniß der Tochter zum Vater sein sollte; ich fühle es selbst am besten. Glauben Sie mir aber, daß ich bestrebt sein werde, dies zu ändern, und helfen Sie mir selbst dazu. Sie sind jetzt meiner Tochter der Nächste geworden; ich will Jhnen dankbar sein, wenn Sie es vermögen, mir eine liebende Tochter zuzuführen.“ Er hatte die letzten Worte mit tiefer, innerer Erregung ausgesprochen und Thränen waren ihm in die Augen getreten. Die Hand, welche ihm der Arzt reichte, nahm er mit seinen beiden Händen und hielt sie lange fest, ehe er sie los ließ. Der Banquier war noch immer ein schöner Mann, und obwohl schon viele graue Haare sich in die ursprünglich dunkle Färbung mischten, hatte das schön geformte Gesicht mit den braunen Augen etwas Frisches, Jugendliches behalten. Wie sie so beisammen standen, Beide in geistiger Spannung, schienen sie zwei Freunde zu sein, welche eben, was sie auf dem Herzen hielten, sich mitgetheilt hatten. Und wirklich waren sich die zwei Männer in dieser Stunde nahe getreten. Der Banquier erkannte in seinem Schwiegersohn einen Mann, der tief empfinden und edel denken konnte. Dieser erste Abend entschied über ihr beiderseitiges Verhältniß, und als später Manches störend zwischen sie trat und sie zu trennen drohte, war es die Erinnerung an diesen Abend, welche ihre Hände wieder ver- söhnend in einander legte. ( Fortsetzung folgt. ) Die blutige Maria. Geschichtliche Skizze von Julius Mühlfeld. Schillers Wort: „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht“ nicht erst in den ernsten, wissenschaftlichen Werken des Geschichts- forschers, sondern bereits in der Stimme des Volkes, das seine Bezeichnungen frisch und treffend nach Leben und Thaten bildet, findet es sehr oft seine Bethätigung. Die Beinamen einzelner Per- sönlichkeiten der Weltgeschichte enthalten oft eine ganze treffende Charakteristik in einem Wort. Erfüllt es nun den mit dem Geist der Humanität unserer Zeit durchdrungenen Menschen schon mit Be- dauern und Grausen, wenn er Schreckensbeiworte, wie „der Grau- same “, „der Schreckliche“ und andere sich den Namen mächtiger Re- genten im blutigen Purpur anschließen sieht, wie viel mehr noch muß es ihn mit Schauder und Abscheu erfüllen, wenn einem Weibe, einer Königin, das unheilverkündende Prädikat „die Blutige“ vom Volks- mund beigelegt wird, wie der Königin Maria von England, auch „die Katholische“ genannt. Ein chaotisch düsteres Bild, die Regierung dieser Königin von England, ja die ganze inhaltschwere Periode der englischen Geschichte von ihres Vaters Thronbesteigung an bis zu ihrem tausendfältig erwünschten Tode, der endlich wieder nach endlosen Tagen gleich grau- samer Wechselwirthschaft einer verschüchterten und fast demoralisirten Nation das Aufathmen gestattete. Parlament und Volk waren unter der heillosen Wechselwirthschaft ihrer Regenten gleich abgehetzt, gleich charakterlos geworden, gleich- gültig und widerstandslos den Sultanslaunen des jeweilig Gebietenden gehorchend und schmeichelnd. Schiller hat in seiner Maria Stuart die Charakterlosigkeit des damaligen Parlaments eben so wahr als vernichtend gezeichnet: „Jch sehe dieses edle Oberhaus, Gleich feil mit den erkäuflichen Gemeinen, Gesetze prägen und verrufen, Ehen Auflösen, binden, wie der Mächtige Gebietet — —“ König Heinrich VIII., das Ungeheuer, welcher eine legitime Bor- dellwirthschaft auf dem Thron etablirte und die ihm überdrüssig ge- wordenen Frauen abwechselnd verstieß und auf das Blutgerüst schickte, hinterließ bei seinem Tode einen Sohn, Eduard, und zwei Töchter, Maria und Elisabeth. Heinrich hatte durch eine mit allen Lastern der Sultanslaunen ausgestattete Regierungswirthschaft die Demora- lisation in England begründet. Sein einziges Verdienst ist die Be- freiung Englands von der geistlichen Oberherrschaft des Papstes und die Einführung einer Art Religionsverbesserung eigener Fabrik, zu welcher ihm die von Luther in Deutschland angebahnte das Muster lieferte. Seine Willkür schnitt aus Katholizismus und Lutherthum eine Lehre zusammen, die den Papst völlig ausschloß. Freilich sein Verdienst ist auch dieses einzige Gute Heinrichs nicht zu nennen, weil es auch nur Ausfluß einer Sultanslaune war. Heinrich hatte als Jüngling seines verstorbenen Bruders Weib, Katharina von Arragonien, geehelicht, wurde ihrer aber nach achtzehn- jähriger Ehe überdrüssig. Nach achtzehn Jahren meinte er, die Ehe mit seines Bruders Weib sei eine unerlaubte, und verlangte vom Papst die Auflösung derselben. Aber der Papst verweigerte diese und erklärte unter Drohungen die Ehe für gültig. Da löste der englische Sultan seine Ehe selbst auf, ließ durch das Parlament die Ober- herrschaft des Papstes für beendet und sich selbst zum Oberherrn der Kirche in England erklären, und verheirathete sich mit der schönen Anna Boleyn, die nur zu bald darauf das Schaffot besteigen mußte. Weil wiederum Johanna Seymour dem Könige besser ge- fiel, als Anna, wurde diese zur Ehebrecherin gestempelt und hin- gerichtet, ihre Tochter Elisabeth aber, sowie die Katharinens, Maria, als Bastard erklärt und von der Thronfolge ausgeschlossen. Johanna Seymour starb an der Geburt des Thronerben Eduard; Anna von Cleve, die vierte Gemahlin Heinrichs, wurde von ihm verstoßen, Katharina Howard hingerichtet, die sechste endlich, Katharina Parre, überlebte das wollüstige Ungeheuer, welches achtunddreißig Jahre lang den Thron Englands besudelt hatte. Heinrich hinterließ also eine Kirchenverbesserung, die, vom König geschützt und befördert, in England schon bedeutende Fortschritte ge- macht hatte. Der protestantische Bischof Cranmer war der treue und unermüdliche Berather des Königs auf diesem Gebiet, und unter seinem weisen Schutz befestigte sich der Bau der neuen Kirche. Dieser Ausbau der Reformation in England nahm unter der Re- gierung von Heinrichs Sohn und Nachfolger, Eduard VI., noch festere Gestalt an. Eduard zeigte frühzeitig hervorragende Talente und einen Wissensdurst, der sich vorzüglich auf das Gebiet der Religion erstreckte. Das Studium der heiligen Schrift beschäftigte ihn schon in frühen Jahren, und so bestieg er, obgleich kaum neun Jahre alt, als entschiedener Freund und Beförderer der Reformation den Thron. Die vom König Heinrich für den minderjährigen Prinzen eingesetzte Regentschaft war ebenfalls protestantisch, und so machte die Refor- mation unter der Regierung Eduards Riesenfortschritte. Leider blieben sie jedoch auch nicht von Maßregeln der Gewalt gegen Katholiken frei, welche die Umgebung des Königs zur schnelleren Ausbreitung der neuen Lehre und zur Unterdrückung des Katholizismus unternahm. Der kindlich fromme, gutmüthige König verweigerte wohl seine Zu- stimmung zu Maßregeln des Gewissenszwangs und der blutigen Ver- folgung gegen seine katholischen Landeskinder; aber er unterlag der Ueberredung seiner Rathgeber und unterzeichnete, weinend und alle Verantwortung auf ihr Haupt wälzend, die Todesurtheile wider Ka- tholiken und Schwärmer. Leider starb dieser gut und edel angelegte fürstliche Jüngling kaum sechszehnjährig, also noch bevor er zur wirklichen Selbstständigkeit gelangt war. Um das Werk der Kirchenverbesserung auch nach seinem Tode zu schützen, schloß auch er die zu Bastarden erklärten Stief- schwestern Maria und Elisabeth von der Thronfolge aus, weil Maria, die Aeltere derselben, eine eifrige Katholikin war, und ernannte seine Cousine, Johanna Grey, zur Thronfolgerin. Jhr wurde auch nach Eduards Tod von der Partei ihres mächtigen Schwiegervaters, des Her- zogs von Northumberland, gehuldigt; allein Maria fand den größern An- hang im Volk und zog triumphirend in London ein. Johanna, eine lie- benswürdige, durch seltene Geistesgaben ausgezeichnete Dame von kaum siebzehn Jahren, hatte stets Maria's Anrecht auf den Thron an- erkannt, und nur dem fast gewaltsamen Drängen ihres stolzen Schwiegervaters, des Herzogs von Northumberland, und ihres jungen, ehrgeizigen Gemahls hatte sie endlich nachgegeben und die Hand nach der Krone ausgestreckt. Maria zog mit wilden Rachegedanken in das Londoner Königsschloß ein und ließ denselben freien Lauf, als sie ihre Gegnerin sammt ihrem ganzen Anhang als Gefangene in ihre Hände fallen sah. Alle wur- den zum Tode verurtheilt, und auch die jugendliche Johanna mußte den zehntägigen Traum der Herrlichkeit auf dem Schaffot büßen. Maria's grausamer Sinn fand keine Entschuldigung darin, daß man Jene, die noch halb Kind war, wider ihren Willen auf den Thron gedrängt hatte. Johanna aber, ihres Fehlers eingedenk, erlitt from- men Sinnes und heiteren Muthes und ohne Maria anzuklagen, den Tod. Erst nach ihrem Tode fand man in ihrer Schreibtafel eine kurz vor der Hinrichtung eingeschriebene Sentenz, welche andeutete, daß sie an Maria's Stelle anders gehandelt haben würde. Sie hatte geschrieben: „Wenn mein Verbrechen Strafe verdient hat, so verdien- ten wenigstens meine Jugend und Unvorsichtigkeit Entschuldigung. Gott und die Nachwelt werden mir Gnade widerfahren lassen.“ Das englische Volk aber hatte mit seiner Schilderhebung für die katholische Maria eine Schreckenszeit über sich heraufbeschworen. Maria's erste und höchste Bestrebung als Königin war, die Re- formation in England mit Stumpf und Stiel wieder auszurotten und die katholische Kirche in ihrer vollen Macht und Herrlichkeit

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 20. Berlin, 17. Mai 1868, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt20_1868/4>, abgerufen am 06.06.2024.