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Sonntags-Blatt. Nr. 6. Berlin, 9. Februar 1868.

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[Beginn Spaltensatz] unter dem Hut eine Flechte ihres langen Haars gelös't und trieb sie
aufwirbelnd flatternd weit zurück. Sie gab nicht Acht darauf, so
wenig wie drüben im Schloßsaal der Mann auf dem Gemälde es
that. Wie ähnlich war sie ihm jetzt, trotz der Verschiedenheit der
Gestalt und der Kleidung. Man glaubte, es könne nichts Aehnlicheres
geben.

Doch man glaubte es nur einen Augenblick, so lange, als das
Sonnengluthmeer im letzten Moment des Versinkens jetzt wirklich die
Wahrnehmung jedes Gegenstandes in seiner Richtung unmöglich
machte. Dann plötzlich tauchte auf ungefähr zweihundert Schritt
vom Ufer etwas noch Aehnlicheres aus den Wellen auf -- doch die
Bezeichnung ist falsch, da kein Vergleich stattfinden konnte: es war
nicht ähnlicher, als andere, es war das Bild, das Original des Ge-
mäldes selbst.

Nur vielleicht etwas verjüngt schien es, sonst war Alles vorhanden,
auch in Haltung, Kleidung und Umgebung. Aufrecht am Mast des
Bootes, das pfeilschnell durch die Wellen aufs Ufer zu flog, stand
eine kraftvolle, jugendliche Männergestalt in grober Schiffertracht.
Das vorn gelös'te Hemd flatterte wie das blonde Haar[unleserliches Material] im Winde
zurück und ließ den schlanken Hals und den Anfang der hochgewölb-
ten Brust frei; neben ihm auf der Bank lag die abgeworfene See-
mannsjacke mit dem breit bebänderten glänzenden Wachstaffethut.

Die weißen Seegel flogen wie eine Riesenmöwe auf dem Rücken
der sich noch immer steigernden Flut heran. Es mußte noch Jemand
von ihnen verdeckt im Boot sein, der das Steuer hielt; doch bis jetzt
sah es aus, als verfolge dieses seinen Kurs auf eigene Hand, denn
der junge Mann stand, das Auge auf den Deich geheftet, bewegungs-
los am Segel. Nun aber flog das Boot hart am Landungssteg
plötzlich herum; zugleich machte Jener einen kräftigen Ruck mit der
Hand, daß die gelös'ten Segel im Wind flatterten, und eine andere,
bisher von ihnen verborgene Gestalt erhob sich vom Steuersitz und
sprang auf die hoch von den anbrandenden Wellen umschäumten
Bretter. Sie hielt dabei eine Kette in der Hand, die sie gewandt
durch einen am Steg befindlichen Eisenring schlang, während ihr Ge-
fährte die hin und her schlagenden Segel am Mast befestigte. Dann
eilte sie mit dem lauten freudigen Ruf: "Mutter!" auf die Baronin
zu und warf sich mit zärtlichem Ungestüm jubelnd in ihre Arme.

Die Mutter küßte sie liebevoll auf Stirn und Lippen, während
sie mit der Hand die wild flatternden blonden Locken auf dem weißen
Mädchenhals sammelte und umschloß.

"Mein wildes Schifferkind", sagte sie, mit stolzen Mutterblicken
die hohe, schlanke Mädchengestalt messend, die sich lachend in den Armen
der Baronin hin und her wiegte. Eine schwarze Säule, der ein
fahles Gesicht nachfolgte, reckte sich hinter ihnen über den Kamm der
Böschung. Es war Herr von Torwisch, der vor Sonne und Wind
sich wieder auf die Landseite des Deiches hinab geflüchtet und jetzt
droben ein Geräusch vernommen hatte, das seine Rückkehr veranlaßte.

"Schrie da eben ein Wasservogel, Frau Mutter?" fragte er,
seinen Kopf vorsichtig über den Damm in den Wind streckend.

"Ja, meine Sturmmöwe", entgegnete lachend die Baronin, die
das Mädchen noch immer glückstrahlend umschlungen hielt. Herr
von Torwisch gewahrte die Letztere jetzt und trat, sich entschuldigend,
zu ihnen hinauf.

"Bei dem Unwetter vermag man nichts zu unterscheiden", sagte
er mit dem sichtlichen Bestreben, sich so gefällig als möglich aus-
zudrücken, "und ich fürchtete, da Du so lange ausbliebst, Posthuma,
jeden Augenblick den Ruf eines Unglücksvogels zu vernehmen."

Das Mädchen wandte, ohne die Mutter zu verlassen, den Kopf
nach der Richtung, aus der die Stimme kam.

"Ach, bist Du auch da, Vetter Alfred?" sagte sie, ihm die Hand
hinüberstreckend, die er ceremoniös an die Lippen führte; "das ist ja
eine seltene und nicht hoch genug zu schätzende Gunst."

"Jn der That, meine liebe Braut, die Unruhe über Dein Aus-
bleiben bei diesem Sturm trieb mich hierher --"

Doch ein schallendes Gelächter des Mädchens unterbrach ihn.

"Sturm?" rief sie, in die Hände klatschend. "Es ist ja der herr-
lichste Abend von der Welt. Aber wenn Euch Herren der Wind den
Stadthut auf dem Kopf ein bißchen rüttelt, da glaubt Jhr gleich,
alle bösen Geister seien los. Das kommt auch von Euren Land-
manieren, Einem die Hand immerfort zu küssen, anstatt sie, wie ein
braver Seemann, zu schütteln, daß man versteht, was es heißen soll."

Sie blitzte ihn mit ihren leuchtenden Augen an, daß er unwill-
kürlich seine Hand nach ihr ausstreckte. Doch er zog sie schnell
ängstlich wieder zurück; denn ihre kleine, muskulöse Hand schoß wie
ein Raubvogel auf dieselbe zu und preßte muthwillig seine Finger
zusammen, daß er sich auf die Lippen biß, um nicht aufzuschreien.

"So gehört sich's, Vetter", sagte sie spöttisch, indem sie seine
magere Hand fahren ließ; "das ist Seemannsgruß, nicht wahr,
Paul?"

Die letzten Worte waren an den jungen Schiffer gerichtet, der,
nachdem er Boot und Seegel völlig befestigt und seine Jacke über-
[Spaltenumbruch] geworfen hatte, jetzt langsam schlendernd auf die Gruppe zukam.
Er zog, als er näher kam, vor der Baronin seinen breitkrämpigen
Hut, womit er indeß mehr das Alter derselben, als ihre gesellschaftliche
Stellung auszuzeichnen schien, denn Herrn von Torwisch würdigte
er keines Grußes noch Blickes.

"Gute Fahrt um die Jahreszeit bei der Abendflut", sagte er, an
die Baronin herantretend und ihr die Hand reichend, welche diese,
ohne zu zaudern, annahm. "Kommst Du nicht auch einmal herüber?
Du bist lange nicht drüben gewesen, und die Alten fragen jedesmal.
wenn Posthuma kommt."

Die vertrauliche Anrede des derben Jnsel= und Meerbewohners an die
feine, vornehm blickende Frau, machte einen ungewöhnlichen Eindruck.
Jhr mußte indeß nichts auffällig darin erscheinen, denn sie erwiderte
freundlich:

"Jn dieser Zeit wohl schwerlich, Paul. Grüße den Vater und
sag' ihm, später, im Sommer, käme ich; aber er müsse vorher zu mir
kommen."

"Der Vater geht nicht mehr von der Jnsel weg", antwortete
Paul trocken, "weder hierher, noch anderswohin."

"Und was macht die Muhme?"

"Sie wird alt."

"Du bist sehr einsilbig, Paul."

"Worte machen sie nicht jünger."

"Er ist's nur mit Euch, weil Jhr ihn und er Euch nicht versteht!"
rief Posthuma, die daneben mit Herrn von Torwisch gesprochen hatte,
sich zu den Beiden umwendend. "Nicht wahr, Paul, wir verstehen
uns und sind den ganzen Tag hindurch nicht stumm, ob Sonnen-
schein oder Sturm ist. Aber die wissen ja nicht, was die Vögel
rufen und was Wind und Wellen erzählen."

"Deine Mutter weiß es", unterbrach sie Paul.

"Ja, Mama weiß es, Paul; das heißt -- doch nur so halb, weißt
Du, Paul", versetzte das Mädchen, ihm zutraulich die Hand auf die
Schulter legend.

"Wenigstens sollte sie es noch wissen und wüßte es auch noch",
entgegnete der junge Seemann ernst, "wenn sie eine echte Steen ge-
blieben wäre und nicht das Papiergesicht da aus der Stadt ge-
heirathet hätte."

Die Baronin lächelte wehmüthig zu den dreisten, nicht gerade
rücksichtsvollen Worten. Sie mochte wissen, daß Widerspruch der
derben Seemannsnatur gegenüber nutzlos sei, mochte vielleicht selbst
den Vorwurf im Herzen empfinden.

"Jst denn Posthuma eine echte Steen, Paul?" fragte sie
statt dessen.

Es flog wie ein Sonnenstrahl aufheiternd über die Stirn des
Gefragten.

"Posthuma?" wiederholte er, das Mädchen voll mit seinen großen
hellblauen Augen überglänzend. "Paula, meinst Du? Paula ist eine
so echte Tochter des ersten, alten Paul Steen, wie ich der Sohn von
Paul Steen drüben auf Steens=Hallig bin."

Der Blick des jungen Mannes ruhte mit wild zärtlicher Be-
wunderung auf dem schönen Mädchen, das ihm dankbar die Hand
reichte, die er freudig mit seinen kraftvollen Fingern umschloß. Sie
waren sich in der Form auffallend gleich, diese beiden Hände, die fest
in einander lagen; nur war die eine groß und derb und gebräunt,
die andere klein und weiß und zart, trotz ihrer Kraft. Es war die-
selbe Aehnlichkeit und derselbe Unterschied, wie in allem Anderen, in
der Gestalt, im Gesicht, in der Stimme -- Beide eine Schöpfung nach
gleichem Ebenbilde, nur der Eine von der Natur in kraftvoll derberem
Umriß aus Granit gemeißelt, die Andere von feiner Künstlerhand
sorgsam in weichem Marmor gebildet.

Herr von Torwisch hatte eine Jagd nach seinem Hut angestellt,
der ihm, trotz seiner unausgesetzten Bemühung, ihn zu halten, doch
vom Kopf fortgerissen und den Abhang hinuntergerollt war. Er
hatte ihn jetzt zerknittert wieder eingefangen und kam ärgerlich auf
den Deich zurück.

"Jch begreife nicht, weßhalb ihr hier noch immer im Winde steht",
sagte er verdrießlich.

Posthuma deutete mit der Hand auf Paul.

"Er fährt gleich wieder zurück, eh' es dunkel wird."

Herr von Torwisch griff in die Tasche.

"Jst der Mann noch nicht bezahlt?" fragte er.

Ein glühendes Roth flog über Posthuma's Gesicht, doch sie faßte
sich schnell und sprang auf den Schiffer, der die Frage gehört und
sich mit einem starren Blick nach dem Fragenden umgewendet hatte, zu.

"Mein Vetter meint, ob ich schon meinen Dank für Deine Mühe
abgestattet habe, Paul!" rief sie fröhlich, den einen Arm um seinen
Nacken legend. "Er that gut, daß er mich erinnerte, ich hätte es
bald vergessen. Komm, Paul."

( Fortsetzung folgt. )



[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] unter dem Hut eine Flechte ihres langen Haars gelös't und trieb sie
aufwirbelnd flatternd weit zurück. Sie gab nicht Acht darauf, so
wenig wie drüben im Schloßsaal der Mann auf dem Gemälde es
that. Wie ähnlich war sie ihm jetzt, trotz der Verschiedenheit der
Gestalt und der Kleidung. Man glaubte, es könne nichts Aehnlicheres
geben.

Doch man glaubte es nur einen Augenblick, so lange, als das
Sonnengluthmeer im letzten Moment des Versinkens jetzt wirklich die
Wahrnehmung jedes Gegenstandes in seiner Richtung unmöglich
machte. Dann plötzlich tauchte auf ungefähr zweihundert Schritt
vom Ufer etwas noch Aehnlicheres aus den Wellen auf — doch die
Bezeichnung ist falsch, da kein Vergleich stattfinden konnte: es war
nicht ähnlicher, als andere, es war das Bild, das Original des Ge-
mäldes selbst.

Nur vielleicht etwas verjüngt schien es, sonst war Alles vorhanden,
auch in Haltung, Kleidung und Umgebung. Aufrecht am Mast des
Bootes, das pfeilschnell durch die Wellen aufs Ufer zu flog, stand
eine kraftvolle, jugendliche Männergestalt in grober Schiffertracht.
Das vorn gelös'te Hemd flatterte wie das blonde Haar[unleserliches Material] im Winde
zurück und ließ den schlanken Hals und den Anfang der hochgewölb-
ten Brust frei; neben ihm auf der Bank lag die abgeworfene See-
mannsjacke mit dem breit bebänderten glänzenden Wachstaffethut.

Die weißen Seegel flogen wie eine Riesenmöwe auf dem Rücken
der sich noch immer steigernden Flut heran. Es mußte noch Jemand
von ihnen verdeckt im Boot sein, der das Steuer hielt; doch bis jetzt
sah es aus, als verfolge dieses seinen Kurs auf eigene Hand, denn
der junge Mann stand, das Auge auf den Deich geheftet, bewegungs-
los am Segel. Nun aber flog das Boot hart am Landungssteg
plötzlich herum; zugleich machte Jener einen kräftigen Ruck mit der
Hand, daß die gelös'ten Segel im Wind flatterten, und eine andere,
bisher von ihnen verborgene Gestalt erhob sich vom Steuersitz und
sprang auf die hoch von den anbrandenden Wellen umschäumten
Bretter. Sie hielt dabei eine Kette in der Hand, die sie gewandt
durch einen am Steg befindlichen Eisenring schlang, während ihr Ge-
fährte die hin und her schlagenden Segel am Mast befestigte. Dann
eilte sie mit dem lauten freudigen Ruf: „Mutter!“ auf die Baronin
zu und warf sich mit zärtlichem Ungestüm jubelnd in ihre Arme.

Die Mutter küßte sie liebevoll auf Stirn und Lippen, während
sie mit der Hand die wild flatternden blonden Locken auf dem weißen
Mädchenhals sammelte und umschloß.

„Mein wildes Schifferkind“, sagte sie, mit stolzen Mutterblicken
die hohe, schlanke Mädchengestalt messend, die sich lachend in den Armen
der Baronin hin und her wiegte. Eine schwarze Säule, der ein
fahles Gesicht nachfolgte, reckte sich hinter ihnen über den Kamm der
Böschung. Es war Herr von Torwisch, der vor Sonne und Wind
sich wieder auf die Landseite des Deiches hinab geflüchtet und jetzt
droben ein Geräusch vernommen hatte, das seine Rückkehr veranlaßte.

„Schrie da eben ein Wasservogel, Frau Mutter?“ fragte er,
seinen Kopf vorsichtig über den Damm in den Wind streckend.

„Ja, meine Sturmmöwe“, entgegnete lachend die Baronin, die
das Mädchen noch immer glückstrahlend umschlungen hielt. Herr
von Torwisch gewahrte die Letztere jetzt und trat, sich entschuldigend,
zu ihnen hinauf.

„Bei dem Unwetter vermag man nichts zu unterscheiden“, sagte
er mit dem sichtlichen Bestreben, sich so gefällig als möglich aus-
zudrücken, „und ich fürchtete, da Du so lange ausbliebst, Posthuma,
jeden Augenblick den Ruf eines Unglücksvogels zu vernehmen.“

Das Mädchen wandte, ohne die Mutter zu verlassen, den Kopf
nach der Richtung, aus der die Stimme kam.

„Ach, bist Du auch da, Vetter Alfred?“ sagte sie, ihm die Hand
hinüberstreckend, die er ceremoniös an die Lippen führte; „das ist ja
eine seltene und nicht hoch genug zu schätzende Gunst.“

„Jn der That, meine liebe Braut, die Unruhe über Dein Aus-
bleiben bei diesem Sturm trieb mich hierher —“

Doch ein schallendes Gelächter des Mädchens unterbrach ihn.

„Sturm?“ rief sie, in die Hände klatschend. „Es ist ja der herr-
lichste Abend von der Welt. Aber wenn Euch Herren der Wind den
Stadthut auf dem Kopf ein bißchen rüttelt, da glaubt Jhr gleich,
alle bösen Geister seien los. Das kommt auch von Euren Land-
manieren, Einem die Hand immerfort zu küssen, anstatt sie, wie ein
braver Seemann, zu schütteln, daß man versteht, was es heißen soll.“

Sie blitzte ihn mit ihren leuchtenden Augen an, daß er unwill-
kürlich seine Hand nach ihr ausstreckte. Doch er zog sie schnell
ängstlich wieder zurück; denn ihre kleine, muskulöse Hand schoß wie
ein Raubvogel auf dieselbe zu und preßte muthwillig seine Finger
zusammen, daß er sich auf die Lippen biß, um nicht aufzuschreien.

„So gehört sich's, Vetter“, sagte sie spöttisch, indem sie seine
magere Hand fahren ließ; „das ist Seemannsgruß, nicht wahr,
Paul?“

Die letzten Worte waren an den jungen Schiffer gerichtet, der,
nachdem er Boot und Seegel völlig befestigt und seine Jacke über-
[Spaltenumbruch] geworfen hatte, jetzt langsam schlendernd auf die Gruppe zukam.
Er zog, als er näher kam, vor der Baronin seinen breitkrämpigen
Hut, womit er indeß mehr das Alter derselben, als ihre gesellschaftliche
Stellung auszuzeichnen schien, denn Herrn von Torwisch würdigte
er keines Grußes noch Blickes.

„Gute Fahrt um die Jahreszeit bei der Abendflut“, sagte er, an
die Baronin herantretend und ihr die Hand reichend, welche diese,
ohne zu zaudern, annahm. „Kommst Du nicht auch einmal herüber?
Du bist lange nicht drüben gewesen, und die Alten fragen jedesmal.
wenn Posthuma kommt.“

Die vertrauliche Anrede des derben Jnsel= und Meerbewohners an die
feine, vornehm blickende Frau, machte einen ungewöhnlichen Eindruck.
Jhr mußte indeß nichts auffällig darin erscheinen, denn sie erwiderte
freundlich:

„Jn dieser Zeit wohl schwerlich, Paul. Grüße den Vater und
sag' ihm, später, im Sommer, käme ich; aber er müsse vorher zu mir
kommen.“

„Der Vater geht nicht mehr von der Jnsel weg“, antwortete
Paul trocken, „weder hierher, noch anderswohin.“

„Und was macht die Muhme?“

„Sie wird alt.“

„Du bist sehr einsilbig, Paul.“

„Worte machen sie nicht jünger.“

„Er ist's nur mit Euch, weil Jhr ihn und er Euch nicht versteht!“
rief Posthuma, die daneben mit Herrn von Torwisch gesprochen hatte,
sich zu den Beiden umwendend. „Nicht wahr, Paul, wir verstehen
uns und sind den ganzen Tag hindurch nicht stumm, ob Sonnen-
schein oder Sturm ist. Aber die wissen ja nicht, was die Vögel
rufen und was Wind und Wellen erzählen.“

„Deine Mutter weiß es“, unterbrach sie Paul.

„Ja, Mama weiß es, Paul; das heißt — doch nur so halb, weißt
Du, Paul“, versetzte das Mädchen, ihm zutraulich die Hand auf die
Schulter legend.

„Wenigstens sollte sie es noch wissen und wüßte es auch noch“,
entgegnete der junge Seemann ernst, „wenn sie eine echte Steen ge-
blieben wäre und nicht das Papiergesicht da aus der Stadt ge-
heirathet hätte.“

Die Baronin lächelte wehmüthig zu den dreisten, nicht gerade
rücksichtsvollen Worten. Sie mochte wissen, daß Widerspruch der
derben Seemannsnatur gegenüber nutzlos sei, mochte vielleicht selbst
den Vorwurf im Herzen empfinden.

„Jst denn Posthuma eine echte Steen, Paul?“ fragte sie
statt dessen.

Es flog wie ein Sonnenstrahl aufheiternd über die Stirn des
Gefragten.

„Posthuma?“ wiederholte er, das Mädchen voll mit seinen großen
hellblauen Augen überglänzend. „Paula, meinst Du? Paula ist eine
so echte Tochter des ersten, alten Paul Steen, wie ich der Sohn von
Paul Steen drüben auf Steens=Hallig bin.“

Der Blick des jungen Mannes ruhte mit wild zärtlicher Be-
wunderung auf dem schönen Mädchen, das ihm dankbar die Hand
reichte, die er freudig mit seinen kraftvollen Fingern umschloß. Sie
waren sich in der Form auffallend gleich, diese beiden Hände, die fest
in einander lagen; nur war die eine groß und derb und gebräunt,
die andere klein und weiß und zart, trotz ihrer Kraft. Es war die-
selbe Aehnlichkeit und derselbe Unterschied, wie in allem Anderen, in
der Gestalt, im Gesicht, in der Stimme — Beide eine Schöpfung nach
gleichem Ebenbilde, nur der Eine von der Natur in kraftvoll derberem
Umriß aus Granit gemeißelt, die Andere von feiner Künstlerhand
sorgsam in weichem Marmor gebildet.

Herr von Torwisch hatte eine Jagd nach seinem Hut angestellt,
der ihm, trotz seiner unausgesetzten Bemühung, ihn zu halten, doch
vom Kopf fortgerissen und den Abhang hinuntergerollt war. Er
hatte ihn jetzt zerknittert wieder eingefangen und kam ärgerlich auf
den Deich zurück.

„Jch begreife nicht, weßhalb ihr hier noch immer im Winde steht“,
sagte er verdrießlich.

Posthuma deutete mit der Hand auf Paul.

„Er fährt gleich wieder zurück, eh' es dunkel wird.“

Herr von Torwisch griff in die Tasche.

„Jst der Mann noch nicht bezahlt?“ fragte er.

Ein glühendes Roth flog über Posthuma's Gesicht, doch sie faßte
sich schnell und sprang auf den Schiffer, der die Frage gehört und
sich mit einem starren Blick nach dem Fragenden umgewendet hatte, zu.

„Mein Vetter meint, ob ich schon meinen Dank für Deine Mühe
abgestattet habe, Paul!“ rief sie fröhlich, den einen Arm um seinen
Nacken legend. „Er that gut, daß er mich erinnerte, ich hätte es
bald vergessen. Komm, Paul.“

( Fortsetzung folgt. )



[Ende Spaltensatz]
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[43/0003] 43 unter dem Hut eine Flechte ihres langen Haars gelös't und trieb sie aufwirbelnd flatternd weit zurück. Sie gab nicht Acht darauf, so wenig wie drüben im Schloßsaal der Mann auf dem Gemälde es that. Wie ähnlich war sie ihm jetzt, trotz der Verschiedenheit der Gestalt und der Kleidung. Man glaubte, es könne nichts Aehnlicheres geben. Doch man glaubte es nur einen Augenblick, so lange, als das Sonnengluthmeer im letzten Moment des Versinkens jetzt wirklich die Wahrnehmung jedes Gegenstandes in seiner Richtung unmöglich machte. Dann plötzlich tauchte auf ungefähr zweihundert Schritt vom Ufer etwas noch Aehnlicheres aus den Wellen auf — doch die Bezeichnung ist falsch, da kein Vergleich stattfinden konnte: es war nicht ähnlicher, als andere, es war das Bild, das Original des Ge- mäldes selbst. Nur vielleicht etwas verjüngt schien es, sonst war Alles vorhanden, auch in Haltung, Kleidung und Umgebung. Aufrecht am Mast des Bootes, das pfeilschnell durch die Wellen aufs Ufer zu flog, stand eine kraftvolle, jugendliche Männergestalt in grober Schiffertracht. Das vorn gelös'te Hemd flatterte wie das blonde Haar_ im Winde zurück und ließ den schlanken Hals und den Anfang der hochgewölb- ten Brust frei; neben ihm auf der Bank lag die abgeworfene See- mannsjacke mit dem breit bebänderten glänzenden Wachstaffethut. Die weißen Seegel flogen wie eine Riesenmöwe auf dem Rücken der sich noch immer steigernden Flut heran. Es mußte noch Jemand von ihnen verdeckt im Boot sein, der das Steuer hielt; doch bis jetzt sah es aus, als verfolge dieses seinen Kurs auf eigene Hand, denn der junge Mann stand, das Auge auf den Deich geheftet, bewegungs- los am Segel. Nun aber flog das Boot hart am Landungssteg plötzlich herum; zugleich machte Jener einen kräftigen Ruck mit der Hand, daß die gelös'ten Segel im Wind flatterten, und eine andere, bisher von ihnen verborgene Gestalt erhob sich vom Steuersitz und sprang auf die hoch von den anbrandenden Wellen umschäumten Bretter. Sie hielt dabei eine Kette in der Hand, die sie gewandt durch einen am Steg befindlichen Eisenring schlang, während ihr Ge- fährte die hin und her schlagenden Segel am Mast befestigte. Dann eilte sie mit dem lauten freudigen Ruf: „Mutter!“ auf die Baronin zu und warf sich mit zärtlichem Ungestüm jubelnd in ihre Arme. Die Mutter küßte sie liebevoll auf Stirn und Lippen, während sie mit der Hand die wild flatternden blonden Locken auf dem weißen Mädchenhals sammelte und umschloß. „Mein wildes Schifferkind“, sagte sie, mit stolzen Mutterblicken die hohe, schlanke Mädchengestalt messend, die sich lachend in den Armen der Baronin hin und her wiegte. Eine schwarze Säule, der ein fahles Gesicht nachfolgte, reckte sich hinter ihnen über den Kamm der Böschung. Es war Herr von Torwisch, der vor Sonne und Wind sich wieder auf die Landseite des Deiches hinab geflüchtet und jetzt droben ein Geräusch vernommen hatte, das seine Rückkehr veranlaßte. „Schrie da eben ein Wasservogel, Frau Mutter?“ fragte er, seinen Kopf vorsichtig über den Damm in den Wind streckend. „Ja, meine Sturmmöwe“, entgegnete lachend die Baronin, die das Mädchen noch immer glückstrahlend umschlungen hielt. Herr von Torwisch gewahrte die Letztere jetzt und trat, sich entschuldigend, zu ihnen hinauf. „Bei dem Unwetter vermag man nichts zu unterscheiden“, sagte er mit dem sichtlichen Bestreben, sich so gefällig als möglich aus- zudrücken, „und ich fürchtete, da Du so lange ausbliebst, Posthuma, jeden Augenblick den Ruf eines Unglücksvogels zu vernehmen.“ Das Mädchen wandte, ohne die Mutter zu verlassen, den Kopf nach der Richtung, aus der die Stimme kam. „Ach, bist Du auch da, Vetter Alfred?“ sagte sie, ihm die Hand hinüberstreckend, die er ceremoniös an die Lippen führte; „das ist ja eine seltene und nicht hoch genug zu schätzende Gunst.“ „Jn der That, meine liebe Braut, die Unruhe über Dein Aus- bleiben bei diesem Sturm trieb mich hierher —“ Doch ein schallendes Gelächter des Mädchens unterbrach ihn. „Sturm?“ rief sie, in die Hände klatschend. „Es ist ja der herr- lichste Abend von der Welt. Aber wenn Euch Herren der Wind den Stadthut auf dem Kopf ein bißchen rüttelt, da glaubt Jhr gleich, alle bösen Geister seien los. Das kommt auch von Euren Land- manieren, Einem die Hand immerfort zu küssen, anstatt sie, wie ein braver Seemann, zu schütteln, daß man versteht, was es heißen soll.“ Sie blitzte ihn mit ihren leuchtenden Augen an, daß er unwill- kürlich seine Hand nach ihr ausstreckte. Doch er zog sie schnell ängstlich wieder zurück; denn ihre kleine, muskulöse Hand schoß wie ein Raubvogel auf dieselbe zu und preßte muthwillig seine Finger zusammen, daß er sich auf die Lippen biß, um nicht aufzuschreien. „So gehört sich's, Vetter“, sagte sie spöttisch, indem sie seine magere Hand fahren ließ; „das ist Seemannsgruß, nicht wahr, Paul?“ Die letzten Worte waren an den jungen Schiffer gerichtet, der, nachdem er Boot und Seegel völlig befestigt und seine Jacke über- geworfen hatte, jetzt langsam schlendernd auf die Gruppe zukam. Er zog, als er näher kam, vor der Baronin seinen breitkrämpigen Hut, womit er indeß mehr das Alter derselben, als ihre gesellschaftliche Stellung auszuzeichnen schien, denn Herrn von Torwisch würdigte er keines Grußes noch Blickes. „Gute Fahrt um die Jahreszeit bei der Abendflut“, sagte er, an die Baronin herantretend und ihr die Hand reichend, welche diese, ohne zu zaudern, annahm. „Kommst Du nicht auch einmal herüber? Du bist lange nicht drüben gewesen, und die Alten fragen jedesmal. wenn Posthuma kommt.“ Die vertrauliche Anrede des derben Jnsel= und Meerbewohners an die feine, vornehm blickende Frau, machte einen ungewöhnlichen Eindruck. Jhr mußte indeß nichts auffällig darin erscheinen, denn sie erwiderte freundlich: „Jn dieser Zeit wohl schwerlich, Paul. Grüße den Vater und sag' ihm, später, im Sommer, käme ich; aber er müsse vorher zu mir kommen.“ „Der Vater geht nicht mehr von der Jnsel weg“, antwortete Paul trocken, „weder hierher, noch anderswohin.“ „Und was macht die Muhme?“ „Sie wird alt.“ „Du bist sehr einsilbig, Paul.“ „Worte machen sie nicht jünger.“ „Er ist's nur mit Euch, weil Jhr ihn und er Euch nicht versteht!“ rief Posthuma, die daneben mit Herrn von Torwisch gesprochen hatte, sich zu den Beiden umwendend. „Nicht wahr, Paul, wir verstehen uns und sind den ganzen Tag hindurch nicht stumm, ob Sonnen- schein oder Sturm ist. Aber die wissen ja nicht, was die Vögel rufen und was Wind und Wellen erzählen.“ „Deine Mutter weiß es“, unterbrach sie Paul. „Ja, Mama weiß es, Paul; das heißt — doch nur so halb, weißt Du, Paul“, versetzte das Mädchen, ihm zutraulich die Hand auf die Schulter legend. „Wenigstens sollte sie es noch wissen und wüßte es auch noch“, entgegnete der junge Seemann ernst, „wenn sie eine echte Steen ge- blieben wäre und nicht das Papiergesicht da aus der Stadt ge- heirathet hätte.“ Die Baronin lächelte wehmüthig zu den dreisten, nicht gerade rücksichtsvollen Worten. Sie mochte wissen, daß Widerspruch der derben Seemannsnatur gegenüber nutzlos sei, mochte vielleicht selbst den Vorwurf im Herzen empfinden. „Jst denn Posthuma eine echte Steen, Paul?“ fragte sie statt dessen. Es flog wie ein Sonnenstrahl aufheiternd über die Stirn des Gefragten. „Posthuma?“ wiederholte er, das Mädchen voll mit seinen großen hellblauen Augen überglänzend. „Paula, meinst Du? Paula ist eine so echte Tochter des ersten, alten Paul Steen, wie ich der Sohn von Paul Steen drüben auf Steens=Hallig bin.“ Der Blick des jungen Mannes ruhte mit wild zärtlicher Be- wunderung auf dem schönen Mädchen, das ihm dankbar die Hand reichte, die er freudig mit seinen kraftvollen Fingern umschloß. Sie waren sich in der Form auffallend gleich, diese beiden Hände, die fest in einander lagen; nur war die eine groß und derb und gebräunt, die andere klein und weiß und zart, trotz ihrer Kraft. Es war die- selbe Aehnlichkeit und derselbe Unterschied, wie in allem Anderen, in der Gestalt, im Gesicht, in der Stimme — Beide eine Schöpfung nach gleichem Ebenbilde, nur der Eine von der Natur in kraftvoll derberem Umriß aus Granit gemeißelt, die Andere von feiner Künstlerhand sorgsam in weichem Marmor gebildet. Herr von Torwisch hatte eine Jagd nach seinem Hut angestellt, der ihm, trotz seiner unausgesetzten Bemühung, ihn zu halten, doch vom Kopf fortgerissen und den Abhang hinuntergerollt war. Er hatte ihn jetzt zerknittert wieder eingefangen und kam ärgerlich auf den Deich zurück. „Jch begreife nicht, weßhalb ihr hier noch immer im Winde steht“, sagte er verdrießlich. Posthuma deutete mit der Hand auf Paul. „Er fährt gleich wieder zurück, eh' es dunkel wird.“ Herr von Torwisch griff in die Tasche. „Jst der Mann noch nicht bezahlt?“ fragte er. Ein glühendes Roth flog über Posthuma's Gesicht, doch sie faßte sich schnell und sprang auf den Schiffer, der die Frage gehört und sich mit einem starren Blick nach dem Fragenden umgewendet hatte, zu. „Mein Vetter meint, ob ich schon meinen Dank für Deine Mühe abgestattet habe, Paul!“ rief sie fröhlich, den einen Arm um seinen Nacken legend. „Er that gut, daß er mich erinnerte, ich hätte es bald vergessen. Komm, Paul.“ ( Fortsetzung folgt. )

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 6. Berlin, 9. Februar 1868, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt06_1868/3>, abgerufen am 15.06.2024.