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Sonntags-Blatt. Nr. 6. Berlin, 9. Februar 1868.

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Album.
[Beginn Spaltensatz]
Fürbitte.
Unschätzbar dem, der dich verloren,
Dem werthlos, der dich nie gekannt,
Verschmäht von Feigen und von Thoren,
Das höchste Gut dem, der dich fand --
O Freiheit, oft verbannt, verstoßen,
Oft angestaunt in Furcht und Scheu,
Geh' zu den Mächt'gen, zu den Großen
Und sprich sie ihrer Fesseln frei!
"Nicht zürnt, ein freies Wort zu hören,
Nicht wendet ab das Angesicht!
Laßt sich entfalten, laßt gewähren,
Was unaufhaltsam drängt zum Licht.
Werft ab die Scheu! Nicht länger zittert,
Wenn frei sich zeigt, was wahr und echt!
Wer kleinlich straft, auch der erschüttert
Den Glauben an das heil'ge Recht.
Was ist so stark, so herzerhebend
Als freien, mächt'gen Geistes Wehn?
Gewaltig wirkt es, wirkt belebend,
Wie auf dem Hochgebirg der Föhn.
Der weckt den Lenz auf Berges Scheiteln,
Die Jahre lang verschneit, vereist.
Buchstaben laßt Beschränkte deuteln,
Euch ziemt's zu herrschen durch den Geist.
[Spaltenumbruch]
Streut edle Saat mit vollen Händen,
Und wißt: der Tag der Ernte kommt.
O kargt nicht, wo es gilt Verschwenden,
Verschwendend, wo nur Kargheit frommt.
Dann sollt ihr freie Lieb' empfangen,
Die mehr als jede Krone schmückt;
Wer viel vergiebt, kann viel verlangen,
Beglückend lebt er wie beglückt.
Dies ist kein Volk, das frech begehrlich
Die Hände reckt nach fremdem Gut;
Mit Wort und Waffen kämpft es ehrlich
Und opfert freudig Gold und Blut.
Nicht, daß es euer Recht verletze,
Besorgt, wenn ihr es milde lenkt!
Jm Herzen trägt es die Gesetze
Der Freiheit, die sich selbst beschränkt.
Du, die allein kann Freude geben
Dem, der dich kennt und der dich ehrt,
Die einzig Leben schafft aus Leben,
Die Völker stark macht und belehrt --
O Göttin, oft verbannt, verstoßen,
Oft angestaunt in Furcht und Scheu,
Geh' zu den Mächt'gen, zu den Großen
Und mach' sie ihrer Fesseln frei!
[Ende Spaltensatz]

Aus der Zeit.
[Beginn Spaltensatz]
Ein Jubiläum.
( Schluß. )

Daß die Lehre Christi, welche übrigens vor ihm wie nach ihm, wenn
auch in anderer Form, verschiedentlich von begabten Geistern aufgestellt
worden, eine Lehre des Friedens, der Duldung und Humanität, durch das
Schwert und durch Grausamkeiten verbreitet und eingeführt werden sollte,
war überhaupt eine Widersinnigkeit.

Es ist Thorheit zu sagen, diese Richtung lag in der Zeit; sie entsprang
vielmehr mangelhaften Begriffen, willkürlichen Deutungen und in vielen
Fällen böslicher Absicht; in allem diesem aber waren jene Art von Apostel
nicht die Vertreter der hohen Jdee, nicht die Träger der reinen Lehre, und
ihre Beobachtung des willkürlich geschaffenen Formwesens nicht besser als
das blinde, verstockte Heidenthum.

Hätte man den enthusiasmirten Bekehrern, den opferbereiten, nichts
verlangenden Aposteln trotz ihrer oft mangelhaften und zu schwärmerischen
Auffassung der erhabenen Jdee des Christenthums den Willen gelassen,
wäre die Bekehrung der Deutschen und Wenden, wie schon bemerkt, sicher
schneller, namentlich aber nachhaltiger von statten gegangen als durch
die Schwertbekehrungen.

Der Götzendienst der Wenden hatte sich außerdem längst überlebt;
namentlich die vornehmeren Wenden sehnten sich überall danach, das
Priesterjoch abzuwerfen, und nur die Furcht vor der fanatischen Menge,
welche den Pfaffen anhing, verhinderte sie, selbst Reformen vorzunehmen.
Freilich hatten sie auch von dem Wahn den Vortheil, durch ihn die
Massen in sklavischer Abhängigkeit zu erhalten, so lange sie mit den Prie-
stern gut standen.

Jm Ganzen fehlte indessen immer nur die Handhabe gegen diesen thörichten
Wahn, das bezeichnende Wort und der öffentliche Beweis seiner Hinfällig-
keit, um dieselbe begreifen zu lassen, und alles das boten die frommen
Apostel; ihr Erfolg beweist am besten die Richtigkeit jener Ansicht.

Durch das blutige Schwert aber den Wahn wegmähen wollen, hieß
nur, demselben neue Stärke verleihen; anders zu handeln, als zu lehren,
hieß, sich den Stempel des Betrügers aufdrücken. Gar aber als Räuber
einzudringen, mußte Sinn und Waffen der Bedrängten gegen die Dränger
und selbstverständlich auch gegen deren Lehre kehren.

Diesem Widersinn ist ein ganzes großes Volk, ein Volksstamm, in
höchst unwürdiger Weise zum Opfer gefallen. Die Geschichte kann stets
nur trauernd den Untergang eines Volkes oder einer ganzen Race ver-
merken; sie liefert dadurch einen Beweis von der Unwürdigkeit des ganzen
Geschlechts, das nicht im Stande ist, das ihm von der Natur gewordene
Geschenk der Vernunft gehörig zu benutzen.

Daß die Erde ohne das Pygmäengeschlecht der Menschen bestehen
könnte, ist eine ausgemachte Sache; daß die Menschheit in Frieden leben
könnte, wenigstens die civilisirte Gesellschaft unter sich, sollte wohl ebenso
ausgemacht sein, wenn sie nur wollte. Aber sie will leider nicht und wird
auch wohl noch lange nicht wollen; gewiß so lange nicht, als noch ganz
unnatürliche Formen alter Vorzeit ihre hauptsächliche Einrichtung bilden
und das Völker= und Staatsleben regeln.

Das Halali der Wendenjagd beweist übrigens deutlich genug, wie wenig
das Christenthum mit der Vertilgung des letzten Restes der Wenden zu
thun hatte. Heinrich der Löwe wollte die christlichen wie die heidnischen
[Spaltenumbruch] Wenden ausrotten; er verbot seinen christlichen Wenden bei Todesstrafe
den Gebrauch der wendischen Sprache. Er gab ein Gesetz, welches den
neuen deutschen Ansiedlern erlaubte, "jeden wendischen Mann, welchen sie
auf Umwegen träfen, ohne daß er Auskunft über sein Treiben ertheilen
könne, sogleich an den nächsten Baum zu hängen.

Die Geschichte hat zum Schluß dieses Drama's noch eine merkwürdige
Thatsache verzeichnet, die nicht übergangen werden darf. Die Vertilgung des
letzten Restes der Wenden haben nämlich wendische Fürsten übernommen,
Fürsten, die, um sich zu erhalten, ihre Völker verriethen und un-
bedenklich den Fremden opferten.

Diese Schuld trifft die Herzoge von Pommern und die Fürsten von
Rügen während einer gewissen Periode.

Nach dem Jahre 1168 gab es noch zwei wendische Staaten, die von
wendischen Herrschern regiert wurden, und einen Wendenherrscher, dessen
Volk, in den besitzenden Klassen wenigstens, bereits vollständig deutsch ge-
worden. Dieser Letztere war der ehemalige Obotritenfürst, und er konnte
deßhalb nicht mehr dieselbe Schuld, wie seine Stammgenossen, auf
sich laden.

Bereitwillig nahmen dagegen die Herzoge von Pommern und die Fürsten
von Rügen die immer neu herzuströmenden Deutschen auf; ihre Umgebun-
gen, ihre Verwalter, Amtleute, Vasallen, Truppenführer und die Truppen
selbst waren Deutsche, wurden auf Kosten der stammverwandten Völker
dotirt und belohnt, so daß gerade hier der Ersatz der älteren Bewohner
durch rein deutsches Element am vollständigsten und durchgreifender als in
den Marken, Sachsen und Franken stattfand.

Ein Chronist sagt über diese Erscheinung des Zuströmens der von den
Herrschern so bereitwillig aufgenommenen Deutschen aller Stände:

"Aber sie brachten mit ihrem veredelten Leben auch den altbezeugten
Sinn germanischer Knechtungslust, den stolzen Uebermuth gegen das arme,
verrathene, preisgegebene Wendenblut, und die Nähe einer deutschen An-
siedlung war den stammberechtigten Nachbarn so todbringend, wie der
weiße Pflanzer den Söhnen der Wälder und Seen Nord=Amerika's und
der Anden. Obotritiens, Liutikiens und Pommerns Forsten und Sümpfe
sind die stummen Zeugen eines langen, namenlosen Jammers gewesen, bis
das alte Geschlecht, nicht geschützt durch die Lehre des Weltheilandes, hier
mit der vaterländischen Sprache ausstarb" u. s. w.

Wäre das Wendenvolk bei seiner Zähigkeit bieg= und schmiegsamer ge-
wesen, so dürften wir es heut vielleicht in der Reihe der Zigeuner und
Juden als drittes heimatloses Wandervolk gefunden haben. Ein Anfang
dazu ward bereits gemacht, als der wendische, pommersche und rügen'sche
Adel, seine Güter im Stiche lassend, bis auf wenige Ausnahmen zum
Herzog Mestwin von Danzig answanderte.

Wenn aber der rügen'sche Adel zum großen Theil wendischer Herkunft
ist, so hat dies noch einen andern und ganz besondern Grund. Die
rügen'sche Fürstenfamilie war sehr zahlreich, und obgleich Witzlav I., der
seinem Vater Jaromir 1221 folgte, noch mehr als dieser Alles, was wen-
disch war und hieß, zu vertilgen suchte, so versorgte er doch alle Ver-
wandten, neben den herbeigezogenen Deutschen, mit beträchtlichem Besitz, in
dem auch die Nachkommen dieser Seitenlinien des Fürstenhauses verblieben;
daher kann ein großer Theil des heutigen rügen'schen Adels seine Abstam-
mung aus Fürstenblut herleiten. Die Herrschaft über Rügen ging später
auf eine Seitenlinie über; die Herzoge von Pommern starben aus. Das
Haus Mecklenburg blüht noch jetzt in direkter Linie fort.

Ein Jahrhundert nach dem Falle von Arkona war das Werk der
[Ende Spaltensatz]


Album.
[Beginn Spaltensatz]
Fürbitte.
Unschätzbar dem, der dich verloren,
Dem werthlos, der dich nie gekannt,
Verschmäht von Feigen und von Thoren,
Das höchste Gut dem, der dich fand —
O Freiheit, oft verbannt, verstoßen,
Oft angestaunt in Furcht und Scheu,
Geh' zu den Mächt'gen, zu den Großen
Und sprich sie ihrer Fesseln frei!
„Nicht zürnt, ein freies Wort zu hören,
Nicht wendet ab das Angesicht!
Laßt sich entfalten, laßt gewähren,
Was unaufhaltsam drängt zum Licht.
Werft ab die Scheu! Nicht länger zittert,
Wenn frei sich zeigt, was wahr und echt!
Wer kleinlich straft, auch der erschüttert
Den Glauben an das heil'ge Recht.
Was ist so stark, so herzerhebend
Als freien, mächt'gen Geistes Wehn?
Gewaltig wirkt es, wirkt belebend,
Wie auf dem Hochgebirg der Föhn.
Der weckt den Lenz auf Berges Scheiteln,
Die Jahre lang verschneit, vereist.
Buchstaben laßt Beschränkte deuteln,
Euch ziemt's zu herrschen durch den Geist.
[Spaltenumbruch]
Streut edle Saat mit vollen Händen,
Und wißt: der Tag der Ernte kommt.
O kargt nicht, wo es gilt Verschwenden,
Verschwendend, wo nur Kargheit frommt.
Dann sollt ihr freie Lieb' empfangen,
Die mehr als jede Krone schmückt;
Wer viel vergiebt, kann viel verlangen,
Beglückend lebt er wie beglückt.
Dies ist kein Volk, das frech begehrlich
Die Hände reckt nach fremdem Gut;
Mit Wort und Waffen kämpft es ehrlich
Und opfert freudig Gold und Blut.
Nicht, daß es euer Recht verletze,
Besorgt, wenn ihr es milde lenkt!
Jm Herzen trägt es die Gesetze
Der Freiheit, die sich selbst beschränkt.
Du, die allein kann Freude geben
Dem, der dich kennt und der dich ehrt,
Die einzig Leben schafft aus Leben,
Die Völker stark macht und belehrt —
O Göttin, oft verbannt, verstoßen,
Oft angestaunt in Furcht und Scheu,
Geh' zu den Mächt'gen, zu den Großen
Und mach' sie ihrer Fesseln frei!
[Ende Spaltensatz]

Aus der Zeit.
[Beginn Spaltensatz]
Ein Jubiläum.
( Schluß. )

Daß die Lehre Christi, welche übrigens vor ihm wie nach ihm, wenn
auch in anderer Form, verschiedentlich von begabten Geistern aufgestellt
worden, eine Lehre des Friedens, der Duldung und Humanität, durch das
Schwert und durch Grausamkeiten verbreitet und eingeführt werden sollte,
war überhaupt eine Widersinnigkeit.

Es ist Thorheit zu sagen, diese Richtung lag in der Zeit; sie entsprang
vielmehr mangelhaften Begriffen, willkürlichen Deutungen und in vielen
Fällen böslicher Absicht; in allem diesem aber waren jene Art von Apostel
nicht die Vertreter der hohen Jdee, nicht die Träger der reinen Lehre, und
ihre Beobachtung des willkürlich geschaffenen Formwesens nicht besser als
das blinde, verstockte Heidenthum.

Hätte man den enthusiasmirten Bekehrern, den opferbereiten, nichts
verlangenden Aposteln trotz ihrer oft mangelhaften und zu schwärmerischen
Auffassung der erhabenen Jdee des Christenthums den Willen gelassen,
wäre die Bekehrung der Deutschen und Wenden, wie schon bemerkt, sicher
schneller, namentlich aber nachhaltiger von statten gegangen als durch
die Schwertbekehrungen.

Der Götzendienst der Wenden hatte sich außerdem längst überlebt;
namentlich die vornehmeren Wenden sehnten sich überall danach, das
Priesterjoch abzuwerfen, und nur die Furcht vor der fanatischen Menge,
welche den Pfaffen anhing, verhinderte sie, selbst Reformen vorzunehmen.
Freilich hatten sie auch von dem Wahn den Vortheil, durch ihn die
Massen in sklavischer Abhängigkeit zu erhalten, so lange sie mit den Prie-
stern gut standen.

Jm Ganzen fehlte indessen immer nur die Handhabe gegen diesen thörichten
Wahn, das bezeichnende Wort und der öffentliche Beweis seiner Hinfällig-
keit, um dieselbe begreifen zu lassen, und alles das boten die frommen
Apostel; ihr Erfolg beweist am besten die Richtigkeit jener Ansicht.

Durch das blutige Schwert aber den Wahn wegmähen wollen, hieß
nur, demselben neue Stärke verleihen; anders zu handeln, als zu lehren,
hieß, sich den Stempel des Betrügers aufdrücken. Gar aber als Räuber
einzudringen, mußte Sinn und Waffen der Bedrängten gegen die Dränger
und selbstverständlich auch gegen deren Lehre kehren.

Diesem Widersinn ist ein ganzes großes Volk, ein Volksstamm, in
höchst unwürdiger Weise zum Opfer gefallen. Die Geschichte kann stets
nur trauernd den Untergang eines Volkes oder einer ganzen Race ver-
merken; sie liefert dadurch einen Beweis von der Unwürdigkeit des ganzen
Geschlechts, das nicht im Stande ist, das ihm von der Natur gewordene
Geschenk der Vernunft gehörig zu benutzen.

Daß die Erde ohne das Pygmäengeschlecht der Menschen bestehen
könnte, ist eine ausgemachte Sache; daß die Menschheit in Frieden leben
könnte, wenigstens die civilisirte Gesellschaft unter sich, sollte wohl ebenso
ausgemacht sein, wenn sie nur wollte. Aber sie will leider nicht und wird
auch wohl noch lange nicht wollen; gewiß so lange nicht, als noch ganz
unnatürliche Formen alter Vorzeit ihre hauptsächliche Einrichtung bilden
und das Völker= und Staatsleben regeln.

Das Halali der Wendenjagd beweist übrigens deutlich genug, wie wenig
das Christenthum mit der Vertilgung des letzten Restes der Wenden zu
thun hatte. Heinrich der Löwe wollte die christlichen wie die heidnischen
[Spaltenumbruch] Wenden ausrotten; er verbot seinen christlichen Wenden bei Todesstrafe
den Gebrauch der wendischen Sprache. Er gab ein Gesetz, welches den
neuen deutschen Ansiedlern erlaubte, „jeden wendischen Mann, welchen sie
auf Umwegen träfen, ohne daß er Auskunft über sein Treiben ertheilen
könne, sogleich an den nächsten Baum zu hängen.

Die Geschichte hat zum Schluß dieses Drama's noch eine merkwürdige
Thatsache verzeichnet, die nicht übergangen werden darf. Die Vertilgung des
letzten Restes der Wenden haben nämlich wendische Fürsten übernommen,
Fürsten, die, um sich zu erhalten, ihre Völker verriethen und un-
bedenklich den Fremden opferten.

Diese Schuld trifft die Herzoge von Pommern und die Fürsten von
Rügen während einer gewissen Periode.

Nach dem Jahre 1168 gab es noch zwei wendische Staaten, die von
wendischen Herrschern regiert wurden, und einen Wendenherrscher, dessen
Volk, in den besitzenden Klassen wenigstens, bereits vollständig deutsch ge-
worden. Dieser Letztere war der ehemalige Obotritenfürst, und er konnte
deßhalb nicht mehr dieselbe Schuld, wie seine Stammgenossen, auf
sich laden.

Bereitwillig nahmen dagegen die Herzoge von Pommern und die Fürsten
von Rügen die immer neu herzuströmenden Deutschen auf; ihre Umgebun-
gen, ihre Verwalter, Amtleute, Vasallen, Truppenführer und die Truppen
selbst waren Deutsche, wurden auf Kosten der stammverwandten Völker
dotirt und belohnt, so daß gerade hier der Ersatz der älteren Bewohner
durch rein deutsches Element am vollständigsten und durchgreifender als in
den Marken, Sachsen und Franken stattfand.

Ein Chronist sagt über diese Erscheinung des Zuströmens der von den
Herrschern so bereitwillig aufgenommenen Deutschen aller Stände:

„Aber sie brachten mit ihrem veredelten Leben auch den altbezeugten
Sinn germanischer Knechtungslust, den stolzen Uebermuth gegen das arme,
verrathene, preisgegebene Wendenblut, und die Nähe einer deutschen An-
siedlung war den stammberechtigten Nachbarn so todbringend, wie der
weiße Pflanzer den Söhnen der Wälder und Seen Nord=Amerika's und
der Anden. Obotritiens, Liutikiens und Pommerns Forsten und Sümpfe
sind die stummen Zeugen eines langen, namenlosen Jammers gewesen, bis
das alte Geschlecht, nicht geschützt durch die Lehre des Weltheilandes, hier
mit der vaterländischen Sprache ausstarb“ u. s. w.

Wäre das Wendenvolk bei seiner Zähigkeit bieg= und schmiegsamer ge-
wesen, so dürften wir es heut vielleicht in der Reihe der Zigeuner und
Juden als drittes heimatloses Wandervolk gefunden haben. Ein Anfang
dazu ward bereits gemacht, als der wendische, pommersche und rügen'sche
Adel, seine Güter im Stiche lassend, bis auf wenige Ausnahmen zum
Herzog Mestwin von Danzig answanderte.

Wenn aber der rügen'sche Adel zum großen Theil wendischer Herkunft
ist, so hat dies noch einen andern und ganz besondern Grund. Die
rügen'sche Fürstenfamilie war sehr zahlreich, und obgleich Witzlav I., der
seinem Vater Jaromir 1221 folgte, noch mehr als dieser Alles, was wen-
disch war und hieß, zu vertilgen suchte, so versorgte er doch alle Ver-
wandten, neben den herbeigezogenen Deutschen, mit beträchtlichem Besitz, in
dem auch die Nachkommen dieser Seitenlinien des Fürstenhauses verblieben;
daher kann ein großer Theil des heutigen rügen'schen Adels seine Abstam-
mung aus Fürstenblut herleiten. Die Herrschaft über Rügen ging später
auf eine Seitenlinie über; die Herzoge von Pommern starben aus. Das
Haus Mecklenburg blüht noch jetzt in direkter Linie fort.

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[Ende Spaltensatz]

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[44/0004] 44 Album. Fürbitte. Unschätzbar dem, der dich verloren, Dem werthlos, der dich nie gekannt, Verschmäht von Feigen und von Thoren, Das höchste Gut dem, der dich fand — O Freiheit, oft verbannt, verstoßen, Oft angestaunt in Furcht und Scheu, Geh' zu den Mächt'gen, zu den Großen Und sprich sie ihrer Fesseln frei! „Nicht zürnt, ein freies Wort zu hören, Nicht wendet ab das Angesicht! Laßt sich entfalten, laßt gewähren, Was unaufhaltsam drängt zum Licht. Werft ab die Scheu! Nicht länger zittert, Wenn frei sich zeigt, was wahr und echt! Wer kleinlich straft, auch der erschüttert Den Glauben an das heil'ge Recht. Was ist so stark, so herzerhebend Als freien, mächt'gen Geistes Wehn? Gewaltig wirkt es, wirkt belebend, Wie auf dem Hochgebirg der Föhn. Der weckt den Lenz auf Berges Scheiteln, Die Jahre lang verschneit, vereist. Buchstaben laßt Beschränkte deuteln, Euch ziemt's zu herrschen durch den Geist. Streut edle Saat mit vollen Händen, Und wißt: der Tag der Ernte kommt. O kargt nicht, wo es gilt Verschwenden, Verschwendend, wo nur Kargheit frommt. Dann sollt ihr freie Lieb' empfangen, Die mehr als jede Krone schmückt; Wer viel vergiebt, kann viel verlangen, Beglückend lebt er wie beglückt. Dies ist kein Volk, das frech begehrlich Die Hände reckt nach fremdem Gut; Mit Wort und Waffen kämpft es ehrlich Und opfert freudig Gold und Blut. Nicht, daß es euer Recht verletze, Besorgt, wenn ihr es milde lenkt! Jm Herzen trägt es die Gesetze Der Freiheit, die sich selbst beschränkt. Du, die allein kann Freude geben Dem, der dich kennt und der dich ehrt, Die einzig Leben schafft aus Leben, Die Völker stark macht und belehrt — O Göttin, oft verbannt, verstoßen, Oft angestaunt in Furcht und Scheu, Geh' zu den Mächt'gen, zu den Großen Und mach' sie ihrer Fesseln frei! Aus der Zeit. Ein Jubiläum. ( Schluß. ) Daß die Lehre Christi, welche übrigens vor ihm wie nach ihm, wenn auch in anderer Form, verschiedentlich von begabten Geistern aufgestellt worden, eine Lehre des Friedens, der Duldung und Humanität, durch das Schwert und durch Grausamkeiten verbreitet und eingeführt werden sollte, war überhaupt eine Widersinnigkeit. Es ist Thorheit zu sagen, diese Richtung lag in der Zeit; sie entsprang vielmehr mangelhaften Begriffen, willkürlichen Deutungen und in vielen Fällen böslicher Absicht; in allem diesem aber waren jene Art von Apostel nicht die Vertreter der hohen Jdee, nicht die Träger der reinen Lehre, und ihre Beobachtung des willkürlich geschaffenen Formwesens nicht besser als das blinde, verstockte Heidenthum. Hätte man den enthusiasmirten Bekehrern, den opferbereiten, nichts verlangenden Aposteln trotz ihrer oft mangelhaften und zu schwärmerischen Auffassung der erhabenen Jdee des Christenthums den Willen gelassen, wäre die Bekehrung der Deutschen und Wenden, wie schon bemerkt, sicher schneller, namentlich aber nachhaltiger von statten gegangen als durch die Schwertbekehrungen. Der Götzendienst der Wenden hatte sich außerdem längst überlebt; namentlich die vornehmeren Wenden sehnten sich überall danach, das Priesterjoch abzuwerfen, und nur die Furcht vor der fanatischen Menge, welche den Pfaffen anhing, verhinderte sie, selbst Reformen vorzunehmen. Freilich hatten sie auch von dem Wahn den Vortheil, durch ihn die Massen in sklavischer Abhängigkeit zu erhalten, so lange sie mit den Prie- stern gut standen. Jm Ganzen fehlte indessen immer nur die Handhabe gegen diesen thörichten Wahn, das bezeichnende Wort und der öffentliche Beweis seiner Hinfällig- keit, um dieselbe begreifen zu lassen, und alles das boten die frommen Apostel; ihr Erfolg beweist am besten die Richtigkeit jener Ansicht. Durch das blutige Schwert aber den Wahn wegmähen wollen, hieß nur, demselben neue Stärke verleihen; anders zu handeln, als zu lehren, hieß, sich den Stempel des Betrügers aufdrücken. Gar aber als Räuber einzudringen, mußte Sinn und Waffen der Bedrängten gegen die Dränger und selbstverständlich auch gegen deren Lehre kehren. Diesem Widersinn ist ein ganzes großes Volk, ein Volksstamm, in höchst unwürdiger Weise zum Opfer gefallen. Die Geschichte kann stets nur trauernd den Untergang eines Volkes oder einer ganzen Race ver- merken; sie liefert dadurch einen Beweis von der Unwürdigkeit des ganzen Geschlechts, das nicht im Stande ist, das ihm von der Natur gewordene Geschenk der Vernunft gehörig zu benutzen. Daß die Erde ohne das Pygmäengeschlecht der Menschen bestehen könnte, ist eine ausgemachte Sache; daß die Menschheit in Frieden leben könnte, wenigstens die civilisirte Gesellschaft unter sich, sollte wohl ebenso ausgemacht sein, wenn sie nur wollte. Aber sie will leider nicht und wird auch wohl noch lange nicht wollen; gewiß so lange nicht, als noch ganz unnatürliche Formen alter Vorzeit ihre hauptsächliche Einrichtung bilden und das Völker= und Staatsleben regeln. Das Halali der Wendenjagd beweist übrigens deutlich genug, wie wenig das Christenthum mit der Vertilgung des letzten Restes der Wenden zu thun hatte. Heinrich der Löwe wollte die christlichen wie die heidnischen Wenden ausrotten; er verbot seinen christlichen Wenden bei Todesstrafe den Gebrauch der wendischen Sprache. Er gab ein Gesetz, welches den neuen deutschen Ansiedlern erlaubte, „jeden wendischen Mann, welchen sie auf Umwegen träfen, ohne daß er Auskunft über sein Treiben ertheilen könne, sogleich an den nächsten Baum zu hängen. Die Geschichte hat zum Schluß dieses Drama's noch eine merkwürdige Thatsache verzeichnet, die nicht übergangen werden darf. Die Vertilgung des letzten Restes der Wenden haben nämlich wendische Fürsten übernommen, Fürsten, die, um sich zu erhalten, ihre Völker verriethen und un- bedenklich den Fremden opferten. Diese Schuld trifft die Herzoge von Pommern und die Fürsten von Rügen während einer gewissen Periode. Nach dem Jahre 1168 gab es noch zwei wendische Staaten, die von wendischen Herrschern regiert wurden, und einen Wendenherrscher, dessen Volk, in den besitzenden Klassen wenigstens, bereits vollständig deutsch ge- worden. Dieser Letztere war der ehemalige Obotritenfürst, und er konnte deßhalb nicht mehr dieselbe Schuld, wie seine Stammgenossen, auf sich laden. Bereitwillig nahmen dagegen die Herzoge von Pommern und die Fürsten von Rügen die immer neu herzuströmenden Deutschen auf; ihre Umgebun- gen, ihre Verwalter, Amtleute, Vasallen, Truppenführer und die Truppen selbst waren Deutsche, wurden auf Kosten der stammverwandten Völker dotirt und belohnt, so daß gerade hier der Ersatz der älteren Bewohner durch rein deutsches Element am vollständigsten und durchgreifender als in den Marken, Sachsen und Franken stattfand. Ein Chronist sagt über diese Erscheinung des Zuströmens der von den Herrschern so bereitwillig aufgenommenen Deutschen aller Stände: „Aber sie brachten mit ihrem veredelten Leben auch den altbezeugten Sinn germanischer Knechtungslust, den stolzen Uebermuth gegen das arme, verrathene, preisgegebene Wendenblut, und die Nähe einer deutschen An- siedlung war den stammberechtigten Nachbarn so todbringend, wie der weiße Pflanzer den Söhnen der Wälder und Seen Nord=Amerika's und der Anden. Obotritiens, Liutikiens und Pommerns Forsten und Sümpfe sind die stummen Zeugen eines langen, namenlosen Jammers gewesen, bis das alte Geschlecht, nicht geschützt durch die Lehre des Weltheilandes, hier mit der vaterländischen Sprache ausstarb“ u. s. w. Wäre das Wendenvolk bei seiner Zähigkeit bieg= und schmiegsamer ge- wesen, so dürften wir es heut vielleicht in der Reihe der Zigeuner und Juden als drittes heimatloses Wandervolk gefunden haben. Ein Anfang dazu ward bereits gemacht, als der wendische, pommersche und rügen'sche Adel, seine Güter im Stiche lassend, bis auf wenige Ausnahmen zum Herzog Mestwin von Danzig answanderte. Wenn aber der rügen'sche Adel zum großen Theil wendischer Herkunft ist, so hat dies noch einen andern und ganz besondern Grund. Die rügen'sche Fürstenfamilie war sehr zahlreich, und obgleich Witzlav I., der seinem Vater Jaromir 1221 folgte, noch mehr als dieser Alles, was wen- disch war und hieß, zu vertilgen suchte, so versorgte er doch alle Ver- wandten, neben den herbeigezogenen Deutschen, mit beträchtlichem Besitz, in dem auch die Nachkommen dieser Seitenlinien des Fürstenhauses verblieben; daher kann ein großer Theil des heutigen rügen'schen Adels seine Abstam- mung aus Fürstenblut herleiten. Die Herrschaft über Rügen ging später auf eine Seitenlinie über; die Herzoge von Pommern starben aus. Das Haus Mecklenburg blüht noch jetzt in direkter Linie fort. Ein Jahrhundert nach dem Falle von Arkona war das Werk der

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 6. Berlin, 9. Februar 1868, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt06_1868/4>, abgerufen am 16.06.2024.