Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Social-politische Blätter. 4. Lieferung. Berlin, 9. April 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

Zur Unterhaltung und Belehrung. 95
[Beginn Spaltensatz] Manne unwiderstehlich hingezogen und versicherte seinen Bekann-
ten und Vertrauten, Lykurg sei weder hart noch eigensinnig, viel-
mehr so freundlich und sanft, wie kein anderer Mensch auf der
ganzen Erde. Dies war also die Strafe des Alkander, dies
die Genugthuung, welche er dem Lykurg leistete, daß er aus
einem ungezogenen, anmaßenden Jünglinge der bescheidenste und
tugendhafteste Mann wurde. Zum Denkmal dieses Vorfalls
erbaute Lykurg einen Tempel der Pallas, die er mit dem
Beinamen Optiletis bezeichnete, weil bei den Doriern dieses
Landes die Augen Optiloi heißen. Uebrigens behaupten Mehrere,
namentlich Dioskorides, welcher eine Darstellung der Lakedämo-
nischen Verfassung geschrieben hat, Lykurg sei zwar am Auge ver-
wundet, doch desselben nicht beraubt worden, vielmehr habe er
der Göttin diesen Tempel zum Danke für die Heilung erbauet.
Gewiß ist, daß die Spartaner nach diesem Vorfalle von der
Sitte abstanden, mit Stöcken in der Volksversammlung zu er-
scheinen.

Die gemeinschaftlichen Mahle werden von den Kretern Andria
( Männermahle ) genannt, von den Lakedämoniern Phiditia, ent-
weder weil sie Wohlwollen und Freundschaft ( Philia ) stiften, daß
also das d statt des l gesetzt wäre, oder weil sie zu Einfachheit
und Sparsamkeit gewöhnen. Vielleicht war jedoch, wie Mehrere
wollen, der Name ursprünglich Editia, was Essen bedeutet und
der erste Buchstabe kam später hinzu. Eine Tischgesellschaft bestand
gewöhnlich aus fünfzehn Personen, bisweilen aus Einigen mehr
oder weniger. Jeder Tischgenosse trug monatlich einen Scheffel
Gerstenmehl, acht Doppelmaß Wein, fünf Pfund Käse, dritthalb
Pfund Feigen und zum Ankauf der Zukost etwas Weniges an
Geld bei. Ueberdies schickte Der, welcher opferte, eine Erstlings-
gabe, und wer ein Wild erjagt hatte, einen Theil desselben seiner
Tischgesellschaft. Denn wer sich über dem Opfer oder der Jagd
verspätete, durfte zu Hause speisen, die Andern mußten Alle
kommen. Auf dieses gemeinschaftliche Speisen wurde lange streng
gehalten. So wollte einst der König Agis bei seiner Rückkehr
aus dem Feldzug, worin er den Krieg mit den Athenern ruhm-
voll beendigt hatte, mit seiner Frau allein speisen und seinen
Antheil an der Mahlzeit holen lassen; aber die Feldhauptleute
verweigerten es ihm, und als der König am folgenden Tage aus
Verdruß das Opfer, zu dem er verpflichtet war, nicht darbrachte,
belegten sie ihn noch oben ein mit einer Strafe.

Auch Knaben fanden sich oft in den Speisesälen ein; man
führte sie dahin als in Schulen der Weisheit, wo sie Gespräche
über öffentliche Angelegenheiten hörten, Vorbilder eines würdigen
Benehmens vor Augen hatten, sowohl ohne Grobheit scherzen und
spotten, als von Andern Scherz ertragen lernten. Denn auch
dies rechnete man zu den vorzüglichsten Eigenschaften eines Lake-
dämonier 's, den Scherz zu verstehen. Wem es übrigens wehe
that, der durfte nur bitten, daß man aufhöre, und sogleich geschah
es. Jedem Hereintretenden zeigte der Aelteste die Thür mit den
Worten: durch diese geht kein Wort hinaus!

Ueber Den, welcher Mitglied einer Tischgesellschaft zu werden
wünschte, soll folgende Art der Abstimmung stattgefunden haben.
Jeder Tischgenosse nahm eine Brodkrume in die Hand und warf
sie stillschweigend, wie einen Stimmstein in ein Gefäß, daß der
Aufwärter auf dem Kopfe trug. Wer seine Einwilligung gab,
ließ die Krume, wie sie war, wer dagegen stimmte, drückte sie
vorher mit der Hand fest zusammen. Eine zusammengedrückte
Krume hatte nämlich die Bedeutung eines durchbohrten Steinchens,
und fand man auch nur eine einzige dieser Art, so wurde der
Eintritt nicht gestattet, weil man wünschte, es sollten Alle gern
beisammen sein. Von Einem, der auf diese Art abgewiesen
wurde, sagte man, er sei kaddirt worden, weil das Gefäß, in
welches sie die Brodkrumen warfen, Kaddos hieß.

Vor allen andern Speisen liebten sie die sogenannte schwarze
Suppe,
ja die Aelteren verlangten gar kein Fleisch, sondern
überließen es den Jüngern und genossen statt desselben mit
großem Appetit die Suppe. Ein König von Pontus, erzählt
man, kaufte sich dieser Suppe wegen einen Lakedämonischen Koch
als Sclaven, fand sie aber, als er sie nun kostete sehr widrig;
da sagte ihm der Koch: "die Suppe, o König, muß man nach
einem Bade im Eurotas ( Fluß bei Sparta ) essen." Wenn sie
zuletzt mäßig getrunken hatten, gingen sie ohne Fackel nach Hause;
denn es war ihnen nicht erlaubt, bei irgend einem Gange sich
einer Leuchte zu bedienen, damit sie bei Nacht und Dnnkel herz-
haft und unerschrocken ihren Weg gehen lernten. Dies war also
die Einrichtung der gemeinsamen Mahle.



[Spaltenumbruch]
Mirabrau's Schriften über die Deutschen.

Gegenüber dem lächerlichen Geschimpfe auf die "entartete"
französische Nation scheint es uns passend, an einige Umstände
zu erinnern, derentwegen die Dentschen noch jetzt ihren Dank
jener abzustatten haben. Man erinnere sich z. B. der kräftigen
Worte, womit die Männer der ersten französischen Revolution
dem deutschen Volke die Freiheit predigten.

Mirabeau donnerte gleich in seiner ersten Brochüre gegen
den Menschenschacher des Landgrafen von Hessen; in seinem
"Aufruf an die Hessen" und in einer spätern Antwort auf die
durch ihn provocirten Gegenschriften "Antwort auf die Rathschläge
der Vernunft" greift er mit fulminanter Beredsamkeit, in wahr-
hast republikanischer Sprache die deutschen Tyrannen an, indem
er die Völker zum äußersten Widerstande anfeuert. Mirabeau
ruft dort aus:

" Unerschrockene Deutsche! Welch' ein Brandmal laßt ihr
eueru edelen Stirnen aufdrücken! Wie, am Ende des achtzehnten
Jahrhunderts sind die Völker Europas die Söldlinge eines ver-
haßten Despotismus? Wie, sind es dieselben Deutschen, welche
mit solcher Erbitterung ihre Freiheit gegen die Besieger der
Welt vertheidigten, welche den römischen Heeren Trotz boten --
und welche nun, verkauft, eilen, ihr Blut zu vergießen in der
Sache der Tyrannen?... Jhr sollt nicht vergessen: daß
nicht Alle für Einen da sind; daß es eine höchste Autorität
über allen Andern giebt; daß man Dem nicht gehorchen darf,
der ein Verbrechen befiehlt, und daß also euer eigenes Gewissen
euer erster Herr ist."

So schallten die Worte Mirabeau's aus Frankreich herüber;
aber das möchte man heute gern in Vergessenheit begraben.



Aus der guten, alten Zeit.

Wie sehr das Pfaffen=, Ritter= und Räuberwesen im Mittel-
alter, der sogenannten guten, alten Zeit, das Volk bedrängte und
wie jene Zustände eigentlich gar nicht arg genug geschildert
werden können, das möge nachstehender, geschichtlich verbürgter
Fall zeigen.

Vor 500 Jahren ward nämlich Berlin von Raubrittern
geplündert und niedergebrannt.

Das Treiben der zum Theil adlichen Wegelagerer und
Räuber hatte wieder so überhand genommen, daß die Städte der
Mark den alten Städtebund wieder auffrischten, um mit Nach-
druck den Landfrieden auf's Neue herzustellen. Die Sache war
bei dem frechen Treiben des Räubergefindels so wichtig, daß sich
die märkischen Städte nicht auf ihre Kraft allein verließen, son-
dern ein Schutz= und Trutzbündniß mit den Nachbarn schlossen,
die Altmark mit Magdeburg, die Uckermark mit Stralsund,
Stettin und Pasewalk.

Die Mordbrenner nahmen Berlin und Bernau auf's Korn
und sprachen ihre ernste Drohung laut genug aus, diese beiden
Städte, um plündern und stehlen zu können, "ausbrennen" zu
wollen. Der Rath von Berlin erhielt von allen Seiten münd-
liche und schriftliche Verwarnungen, Maßregeln gegen diese be-
waffneten Banden zu treffen. Es wurden auch alle Vorsichts-
maßregeln getroffen -- dennoch traf das Erschreckliche ein.

Zwei volle Tage, am 10. und 11. August 1380, wütheten
die Flammen und legten fast ganz Berlin in Asche, so daß in
diesem Gluthenmeer selbst das sehr massive Rathhaus und die
Nikolai= und die Marienkirche, die Gotteshäuser der Alt= und
Neustadt, fast ganz zerstört wurden. Der Brand wüthete am
ärgsten im Mittelpunkte der Stadt, wo er seinen Anfang hatte.
Daß er sich so schnell über ganz Berlin verbreitete und diese
Stadt am rechten Spreeufer in zwei Tagen fast ganz in Asche
legte, daran hatte nicht das Anlegen und Nachhelfen an vielen
Stellen schuld, sondern er wurde durch die leichte Holzbauart der
eng zusammengerückten Häuser und durch die damaligen höchst
ungenügenden Löschmittel sehr befördert. Natürlich machten die
Räuber in der Verwirrung reiche Beute.

Nur mit Mühe gelang es den Bürgern hernach den Schaden
wieder zu bessern. Für die Privathäuser in ihrem Aufbau regten
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 95
[Beginn Spaltensatz] Manne unwiderstehlich hingezogen und versicherte seinen Bekann-
ten und Vertrauten, Lykurg sei weder hart noch eigensinnig, viel-
mehr so freundlich und sanft, wie kein anderer Mensch auf der
ganzen Erde. Dies war also die Strafe des Alkander, dies
die Genugthuung, welche er dem Lykurg leistete, daß er aus
einem ungezogenen, anmaßenden Jünglinge der bescheidenste und
tugendhafteste Mann wurde. Zum Denkmal dieses Vorfalls
erbaute Lykurg einen Tempel der Pallas, die er mit dem
Beinamen Optiletis bezeichnete, weil bei den Doriern dieses
Landes die Augen Optiloi heißen. Uebrigens behaupten Mehrere,
namentlich Dioskorides, welcher eine Darstellung der Lakedämo-
nischen Verfassung geschrieben hat, Lykurg sei zwar am Auge ver-
wundet, doch desselben nicht beraubt worden, vielmehr habe er
der Göttin diesen Tempel zum Danke für die Heilung erbauet.
Gewiß ist, daß die Spartaner nach diesem Vorfalle von der
Sitte abstanden, mit Stöcken in der Volksversammlung zu er-
scheinen.

Die gemeinschaftlichen Mahle werden von den Kretern Andria
( Männermahle ) genannt, von den Lakedämoniern Phiditia, ent-
weder weil sie Wohlwollen und Freundschaft ( Philia ) stiften, daß
also das d statt des l gesetzt wäre, oder weil sie zu Einfachheit
und Sparsamkeit gewöhnen. Vielleicht war jedoch, wie Mehrere
wollen, der Name ursprünglich Editia, was Essen bedeutet und
der erste Buchstabe kam später hinzu. Eine Tischgesellschaft bestand
gewöhnlich aus fünfzehn Personen, bisweilen aus Einigen mehr
oder weniger. Jeder Tischgenosse trug monatlich einen Scheffel
Gerstenmehl, acht Doppelmaß Wein, fünf Pfund Käse, dritthalb
Pfund Feigen und zum Ankauf der Zukost etwas Weniges an
Geld bei. Ueberdies schickte Der, welcher opferte, eine Erstlings-
gabe, und wer ein Wild erjagt hatte, einen Theil desselben seiner
Tischgesellschaft. Denn wer sich über dem Opfer oder der Jagd
verspätete, durfte zu Hause speisen, die Andern mußten Alle
kommen. Auf dieses gemeinschaftliche Speisen wurde lange streng
gehalten. So wollte einst der König Agis bei seiner Rückkehr
aus dem Feldzug, worin er den Krieg mit den Athenern ruhm-
voll beendigt hatte, mit seiner Frau allein speisen und seinen
Antheil an der Mahlzeit holen lassen; aber die Feldhauptleute
verweigerten es ihm, und als der König am folgenden Tage aus
Verdruß das Opfer, zu dem er verpflichtet war, nicht darbrachte,
belegten sie ihn noch oben ein mit einer Strafe.

Auch Knaben fanden sich oft in den Speisesälen ein; man
führte sie dahin als in Schulen der Weisheit, wo sie Gespräche
über öffentliche Angelegenheiten hörten, Vorbilder eines würdigen
Benehmens vor Augen hatten, sowohl ohne Grobheit scherzen und
spotten, als von Andern Scherz ertragen lernten. Denn auch
dies rechnete man zu den vorzüglichsten Eigenschaften eines Lake-
dämonier 's, den Scherz zu verstehen. Wem es übrigens wehe
that, der durfte nur bitten, daß man aufhöre, und sogleich geschah
es. Jedem Hereintretenden zeigte der Aelteste die Thür mit den
Worten: durch diese geht kein Wort hinaus!

Ueber Den, welcher Mitglied einer Tischgesellschaft zu werden
wünschte, soll folgende Art der Abstimmung stattgefunden haben.
Jeder Tischgenosse nahm eine Brodkrume in die Hand und warf
sie stillschweigend, wie einen Stimmstein in ein Gefäß, daß der
Aufwärter auf dem Kopfe trug. Wer seine Einwilligung gab,
ließ die Krume, wie sie war, wer dagegen stimmte, drückte sie
vorher mit der Hand fest zusammen. Eine zusammengedrückte
Krume hatte nämlich die Bedeutung eines durchbohrten Steinchens,
und fand man auch nur eine einzige dieser Art, so wurde der
Eintritt nicht gestattet, weil man wünschte, es sollten Alle gern
beisammen sein. Von Einem, der auf diese Art abgewiesen
wurde, sagte man, er sei kaddirt worden, weil das Gefäß, in
welches sie die Brodkrumen warfen, Kaddos hieß.

Vor allen andern Speisen liebten sie die sogenannte schwarze
Suppe,
ja die Aelteren verlangten gar kein Fleisch, sondern
überließen es den Jüngern und genossen statt desselben mit
großem Appetit die Suppe. Ein König von Pontus, erzählt
man, kaufte sich dieser Suppe wegen einen Lakedämonischen Koch
als Sclaven, fand sie aber, als er sie nun kostete sehr widrig;
da sagte ihm der Koch: „die Suppe, o König, muß man nach
einem Bade im Eurotas ( Fluß bei Sparta ) essen.“ Wenn sie
zuletzt mäßig getrunken hatten, gingen sie ohne Fackel nach Hause;
denn es war ihnen nicht erlaubt, bei irgend einem Gange sich
einer Leuchte zu bedienen, damit sie bei Nacht und Dnnkel herz-
haft und unerschrocken ihren Weg gehen lernten. Dies war also
die Einrichtung der gemeinsamen Mahle.



[Spaltenumbruch]
Mirabrau's Schriften über die Deutschen.

Gegenüber dem lächerlichen Geschimpfe auf die „entartete“
französische Nation scheint es uns passend, an einige Umstände
zu erinnern, derentwegen die Dentschen noch jetzt ihren Dank
jener abzustatten haben. Man erinnere sich z. B. der kräftigen
Worte, womit die Männer der ersten französischen Revolution
dem deutschen Volke die Freiheit predigten.

Mirabeau donnerte gleich in seiner ersten Brochüre gegen
den Menschenschacher des Landgrafen von Hessen; in seinem
„Aufruf an die Hessen“ und in einer spätern Antwort auf die
durch ihn provocirten Gegenschriften „Antwort auf die Rathschläge
der Vernunft“ greift er mit fulminanter Beredsamkeit, in wahr-
hast republikanischer Sprache die deutschen Tyrannen an, indem
er die Völker zum äußersten Widerstande anfeuert. Mirabeau
ruft dort aus:

„ Unerschrockene Deutsche! Welch' ein Brandmal laßt ihr
eueru edelen Stirnen aufdrücken! Wie, am Ende des achtzehnten
Jahrhunderts sind die Völker Europas die Söldlinge eines ver-
haßten Despotismus? Wie, sind es dieselben Deutschen, welche
mit solcher Erbitterung ihre Freiheit gegen die Besieger der
Welt vertheidigten, welche den römischen Heeren Trotz boten —
und welche nun, verkauft, eilen, ihr Blut zu vergießen in der
Sache der Tyrannen?... Jhr sollt nicht vergessen: daß
nicht Alle für Einen da sind; daß es eine höchste Autorität
über allen Andern giebt; daß man Dem nicht gehorchen darf,
der ein Verbrechen befiehlt, und daß also euer eigenes Gewissen
euer erster Herr ist.“

So schallten die Worte Mirabeau's aus Frankreich herüber;
aber das möchte man heute gern in Vergessenheit begraben.



Aus der guten, alten Zeit.

Wie sehr das Pfaffen=, Ritter= und Räuberwesen im Mittel-
alter, der sogenannten guten, alten Zeit, das Volk bedrängte und
wie jene Zustände eigentlich gar nicht arg genug geschildert
werden können, das möge nachstehender, geschichtlich verbürgter
Fall zeigen.

Vor 500 Jahren ward nämlich Berlin von Raubrittern
geplündert und niedergebrannt.

Das Treiben der zum Theil adlichen Wegelagerer und
Räuber hatte wieder so überhand genommen, daß die Städte der
Mark den alten Städtebund wieder auffrischten, um mit Nach-
druck den Landfrieden auf's Neue herzustellen. Die Sache war
bei dem frechen Treiben des Räubergefindels so wichtig, daß sich
die märkischen Städte nicht auf ihre Kraft allein verließen, son-
dern ein Schutz= und Trutzbündniß mit den Nachbarn schlossen,
die Altmark mit Magdeburg, die Uckermark mit Stralsund,
Stettin und Pasewalk.

Die Mordbrenner nahmen Berlin und Bernau auf's Korn
und sprachen ihre ernste Drohung laut genug aus, diese beiden
Städte, um plündern und stehlen zu können, „ausbrennen“ zu
wollen. Der Rath von Berlin erhielt von allen Seiten münd-
liche und schriftliche Verwarnungen, Maßregeln gegen diese be-
waffneten Banden zu treffen. Es wurden auch alle Vorsichts-
maßregeln getroffen — dennoch traf das Erschreckliche ein.

Zwei volle Tage, am 10. und 11. August 1380, wütheten
die Flammen und legten fast ganz Berlin in Asche, so daß in
diesem Gluthenmeer selbst das sehr massive Rathhaus und die
Nikolai= und die Marienkirche, die Gotteshäuser der Alt= und
Neustadt, fast ganz zerstört wurden. Der Brand wüthete am
ärgsten im Mittelpunkte der Stadt, wo er seinen Anfang hatte.
Daß er sich so schnell über ganz Berlin verbreitete und diese
Stadt am rechten Spreeufer in zwei Tagen fast ganz in Asche
legte, daran hatte nicht das Anlegen und Nachhelfen an vielen
Stellen schuld, sondern er wurde durch die leichte Holzbauart der
eng zusammengerückten Häuser und durch die damaligen höchst
ungenügenden Löschmittel sehr befördert. Natürlich machten die
Räuber in der Verwirrung reiche Beute.

Nur mit Mühe gelang es den Bürgern hernach den Schaden
wieder zu bessern. Für die Privathäuser in ihrem Aufbau regten
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0023" n="95"/><fw type="header" place="top"><hi rendition="#g">Zur Unterhaltung und Belehrung.</hi> 95</fw><cb type="start"/>
Manne unwiderstehlich hingezogen und versicherte seinen Bekann-<lb/>
ten und Vertrauten, Lykurg sei weder hart noch eigensinnig, viel-<lb/>
mehr so freundlich und sanft, wie kein anderer Mensch auf der<lb/>
ganzen Erde. Dies war also die Strafe des Alkander, dies<lb/>
die Genugthuung, welche er dem Lykurg leistete, daß er aus<lb/>
einem ungezogenen, anmaßenden Jünglinge der bescheidenste und<lb/>
tugendhafteste Mann wurde. Zum Denkmal dieses Vorfalls<lb/>
erbaute Lykurg einen Tempel der Pallas, die er mit dem<lb/>
Beinamen Optiletis bezeichnete, weil bei den Doriern dieses<lb/>
Landes die Augen Optiloi heißen. Uebrigens behaupten Mehrere,<lb/>
namentlich Dioskorides, welcher eine Darstellung der Lakedämo-<lb/>
nischen Verfassung geschrieben hat, Lykurg sei zwar am Auge ver-<lb/>
wundet, doch desselben nicht beraubt worden, vielmehr habe er<lb/>
der Göttin diesen Tempel zum Danke für die Heilung erbauet.<lb/>
Gewiß ist, daß die Spartaner nach diesem Vorfalle von der<lb/>
Sitte abstanden, mit Stöcken in der Volksversammlung zu er-<lb/>
scheinen.</p><lb/>
        <p>Die gemeinschaftlichen Mahle werden von den Kretern Andria<lb/>
( Männermahle ) genannt, von den Lakedämoniern Phiditia, ent-<lb/>
weder weil sie Wohlwollen und Freundschaft ( Philia ) stiften, daß<lb/>
also das d statt des l gesetzt wäre, oder weil sie zu Einfachheit<lb/>
und Sparsamkeit gewöhnen. Vielleicht war jedoch, wie Mehrere<lb/>
wollen, der Name ursprünglich Editia, was Essen bedeutet und<lb/>
der erste Buchstabe kam später hinzu. Eine Tischgesellschaft bestand<lb/>
gewöhnlich aus fünfzehn Personen, bisweilen aus Einigen mehr<lb/>
oder weniger. Jeder Tischgenosse trug monatlich einen Scheffel<lb/>
Gerstenmehl, acht Doppelmaß Wein, fünf Pfund Käse, dritthalb<lb/>
Pfund Feigen und zum Ankauf der Zukost etwas Weniges an<lb/>
Geld bei. Ueberdies schickte Der, welcher opferte, eine Erstlings-<lb/>
gabe, und wer ein Wild erjagt hatte, einen Theil desselben seiner<lb/>
Tischgesellschaft. Denn wer sich über dem Opfer oder der Jagd<lb/>
verspätete, durfte zu Hause speisen, die Andern mußten Alle<lb/>
kommen. Auf dieses gemeinschaftliche Speisen wurde lange streng<lb/>
gehalten. So wollte einst der König Agis bei seiner Rückkehr<lb/>
aus dem Feldzug, worin er den Krieg mit den Athenern ruhm-<lb/>
voll beendigt hatte, mit seiner Frau allein speisen und seinen<lb/>
Antheil an der Mahlzeit holen lassen; aber die Feldhauptleute<lb/>
verweigerten es ihm, und als der König am folgenden Tage aus<lb/>
Verdruß das Opfer, zu dem er verpflichtet war, nicht darbrachte,<lb/><hi rendition="#g">belegten sie ihn noch oben ein mit einer Strafe</hi>.</p><lb/>
        <p>Auch Knaben fanden sich oft in den Speisesälen ein; man<lb/>
führte sie dahin als in Schulen der Weisheit, wo sie Gespräche<lb/>
über öffentliche Angelegenheiten hörten, Vorbilder eines würdigen<lb/>
Benehmens vor Augen hatten, sowohl ohne Grobheit scherzen und<lb/>
spotten, als von Andern Scherz ertragen lernten. Denn auch<lb/>
dies rechnete man zu den vorzüglichsten Eigenschaften eines Lake-<lb/>
dämonier 's, den Scherz zu verstehen. Wem es übrigens wehe<lb/>
that, der durfte nur bitten, daß man aufhöre, und sogleich geschah<lb/>
es. Jedem Hereintretenden zeigte der Aelteste die Thür mit den<lb/>
Worten: <hi rendition="#g">durch diese geht kein Wort hinaus</hi>!</p><lb/>
        <p>Ueber Den, welcher Mitglied einer Tischgesellschaft zu werden<lb/>
wünschte, soll folgende Art der Abstimmung stattgefunden haben.<lb/>
Jeder Tischgenosse nahm eine Brodkrume in die Hand und warf<lb/>
sie stillschweigend, wie einen Stimmstein in ein Gefäß, daß der<lb/>
Aufwärter auf dem Kopfe trug. Wer seine Einwilligung gab,<lb/>
ließ die Krume, wie sie war, wer dagegen stimmte, drückte sie<lb/>
vorher mit der Hand fest zusammen. Eine zusammengedrückte<lb/>
Krume hatte nämlich die Bedeutung eines durchbohrten Steinchens,<lb/>
und fand man auch nur eine einzige dieser Art, so wurde der<lb/>
Eintritt nicht gestattet, weil man wünschte, es sollten Alle gern<lb/>
beisammen sein. Von Einem, der auf diese Art abgewiesen<lb/>
wurde, sagte man, er sei kaddirt worden, weil das Gefäß, in<lb/>
welches sie die Brodkrumen warfen, Kaddos hieß.</p><lb/>
        <p>Vor allen andern Speisen liebten sie die sogenannte <hi rendition="#g">schwarze<lb/>
Suppe,</hi> ja die Aelteren verlangten gar kein Fleisch, sondern<lb/>
überließen es den Jüngern und genossen statt desselben mit<lb/>
großem Appetit die Suppe. Ein König von Pontus, erzählt<lb/>
man, kaufte sich dieser Suppe wegen einen Lakedämonischen Koch<lb/>
als Sclaven, fand sie aber, als er sie nun kostete sehr widrig;<lb/>
da sagte ihm der Koch: &#x201E;die Suppe, o König, muß man nach<lb/>
einem Bade im Eurotas ( Fluß bei Sparta ) essen.&#x201C; Wenn sie<lb/>
zuletzt mäßig getrunken hatten, gingen sie ohne Fackel nach Hause;<lb/>
denn es war ihnen nicht erlaubt, bei irgend einem Gange sich<lb/>
einer Leuchte zu bedienen, damit sie bei Nacht und Dnnkel herz-<lb/>
haft und unerschrocken ihren Weg gehen lernten. Dies war also<lb/>
die Einrichtung der gemeinsamen Mahle.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <cb n="2"/>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#fr">Mirabrau's Schriften über die Deutschen.</hi> </head><lb/>
        <p>Gegenüber dem lächerlichen Geschimpfe auf die &#x201E;entartete&#x201C;<lb/>
französische Nation scheint es uns passend, an einige Umstände<lb/>
zu erinnern, derentwegen die Dentschen noch jetzt ihren Dank<lb/>
jener abzustatten haben. Man erinnere sich z. B. der kräftigen<lb/>
Worte, womit die Männer der ersten französischen Revolution<lb/>
dem deutschen Volke die Freiheit predigten.</p><lb/>
        <p>Mirabeau donnerte gleich in seiner ersten Brochüre gegen<lb/>
den Menschenschacher des Landgrafen von Hessen; in seinem<lb/>
&#x201E;Aufruf an die Hessen&#x201C; und in einer spätern Antwort auf die<lb/>
durch ihn provocirten Gegenschriften &#x201E;Antwort auf die Rathschläge<lb/>
der Vernunft&#x201C; greift er mit fulminanter Beredsamkeit, in wahr-<lb/>
hast republikanischer Sprache die deutschen Tyrannen an, indem<lb/>
er die Völker zum äußersten Widerstande anfeuert. Mirabeau<lb/>
ruft dort aus:</p><lb/>
        <p>&#x201E; Unerschrockene Deutsche! Welch' ein Brandmal laßt ihr<lb/>
eueru edelen Stirnen aufdrücken! Wie, am Ende des achtzehnten<lb/>
Jahrhunderts sind die Völker Europas die Söldlinge eines ver-<lb/>
haßten Despotismus? Wie, sind es dieselben Deutschen, welche<lb/>
mit solcher Erbitterung ihre Freiheit gegen die Besieger der<lb/>
Welt vertheidigten, welche den römischen Heeren Trotz boten &#x2014;<lb/>
und welche nun, verkauft, eilen, ihr Blut zu vergießen in der<lb/>
Sache der Tyrannen?... Jhr sollt nicht vergessen: daß<lb/>
nicht Alle für Einen da sind; daß es eine höchste Autorität<lb/>
über allen Andern giebt; daß man Dem nicht gehorchen darf,<lb/>
der ein Verbrechen befiehlt, und daß also euer eigenes Gewissen<lb/>
euer erster Herr ist.&#x201C;</p><lb/>
        <p>So schallten die Worte Mirabeau's aus Frankreich herüber;<lb/>
aber das möchte man heute gern in Vergessenheit begraben.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#fr">Aus der guten, alten Zeit.</hi> </head><lb/>
        <p>Wie sehr das Pfaffen=, Ritter= und Räuberwesen im Mittel-<lb/>
alter, der sogenannten guten, alten Zeit, das Volk bedrängte und<lb/>
wie jene Zustände eigentlich gar nicht arg genug geschildert<lb/>
werden können, das möge nachstehender, geschichtlich verbürgter<lb/>
Fall zeigen.</p><lb/>
        <p>Vor 500 Jahren ward nämlich <hi rendition="#g">Berlin</hi> von Raubrittern<lb/>
geplündert und niedergebrannt.</p><lb/>
        <p>Das Treiben der zum Theil adlichen Wegelagerer und<lb/>
Räuber hatte wieder so überhand genommen, daß die Städte der<lb/>
Mark den alten Städtebund wieder auffrischten, um mit Nach-<lb/>
druck den Landfrieden auf's Neue herzustellen. Die Sache war<lb/>
bei dem frechen Treiben des Räubergefindels so wichtig, daß sich<lb/>
die märkischen Städte nicht auf ihre Kraft allein verließen, son-<lb/>
dern ein Schutz= und Trutzbündniß mit den Nachbarn schlossen,<lb/>
die Altmark mit Magdeburg, die Uckermark mit Stralsund,<lb/>
Stettin und Pasewalk.</p><lb/>
        <p>Die Mordbrenner nahmen Berlin und Bernau auf's Korn<lb/>
und sprachen ihre ernste Drohung laut genug aus, diese beiden<lb/>
Städte, um plündern und stehlen zu können, &#x201E;ausbrennen&#x201C; zu<lb/>
wollen. Der Rath von Berlin erhielt von allen Seiten münd-<lb/>
liche und schriftliche Verwarnungen, Maßregeln gegen diese be-<lb/>
waffneten Banden zu treffen. Es wurden auch alle Vorsichts-<lb/>
maßregeln getroffen &#x2014; dennoch traf das Erschreckliche ein.</p><lb/>
        <p>Zwei volle Tage, am 10. und 11. August 1380, wütheten<lb/>
die Flammen und legten fast ganz Berlin in Asche, so daß in<lb/>
diesem Gluthenmeer selbst das sehr massive Rathhaus und die<lb/>
Nikolai= und die Marienkirche, die Gotteshäuser der Alt= und<lb/>
Neustadt, fast ganz zerstört wurden. Der Brand wüthete am<lb/>
ärgsten im Mittelpunkte der Stadt, wo er seinen Anfang hatte.<lb/>
Daß er sich so schnell über ganz Berlin verbreitete und diese<lb/>
Stadt am rechten Spreeufer in zwei Tagen fast ganz in Asche<lb/>
legte, daran hatte nicht das Anlegen und Nachhelfen an vielen<lb/>
Stellen schuld, sondern er wurde durch die leichte Holzbauart der<lb/>
eng zusammengerückten Häuser und durch die damaligen höchst<lb/>
ungenügenden Löschmittel sehr befördert. Natürlich machten die<lb/>
Räuber in der Verwirrung reiche Beute.</p><lb/>
        <p>Nur mit Mühe gelang es den Bürgern hernach den Schaden<lb/>
wieder zu bessern. Für die Privathäuser in ihrem Aufbau regten<lb/><cb type="end"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0023] Zur Unterhaltung und Belehrung. 95 Manne unwiderstehlich hingezogen und versicherte seinen Bekann- ten und Vertrauten, Lykurg sei weder hart noch eigensinnig, viel- mehr so freundlich und sanft, wie kein anderer Mensch auf der ganzen Erde. Dies war also die Strafe des Alkander, dies die Genugthuung, welche er dem Lykurg leistete, daß er aus einem ungezogenen, anmaßenden Jünglinge der bescheidenste und tugendhafteste Mann wurde. Zum Denkmal dieses Vorfalls erbaute Lykurg einen Tempel der Pallas, die er mit dem Beinamen Optiletis bezeichnete, weil bei den Doriern dieses Landes die Augen Optiloi heißen. Uebrigens behaupten Mehrere, namentlich Dioskorides, welcher eine Darstellung der Lakedämo- nischen Verfassung geschrieben hat, Lykurg sei zwar am Auge ver- wundet, doch desselben nicht beraubt worden, vielmehr habe er der Göttin diesen Tempel zum Danke für die Heilung erbauet. Gewiß ist, daß die Spartaner nach diesem Vorfalle von der Sitte abstanden, mit Stöcken in der Volksversammlung zu er- scheinen. Die gemeinschaftlichen Mahle werden von den Kretern Andria ( Männermahle ) genannt, von den Lakedämoniern Phiditia, ent- weder weil sie Wohlwollen und Freundschaft ( Philia ) stiften, daß also das d statt des l gesetzt wäre, oder weil sie zu Einfachheit und Sparsamkeit gewöhnen. Vielleicht war jedoch, wie Mehrere wollen, der Name ursprünglich Editia, was Essen bedeutet und der erste Buchstabe kam später hinzu. Eine Tischgesellschaft bestand gewöhnlich aus fünfzehn Personen, bisweilen aus Einigen mehr oder weniger. Jeder Tischgenosse trug monatlich einen Scheffel Gerstenmehl, acht Doppelmaß Wein, fünf Pfund Käse, dritthalb Pfund Feigen und zum Ankauf der Zukost etwas Weniges an Geld bei. Ueberdies schickte Der, welcher opferte, eine Erstlings- gabe, und wer ein Wild erjagt hatte, einen Theil desselben seiner Tischgesellschaft. Denn wer sich über dem Opfer oder der Jagd verspätete, durfte zu Hause speisen, die Andern mußten Alle kommen. Auf dieses gemeinschaftliche Speisen wurde lange streng gehalten. So wollte einst der König Agis bei seiner Rückkehr aus dem Feldzug, worin er den Krieg mit den Athenern ruhm- voll beendigt hatte, mit seiner Frau allein speisen und seinen Antheil an der Mahlzeit holen lassen; aber die Feldhauptleute verweigerten es ihm, und als der König am folgenden Tage aus Verdruß das Opfer, zu dem er verpflichtet war, nicht darbrachte, belegten sie ihn noch oben ein mit einer Strafe. Auch Knaben fanden sich oft in den Speisesälen ein; man führte sie dahin als in Schulen der Weisheit, wo sie Gespräche über öffentliche Angelegenheiten hörten, Vorbilder eines würdigen Benehmens vor Augen hatten, sowohl ohne Grobheit scherzen und spotten, als von Andern Scherz ertragen lernten. Denn auch dies rechnete man zu den vorzüglichsten Eigenschaften eines Lake- dämonier 's, den Scherz zu verstehen. Wem es übrigens wehe that, der durfte nur bitten, daß man aufhöre, und sogleich geschah es. Jedem Hereintretenden zeigte der Aelteste die Thür mit den Worten: durch diese geht kein Wort hinaus! Ueber Den, welcher Mitglied einer Tischgesellschaft zu werden wünschte, soll folgende Art der Abstimmung stattgefunden haben. Jeder Tischgenosse nahm eine Brodkrume in die Hand und warf sie stillschweigend, wie einen Stimmstein in ein Gefäß, daß der Aufwärter auf dem Kopfe trug. Wer seine Einwilligung gab, ließ die Krume, wie sie war, wer dagegen stimmte, drückte sie vorher mit der Hand fest zusammen. Eine zusammengedrückte Krume hatte nämlich die Bedeutung eines durchbohrten Steinchens, und fand man auch nur eine einzige dieser Art, so wurde der Eintritt nicht gestattet, weil man wünschte, es sollten Alle gern beisammen sein. Von Einem, der auf diese Art abgewiesen wurde, sagte man, er sei kaddirt worden, weil das Gefäß, in welches sie die Brodkrumen warfen, Kaddos hieß. Vor allen andern Speisen liebten sie die sogenannte schwarze Suppe, ja die Aelteren verlangten gar kein Fleisch, sondern überließen es den Jüngern und genossen statt desselben mit großem Appetit die Suppe. Ein König von Pontus, erzählt man, kaufte sich dieser Suppe wegen einen Lakedämonischen Koch als Sclaven, fand sie aber, als er sie nun kostete sehr widrig; da sagte ihm der Koch: „die Suppe, o König, muß man nach einem Bade im Eurotas ( Fluß bei Sparta ) essen.“ Wenn sie zuletzt mäßig getrunken hatten, gingen sie ohne Fackel nach Hause; denn es war ihnen nicht erlaubt, bei irgend einem Gange sich einer Leuchte zu bedienen, damit sie bei Nacht und Dnnkel herz- haft und unerschrocken ihren Weg gehen lernten. Dies war also die Einrichtung der gemeinsamen Mahle. Mirabrau's Schriften über die Deutschen. Gegenüber dem lächerlichen Geschimpfe auf die „entartete“ französische Nation scheint es uns passend, an einige Umstände zu erinnern, derentwegen die Dentschen noch jetzt ihren Dank jener abzustatten haben. Man erinnere sich z. B. der kräftigen Worte, womit die Männer der ersten französischen Revolution dem deutschen Volke die Freiheit predigten. Mirabeau donnerte gleich in seiner ersten Brochüre gegen den Menschenschacher des Landgrafen von Hessen; in seinem „Aufruf an die Hessen“ und in einer spätern Antwort auf die durch ihn provocirten Gegenschriften „Antwort auf die Rathschläge der Vernunft“ greift er mit fulminanter Beredsamkeit, in wahr- hast republikanischer Sprache die deutschen Tyrannen an, indem er die Völker zum äußersten Widerstande anfeuert. Mirabeau ruft dort aus: „ Unerschrockene Deutsche! Welch' ein Brandmal laßt ihr eueru edelen Stirnen aufdrücken! Wie, am Ende des achtzehnten Jahrhunderts sind die Völker Europas die Söldlinge eines ver- haßten Despotismus? Wie, sind es dieselben Deutschen, welche mit solcher Erbitterung ihre Freiheit gegen die Besieger der Welt vertheidigten, welche den römischen Heeren Trotz boten — und welche nun, verkauft, eilen, ihr Blut zu vergießen in der Sache der Tyrannen?... Jhr sollt nicht vergessen: daß nicht Alle für Einen da sind; daß es eine höchste Autorität über allen Andern giebt; daß man Dem nicht gehorchen darf, der ein Verbrechen befiehlt, und daß also euer eigenes Gewissen euer erster Herr ist.“ So schallten die Worte Mirabeau's aus Frankreich herüber; aber das möchte man heute gern in Vergessenheit begraben. Aus der guten, alten Zeit. Wie sehr das Pfaffen=, Ritter= und Räuberwesen im Mittel- alter, der sogenannten guten, alten Zeit, das Volk bedrängte und wie jene Zustände eigentlich gar nicht arg genug geschildert werden können, das möge nachstehender, geschichtlich verbürgter Fall zeigen. Vor 500 Jahren ward nämlich Berlin von Raubrittern geplündert und niedergebrannt. Das Treiben der zum Theil adlichen Wegelagerer und Räuber hatte wieder so überhand genommen, daß die Städte der Mark den alten Städtebund wieder auffrischten, um mit Nach- druck den Landfrieden auf's Neue herzustellen. Die Sache war bei dem frechen Treiben des Räubergefindels so wichtig, daß sich die märkischen Städte nicht auf ihre Kraft allein verließen, son- dern ein Schutz= und Trutzbündniß mit den Nachbarn schlossen, die Altmark mit Magdeburg, die Uckermark mit Stralsund, Stettin und Pasewalk. Die Mordbrenner nahmen Berlin und Bernau auf's Korn und sprachen ihre ernste Drohung laut genug aus, diese beiden Städte, um plündern und stehlen zu können, „ausbrennen“ zu wollen. Der Rath von Berlin erhielt von allen Seiten münd- liche und schriftliche Verwarnungen, Maßregeln gegen diese be- waffneten Banden zu treffen. Es wurden auch alle Vorsichts- maßregeln getroffen — dennoch traf das Erschreckliche ein. Zwei volle Tage, am 10. und 11. August 1380, wütheten die Flammen und legten fast ganz Berlin in Asche, so daß in diesem Gluthenmeer selbst das sehr massive Rathhaus und die Nikolai= und die Marienkirche, die Gotteshäuser der Alt= und Neustadt, fast ganz zerstört wurden. Der Brand wüthete am ärgsten im Mittelpunkte der Stadt, wo er seinen Anfang hatte. Daß er sich so schnell über ganz Berlin verbreitete und diese Stadt am rechten Spreeufer in zwei Tagen fast ganz in Asche legte, daran hatte nicht das Anlegen und Nachhelfen an vielen Stellen schuld, sondern er wurde durch die leichte Holzbauart der eng zusammengerückten Häuser und durch die damaligen höchst ungenügenden Löschmittel sehr befördert. Natürlich machten die Räuber in der Verwirrung reiche Beute. Nur mit Mühe gelang es den Bürgern hernach den Schaden wieder zu bessern. Für die Privathäuser in ihrem Aufbau regten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social04_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social04_1873/23
Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 4. Lieferung. Berlin, 9. April 1873, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social04_1873/23>, abgerufen am 16.06.2024.