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Social-politische Blätter. 3. Lieferung. Berlin, 6. März 1873.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 69
[Beginn Spaltensatz]

Nach dem Platze Sathonay zu, am Eingange der Rue St. -
Marcel, war eine Barrikade errichtet worden, und die Soldaten,
die sie nehmen sollten, schienen zu schwanken. Nun stürzt der
Oberst Monnier vor, er wird getödtet und die Barrikade erobert.
Die Truppen dringen in die Häuser und verbreiten sich in blin-
der Wuth nach allen Seiten hin. Ein Vürger J. Remond saß
ruhig in seinem Zimmer: er wird getödtet. Am vorigen Tage
war der Arbeiterführer Baune, obwohl krank, durch die Stadt
gewandert; seine zunehmende Krankheit hatte ihn in seine Woh-
nung zurückgeführt, wo ihn die Gicht an's Bett fesselte. Seine
Frau und das jüngste seiner Kinder waren bei ihm, als die Sol-
daten eindrangen. Als sie auf ihn zukommen, um ihn zu erwür-
gen, richtet er sich in seinem Bette in die Höhe und ruft: "Als
Republikaner muß ich auf dem öffentlichen Platze erschossen wer-
den. Sie werden mich nicht Angesichts meiner Frau und meines
Kindes ermorden." Jn der That trat der Offizier vor, um ihn
zu schützen. Aber was hätte seine Stimme vermocht, hätte man
nicht wichtige Enthüllungen von Baune erwartet? Es wurde der
Befehl gegeben, ihn gefangen zu nehmen, und man führte ihn
unter den Schmähungen der Soldaten, denen er stolze und ver-
ächtliche Worte entgegensetzte, nach dem Rathhause.

Blut berauscht -- dafür lieferte der 10. April schreckliche Bei-
spiele. Auf der Brücke von Tilsit sah man, wie Grenadiere einen
Gefangenen fortschleiften, um ihn in die Saone zu stürzen. Aber
das Opfer hatte einen der Soldaten beim Körper gefaßt und
hielt ihn eng umschlungen. Ein Schuß wird abgefeuert. Der
Unglückliche sinkt auf's Pflaster hin. Die Soldaten treten nun
einige Schritte zurück und feuern Alle zusammen auf den Ster-
benden. Sie heben sodann den Leichnam auf, schwenken ihn
unter schrecklichem Gelächter über dem Geländer der Brücke und
stürzen ihn endlich in's Wasser. Der Leichnam blieb an einem
Pfahle im Flusse hängen und die Grenadiere schossen nun noch
weiter auf denselben.

Dieser empörenden Wildheit machten sich freilich nicht Alle
schuldig. Auf manchen Punkten wurden Frauen des Volks,
welche die auf den Straßen bivouakirenden Truppen gefangen
genommen hatten, nicht nur mit Rücksicht, sondern auch mit Edel-
muth behandelt, und es theilten die Soldaten ihr Brot mit ihnen.
Ein Jnsurgent hatte ganz in der Nähe auf einen Offizier geschossen,
er fehlte und entblößte nun seine Brust mit den Worten:
"Jetzt kommst Du daran." Der Offizier war edel genug, zu
erwidern: "Jch bin nicht gewohnt, in solcher Nähe auf einen
Menschen zu schießen, der sich nicht vertheidigen kann. Ent-
ferne Dich!"

Während dieser Zeit wurde die Verwüstung Lyons fort-
gesetzt; die Armee zerschoß die Stadt, als ob jedes Haus eine
von Tausenden von Feinden besetzte Festung gewesen wäre. Die
bewaffneten Jnsurgenten waren aber kaum 300 Mann stark. Die
Ungestümsten unter den Arbeitern hatten sich des Prozesses der
Mutualisten wegen ins Jnnere der Stadt begeben und konnten
nicht nach den Vorstädten zurückkehren und hier das Signal
zum Kampfe geben. Jn der Croix=Rousse, welche ganz iso-
lirt war, stand Carrier an der Spitze einer sehr kleinen Anzahl
von Menschen. Jn der Vorstadt Vaise hatte Reverchon vergeb-
liche Anstrengungen gemacht, um die Elemente eines genügenden
Widerstandes zu sammeln, und er hatte sich endlich entfernt, um
das flache Land aufzuregen. Kühne Männer durchzogen die be-
nachbarten Gemeinden, um sich Flinten zu verschaffen, aber sie
hatten keine erlangen können. Von den Jnsurrektionen, die in
St. Etienne, Grenoble, Vienne zum Ausbruch kommen sollten,
hatte man keine Nachricht. Endlich schlug sogar die Mäßigung
der Jnsurgenten zu ihrem Nachtheile aus. Wären sie in die
Häuser gedrungen und hätten sie die Auslieferung der Waffen
gefordert, so würde man ihnen die Waffen ausgeliefert haben;
aber sie forderten ohne Drohungen und erhielten daher nur ab-
schlägliche Antworten. So war die Jnsurrektion ganz dem Zu-
falle preisgegeben, da die Leitung den Händen derjenigen ent-
schlüpft war, die dazu berufen waren, und da der Ausschuß der
Menschenrechte vollständig zerstreut war; denn Hugon, Martin
und Sylvaincourt sahen sich gleich anfangs von den verschiedenen
Mittelpunkten des Aufstandes entfernt, und Baune wartete in
den Gefängnissen des Rathhauses die Entscheidung seines Schick-
sals ab. Albert, der in Lyon zu bekannt war, um sich ungestraft
zeigen zu dürfen, hatte sich früher zu einem seiner Freunde ge-
flüchtet; jetzt wagte er es, als Priester verkleidet, in die Stadt
zu gehen.

Die Jnsurgenten kämpften so heldenmüthig, daß am Abend
[Spaltenumbruch] des 10. April die Militairbehörde beschloß, die Stadt zu räumen.
Aber die Civilbehörde war durch ihre geheimen Agenten von der
wahren Sachlage genau unterrichtet, und bewirkte die Zurück-
nahme des schon ertheilten Befehls zum Rückzuge; es wurde nun
beschlossen, daß man die blutigen Ruinen nicht verlassen solle.

Zum zweiten Male seit dem Beginn der Unruhen unter-
brach die Nacht die Feindseligkeiten. Das Wetter war düster
und schneeig. Die Soldaten bivouakirten an großen Wachtfeuern,
die Flamme erleuchtete mit ihrem Widerscheine die mißtrauischen
Blicke und die von Ermüdung abgespannten Gesichter derselben.
Man sah Frauen und Kinder, die man auf den Straßen an-
gehalten hatte, ebenfalls auf dem Stroh lagern. Lyon war in
ruhelose Stille versenkt, welche nur von Zeit zu Zeit durch einige
ferne Flintenschüsse unterbrochen wurde. Plötzlich verbreitet sich
unter den Truppen im Viertel St. Jean das Gerücht, daß das
Militair auf die andere Seite der Saone übergehen solle, und
daß die Anführer die Concentration der Streitkräfte für nöthig
halten. Es entstand eine gränzenlose Verwirrung, die, hätte das
Volk sie benutzt, ihm den Sieg gebracht haben würde. Jn Folge
dieser Panik wurde sogar in der Nacht vom 11. zum 12. das
Fort St. Jrene, welches von der Jnsurrektion gar nicht bedroht
wurde, geräumt.

Jm Laufe des Tages war die Kaserne du Bon=Pasteur ge-
räumt worden, und man ließ in derselben zwei Kanonen zurück,
die so schlecht vernagelt worden waren, daß die Jnsurgenten sie
nach einer Arbeit von einigen Minuten nach Ferri e res bringen
konnten, von wo aus sie mit Stücken Eisen und mit Pulver,
welches sie in der Sonne getrocknet hatten, auf die Truppen
schossen!

Es hatte sich der Kampf am 11. mit denselben Umständen
und mit demselben Charakter wieder erneuert. Aber am 12.
wurde es offenbar, daß die Armee leicht die Stadt in ihre Ge-
walt bringen könne. Nun unternahm man, während man la
Guillotiere, welches nicht vertheidigt wurde, besetzte, gleichzeitig
einen heftigen Sturm auf die Vorstadt Vaise, welche fast gar
nicht vertheidigt wurde. Hier wurden barbarische Thaten verübt,
welche die Feder sich niederzuschreiben sträubt. Jn der Rue
Projet e war vor dem Hause des Gastwirths Chagnes ein Flinten-
schuß abgefeuert worden; die Soldaten stürzen hinein mit dem
Entschlusse, alle Bewohner desselben niederzumetzeln. Ein 74 jäh-
riger Greis, Namens Meunier, lag im Bette; man schießt auf
ihn, und zwar in solcher Nähe, daß die Betten in Brand ge-
rathen. Claude Combe, welcher am Bette seines sterbenden
Bruders saß, wurde auf die Straße geschleift und erschossen.
Jean Claude Passinge wurde aus dem Fenster gestürzt und auf
der Straße mit Kolbenhieben todtgeschlagen. Die Soldaten er-
morden Prost und Lauvergnat, die sie mit dem Rücken an ein-
ander binden. Ein friedlicher Mann, Namens Dieudonn e, wurde
in seinem Zimmer gefunden, wo er seinen fünfjährigen Sohn in
den Armen hielt. Beim Anblicke der wüthenden Soldaten rief
das Kind aus: "Tödtet Papa nicht!" Aber der Vater wurde
gewaltsam von seinem Sohne getrennt. Ein Offizier gab das
Signal zur Ermordung. "Lassen Sie diesen Mann, um sein
Kind zu erziehen", sagte ein Soldat. Er hatte kaum ausgespro-
chen, als auch schon der Offizier dem unglücklichen Familienvater
das Schwert in die Brust gestoßen hatte. Sechszehn Opfer, die
in Zeit von einigen Minuten hingeschlachtet wurden, sechszehn
Ermordungen waren die Folge des Repressions=Systems.

Es blieb nur noch das Viertel der Cordeliers zu nehmen.
Zwei Kompagnieen greifen, unterstützt von Kanonen, die Barri-
kade an und erobern sie nach einem hartnäckigen Kampfe. Die
Jnsurgenten hatten zuletzt noch die Kirche der Cordeliers inne;
die Thüren derselben werden eingeschlagen. -- -- Welches Schau-
spiel! ein von Pulver geschwärzter Sergent feuert die Seinigen
an und kommandirt Feuer. Eine schreckliche Salve ertönt in den
Wölbungen, welche sonst nur von frommen Gesängen wider-
hallen. Vergeblich fleht ein Priester um Gnade für die Besieg-
ten, in den Bürgerkriegen giebt es kein Mitleid. Von den Jn-
surgenten suchen die Einen Schutz hinter den Säulen, Andere
verschwinden im Dunkel der Seiten=Kapellen; noch Andere lassen
Freiheits=Hymnen und Sterbegesänge zum Himmel aufsteigen.
Einer steht auf den obersten Stufen des Altars mit überein-
andergeschlagenen Armen, mit strahlendem Antlitze und verzücktem
Blicke. "Dies ist der Augenblick, fürs Vaterland zu sterben!"
ruft er aus. Er wird durchbohrt und sinkt am Fuße des Al-
tars nieder. Blutströme bedecken bald den Fußboden des Tem-
pels, in welchem man elf Leichname zählt.

[Ende Spaltensatz]
Zur Unterhaltung und Belehrung. 69
[Beginn Spaltensatz]

Nach dem Platze Sathonay zu, am Eingange der Rue St. -
Marcel, war eine Barrikade errichtet worden, und die Soldaten,
die sie nehmen sollten, schienen zu schwanken. Nun stürzt der
Oberst Monnier vor, er wird getödtet und die Barrikade erobert.
Die Truppen dringen in die Häuser und verbreiten sich in blin-
der Wuth nach allen Seiten hin. Ein Vürger J. Remond saß
ruhig in seinem Zimmer: er wird getödtet. Am vorigen Tage
war der Arbeiterführer Baune, obwohl krank, durch die Stadt
gewandert; seine zunehmende Krankheit hatte ihn in seine Woh-
nung zurückgeführt, wo ihn die Gicht an's Bett fesselte. Seine
Frau und das jüngste seiner Kinder waren bei ihm, als die Sol-
daten eindrangen. Als sie auf ihn zukommen, um ihn zu erwür-
gen, richtet er sich in seinem Bette in die Höhe und ruft: „Als
Republikaner muß ich auf dem öffentlichen Platze erschossen wer-
den. Sie werden mich nicht Angesichts meiner Frau und meines
Kindes ermorden.“ Jn der That trat der Offizier vor, um ihn
zu schützen. Aber was hätte seine Stimme vermocht, hätte man
nicht wichtige Enthüllungen von Baune erwartet? Es wurde der
Befehl gegeben, ihn gefangen zu nehmen, und man führte ihn
unter den Schmähungen der Soldaten, denen er stolze und ver-
ächtliche Worte entgegensetzte, nach dem Rathhause.

Blut berauscht — dafür lieferte der 10. April schreckliche Bei-
spiele. Auf der Brücke von Tilsit sah man, wie Grenadiere einen
Gefangenen fortschleiften, um ihn in die Saone zu stürzen. Aber
das Opfer hatte einen der Soldaten beim Körper gefaßt und
hielt ihn eng umschlungen. Ein Schuß wird abgefeuert. Der
Unglückliche sinkt auf's Pflaster hin. Die Soldaten treten nun
einige Schritte zurück und feuern Alle zusammen auf den Ster-
benden. Sie heben sodann den Leichnam auf, schwenken ihn
unter schrecklichem Gelächter über dem Geländer der Brücke und
stürzen ihn endlich in's Wasser. Der Leichnam blieb an einem
Pfahle im Flusse hängen und die Grenadiere schossen nun noch
weiter auf denselben.

Dieser empörenden Wildheit machten sich freilich nicht Alle
schuldig. Auf manchen Punkten wurden Frauen des Volks,
welche die auf den Straßen bivouakirenden Truppen gefangen
genommen hatten, nicht nur mit Rücksicht, sondern auch mit Edel-
muth behandelt, und es theilten die Soldaten ihr Brot mit ihnen.
Ein Jnsurgent hatte ganz in der Nähe auf einen Offizier geschossen,
er fehlte und entblößte nun seine Brust mit den Worten:
„Jetzt kommst Du daran.“ Der Offizier war edel genug, zu
erwidern: „Jch bin nicht gewohnt, in solcher Nähe auf einen
Menschen zu schießen, der sich nicht vertheidigen kann. Ent-
ferne Dich!“

Während dieser Zeit wurde die Verwüstung Lyons fort-
gesetzt; die Armee zerschoß die Stadt, als ob jedes Haus eine
von Tausenden von Feinden besetzte Festung gewesen wäre. Die
bewaffneten Jnsurgenten waren aber kaum 300 Mann stark. Die
Ungestümsten unter den Arbeitern hatten sich des Prozesses der
Mutualisten wegen ins Jnnere der Stadt begeben und konnten
nicht nach den Vorstädten zurückkehren und hier das Signal
zum Kampfe geben. Jn der Croix=Rousse, welche ganz iso-
lirt war, stand Carrier an der Spitze einer sehr kleinen Anzahl
von Menschen. Jn der Vorstadt Vaise hatte Reverchon vergeb-
liche Anstrengungen gemacht, um die Elemente eines genügenden
Widerstandes zu sammeln, und er hatte sich endlich entfernt, um
das flache Land aufzuregen. Kühne Männer durchzogen die be-
nachbarten Gemeinden, um sich Flinten zu verschaffen, aber sie
hatten keine erlangen können. Von den Jnsurrektionen, die in
St. Etienne, Grenoble, Vienne zum Ausbruch kommen sollten,
hatte man keine Nachricht. Endlich schlug sogar die Mäßigung
der Jnsurgenten zu ihrem Nachtheile aus. Wären sie in die
Häuser gedrungen und hätten sie die Auslieferung der Waffen
gefordert, so würde man ihnen die Waffen ausgeliefert haben;
aber sie forderten ohne Drohungen und erhielten daher nur ab-
schlägliche Antworten. So war die Jnsurrektion ganz dem Zu-
falle preisgegeben, da die Leitung den Händen derjenigen ent-
schlüpft war, die dazu berufen waren, und da der Ausschuß der
Menschenrechte vollständig zerstreut war; denn Hugon, Martin
und Sylvaincourt sahen sich gleich anfangs von den verschiedenen
Mittelpunkten des Aufstandes entfernt, und Baune wartete in
den Gefängnissen des Rathhauses die Entscheidung seines Schick-
sals ab. Albert, der in Lyon zu bekannt war, um sich ungestraft
zeigen zu dürfen, hatte sich früher zu einem seiner Freunde ge-
flüchtet; jetzt wagte er es, als Priester verkleidet, in die Stadt
zu gehen.

Die Jnsurgenten kämpften so heldenmüthig, daß am Abend
[Spaltenumbruch] des 10. April die Militairbehörde beschloß, die Stadt zu räumen.
Aber die Civilbehörde war durch ihre geheimen Agenten von der
wahren Sachlage genau unterrichtet, und bewirkte die Zurück-
nahme des schon ertheilten Befehls zum Rückzuge; es wurde nun
beschlossen, daß man die blutigen Ruinen nicht verlassen solle.

Zum zweiten Male seit dem Beginn der Unruhen unter-
brach die Nacht die Feindseligkeiten. Das Wetter war düster
und schneeig. Die Soldaten bivouakirten an großen Wachtfeuern,
die Flamme erleuchtete mit ihrem Widerscheine die mißtrauischen
Blicke und die von Ermüdung abgespannten Gesichter derselben.
Man sah Frauen und Kinder, die man auf den Straßen an-
gehalten hatte, ebenfalls auf dem Stroh lagern. Lyon war in
ruhelose Stille versenkt, welche nur von Zeit zu Zeit durch einige
ferne Flintenschüsse unterbrochen wurde. Plötzlich verbreitet sich
unter den Truppen im Viertel St. Jean das Gerücht, daß das
Militair auf die andere Seite der Saone übergehen solle, und
daß die Anführer die Concentration der Streitkräfte für nöthig
halten. Es entstand eine gränzenlose Verwirrung, die, hätte das
Volk sie benutzt, ihm den Sieg gebracht haben würde. Jn Folge
dieser Panik wurde sogar in der Nacht vom 11. zum 12. das
Fort St. Jrene, welches von der Jnsurrektion gar nicht bedroht
wurde, geräumt.

Jm Laufe des Tages war die Kaserne du Bon=Pasteur ge-
räumt worden, und man ließ in derselben zwei Kanonen zurück,
die so schlecht vernagelt worden waren, daß die Jnsurgenten sie
nach einer Arbeit von einigen Minuten nach Ferri è res bringen
konnten, von wo aus sie mit Stücken Eisen und mit Pulver,
welches sie in der Sonne getrocknet hatten, auf die Truppen
schossen!

Es hatte sich der Kampf am 11. mit denselben Umständen
und mit demselben Charakter wieder erneuert. Aber am 12.
wurde es offenbar, daß die Armee leicht die Stadt in ihre Ge-
walt bringen könne. Nun unternahm man, während man la
Guillotiere, welches nicht vertheidigt wurde, besetzte, gleichzeitig
einen heftigen Sturm auf die Vorstadt Vaise, welche fast gar
nicht vertheidigt wurde. Hier wurden barbarische Thaten verübt,
welche die Feder sich niederzuschreiben sträubt. Jn der Rue
Projet é war vor dem Hause des Gastwirths Chagnes ein Flinten-
schuß abgefeuert worden; die Soldaten stürzen hinein mit dem
Entschlusse, alle Bewohner desselben niederzumetzeln. Ein 74 jäh-
riger Greis, Namens Meunier, lag im Bette; man schießt auf
ihn, und zwar in solcher Nähe, daß die Betten in Brand ge-
rathen. Claude Combe, welcher am Bette seines sterbenden
Bruders saß, wurde auf die Straße geschleift und erschossen.
Jean Claude Passinge wurde aus dem Fenster gestürzt und auf
der Straße mit Kolbenhieben todtgeschlagen. Die Soldaten er-
morden Prost und Lauvergnat, die sie mit dem Rücken an ein-
ander binden. Ein friedlicher Mann, Namens Dieudonn é, wurde
in seinem Zimmer gefunden, wo er seinen fünfjährigen Sohn in
den Armen hielt. Beim Anblicke der wüthenden Soldaten rief
das Kind aus: „Tödtet Papa nicht!“ Aber der Vater wurde
gewaltsam von seinem Sohne getrennt. Ein Offizier gab das
Signal zur Ermordung. „Lassen Sie diesen Mann, um sein
Kind zu erziehen“, sagte ein Soldat. Er hatte kaum ausgespro-
chen, als auch schon der Offizier dem unglücklichen Familienvater
das Schwert in die Brust gestoßen hatte. Sechszehn Opfer, die
in Zeit von einigen Minuten hingeschlachtet wurden, sechszehn
Ermordungen waren die Folge des Repressions=Systems.

Es blieb nur noch das Viertel der Cordeliers zu nehmen.
Zwei Kompagnieen greifen, unterstützt von Kanonen, die Barri-
kade an und erobern sie nach einem hartnäckigen Kampfe. Die
Jnsurgenten hatten zuletzt noch die Kirche der Cordeliers inne;
die Thüren derselben werden eingeschlagen. — — Welches Schau-
spiel! ein von Pulver geschwärzter Sergent feuert die Seinigen
an und kommandirt Feuer. Eine schreckliche Salve ertönt in den
Wölbungen, welche sonst nur von frommen Gesängen wider-
hallen. Vergeblich fleht ein Priester um Gnade für die Besieg-
ten, in den Bürgerkriegen giebt es kein Mitleid. Von den Jn-
surgenten suchen die Einen Schutz hinter den Säulen, Andere
verschwinden im Dunkel der Seiten=Kapellen; noch Andere lassen
Freiheits=Hymnen und Sterbegesänge zum Himmel aufsteigen.
Einer steht auf den obersten Stufen des Altars mit überein-
andergeschlagenen Armen, mit strahlendem Antlitze und verzücktem
Blicke. „Dies ist der Augenblick, fürs Vaterland zu sterben!“
ruft er aus. Er wird durchbohrt und sinkt am Fuße des Al-
tars nieder. Blutströme bedecken bald den Fußboden des Tem-
pels, in welchem man elf Leichname zählt.

[Ende Spaltensatz]
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[69/0021] Zur Unterhaltung und Belehrung. 69 Nach dem Platze Sathonay zu, am Eingange der Rue St. - Marcel, war eine Barrikade errichtet worden, und die Soldaten, die sie nehmen sollten, schienen zu schwanken. Nun stürzt der Oberst Monnier vor, er wird getödtet und die Barrikade erobert. Die Truppen dringen in die Häuser und verbreiten sich in blin- der Wuth nach allen Seiten hin. Ein Vürger J. Remond saß ruhig in seinem Zimmer: er wird getödtet. Am vorigen Tage war der Arbeiterführer Baune, obwohl krank, durch die Stadt gewandert; seine zunehmende Krankheit hatte ihn in seine Woh- nung zurückgeführt, wo ihn die Gicht an's Bett fesselte. Seine Frau und das jüngste seiner Kinder waren bei ihm, als die Sol- daten eindrangen. Als sie auf ihn zukommen, um ihn zu erwür- gen, richtet er sich in seinem Bette in die Höhe und ruft: „Als Republikaner muß ich auf dem öffentlichen Platze erschossen wer- den. Sie werden mich nicht Angesichts meiner Frau und meines Kindes ermorden.“ Jn der That trat der Offizier vor, um ihn zu schützen. Aber was hätte seine Stimme vermocht, hätte man nicht wichtige Enthüllungen von Baune erwartet? Es wurde der Befehl gegeben, ihn gefangen zu nehmen, und man führte ihn unter den Schmähungen der Soldaten, denen er stolze und ver- ächtliche Worte entgegensetzte, nach dem Rathhause. Blut berauscht — dafür lieferte der 10. April schreckliche Bei- spiele. Auf der Brücke von Tilsit sah man, wie Grenadiere einen Gefangenen fortschleiften, um ihn in die Saone zu stürzen. Aber das Opfer hatte einen der Soldaten beim Körper gefaßt und hielt ihn eng umschlungen. Ein Schuß wird abgefeuert. Der Unglückliche sinkt auf's Pflaster hin. Die Soldaten treten nun einige Schritte zurück und feuern Alle zusammen auf den Ster- benden. Sie heben sodann den Leichnam auf, schwenken ihn unter schrecklichem Gelächter über dem Geländer der Brücke und stürzen ihn endlich in's Wasser. Der Leichnam blieb an einem Pfahle im Flusse hängen und die Grenadiere schossen nun noch weiter auf denselben. Dieser empörenden Wildheit machten sich freilich nicht Alle schuldig. Auf manchen Punkten wurden Frauen des Volks, welche die auf den Straßen bivouakirenden Truppen gefangen genommen hatten, nicht nur mit Rücksicht, sondern auch mit Edel- muth behandelt, und es theilten die Soldaten ihr Brot mit ihnen. Ein Jnsurgent hatte ganz in der Nähe auf einen Offizier geschossen, er fehlte und entblößte nun seine Brust mit den Worten: „Jetzt kommst Du daran.“ Der Offizier war edel genug, zu erwidern: „Jch bin nicht gewohnt, in solcher Nähe auf einen Menschen zu schießen, der sich nicht vertheidigen kann. Ent- ferne Dich!“ Während dieser Zeit wurde die Verwüstung Lyons fort- gesetzt; die Armee zerschoß die Stadt, als ob jedes Haus eine von Tausenden von Feinden besetzte Festung gewesen wäre. Die bewaffneten Jnsurgenten waren aber kaum 300 Mann stark. Die Ungestümsten unter den Arbeitern hatten sich des Prozesses der Mutualisten wegen ins Jnnere der Stadt begeben und konnten nicht nach den Vorstädten zurückkehren und hier das Signal zum Kampfe geben. Jn der Croix=Rousse, welche ganz iso- lirt war, stand Carrier an der Spitze einer sehr kleinen Anzahl von Menschen. Jn der Vorstadt Vaise hatte Reverchon vergeb- liche Anstrengungen gemacht, um die Elemente eines genügenden Widerstandes zu sammeln, und er hatte sich endlich entfernt, um das flache Land aufzuregen. Kühne Männer durchzogen die be- nachbarten Gemeinden, um sich Flinten zu verschaffen, aber sie hatten keine erlangen können. Von den Jnsurrektionen, die in St. Etienne, Grenoble, Vienne zum Ausbruch kommen sollten, hatte man keine Nachricht. Endlich schlug sogar die Mäßigung der Jnsurgenten zu ihrem Nachtheile aus. Wären sie in die Häuser gedrungen und hätten sie die Auslieferung der Waffen gefordert, so würde man ihnen die Waffen ausgeliefert haben; aber sie forderten ohne Drohungen und erhielten daher nur ab- schlägliche Antworten. So war die Jnsurrektion ganz dem Zu- falle preisgegeben, da die Leitung den Händen derjenigen ent- schlüpft war, die dazu berufen waren, und da der Ausschuß der Menschenrechte vollständig zerstreut war; denn Hugon, Martin und Sylvaincourt sahen sich gleich anfangs von den verschiedenen Mittelpunkten des Aufstandes entfernt, und Baune wartete in den Gefängnissen des Rathhauses die Entscheidung seines Schick- sals ab. Albert, der in Lyon zu bekannt war, um sich ungestraft zeigen zu dürfen, hatte sich früher zu einem seiner Freunde ge- flüchtet; jetzt wagte er es, als Priester verkleidet, in die Stadt zu gehen. Die Jnsurgenten kämpften so heldenmüthig, daß am Abend des 10. April die Militairbehörde beschloß, die Stadt zu räumen. Aber die Civilbehörde war durch ihre geheimen Agenten von der wahren Sachlage genau unterrichtet, und bewirkte die Zurück- nahme des schon ertheilten Befehls zum Rückzuge; es wurde nun beschlossen, daß man die blutigen Ruinen nicht verlassen solle. Zum zweiten Male seit dem Beginn der Unruhen unter- brach die Nacht die Feindseligkeiten. Das Wetter war düster und schneeig. Die Soldaten bivouakirten an großen Wachtfeuern, die Flamme erleuchtete mit ihrem Widerscheine die mißtrauischen Blicke und die von Ermüdung abgespannten Gesichter derselben. Man sah Frauen und Kinder, die man auf den Straßen an- gehalten hatte, ebenfalls auf dem Stroh lagern. Lyon war in ruhelose Stille versenkt, welche nur von Zeit zu Zeit durch einige ferne Flintenschüsse unterbrochen wurde. Plötzlich verbreitet sich unter den Truppen im Viertel St. Jean das Gerücht, daß das Militair auf die andere Seite der Saone übergehen solle, und daß die Anführer die Concentration der Streitkräfte für nöthig halten. Es entstand eine gränzenlose Verwirrung, die, hätte das Volk sie benutzt, ihm den Sieg gebracht haben würde. Jn Folge dieser Panik wurde sogar in der Nacht vom 11. zum 12. das Fort St. Jrene, welches von der Jnsurrektion gar nicht bedroht wurde, geräumt. Jm Laufe des Tages war die Kaserne du Bon=Pasteur ge- räumt worden, und man ließ in derselben zwei Kanonen zurück, die so schlecht vernagelt worden waren, daß die Jnsurgenten sie nach einer Arbeit von einigen Minuten nach Ferri è res bringen konnten, von wo aus sie mit Stücken Eisen und mit Pulver, welches sie in der Sonne getrocknet hatten, auf die Truppen schossen! Es hatte sich der Kampf am 11. mit denselben Umständen und mit demselben Charakter wieder erneuert. Aber am 12. wurde es offenbar, daß die Armee leicht die Stadt in ihre Ge- walt bringen könne. Nun unternahm man, während man la Guillotiere, welches nicht vertheidigt wurde, besetzte, gleichzeitig einen heftigen Sturm auf die Vorstadt Vaise, welche fast gar nicht vertheidigt wurde. Hier wurden barbarische Thaten verübt, welche die Feder sich niederzuschreiben sträubt. Jn der Rue Projet é war vor dem Hause des Gastwirths Chagnes ein Flinten- schuß abgefeuert worden; die Soldaten stürzen hinein mit dem Entschlusse, alle Bewohner desselben niederzumetzeln. Ein 74 jäh- riger Greis, Namens Meunier, lag im Bette; man schießt auf ihn, und zwar in solcher Nähe, daß die Betten in Brand ge- rathen. Claude Combe, welcher am Bette seines sterbenden Bruders saß, wurde auf die Straße geschleift und erschossen. Jean Claude Passinge wurde aus dem Fenster gestürzt und auf der Straße mit Kolbenhieben todtgeschlagen. Die Soldaten er- morden Prost und Lauvergnat, die sie mit dem Rücken an ein- ander binden. Ein friedlicher Mann, Namens Dieudonn é, wurde in seinem Zimmer gefunden, wo er seinen fünfjährigen Sohn in den Armen hielt. Beim Anblicke der wüthenden Soldaten rief das Kind aus: „Tödtet Papa nicht!“ Aber der Vater wurde gewaltsam von seinem Sohne getrennt. Ein Offizier gab das Signal zur Ermordung. „Lassen Sie diesen Mann, um sein Kind zu erziehen“, sagte ein Soldat. Er hatte kaum ausgespro- chen, als auch schon der Offizier dem unglücklichen Familienvater das Schwert in die Brust gestoßen hatte. Sechszehn Opfer, die in Zeit von einigen Minuten hingeschlachtet wurden, sechszehn Ermordungen waren die Folge des Repressions=Systems. Es blieb nur noch das Viertel der Cordeliers zu nehmen. Zwei Kompagnieen greifen, unterstützt von Kanonen, die Barri- kade an und erobern sie nach einem hartnäckigen Kampfe. Die Jnsurgenten hatten zuletzt noch die Kirche der Cordeliers inne; die Thüren derselben werden eingeschlagen. — — Welches Schau- spiel! ein von Pulver geschwärzter Sergent feuert die Seinigen an und kommandirt Feuer. Eine schreckliche Salve ertönt in den Wölbungen, welche sonst nur von frommen Gesängen wider- hallen. Vergeblich fleht ein Priester um Gnade für die Besieg- ten, in den Bürgerkriegen giebt es kein Mitleid. Von den Jn- surgenten suchen die Einen Schutz hinter den Säulen, Andere verschwinden im Dunkel der Seiten=Kapellen; noch Andere lassen Freiheits=Hymnen und Sterbegesänge zum Himmel aufsteigen. Einer steht auf den obersten Stufen des Altars mit überein- andergeschlagenen Armen, mit strahlendem Antlitze und verzücktem Blicke. „Dies ist der Augenblick, fürs Vaterland zu sterben!“ ruft er aus. Er wird durchbohrt und sinkt am Fuße des Al- tars nieder. Blutströme bedecken bald den Fußboden des Tem- pels, in welchem man elf Leichname zählt.

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 3. Lieferung. Berlin, 6. März 1873, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social03_1873/21>, abgerufen am 11.06.2024.