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Social-politische Blätter. 1. Lieferung. Berlin, 7. Februar 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 17
[Beginn Spaltensatz]
Ferdinand Lassalle's Leben und Wirken.
( Einleitung. )

Von wenigen Männern, deren Namen die Weltgeschichte
aufbewahrt, bietet uns dieselbe ein so interessantes Bild wie von
Ferdinand Lassalle.

Bei den meisten berühmten Männern ist es die Großartig-
keit der Zeit, in welcher sie lebten, sind es die gewaltigen Kämpfe
der Völker, welche ihnen den größten Theil ihres Glanzes ver-
leihen; auf den Wogen des Völkersturmes wurden die durch
Charakter und Talent ausgezeichneten Männer leicht emporge-
hoben. Wie unbedeutend wäre beispielsweise der Lebenslauf
eines Luther, eines Robespierre, eines Napoleon Bona-
parte
gewesen, hätten nicht die religiöse Reformationsbewegung
und die Revolution des dritten Standes die Massen empört und
die bestehenden Zustände bis in die tiefsten Grundfesten erschüt-
tert; in einem Zeitalter, wo die herrschenden Klassen, unge-
brochen durch den Ansturm der freiheitlechzenden Volksmassen,
ihre Vorrechte ausüben, wäre Luther ein stiller Mönch, Robes-
pierre ein ehrenhafter Anwalt der Bedrückten und Bonaparte ein
genialer Subalternoffizier geworden, die Weltgeschichte aber hätte
ihre Namen nicht aufgezeichnet.

Große Ereignisse schaffen leicht große Männer; in den ruhigen
Zeiten des unerschütterlich lastenden[unleserliches Material] Druckes von oben und der
knechtisch nachgebenden Feigheit unten, flüchtet sich aber die Geistes-
größe in die stille Studirstube. Dort, fern vom öffentlichen
Leben und Treiben, reifen neue Jdeen, welche in künftigen
Zeitaltern in die Volksmassen dringen und dieselben zu den
kühnen Thaten entflammen, vor welchen das überlebte Alte in
den Staub sinkt.

Doch wehe jenen Männern der Wissenschaft, welche ihrer Zeit
voraus eilen und vereinzelt, verlassen vom großen Haufen eine
neue Jdee predigen. Gar bald fallen sie dem rasenden Hasse der
machthabenden Klassen anheim und sterben als Märtyrer ihrer
Jdee. Spätere Jahrhunderte erst errichteten Denkmäler diesen
lange vergessenen Blutzeugen, gleich wie jenen Männern, welche
ihrer Wissenschaft lebend unbeachtet die zukünftige Entwickelung
der Menschheit vorausschauten.

Ferdinand Lassalle's Leben nun bietet uns eine groß-
artige Erscheinung. Einer der tiefsten Denker der deutschen Na-
tion, hatte er die Jdee der Zukunft, die sociale Revolution des
vierten Standes, in ihrer Totalität erfaßt und, wie sein Werk:
"System der erworbenen Rechte", zeigt, wissenschaftlich gerecht-
fertigt. Doch nicht zufrieden mit dem stillen Ruhm des Gelehr-
ten, brennend vor Begierde, die enterbte darbende Volksmasse zum
Befreiungskampfe zu führen, betrat er, einem Propheten gleich,
die kühne Bahn der neuen Revolution; er, ein einzelner Mann,
wagte es, den gesammten machthabenden Gewalten Trotz zu bie-
ten; und selbst, als die Massen ihn im Stich ließen und nur
wenige entschlossene Kämpfer sich auf seinen Ruf sammelten, selbst
da unternahm er es, auf sich allein vertrauend und auf die
Wahrheit seines Prinzips, den Titanenkampf weiter zu führen.

Das ist die Bahn, welche noch immer zum Märtyrerthum
geführt hat. Aber während fast stets die im Kampfe mit der
übermächtigen Tyrannei der Mitwelt erliegenden Männer sammt
ihrem Prinzip verschlungen werden vom Meere der Vergessen-
heit, während die Fahne mit ihrem Träger fällt, und nur die
späte Nachwelt ihrer wiederum gedenkt, da triumphirt Lassalle
vermöge seiner gewaltigen Thatkraft und seiner Geistesblitze
selbst im Tode. Wie Winkelried die Speere der feindlichen
Ritter in seine Brust drückte und fallend seinen Kampfgenossen
eine Gasse machte, so hat Lassalle, sich opfernd, eine Bresche
in den Wall der herrschenden Gesellschaft gebrochen, welche nicht
[Spaltenumbruch] mehr zu vermauern ist, und über seine Leiche hat das Prole-
tarierheer den Enscheidungskampf bereits begonnen.

Man pflegt zu sagen, Lassalle habe zu früh gelebt, sein
Kampf sei verfrüht gewesen. Und in einer gewissen Beziehung
hat derjenige, welcher so spricht, Recht. Man bedenke nur, welch
unermeßlichen Einfluß ein Mann von Lassalle's Genius er-
langen könnte, dann, wenn die Massen reif sind zu ihrer Befreiung,
wenn die Wogen der Volksbewegung hoch empor sich bäumen,
und das Alte in Trümmer sinkt. Jn solchen Zeiten da bedarf
es Lassalle' schen Geistes, um den kühnen Drang in die neue
Bahn zu lenken. Welch' ein erhabenes historisches Bild: Las-
salle -- Dictator der deutschen socialen Republik! --

Aber wenn es nun auch Lassalle nicht vergönnt war, eine
solche hohe Bahn zu beschreiten, so war sein Wirken doch wahr-
lich nicht nutzlos, nicht verfrüht. Der Meister, welcher das
Gebäude krönt, erringt nicht größeres Lob, als der, welcher fest
den Grundstein fügt. Und das that Lassalle; er ist -- kein
Neider kann das läugnen -- der Mann, welcher dem Socialis-
mus in Deutschland die Bahnen geebnet hat.

Das Merkwürdigste und zugleich Ergreifendste bei Lassalle's
kühnem Wirken ist nun aber, daß er, vermöge seines scharfen
Geistes und seiner tiefen Kenntniß der Weltgeschichte, die Un-
gleichheit seines Kampfes voraussah, daß er selbst überzeugt war,
zu unterliegen und zum Märtyrer zu werden; aber ohne Zögern
schritt er gleichwohl fort auf der betretenen Bahn.

Tiefen Eindruck in Lassalle's Denken läßt uns ein Brief
desselben thun, welcher, kurz bevor er mit seinem "Offenen Ant-
wortschreiben " entschieden die sociale Fahne erhob und den All-
gemeinen deutschen Arbeiter=Verein gründete, geschrieben ward.
Lassalle's tiefdringender Blick zeigt sich eben so sehr in dem be-
stimmten und richtigen Voraussagen des politischen Weltlaufs,
wie sich sein edles Gemüth trefflich enthüllt durch seinen opfer-
willigen Entschluß, für die Sache des enterbten Volkes Gut und
Blut daran zu setzen.

Wir lassen den schönen, wenig bekannten Brief hier folgen:

    Berlin, den 9. März 1863.

Jhr Brief hat sich mit meinem letzten Brief gekreuzt. Fah-
ren Sie fort, mir fleißig und ausführlich zu schreiben. Bei der
großen Abspannung und Schwäche, die ziemlich allgemein herrscht,
gewähren mir ihre Briefe Trost und Freude. Sieht man auch
hin und wieder Jemand von energischem Willen, so muß man
sich, wenn man erst so viel traurige Erfahrungen mit den Men-
schen gemacht hat, wie ich, unwillkürlich fragen: wie wird es aber
in fünf, in zehn Jahren mit ihm stehen? Jst das nicht Stroh-
feuer, das verflackert? Sie aber kenne ich nun schon fünfzehn
Jahre und sehe Sie immer unverwandt mit gleicher Tüchtigkeit
fortarbeiten, so etwas ist sehr tröstlich!

Jch stehe jetzt an "dem Vorabend", wie die beliebte Zeitungs-
phrase lautet, "eines sehr wichtigen Ereignisses". Jch meine
mein Antwortschreiben an die Leipziger Arbeiter, welches bereits
im Druck ist. Korrektur erwarte ich heute oder morgen, und
noch im Laufe dieser Woche wird es erscheinen. Von den Ar-
beitern direkt und offen angefragt, ist es meine Pflicht gewesen,
direkt und offen mit der Sprache herauszugehen. Die Schwierig-
keiten waren immens. Bei den Arbeitern kann nicht einmal
die Kenntniß dessen vorausgesetzt werden, was man heute unter
National = Oekonomie versteht. Noch weniger kann ich in einer
kurzen Broschüre von2 1 / 2 Bogen mein nationalökonomisches
Werk schreiben. Offenbar war die ganze Arbeit rein unnütz,
wenn es nicht gelang, die Arbeiter von innen heraus zum Ver-
ständniß ihrer ökonomischen Lage zu bringen und sie gegen alle
Lügen, Jllusionen und Täuschungen zu befestigen, mit denen man
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 17
[Beginn Spaltensatz]
Ferdinand Lassalle's Leben und Wirken.
( Einleitung. )

Von wenigen Männern, deren Namen die Weltgeschichte
aufbewahrt, bietet uns dieselbe ein so interessantes Bild wie von
Ferdinand Lassalle.

Bei den meisten berühmten Männern ist es die Großartig-
keit der Zeit, in welcher sie lebten, sind es die gewaltigen Kämpfe
der Völker, welche ihnen den größten Theil ihres Glanzes ver-
leihen; auf den Wogen des Völkersturmes wurden die durch
Charakter und Talent ausgezeichneten Männer leicht emporge-
hoben. Wie unbedeutend wäre beispielsweise der Lebenslauf
eines Luther, eines Robespierre, eines Napoleon Bona-
parte
gewesen, hätten nicht die religiöse Reformationsbewegung
und die Revolution des dritten Standes die Massen empört und
die bestehenden Zustände bis in die tiefsten Grundfesten erschüt-
tert; in einem Zeitalter, wo die herrschenden Klassen, unge-
brochen durch den Ansturm der freiheitlechzenden Volksmassen,
ihre Vorrechte ausüben, wäre Luther ein stiller Mönch, Robes-
pierre ein ehrenhafter Anwalt der Bedrückten und Bonaparte ein
genialer Subalternoffizier geworden, die Weltgeschichte aber hätte
ihre Namen nicht aufgezeichnet.

Große Ereignisse schaffen leicht große Männer; in den ruhigen
Zeiten des unerschütterlich lastenden[unleserliches Material] Druckes von oben und der
knechtisch nachgebenden Feigheit unten, flüchtet sich aber die Geistes-
größe in die stille Studirstube. Dort, fern vom öffentlichen
Leben und Treiben, reifen neue Jdeen, welche in künftigen
Zeitaltern in die Volksmassen dringen und dieselben zu den
kühnen Thaten entflammen, vor welchen das überlebte Alte in
den Staub sinkt.

Doch wehe jenen Männern der Wissenschaft, welche ihrer Zeit
voraus eilen und vereinzelt, verlassen vom großen Haufen eine
neue Jdee predigen. Gar bald fallen sie dem rasenden Hasse der
machthabenden Klassen anheim und sterben als Märtyrer ihrer
Jdee. Spätere Jahrhunderte erst errichteten Denkmäler diesen
lange vergessenen Blutzeugen, gleich wie jenen Männern, welche
ihrer Wissenschaft lebend unbeachtet die zukünftige Entwickelung
der Menschheit vorausschauten.

Ferdinand Lassalle's Leben nun bietet uns eine groß-
artige Erscheinung. Einer der tiefsten Denker der deutschen Na-
tion, hatte er die Jdee der Zukunft, die sociale Revolution des
vierten Standes, in ihrer Totalität erfaßt und, wie sein Werk:
„System der erworbenen Rechte“, zeigt, wissenschaftlich gerecht-
fertigt. Doch nicht zufrieden mit dem stillen Ruhm des Gelehr-
ten, brennend vor Begierde, die enterbte darbende Volksmasse zum
Befreiungskampfe zu führen, betrat er, einem Propheten gleich,
die kühne Bahn der neuen Revolution; er, ein einzelner Mann,
wagte es, den gesammten machthabenden Gewalten Trotz zu bie-
ten; und selbst, als die Massen ihn im Stich ließen und nur
wenige entschlossene Kämpfer sich auf seinen Ruf sammelten, selbst
da unternahm er es, auf sich allein vertrauend und auf die
Wahrheit seines Prinzips, den Titanenkampf weiter zu führen.

Das ist die Bahn, welche noch immer zum Märtyrerthum
geführt hat. Aber während fast stets die im Kampfe mit der
übermächtigen Tyrannei der Mitwelt erliegenden Männer sammt
ihrem Prinzip verschlungen werden vom Meere der Vergessen-
heit, während die Fahne mit ihrem Träger fällt, und nur die
späte Nachwelt ihrer wiederum gedenkt, da triumphirt Lassalle
vermöge seiner gewaltigen Thatkraft und seiner Geistesblitze
selbst im Tode. Wie Winkelried die Speere der feindlichen
Ritter in seine Brust drückte und fallend seinen Kampfgenossen
eine Gasse machte, so hat Lassalle, sich opfernd, eine Bresche
in den Wall der herrschenden Gesellschaft gebrochen, welche nicht
[Spaltenumbruch] mehr zu vermauern ist, und über seine Leiche hat das Prole-
tarierheer den Enscheidungskampf bereits begonnen.

Man pflegt zu sagen, Lassalle habe zu früh gelebt, sein
Kampf sei verfrüht gewesen. Und in einer gewissen Beziehung
hat derjenige, welcher so spricht, Recht. Man bedenke nur, welch
unermeßlichen Einfluß ein Mann von Lassalle's Genius er-
langen könnte, dann, wenn die Massen reif sind zu ihrer Befreiung,
wenn die Wogen der Volksbewegung hoch empor sich bäumen,
und das Alte in Trümmer sinkt. Jn solchen Zeiten da bedarf
es Lassalle' schen Geistes, um den kühnen Drang in die neue
Bahn zu lenken. Welch' ein erhabenes historisches Bild: Las-
salle — Dictator der deutschen socialen Republik! —

Aber wenn es nun auch Lassalle nicht vergönnt war, eine
solche hohe Bahn zu beschreiten, so war sein Wirken doch wahr-
lich nicht nutzlos, nicht verfrüht. Der Meister, welcher das
Gebäude krönt, erringt nicht größeres Lob, als der, welcher fest
den Grundstein fügt. Und das that Lassalle; er ist — kein
Neider kann das läugnen — der Mann, welcher dem Socialis-
mus in Deutschland die Bahnen geebnet hat.

Das Merkwürdigste und zugleich Ergreifendste bei Lassalle's
kühnem Wirken ist nun aber, daß er, vermöge seines scharfen
Geistes und seiner tiefen Kenntniß der Weltgeschichte, die Un-
gleichheit seines Kampfes voraussah, daß er selbst überzeugt war,
zu unterliegen und zum Märtyrer zu werden; aber ohne Zögern
schritt er gleichwohl fort auf der betretenen Bahn.

Tiefen Eindruck in Lassalle's Denken läßt uns ein Brief
desselben thun, welcher, kurz bevor er mit seinem „Offenen Ant-
wortschreiben “ entschieden die sociale Fahne erhob und den All-
gemeinen deutschen Arbeiter=Verein gründete, geschrieben ward.
Lassalle's tiefdringender Blick zeigt sich eben so sehr in dem be-
stimmten und richtigen Voraussagen des politischen Weltlaufs,
wie sich sein edles Gemüth trefflich enthüllt durch seinen opfer-
willigen Entschluß, für die Sache des enterbten Volkes Gut und
Blut daran zu setzen.

Wir lassen den schönen, wenig bekannten Brief hier folgen:

    Berlin, den 9. März 1863.

Jhr Brief hat sich mit meinem letzten Brief gekreuzt. Fah-
ren Sie fort, mir fleißig und ausführlich zu schreiben. Bei der
großen Abspannung und Schwäche, die ziemlich allgemein herrscht,
gewähren mir ihre Briefe Trost und Freude. Sieht man auch
hin und wieder Jemand von energischem Willen, so muß man
sich, wenn man erst so viel traurige Erfahrungen mit den Men-
schen gemacht hat, wie ich, unwillkürlich fragen: wie wird es aber
in fünf, in zehn Jahren mit ihm stehen? Jst das nicht Stroh-
feuer, das verflackert? Sie aber kenne ich nun schon fünfzehn
Jahre und sehe Sie immer unverwandt mit gleicher Tüchtigkeit
fortarbeiten, so etwas ist sehr tröstlich!

Jch stehe jetzt an „dem Vorabend“, wie die beliebte Zeitungs-
phrase lautet, „eines sehr wichtigen Ereignisses“. Jch meine
mein Antwortschreiben an die Leipziger Arbeiter, welches bereits
im Druck ist. Korrektur erwarte ich heute oder morgen, und
noch im Laufe dieser Woche wird es erscheinen. Von den Ar-
beitern direkt und offen angefragt, ist es meine Pflicht gewesen,
direkt und offen mit der Sprache herauszugehen. Die Schwierig-
keiten waren immens. Bei den Arbeitern kann nicht einmal
die Kenntniß dessen vorausgesetzt werden, was man heute unter
National = Oekonomie versteht. Noch weniger kann ich in einer
kurzen Broschüre von2 1 / 2 Bogen mein nationalökonomisches
Werk schreiben. Offenbar war die ganze Arbeit rein unnütz,
wenn es nicht gelang, die Arbeiter von innen heraus zum Ver-
ständniß ihrer ökonomischen Lage zu bringen und sie gegen alle
Lügen, Jllusionen und Täuschungen zu befestigen, mit denen man
[Ende Spaltensatz]

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[17/0017] Zur Unterhaltung und Belehrung. 17 Ferdinand Lassalle's Leben und Wirken. ( Einleitung. ) Von wenigen Männern, deren Namen die Weltgeschichte aufbewahrt, bietet uns dieselbe ein so interessantes Bild wie von Ferdinand Lassalle. Bei den meisten berühmten Männern ist es die Großartig- keit der Zeit, in welcher sie lebten, sind es die gewaltigen Kämpfe der Völker, welche ihnen den größten Theil ihres Glanzes ver- leihen; auf den Wogen des Völkersturmes wurden die durch Charakter und Talent ausgezeichneten Männer leicht emporge- hoben. 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Einer der tiefsten Denker der deutschen Na- tion, hatte er die Jdee der Zukunft, die sociale Revolution des vierten Standes, in ihrer Totalität erfaßt und, wie sein Werk: „System der erworbenen Rechte“, zeigt, wissenschaftlich gerecht- fertigt. Doch nicht zufrieden mit dem stillen Ruhm des Gelehr- ten, brennend vor Begierde, die enterbte darbende Volksmasse zum Befreiungskampfe zu führen, betrat er, einem Propheten gleich, die kühne Bahn der neuen Revolution; er, ein einzelner Mann, wagte es, den gesammten machthabenden Gewalten Trotz zu bie- ten; und selbst, als die Massen ihn im Stich ließen und nur wenige entschlossene Kämpfer sich auf seinen Ruf sammelten, selbst da unternahm er es, auf sich allein vertrauend und auf die Wahrheit seines Prinzips, den Titanenkampf weiter zu führen. Das ist die Bahn, welche noch immer zum Märtyrerthum geführt hat. Aber während fast stets die im Kampfe mit der übermächtigen Tyrannei der Mitwelt erliegenden Männer sammt ihrem Prinzip verschlungen werden vom Meere der Vergessen- heit, während die Fahne mit ihrem Träger fällt, und nur die späte Nachwelt ihrer wiederum gedenkt, da triumphirt Lassalle vermöge seiner gewaltigen Thatkraft und seiner Geistesblitze selbst im Tode. Wie Winkelried die Speere der feindlichen Ritter in seine Brust drückte und fallend seinen Kampfgenossen eine Gasse machte, so hat Lassalle, sich opfernd, eine Bresche in den Wall der herrschenden Gesellschaft gebrochen, welche nicht mehr zu vermauern ist, und über seine Leiche hat das Prole- tarierheer den Enscheidungskampf bereits begonnen. Man pflegt zu sagen, Lassalle habe zu früh gelebt, sein Kampf sei verfrüht gewesen. Und in einer gewissen Beziehung hat derjenige, welcher so spricht, Recht. Man bedenke nur, welch unermeßlichen Einfluß ein Mann von Lassalle's Genius er- langen könnte, dann, wenn die Massen reif sind zu ihrer Befreiung, wenn die Wogen der Volksbewegung hoch empor sich bäumen, und das Alte in Trümmer sinkt. Jn solchen Zeiten da bedarf es Lassalle' schen Geistes, um den kühnen Drang in die neue Bahn zu lenken. Welch' ein erhabenes historisches Bild: Las- salle — Dictator der deutschen socialen Republik! — Aber wenn es nun auch Lassalle nicht vergönnt war, eine solche hohe Bahn zu beschreiten, so war sein Wirken doch wahr- lich nicht nutzlos, nicht verfrüht. Der Meister, welcher das Gebäude krönt, erringt nicht größeres Lob, als der, welcher fest den Grundstein fügt. Und das that Lassalle; er ist — kein Neider kann das läugnen — der Mann, welcher dem Socialis- mus in Deutschland die Bahnen geebnet hat. Das Merkwürdigste und zugleich Ergreifendste bei Lassalle's kühnem Wirken ist nun aber, daß er, vermöge seines scharfen Geistes und seiner tiefen Kenntniß der Weltgeschichte, die Un- gleichheit seines Kampfes voraussah, daß er selbst überzeugt war, zu unterliegen und zum Märtyrer zu werden; aber ohne Zögern schritt er gleichwohl fort auf der betretenen Bahn. Tiefen Eindruck in Lassalle's Denken läßt uns ein Brief desselben thun, welcher, kurz bevor er mit seinem „Offenen Ant- wortschreiben “ entschieden die sociale Fahne erhob und den All- gemeinen deutschen Arbeiter=Verein gründete, geschrieben ward. Lassalle's tiefdringender Blick zeigt sich eben so sehr in dem be- stimmten und richtigen Voraussagen des politischen Weltlaufs, wie sich sein edles Gemüth trefflich enthüllt durch seinen opfer- willigen Entschluß, für die Sache des enterbten Volkes Gut und Blut daran zu setzen. Wir lassen den schönen, wenig bekannten Brief hier folgen: Berlin, den 9. März 1863. Jhr Brief hat sich mit meinem letzten Brief gekreuzt. Fah- ren Sie fort, mir fleißig und ausführlich zu schreiben. Bei der großen Abspannung und Schwäche, die ziemlich allgemein herrscht, gewähren mir ihre Briefe Trost und Freude. Sieht man auch hin und wieder Jemand von energischem Willen, so muß man sich, wenn man erst so viel traurige Erfahrungen mit den Men- schen gemacht hat, wie ich, unwillkürlich fragen: wie wird es aber in fünf, in zehn Jahren mit ihm stehen? Jst das nicht Stroh- feuer, das verflackert? Sie aber kenne ich nun schon fünfzehn Jahre und sehe Sie immer unverwandt mit gleicher Tüchtigkeit fortarbeiten, so etwas ist sehr tröstlich! Jch stehe jetzt an „dem Vorabend“, wie die beliebte Zeitungs- phrase lautet, „eines sehr wichtigen Ereignisses“. Jch meine mein Antwortschreiben an die Leipziger Arbeiter, welches bereits im Druck ist. Korrektur erwarte ich heute oder morgen, und noch im Laufe dieser Woche wird es erscheinen. Von den Ar- beitern direkt und offen angefragt, ist es meine Pflicht gewesen, direkt und offen mit der Sprache herauszugehen. Die Schwierig- keiten waren immens. Bei den Arbeitern kann nicht einmal die Kenntniß dessen vorausgesetzt werden, was man heute unter National = Oekonomie versteht. Noch weniger kann ich in einer kurzen Broschüre von2 1 / 2 Bogen mein nationalökonomisches Werk schreiben. Offenbar war die ganze Arbeit rein unnütz, wenn es nicht gelang, die Arbeiter von innen heraus zum Ver- ständniß ihrer ökonomischen Lage zu bringen und sie gegen alle Lügen, Jllusionen und Täuschungen zu befestigen, mit denen man

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 1. Lieferung. Berlin, 7. Februar 1874, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social01_1874/17>, abgerufen am 24.11.2024.