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Reichspost. Nr. 233, Wien, 12.10.1897.

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Reichspost Wien, Dienstag 12. October 1897 233

[Spaltenumbruch]

in Frage zu stellen. Eine größere Abwehrmehrheit
gegen gonvernemeniale Versuche, die verfassungs-
mäßigen Volksrechte und Volksfreiheiten zu beschränken,
dürfte davon auf jeden Fall zu erwarten sein.

Was dem Hamburger Beschlusse aber die prin-
cipielle
Bedeutung verleiht, ist der Umstand, daß
die deutsche Socialdemokratie vom Boden der princi-
piellen Negation auf den Boden des Opportunismus
getreten ist; daß sie positiv mitzuwirken gesonnen ist,
an der parlamentarischen Arbeit, indem sie im Interesse
des Schutzes der Volksrechte, zur Wahl auch bürger-
licher Parteimänner mitwirkt, wofern Letztere nur für
den Schutz der Volksfreiheiten gesonnen sind. Die
deutsche Socialdemokratie hat auch verzichtet, gegen das
Dreiclassen-Wahlsystem durch Abstinenz und Passivität
zu protestiren, sie hat sich vielmehr auf den Boden der
Windthorst'schen Taktik gestellt, der einst im Parlamente
gesagt: Er gehe von dem Grundsatze aus, daß Absti-
nenzpolitik stets ein Fehler sei, daß man auf kein er-
laubtes Mittel verzichten darf, sich parlamentarisch zur
Geltung zu bringen, mag man auch über Vergewalti-
gung noch so sehr zu klagen haben.

Die Socialdemokratie in Deutschland ist nament-
lich durch Bebel's Einfluß immer praktischer,
immer positiver, immer opportunistischer geworden.
Sie hat immer mehr die Alluren einer Nur-Neinsage-
Partei abgelegt, und dies besonders, seitdem dank dem
allgemeinen Wahlrecht des Reichstages, immer mehr
socialistische Abgeordnete ins Parlament eingezogen und
dadurch zu positiver Arbeit verpflichtet worden sind.
Auch die Aufhebung des Socialistengesetzes hat dazu
mächtig beigetragen, und es erfüllt sich da immer mehr
die Voraussage Windthorst's, daß die Socialdemokratie
umso ungefährlicher werden muß, je weniger man sie
durch Ausnahmegesetze zu Märtyrern stempelt und je
mehr man sie zu positiver Arbeit heranzieht. Im An-
fange -- wir sehen das ja schon bei uns in Oesterreich
-- werden die socialistischen Abgeordneten ja in
Randal, Scandal, Opposition und Obstruction genug
machen, aber immer mehr wird das Volk, werden die
Arbeiter auch von ihnen positive Thaten fordern.

Die Arbeiter werden sich nicht mit den Phrasen
vom "Zukunftsstaat" abspeisen lassen, sondern von den
eigenen Abgeordneten gesetzliche Schutz- und För-
derungsarbeit verlangen, umsomehr, wenn es andere
Parteien gibt, die für sociale Reformen zu
Gunsten des Arbeiterstandes
energisch
eintreten und damit etwas erreichen für die gegen-
wärtige Noth, zur Abhilfe momentan drückender Zu-
stände. Ist aber die Socialdemokratie einmal zu positiver
politischer Arbeit herangezogen, so verliert sie immer
mehr den Charakter einer bloßen Umsturzpartei, sie
wird gezwungen, eine sociale Reformpartei
auf dem Boden der jetzigen Gesell-
schaftsordnung
zu werden, das heißt sie wird
mitwirken müssen, die jetzige Gesellschaftsordnung zu
reformiren, statt sie umzustürzen. Man begreift
darum, daß sich in Hamburg eine so starke Opposition
gegen die Bebel'schen Anträge entfaltet hat, und die
Gründe vom rein socialdemokratischen Parteistandpunkte
aus sprachen jedenfalls gegen Bebel, vom Stand-
punkte des Volks- und Arbeiterinter-
esses
aber für ihn und seinen Antrag. Daß letztere
siegten, muß jede Volkspartei begrüßen. In Oester-
reich
hätten sie wohl nicht gesiegt.




[Spaltenumbruch]
Politische Rundschau.


Oesterreich.
Der gemeinsame Ministerrath,

der gestern
unter dem Vorsitze des Kaisers abgehalten wurde, be-
schäftigte sich mit der Feststellung des gemeinsamen
Budgets und mit der endgiltigen Feststellung des Aus-
gleichsprovisoriums. Die auf das letztere bezüglichen
Vorlagen sollen dem Abgeordnetenhause schon in der
morgigen Sitzung zugehen. Von der Bestimmung des
Termines zur Einberufung der Delegationen wurde
Abstand genommen, weil die ungarischen Minister daran
festhalten, daß vor Einberufung der Delegationen das
Ausgleichsprovisorium parlamentarisch erledigt wer-
den muß.

Der Polenclub

hat schon wieder Separat-
wünsche, die er in seiner letzten Sitzung verkündete.
Nach dem Beschlusse, den hervorragendsten Führern des
Polenclubs Ehrengaben, bestehend aus Prachtalbums
mit den Photographien sämmtlicher Abgeordneten, zu
überreichen, wurden mehrere den Nothstand in verschie-
denen Theilen Galiziens betreffende Petitionen, den pol-
nischen Mitgliedern des Budgetausschusses zur raschen
Erledigung überwiesen und weiters beschlossen, die
ungesäumte Inangriffnahme des Baues der Localbahn
Przeworski--Rozwadow zu urgiren. Hierauf führten
zahlreiche Mitglieder, hauptsächlich die Agrarier, Klage
gegen den Gewerbe-Inspector für Galizien. Derselbe
hat nämlich in einem Circulare eine stricte Durch-
führung der Sonntagsruhe im Sinne des Gewerbe-
gesetzes in den galizischen Branntweinbrennereien ange-
ordnet. Die Mitglieder des Polenclubs sehen nun in
dieser Anordnung eine Sekkatur, eine Schädigung der
galizischen Industrie. Weder die Sonntagsruhe, noch die
Abkürzung der Arbeitszeit lassen sich in Galizien durch-
führen. Dies sei gut in der Theorie, nicht aber in der Praxis.
Nur ein einziger Abgeordneter vertheidigte den Gewerbe-
inspector und die Sonntagsruhe. Es wurde beschlossen,
beim Ministerium die Zurückziehung der Verfügungen
des Gewerbeinspectors anzustreben. Da hätten wir also
so einen Separatwunsch des Polenclubs. Der Club ist
noch sehr bescheiden, er verlangt nur die Zurückziehung
der Verfügungen des Gewerbeinspectors. Er hätteja
eben so gut das Verlangen erheben können, nach Ab-
berufung des Gewerbeinspectors, der es wagte von den
polnischen Schlachzizen und ihren jüdischen Pächtern
und industriellen Berufsgenossen die Einhaltung der
Sonntagsruhe zu fordern. Vielleicht würde der Wunsch
des Polenclubs Berücksichtigung gefunden haben, denn
man sagt sich, daß sein Gönner im Ministerium ein
großer Schätzer der Juden ist. Interessant,
wenn auch nicht Neues bietend, wäre jeden-
falls die Darlegung der Ursachen, warum
weder die Sonntagsruhe noch die Verkürzung der
Arbeitszeit in Galizien durchführbar sei. Ferner faßte
der Polenclub den Beschluß, unter Festhalten an den
Grundsätzen des Adreßentwurfes der Majorität, die
Regierung in aufrichtiger Weise zu unterstützen und
mit den anderen Gruppen der Majorität loyal zu-
sammenzugehen. Jedes schroffe oder aggressive Auftreten
gegen die Gruppen der Minorität will der Polenclub
möglichst vermeiden und so zur Förderung der legis-
lativen Arbeiten und Gesundung der parlamentarischen
Verhältnisse beitragen.

Die Landtagsersatzwahl

in dem früher von
Ernst Vergani vertretenen Bezirke ist resultatlos ge-
blieben. Es wurden nämlich 2063 giltige Stimmen ab-
[Spaltenumbruch] gegeben. Davon erhielten der Christlichsociale Vergani
880, der Candidat der Deutschnationalen, Riether, 753,
Hochedlinger 359 Stimmen, so daß eine Stichwahl
nöthig wurde.

Die Landtagsersatzwahl

im Wahlbezirke des
Zolkiewer Grundbesitzes wurde für den 11. No-
vember ausgeschrieben.

Ein galizischer Städtetag

findet demnächst in
Lemberg statt, welcher sich mit folgenden Fragen
beschäftigen wird: Genaue Feststellung der Agenden des
eigenen und des übertragenen Wirkungskreises der
Gemeinden und Entschädigung der Letzteren für die
Besorgung der Agenden im übertragenen Wirkungs-
kreise; Steuereinhebung durch die Gemeinden; Ver-
schonung der Personaleinkommensteuer von sämmtlichen
Zuschlägen.

Zur Berufung des Prof. Dr. Hirn

in das
Ministerium für Cultus und Unterricht, der eine ge-
wisse politische Bedeutung nicht abzusprechen ist, schreiben
die "Nar. Listy":

"Dr. Josef Hirn, Professor der Geschichte an der Inns-
brucker Universität, Mitglied des Landesschulrathes und
hervorragender Anhänger der deutschconservativen Partei
ist in das Ministerium für Cultus und Unterricht berufen
und dem Departement für Volksschulen zur Dienstleistung zu-
getheilt worden. Die Berufung dieses Universitätsprofessors
war bereits mehrere Jahre in Sicht und steht in gar
keinem Zusammenhange mit den gegenwärtigen politischen
und parlamentarischen Zuständen. Dieselbe ist einzig und
allein aus sachlichen Motiven erfolgt. Prof. Dr. Hirn ist
nämlich der einzige Universitätsprofessor in Oesterreich, der
eine lange an einem Pädagogium absolvirte Dienst-
zeit aufweist. Dieses Moment war das entscheidende. Die
Thronrede hat bereits in Vorbereitung befindliche Reform
der Pädagogien
angekündigt und Dr. Hirn ist zum
zeitweiligen Dienst nach Wien berufen worden, um vermöge
seiner Erfahrungen bei dieser Reform mitzuwirken. Hirn
genießt als Historiker einen klangvollen Namen und seine
Tiroler Freunde versichern, daß er ein edler Charakter von
gemäßigt conservativer Gesinnung ist."

Ungarn.
Abgeordnetenhaus.

In der heutigen kurzen
Sitzung des Abgeordnetenhauses widmete der Präsident
dem verstorbenen Abgeordneten Ignaz Helfy einen
warmen Nachruf. Sodann wurde beschlossen, an dem
Sarge des Verstorbenen einen Kranz niederzulegen.
Hierauf wurden einige Vicinalbahnvor-
lagen
erledigt und die Sitzung geschlossen. In der
morgigen Sitzung wird der Ministerpräsident die
Interpellation des Abg. Kossuth bezüglich
der griechisch-türkischen Friedens-
verhandlungen
beantworten.

Serbischer Kirchencongreß.

In Karlowitz fand
gestern unter dem Vorsitze des Patriarchen Brankowics
eine Conferenz der Mitglieder des serbischen Kirchen-
congresses behufs Erzielung einer Einigung in der
Frage der serbischen Kirchenautonomie statt, an welcher
außer den Vertretern des Episcopats die geistlichen und
weltlichen Vertreter der serbischen Kirchengemeinde theil-
nahmen. Ueber einige Fragen wurde schon in der Con-
ferenz eine Einigung erzielt, während zur Berathung
der restlichen Fragen ein Comite eingesetzt wurde.

Das österreichische Regulativ

für die Ver-
sicherungsgesellschaften convenirt den ungarischen Unter-
nehmungen, welche in Oesterreich Versicherungsgeschäfte
betreiben nicht, und sie haben den Abg. Dr. Armin
Neumann beauftragt, im Abgeordnetenhause eine
bezügliche Interpellation an den Handelsminister zu
richten.




[Spaltenumbruch]

tapserer, gescheidter und tüchtiger sei als sein Höherer,
namentlich wenn derselbe zufälligerweise ein Graf war.

Am Tage der Hinrichtung ließ sich Fahrensbach,
nachdem er gebeichtet und communicirt hatte, aus dem
Gasthause "zum goldenen Kreuz" ein ausgiebiges und
gutes Essen bringen.

Schlag neun Uhr fuhr der Sünderwagen vor und
der Oberst wurde ausgefordert, herauszugehen. An-
fänglich drohte er Jeden, der sich ihm nähern würde,
mit dem Tischmesser zu erstechen, schließlich ließ er sich
jedoch bereden und bestieg mit zwei Jesuitenpatres den
Wagen.

Am Kornmarkt, wo die Enthauptung stattfinden
sollte, betheuerte der Oberst nochmals seine Unschuld
und sprach mit lauter Stimme zum schaulustigen Volke:
"Ich sterbe so unschuldig wie ein Kind, das erst geboren
wurde! Ich weiß, warum man mich alten Mann des
Treubruchs und Verraths beinzichtigt, auch weiß ich,
wer es schurkischer Weise gethan! Ich muß sterben!
Gut! Doch Dich Herzog von Friedland und Dich,
Aldringer, fordere ich, wegen Eueres Meineids, binnen
Jahr und Tag vor den Richterstuhl Gottes, auf daß
Ihr Rechenschaft ablegt. Dich aber, Graf von Scharfen-
stein, hole der Henker! Amen, Amen, Amen!"

Leichenfahl, keines Wortes mächtig, standen die so
schwer Beinzichtigten da.

Obrist von Fahrensbach kniete sich nieder und rief
dem Henker zu: "Mache Deine Sache gut!"

In dem Augenblick, als das Schwert niedersauste,
rief Obrist Aldringer dem Delinquenten das Wort
"Schurke" zu. Fahrensbach wandte sich auf dies hin
um, und die Klinge des Schwertes gieng über den
Kopf hinweg und verletzte den Obristen an der Achsel.

Bluttriefend sprang Fahrensbach auf und wollte
einem Sergeanten die Wehr entreißen, um damit
Aldringer für das ihm Angesichts des Todes zuge-
schleuderte Schimpfwort zu züchtigen. Die Zuschauer
[Spaltenumbruch] riefen "Fahrensbach hat sein Urtheil ausgestanden, ihm
muß Gnade werden!"

Der berühmte Arzt Dr. Andreas Rulandus, der
sich ebenfalls unter den Zuschauern befand, rief dem
Obristen von Fahrensbach zu: "Steigen Sie herab,
ich will Sie in die Cur nehmen und vollkommen
heilen!"

Da die Menge stürmisch die Freilassung des
Obersten begehrte und schon Anstalten machte, denselben
gewaltsam zu befreien, befahl General Graf Cratz den
vier Henkersknechten, den Obristen von Fahrensbach
niederzuhauen, was auch in bestialischer Weise geschah.

Der mitleidige Doctor Andreas Rulandus wurde,
von Soldaten halbtodt geschlagen, auf die Stockwache
geführt, dort jedoch vom General Graf Cratz mit einem
strengen Verweis wieder entlassen.

Ein Bürger meinte beim Nachhausegehen zu seinem
Nachbarn, es sei empörend, daß man einen alten
Haudegen und tapferen Obristen wie einen schweren
Verbrecher hingerichtet habe. Hierauf erwiderte ihm
der Nachbar:

"Ich glaube selbst, daß Fahrensbach unschuldig
war, aber er hat im Laufe der Jahre solche Streiche
ausgeführt, daß er dafür allein schon zehnmal den Tod
verdient hätte."

"Meinst Du, mein Sohn?" frug plötzlich der
Beichtvater des gerichteten Obersten, P. Dyssot, der
dieses Zweigespräch mit angehört hatte, und sagte
dann: "Mein Sohn, Du urtheilst schlimm. Obrist von
Fahrensbach ist unschuldig gerichtet worden."

Dies geschah am 10. Mai 1633, am Jahrestage
der Erstürmung Magdeburgs, bei welcher Obrist von
Fahrensbach Wunder von Tapferkeit vollführt hatte.
Tags darauf, am 11. Mai, langte vom Hofe zu Wien
ein Courier mit dem kaiserlichen Pardon ein.

Das Volk ließ es sich nicht nehmen und behauptete
steif und fest, Graf Cratz habe um den Pardon ge-
[Spaltenumbruch] wußt und nur aus "passionirtem Ge-
müthe"
mit der Execution so geeilt.

Die zerstückelte Leiche Fahrensbach's wurde in
einen Sarg gethan und in der Franciscanerkirche zu
Regensburg beigesetzt.

Das Schicksal hat die drei Officiere, auf deren
bewußte falsche Aussagen hin Obrist von Fahrensbach
verurtheilt und gerichtet wurde, ereilt.

General Graf Cratz von Scharfenstein wurde an
Stelle des gemordeten Fahrensbach, Commandant der
Festung Ingolstadt. Er wurde verdächtigt, mit den
Schweden zu liebäugeln und sollte in Untersuchung ge-
zogen werden. Unter der Ausrede, er wolle einen Ritt
zur kaiserlichen Majestät nach Wien machen, um sich
vom Verdachte zu reinigen, ging er zu den Schweden
über.

In der Schlacht bei Nördlingen am 7. September
1634 wurde der verrätherische Graf gefangen, nach
Wien gebracht und daselbst im Jahre 1635 ent-
hauptet.

Wallenstein wurde, wie bekannt, am 25. Februar
1634 ermordet. Aber auch Aldringer mußte noch in
diesem Jahre vor den Richterstuhl Gottes treten. Ueber
den Tod dieses Mannes berichtet die Priorin von
Maria-Stein, Clara Staigerin, in ihrem Tagebuche
wie folgt:

"Den 20. July 1634 kombt bösse Zeitung, daß
der feindt Lanzhuet mit stürmeter Handt eingenommen,
vnd die Inwonenten übel tractirt habe, welches von
vnserm Volckh gar wol hete kinden fürkommen werden,
wen der General Altringer nit mit falscher practickh
dem feindt het lusst gelassen, -- der vrsachen er von
einem gemainen Soldaten erschossen vnd darauff er-
soffen ist, gott verzeih jm jn ewigkait!"

So endeten die meineidigen Ankläger des un-
schuldig gerichteten tapferen Obristen von Fahrensbach.




Reichspoſt Wien, Dienſtag 12. October 1897 233

[Spaltenumbruch]

in Frage zu ſtellen. Eine größere Abwehrmehrheit
gegen gonvernemeniale Verſuche, die verfaſſungs-
mäßigen Volksrechte und Volksfreiheiten zu beſchränken,
dürfte davon auf jeden Fall zu erwarten ſein.

Was dem Hamburger Beſchluſſe aber die prin-
cipielle
Bedeutung verleiht, iſt der Umſtand, daß
die deutſche Socialdemokratie vom Boden der princi-
piellen Negation auf den Boden des Opportunismus
getreten iſt; daß ſie poſitiv mitzuwirken geſonnen iſt,
an der parlamentariſchen Arbeit, indem ſie im Intereſſe
des Schutzes der Volksrechte, zur Wahl auch bürger-
licher Parteimänner mitwirkt, wofern Letztere nur für
den Schutz der Volksfreiheiten geſonnen ſind. Die
deutſche Socialdemokratie hat auch verzichtet, gegen das
Dreiclaſſen-Wahlſyſtem durch Abſtinenz und Paſſivität
zu proteſtiren, ſie hat ſich vielmehr auf den Boden der
Windthorſt’ſchen Taktik geſtellt, der einſt im Parlamente
geſagt: Er gehe von dem Grundſatze aus, daß Abſti-
nenzpolitik ſtets ein Fehler ſei, daß man auf kein er-
laubtes Mittel verzichten darf, ſich parlamentariſch zur
Geltung zu bringen, mag man auch über Vergewalti-
gung noch ſo ſehr zu klagen haben.

Die Socialdemokratie in Deutſchland iſt nament-
lich durch Bebel’s Einfluß immer praktiſcher,
immer poſitiver, immer opportuniſtiſcher geworden.
Sie hat immer mehr die Alluren einer Nur-Neinſage-
Partei abgelegt, und dies beſonders, ſeitdem dank dem
allgemeinen Wahlrecht des Reichstages, immer mehr
ſocialiſtiſche Abgeordnete ins Parlament eingezogen und
dadurch zu poſitiver Arbeit verpflichtet worden ſind.
Auch die Aufhebung des Socialiſtengeſetzes hat dazu
mächtig beigetragen, und es erfüllt ſich da immer mehr
die Vorausſage Windthorſt’s, daß die Socialdemokratie
umſo ungefährlicher werden muß, je weniger man ſie
durch Ausnahmegeſetze zu Märtyrern ſtempelt und je
mehr man ſie zu poſitiver Arbeit heranzieht. Im An-
fange — wir ſehen das ja ſchon bei uns in Oeſterreich
— werden die ſocialiſtiſchen Abgeordneten ja in
Randal, Scandal, Oppoſition und Obſtruction genug
machen, aber immer mehr wird das Volk, werden die
Arbeiter auch von ihnen poſitive Thaten fordern.

Die Arbeiter werden ſich nicht mit den Phraſen
vom „Zukunftsſtaat“ abſpeiſen laſſen, ſondern von den
eigenen Abgeordneten geſetzliche Schutz- und För-
derungsarbeit verlangen, umſomehr, wenn es andere
Parteien gibt, die für ſociale Reformen zu
Gunſten des Arbeiterſtandes
energiſch
eintreten und damit etwas erreichen für die gegen-
wärtige Noth, zur Abhilfe momentan drückender Zu-
ſtände. Iſt aber die Socialdemokratie einmal zu poſitiver
politiſcher Arbeit herangezogen, ſo verliert ſie immer
mehr den Charakter einer bloßen Umſturzpartei, ſie
wird gezwungen, eine ſociale Reformpartei
auf dem Boden der jetzigen Geſell-
ſchaftsordnung
zu werden, das heißt ſie wird
mitwirken müſſen, die jetzige Geſellſchaftsordnung zu
reformiren, ſtatt ſie umzuſtürzen. Man begreift
darum, daß ſich in Hamburg eine ſo ſtarke Oppoſition
gegen die Bebel’ſchen Anträge entfaltet hat, und die
Gründe vom rein ſocialdemokratiſchen Parteiſtandpunkte
aus ſprachen jedenfalls gegen Bebel, vom Stand-
punkte des Volks- und Arbeiterinter-
eſſes
aber für ihn und ſeinen Antrag. Daß letztere
ſiegten, muß jede Volkspartei begrüßen. In Oeſter-
reich
hätten ſie wohl nicht geſiegt.




[Spaltenumbruch]
Politiſche Rundſchau.


Oeſterreich.
Der gemeinſame Miniſterrath,

der geſtern
unter dem Vorſitze des Kaiſers abgehalten wurde, be-
ſchäftigte ſich mit der Feſtſtellung des gemeinſamen
Budgets und mit der endgiltigen Feſtſtellung des Aus-
gleichsproviſoriums. Die auf das letztere bezüglichen
Vorlagen ſollen dem Abgeordnetenhauſe ſchon in der
morgigen Sitzung zugehen. Von der Beſtimmung des
Termines zur Einberufung der Delegationen wurde
Abſtand genommen, weil die ungariſchen Miniſter daran
feſthalten, daß vor Einberufung der Delegationen das
Ausgleichsproviſorium parlamentariſch erledigt wer-
den muß.

Der Polenclub

hat ſchon wieder Separat-
wünſche, die er in ſeiner letzten Sitzung verkündete.
Nach dem Beſchluſſe, den hervorragendſten Führern des
Polenclubs Ehrengaben, beſtehend aus Prachtalbums
mit den Photographien ſämmtlicher Abgeordneten, zu
überreichen, wurden mehrere den Nothſtand in verſchie-
denen Theilen Galiziens betreffende Petitionen, den pol-
niſchen Mitgliedern des Budgetausſchuſſes zur raſchen
Erledigung überwieſen und weiters beſchloſſen, die
ungeſäumte Inangriffnahme des Baues der Localbahn
Przeworski—Rozwadow zu urgiren. Hierauf führten
zahlreiche Mitglieder, hauptſächlich die Agrarier, Klage
gegen den Gewerbe-Inſpector für Galizien. Derſelbe
hat nämlich in einem Circulare eine ſtricte Durch-
führung der Sonntagsruhe im Sinne des Gewerbe-
geſetzes in den galiziſchen Branntweinbrennereien ange-
ordnet. Die Mitglieder des Polenclubs ſehen nun in
dieſer Anordnung eine Sekkatur, eine Schädigung der
galiziſchen Induſtrie. Weder die Sonntagsruhe, noch die
Abkürzung der Arbeitszeit laſſen ſich in Galizien durch-
führen. Dies ſei gut in der Theorie, nicht aber in der Praxis.
Nur ein einziger Abgeordneter vertheidigte den Gewerbe-
inſpector und die Sonntagsruhe. Es wurde beſchloſſen,
beim Miniſterium die Zurückziehung der Verfügungen
des Gewerbeinſpectors anzuſtreben. Da hätten wir alſo
ſo einen Separatwunſch des Polenclubs. Der Club iſt
noch ſehr beſcheiden, er verlangt nur die Zurückziehung
der Verfügungen des Gewerbeinſpectors. Er hätteja
eben ſo gut das Verlangen erheben können, nach Ab-
berufung des Gewerbeinſpectors, der es wagte von den
polniſchen Schlachzizen und ihren jüdiſchen Pächtern
und induſtriellen Berufsgenoſſen die Einhaltung der
Sonntagsruhe zu fordern. Vielleicht würde der Wunſch
des Polenclubs Berückſichtigung gefunden haben, denn
man ſagt ſich, daß ſein Gönner im Miniſterium ein
großer Schätzer der Juden iſt. Intereſſant,
wenn auch nicht Neues bietend, wäre jeden-
falls die Darlegung der Urſachen, warum
weder die Sonntagsruhe noch die Verkürzung der
Arbeitszeit in Galizien durchführbar ſei. Ferner faßte
der Polenclub den Beſchluß, unter Feſthalten an den
Grundſätzen des Adreßentwurfes der Majorität, die
Regierung in aufrichtiger Weiſe zu unterſtützen und
mit den anderen Gruppen der Majorität loyal zu-
ſammenzugehen. Jedes ſchroffe oder aggreſſive Auftreten
gegen die Gruppen der Minorität will der Polenclub
möglichſt vermeiden und ſo zur Förderung der legis-
lativen Arbeiten und Geſundung der parlamentariſchen
Verhältniſſe beitragen.

Die Landtagserſatzwahl

in dem früher von
Ernſt Vergani vertretenen Bezirke iſt reſultatlos ge-
blieben. Es wurden nämlich 2063 giltige Stimmen ab-
[Spaltenumbruch] gegeben. Davon erhielten der Chriſtlichſociale Vergani
880, der Candidat der Deutſchnationalen, Riether, 753,
Hochedlinger 359 Stimmen, ſo daß eine Stichwahl
nöthig wurde.

Die Landtagserſatzwahl

im Wahlbezirke des
Zolkiewer Grundbeſitzes wurde für den 11. No-
vember ausgeſchrieben.

Ein galiziſcher Städtetag

findet demnächſt in
Lemberg ſtatt, welcher ſich mit folgenden Fragen
beſchäftigen wird: Genaue Feſtſtellung der Agenden des
eigenen und des übertragenen Wirkungskreiſes der
Gemeinden und Entſchädigung der Letzteren für die
Beſorgung der Agenden im übertragenen Wirkungs-
kreiſe; Steuereinhebung durch die Gemeinden; Ver-
ſchonung der Perſonaleinkommenſteuer von ſämmtlichen
Zuſchlägen.

Zur Berufung des Prof. Dr. Hirn

in das
Miniſterium für Cultus und Unterricht, der eine ge-
wiſſe politiſche Bedeutung nicht abzuſprechen iſt, ſchreiben
die „Nar. Liſty“:

„Dr. Joſef Hirn, Profeſſor der Geſchichte an der Inns-
brucker Univerſität, Mitglied des Landesſchulrathes und
hervorragender Anhänger der deutſchconſervativen Partei
iſt in das Miniſterium für Cultus und Unterricht berufen
und dem Departement für Volksſchulen zur Dienſtleiſtung zu-
getheilt worden. Die Berufung dieſes Univerſitätsprofeſſors
war bereits mehrere Jahre in Sicht und ſteht in gar
keinem Zuſammenhange mit den gegenwärtigen politiſchen
und parlamentariſchen Zuſtänden. Dieſelbe iſt einzig und
allein aus ſachlichen Motiven erfolgt. Prof. Dr. Hirn iſt
nämlich der einzige Univerſitätsprofeſſor in Oeſterreich, der
eine lange an einem Pädagogium abſolvirte Dienſt-
zeit aufweiſt. Dieſes Moment war das entſcheidende. Die
Thronrede hat bereits in Vorbereitung befindliche Reform
der Pädagogien
angekündigt und Dr. Hirn iſt zum
zeitweiligen Dienſt nach Wien berufen worden, um vermöge
ſeiner Erfahrungen bei dieſer Reform mitzuwirken. Hirn
genießt als Hiſtoriker einen klangvollen Namen und ſeine
Tiroler Freunde verſichern, daß er ein edler Charakter von
gemäßigt conſervativer Geſinnung iſt.“

Ungarn.
Abgeordnetenhaus.

In der heutigen kurzen
Sitzung des Abgeordnetenhauſes widmete der Präſident
dem verſtorbenen Abgeordneten Ignaz Helfy einen
warmen Nachruf. Sodann wurde beſchloſſen, an dem
Sarge des Verſtorbenen einen Kranz niederzulegen.
Hierauf wurden einige Vicinalbahnvor-
lagen
erledigt und die Sitzung geſchloſſen. In der
morgigen Sitzung wird der Miniſterpräſident die
Interpellation des Abg. Koſſuth bezüglich
der griechiſch-türkiſchen Friedens-
verhandlungen
beantworten.

Serbiſcher Kirchencongreß.

In Karlowitz fand
geſtern unter dem Vorſitze des Patriarchen Brankowics
eine Conferenz der Mitglieder des ſerbiſchen Kirchen-
congreſſes behufs Erzielung einer Einigung in der
Frage der ſerbiſchen Kirchenautonomie ſtatt, an welcher
außer den Vertretern des Episcopats die geiſtlichen und
weltlichen Vertreter der ſerbiſchen Kirchengemeinde theil-
nahmen. Ueber einige Fragen wurde ſchon in der Con-
ferenz eine Einigung erzielt, während zur Berathung
der reſtlichen Fragen ein Comité eingeſetzt wurde.

Das öſterreichiſche Regulativ

für die Ver-
ſicherungsgeſellſchaften convenirt den ungariſchen Unter-
nehmungen, welche in Oeſterreich Verſicherungsgeſchäfte
betreiben nicht, und ſie haben den Abg. Dr. Armin
Neumann beauftragt, im Abgeordnetenhauſe eine
bezügliche Interpellation an den Handelsminiſter zu
richten.




[Spaltenumbruch]

tapſerer, geſcheidter und tüchtiger ſei als ſein Höherer,
namentlich wenn derſelbe zufälligerweiſe ein Graf war.

Am Tage der Hinrichtung ließ ſich Fahrensbach,
nachdem er gebeichtet und communicirt hatte, aus dem
Gaſthauſe „zum goldenen Kreuz“ ein ausgiebiges und
gutes Eſſen bringen.

Schlag neun Uhr fuhr der Sünderwagen vor und
der Oberſt wurde auſgefordert, herauszugehen. An-
fänglich drohte er Jeden, der ſich ihm nähern würde,
mit dem Tiſchmeſſer zu erſtechen, ſchließlich ließ er ſich
jedoch bereden und beſtieg mit zwei Jeſuitenpatres den
Wagen.

Am Kornmarkt, wo die Enthauptung ſtattfinden
ſollte, betheuerte der Oberſt nochmals ſeine Unſchuld
und ſprach mit lauter Stimme zum ſchauluſtigen Volke:
„Ich ſterbe ſo unſchuldig wie ein Kind, das erſt geboren
wurde! Ich weiß, warum man mich alten Mann des
Treubruchs und Verraths beinzichtigt, auch weiß ich,
wer es ſchurkiſcher Weiſe gethan! Ich muß ſterben!
Gut! Doch Dich Herzog von Friedland und Dich,
Aldringer, fordere ich, wegen Eueres Meineids, binnen
Jahr und Tag vor den Richterſtuhl Gottes, auf daß
Ihr Rechenſchaft ablegt. Dich aber, Graf von Scharfen-
ſtein, hole der Henker! Amen, Amen, Amen!“

Leichenfahl, keines Wortes mächtig, ſtanden die ſo
ſchwer Beinzichtigten da.

Obriſt von Fahrensbach kniete ſich nieder und rief
dem Henker zu: „Mache Deine Sache gut!“

In dem Augenblick, als das Schwert niederſauſte,
rief Obriſt Aldringer dem Delinquenten das Wort
„Schurke“ zu. Fahrensbach wandte ſich auf dies hin
um, und die Klinge des Schwertes gieng über den
Kopf hinweg und verletzte den Obriſten an der Achſel.

Bluttriefend ſprang Fahrensbach auf und wollte
einem Sergeanten die Wehr entreißen, um damit
Aldringer für das ihm Angeſichts des Todes zuge-
ſchleuderte Schimpfwort zu züchtigen. Die Zuſchauer
[Spaltenumbruch] riefen „Fahrensbach hat ſein Urtheil ausgeſtanden, ihm
muß Gnade werden!“

Der berühmte Arzt Dr. Andreas Rulandus, der
ſich ebenfalls unter den Zuſchauern befand, rief dem
Obriſten von Fahrensbach zu: „Steigen Sie herab,
ich will Sie in die Cur nehmen und vollkommen
heilen!“

Da die Menge ſtürmiſch die Freilaſſung des
Oberſten begehrte und ſchon Anſtalten machte, denſelben
gewaltſam zu befreien, befahl General Graf Cratz den
vier Henkersknechten, den Obriſten von Fahrensbach
niederzuhauen, was auch in beſtialiſcher Weiſe geſchah.

Der mitleidige Doctor Andreas Rulandus wurde,
von Soldaten halbtodt geſchlagen, auf die Stockwache
geführt, dort jedoch vom General Graf Cratz mit einem
ſtrengen Verweis wieder entlaſſen.

Ein Bürger meinte beim Nachhauſegehen zu ſeinem
Nachbarn, es ſei empörend, daß man einen alten
Haudegen und tapferen Obriſten wie einen ſchweren
Verbrecher hingerichtet habe. Hierauf erwiderte ihm
der Nachbar:

„Ich glaube ſelbſt, daß Fahrensbach unſchuldig
war, aber er hat im Laufe der Jahre ſolche Streiche
ausgeführt, daß er dafür allein ſchon zehnmal den Tod
verdient hätte.“

„Meinſt Du, mein Sohn?“ frug plötzlich der
Beichtvater des gerichteten Oberſten, P. Dyſſot, der
dieſes Zweigeſpräch mit angehört hatte, und ſagte
dann: „Mein Sohn, Du urtheilſt ſchlimm. Obriſt von
Fahrensbach iſt unſchuldig gerichtet worden.“

Dies geſchah am 10. Mai 1633, am Jahrestage
der Erſtürmung Magdeburgs, bei welcher Obriſt von
Fahrensbach Wunder von Tapferkeit vollführt hatte.
Tags darauf, am 11. Mai, langte vom Hofe zu Wien
ein Courier mit dem kaiſerlichen Pardon ein.

Das Volk ließ es ſich nicht nehmen und behauptete
ſteif und feſt, Graf Cratz habe um den Pardon ge-
[Spaltenumbruch] wußt und nur aus „paſſionirtem Ge-
müthe“
mit der Execution ſo geeilt.

Die zerſtückelte Leiche Fahrensbach’s wurde in
einen Sarg gethan und in der Franciscanerkirche zu
Regensburg beigeſetzt.

Das Schickſal hat die drei Officiere, auf deren
bewußte falſche Ausſagen hin Obriſt von Fahrensbach
verurtheilt und gerichtet wurde, ereilt.

General Graf Cratz von Scharfenſtein wurde an
Stelle des gemordeten Fahrensbach, Commandant der
Feſtung Ingolſtadt. Er wurde verdächtigt, mit den
Schweden zu liebäugeln und ſollte in Unterſuchung ge-
zogen werden. Unter der Ausrede, er wolle einen Ritt
zur kaiſerlichen Majeſtät nach Wien machen, um ſich
vom Verdachte zu reinigen, ging er zu den Schweden
über.

In der Schlacht bei Nördlingen am 7. September
1634 wurde der verrätheriſche Graf gefangen, nach
Wien gebracht und daſelbſt im Jahre 1635 ent-
hauptet.

Wallenſtein wurde, wie bekannt, am 25. Februar
1634 ermordet. Aber auch Aldringer mußte noch in
dieſem Jahre vor den Richterſtuhl Gottes treten. Ueber
den Tod dieſes Mannes berichtet die Priorin von
Maria-Stein, Clara Staigerin, in ihrem Tagebuche
wie folgt:

„Den 20. July 1634 kombt böſſe Zeitung, daß
der feindt Lanzhuet mit ſtürmeter Handt eingenommen,
vnd die Inwonenten übel tractirt habe, welches von
vnſerm Volckh gar wol hete kinden fürkommen werden,
wen der General Altringer nit mit falſcher practickh
dem feindt het luſſt gelaſſen, — der vrſachen er von
einem gemainen Soldaten erſchoſſen vnd darauff er-
ſoffen iſt, gott verzeih jm jn ewigkait!“

So endeten die meineidigen Ankläger des un-
ſchuldig gerichteten tapferen Obriſten von Fahrensbach.




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[2/0002] Reichspoſt Wien, Dienſtag 12. October 1897 233 in Frage zu ſtellen. Eine größere Abwehrmehrheit gegen gonvernemeniale Verſuche, die verfaſſungs- mäßigen Volksrechte und Volksfreiheiten zu beſchränken, dürfte davon auf jeden Fall zu erwarten ſein. Was dem Hamburger Beſchluſſe aber die prin- cipielle Bedeutung verleiht, iſt der Umſtand, daß die deutſche Socialdemokratie vom Boden der princi- piellen Negation auf den Boden des Opportunismus getreten iſt; daß ſie poſitiv mitzuwirken geſonnen iſt, an der parlamentariſchen Arbeit, indem ſie im Intereſſe des Schutzes der Volksrechte, zur Wahl auch bürger- licher Parteimänner mitwirkt, wofern Letztere nur für den Schutz der Volksfreiheiten geſonnen ſind. Die deutſche Socialdemokratie hat auch verzichtet, gegen das Dreiclaſſen-Wahlſyſtem durch Abſtinenz und Paſſivität zu proteſtiren, ſie hat ſich vielmehr auf den Boden der Windthorſt’ſchen Taktik geſtellt, der einſt im Parlamente geſagt: Er gehe von dem Grundſatze aus, daß Abſti- nenzpolitik ſtets ein Fehler ſei, daß man auf kein er- laubtes Mittel verzichten darf, ſich parlamentariſch zur Geltung zu bringen, mag man auch über Vergewalti- gung noch ſo ſehr zu klagen haben. Die Socialdemokratie in Deutſchland iſt nament- lich durch Bebel’s Einfluß immer praktiſcher, immer poſitiver, immer opportuniſtiſcher geworden. Sie hat immer mehr die Alluren einer Nur-Neinſage- Partei abgelegt, und dies beſonders, ſeitdem dank dem allgemeinen Wahlrecht des Reichstages, immer mehr ſocialiſtiſche Abgeordnete ins Parlament eingezogen und dadurch zu poſitiver Arbeit verpflichtet worden ſind. Auch die Aufhebung des Socialiſtengeſetzes hat dazu mächtig beigetragen, und es erfüllt ſich da immer mehr die Vorausſage Windthorſt’s, daß die Socialdemokratie umſo ungefährlicher werden muß, je weniger man ſie durch Ausnahmegeſetze zu Märtyrern ſtempelt und je mehr man ſie zu poſitiver Arbeit heranzieht. Im An- fange — wir ſehen das ja ſchon bei uns in Oeſterreich — werden die ſocialiſtiſchen Abgeordneten ja in Randal, Scandal, Oppoſition und Obſtruction genug machen, aber immer mehr wird das Volk, werden die Arbeiter auch von ihnen poſitive Thaten fordern. Die Arbeiter werden ſich nicht mit den Phraſen vom „Zukunftsſtaat“ abſpeiſen laſſen, ſondern von den eigenen Abgeordneten geſetzliche Schutz- und För- derungsarbeit verlangen, umſomehr, wenn es andere Parteien gibt, die für ſociale Reformen zu Gunſten des Arbeiterſtandes energiſch eintreten und damit etwas erreichen für die gegen- wärtige Noth, zur Abhilfe momentan drückender Zu- ſtände. Iſt aber die Socialdemokratie einmal zu poſitiver politiſcher Arbeit herangezogen, ſo verliert ſie immer mehr den Charakter einer bloßen Umſturzpartei, ſie wird gezwungen, eine ſociale Reformpartei auf dem Boden der jetzigen Geſell- ſchaftsordnung zu werden, das heißt ſie wird mitwirken müſſen, die jetzige Geſellſchaftsordnung zu reformiren, ſtatt ſie umzuſtürzen. Man begreift darum, daß ſich in Hamburg eine ſo ſtarke Oppoſition gegen die Bebel’ſchen Anträge entfaltet hat, und die Gründe vom rein ſocialdemokratiſchen Parteiſtandpunkte aus ſprachen jedenfalls gegen Bebel, vom Stand- punkte des Volks- und Arbeiterinter- eſſes aber für ihn und ſeinen Antrag. Daß letztere ſiegten, muß jede Volkspartei begrüßen. In Oeſter- reich hätten ſie wohl nicht geſiegt. Politiſche Rundſchau. Wien, 11. October 1897. Oeſterreich. Der gemeinſame Miniſterrath, der geſtern unter dem Vorſitze des Kaiſers abgehalten wurde, be- ſchäftigte ſich mit der Feſtſtellung des gemeinſamen Budgets und mit der endgiltigen Feſtſtellung des Aus- gleichsproviſoriums. Die auf das letztere bezüglichen Vorlagen ſollen dem Abgeordnetenhauſe ſchon in der morgigen Sitzung zugehen. Von der Beſtimmung des Termines zur Einberufung der Delegationen wurde Abſtand genommen, weil die ungariſchen Miniſter daran feſthalten, daß vor Einberufung der Delegationen das Ausgleichsproviſorium parlamentariſch erledigt wer- den muß. Der Polenclub hat ſchon wieder Separat- wünſche, die er in ſeiner letzten Sitzung verkündete. Nach dem Beſchluſſe, den hervorragendſten Führern des Polenclubs Ehrengaben, beſtehend aus Prachtalbums mit den Photographien ſämmtlicher Abgeordneten, zu überreichen, wurden mehrere den Nothſtand in verſchie- denen Theilen Galiziens betreffende Petitionen, den pol- niſchen Mitgliedern des Budgetausſchuſſes zur raſchen Erledigung überwieſen und weiters beſchloſſen, die ungeſäumte Inangriffnahme des Baues der Localbahn Przeworski—Rozwadow zu urgiren. Hierauf führten zahlreiche Mitglieder, hauptſächlich die Agrarier, Klage gegen den Gewerbe-Inſpector für Galizien. Derſelbe hat nämlich in einem Circulare eine ſtricte Durch- führung der Sonntagsruhe im Sinne des Gewerbe- geſetzes in den galiziſchen Branntweinbrennereien ange- ordnet. Die Mitglieder des Polenclubs ſehen nun in dieſer Anordnung eine Sekkatur, eine Schädigung der galiziſchen Induſtrie. Weder die Sonntagsruhe, noch die Abkürzung der Arbeitszeit laſſen ſich in Galizien durch- führen. Dies ſei gut in der Theorie, nicht aber in der Praxis. Nur ein einziger Abgeordneter vertheidigte den Gewerbe- inſpector und die Sonntagsruhe. Es wurde beſchloſſen, beim Miniſterium die Zurückziehung der Verfügungen des Gewerbeinſpectors anzuſtreben. Da hätten wir alſo ſo einen Separatwunſch des Polenclubs. Der Club iſt noch ſehr beſcheiden, er verlangt nur die Zurückziehung der Verfügungen des Gewerbeinſpectors. Er hätteja eben ſo gut das Verlangen erheben können, nach Ab- berufung des Gewerbeinſpectors, der es wagte von den polniſchen Schlachzizen und ihren jüdiſchen Pächtern und induſtriellen Berufsgenoſſen die Einhaltung der Sonntagsruhe zu fordern. Vielleicht würde der Wunſch des Polenclubs Berückſichtigung gefunden haben, denn man ſagt ſich, daß ſein Gönner im Miniſterium ein großer Schätzer der Juden iſt. Intereſſant, wenn auch nicht Neues bietend, wäre jeden- falls die Darlegung der Urſachen, warum weder die Sonntagsruhe noch die Verkürzung der Arbeitszeit in Galizien durchführbar ſei. Ferner faßte der Polenclub den Beſchluß, unter Feſthalten an den Grundſätzen des Adreßentwurfes der Majorität, die Regierung in aufrichtiger Weiſe zu unterſtützen und mit den anderen Gruppen der Majorität loyal zu- ſammenzugehen. Jedes ſchroffe oder aggreſſive Auftreten gegen die Gruppen der Minorität will der Polenclub möglichſt vermeiden und ſo zur Förderung der legis- lativen Arbeiten und Geſundung der parlamentariſchen Verhältniſſe beitragen. Die Landtagserſatzwahl in dem früher von Ernſt Vergani vertretenen Bezirke iſt reſultatlos ge- blieben. Es wurden nämlich 2063 giltige Stimmen ab- gegeben. Davon erhielten der Chriſtlichſociale Vergani 880, der Candidat der Deutſchnationalen, Riether, 753, Hochedlinger 359 Stimmen, ſo daß eine Stichwahl nöthig wurde. Die Landtagserſatzwahl im Wahlbezirke des Zolkiewer Grundbeſitzes wurde für den 11. No- vember ausgeſchrieben. Ein galiziſcher Städtetag findet demnächſt in Lemberg ſtatt, welcher ſich mit folgenden Fragen beſchäftigen wird: Genaue Feſtſtellung der Agenden des eigenen und des übertragenen Wirkungskreiſes der Gemeinden und Entſchädigung der Letzteren für die Beſorgung der Agenden im übertragenen Wirkungs- kreiſe; Steuereinhebung durch die Gemeinden; Ver- ſchonung der Perſonaleinkommenſteuer von ſämmtlichen Zuſchlägen. Zur Berufung des Prof. Dr. Hirn in das Miniſterium für Cultus und Unterricht, der eine ge- wiſſe politiſche Bedeutung nicht abzuſprechen iſt, ſchreiben die „Nar. Liſty“: „Dr. Joſef Hirn, Profeſſor der Geſchichte an der Inns- brucker Univerſität, Mitglied des Landesſchulrathes und hervorragender Anhänger der deutſchconſervativen Partei iſt in das Miniſterium für Cultus und Unterricht berufen und dem Departement für Volksſchulen zur Dienſtleiſtung zu- getheilt worden. Die Berufung dieſes Univerſitätsprofeſſors war bereits mehrere Jahre in Sicht und ſteht in gar keinem Zuſammenhange mit den gegenwärtigen politiſchen und parlamentariſchen Zuſtänden. Dieſelbe iſt einzig und allein aus ſachlichen Motiven erfolgt. Prof. Dr. Hirn iſt nämlich der einzige Univerſitätsprofeſſor in Oeſterreich, der eine lange an einem Pädagogium abſolvirte Dienſt- zeit aufweiſt. Dieſes Moment war das entſcheidende. Die Thronrede hat bereits in Vorbereitung befindliche Reform der Pädagogien angekündigt und Dr. Hirn iſt zum zeitweiligen Dienſt nach Wien berufen worden, um vermöge ſeiner Erfahrungen bei dieſer Reform mitzuwirken. Hirn genießt als Hiſtoriker einen klangvollen Namen und ſeine Tiroler Freunde verſichern, daß er ein edler Charakter von gemäßigt conſervativer Geſinnung iſt.“ Ungarn. Abgeordnetenhaus. In der heutigen kurzen Sitzung des Abgeordnetenhauſes widmete der Präſident dem verſtorbenen Abgeordneten Ignaz Helfy einen warmen Nachruf. Sodann wurde beſchloſſen, an dem Sarge des Verſtorbenen einen Kranz niederzulegen. Hierauf wurden einige Vicinalbahnvor- lagen erledigt und die Sitzung geſchloſſen. In der morgigen Sitzung wird der Miniſterpräſident die Interpellation des Abg. Koſſuth bezüglich der griechiſch-türkiſchen Friedens- verhandlungen beantworten. Serbiſcher Kirchencongreß. In Karlowitz fand geſtern unter dem Vorſitze des Patriarchen Brankowics eine Conferenz der Mitglieder des ſerbiſchen Kirchen- congreſſes behufs Erzielung einer Einigung in der Frage der ſerbiſchen Kirchenautonomie ſtatt, an welcher außer den Vertretern des Episcopats die geiſtlichen und weltlichen Vertreter der ſerbiſchen Kirchengemeinde theil- nahmen. Ueber einige Fragen wurde ſchon in der Con- ferenz eine Einigung erzielt, während zur Berathung der reſtlichen Fragen ein Comité eingeſetzt wurde. Das öſterreichiſche Regulativ für die Ver- ſicherungsgeſellſchaften convenirt den ungariſchen Unter- nehmungen, welche in Oeſterreich Verſicherungsgeſchäfte betreiben nicht, und ſie haben den Abg. Dr. Armin Neumann beauftragt, im Abgeordnetenhauſe eine bezügliche Interpellation an den Handelsminiſter zu richten. tapſerer, geſcheidter und tüchtiger ſei als ſein Höherer, namentlich wenn derſelbe zufälligerweiſe ein Graf war. Am Tage der Hinrichtung ließ ſich Fahrensbach, nachdem er gebeichtet und communicirt hatte, aus dem Gaſthauſe „zum goldenen Kreuz“ ein ausgiebiges und gutes Eſſen bringen. Schlag neun Uhr fuhr der Sünderwagen vor und der Oberſt wurde auſgefordert, herauszugehen. An- fänglich drohte er Jeden, der ſich ihm nähern würde, mit dem Tiſchmeſſer zu erſtechen, ſchließlich ließ er ſich jedoch bereden und beſtieg mit zwei Jeſuitenpatres den Wagen. Am Kornmarkt, wo die Enthauptung ſtattfinden ſollte, betheuerte der Oberſt nochmals ſeine Unſchuld und ſprach mit lauter Stimme zum ſchauluſtigen Volke: „Ich ſterbe ſo unſchuldig wie ein Kind, das erſt geboren wurde! Ich weiß, warum man mich alten Mann des Treubruchs und Verraths beinzichtigt, auch weiß ich, wer es ſchurkiſcher Weiſe gethan! Ich muß ſterben! Gut! Doch Dich Herzog von Friedland und Dich, Aldringer, fordere ich, wegen Eueres Meineids, binnen Jahr und Tag vor den Richterſtuhl Gottes, auf daß Ihr Rechenſchaft ablegt. Dich aber, Graf von Scharfen- ſtein, hole der Henker! Amen, Amen, Amen!“ Leichenfahl, keines Wortes mächtig, ſtanden die ſo ſchwer Beinzichtigten da. Obriſt von Fahrensbach kniete ſich nieder und rief dem Henker zu: „Mache Deine Sache gut!“ In dem Augenblick, als das Schwert niederſauſte, rief Obriſt Aldringer dem Delinquenten das Wort „Schurke“ zu. Fahrensbach wandte ſich auf dies hin um, und die Klinge des Schwertes gieng über den Kopf hinweg und verletzte den Obriſten an der Achſel. Bluttriefend ſprang Fahrensbach auf und wollte einem Sergeanten die Wehr entreißen, um damit Aldringer für das ihm Angeſichts des Todes zuge- ſchleuderte Schimpfwort zu züchtigen. Die Zuſchauer riefen „Fahrensbach hat ſein Urtheil ausgeſtanden, ihm muß Gnade werden!“ Der berühmte Arzt Dr. Andreas Rulandus, der ſich ebenfalls unter den Zuſchauern befand, rief dem Obriſten von Fahrensbach zu: „Steigen Sie herab, ich will Sie in die Cur nehmen und vollkommen heilen!“ Da die Menge ſtürmiſch die Freilaſſung des Oberſten begehrte und ſchon Anſtalten machte, denſelben gewaltſam zu befreien, befahl General Graf Cratz den vier Henkersknechten, den Obriſten von Fahrensbach niederzuhauen, was auch in beſtialiſcher Weiſe geſchah. Der mitleidige Doctor Andreas Rulandus wurde, von Soldaten halbtodt geſchlagen, auf die Stockwache geführt, dort jedoch vom General Graf Cratz mit einem ſtrengen Verweis wieder entlaſſen. Ein Bürger meinte beim Nachhauſegehen zu ſeinem Nachbarn, es ſei empörend, daß man einen alten Haudegen und tapferen Obriſten wie einen ſchweren Verbrecher hingerichtet habe. Hierauf erwiderte ihm der Nachbar: „Ich glaube ſelbſt, daß Fahrensbach unſchuldig war, aber er hat im Laufe der Jahre ſolche Streiche ausgeführt, daß er dafür allein ſchon zehnmal den Tod verdient hätte.“ „Meinſt Du, mein Sohn?“ frug plötzlich der Beichtvater des gerichteten Oberſten, P. Dyſſot, der dieſes Zweigeſpräch mit angehört hatte, und ſagte dann: „Mein Sohn, Du urtheilſt ſchlimm. Obriſt von Fahrensbach iſt unſchuldig gerichtet worden.“ Dies geſchah am 10. Mai 1633, am Jahrestage der Erſtürmung Magdeburgs, bei welcher Obriſt von Fahrensbach Wunder von Tapferkeit vollführt hatte. Tags darauf, am 11. Mai, langte vom Hofe zu Wien ein Courier mit dem kaiſerlichen Pardon ein. Das Volk ließ es ſich nicht nehmen und behauptete ſteif und feſt, Graf Cratz habe um den Pardon ge- wußt und nur aus „paſſionirtem Ge- müthe“ mit der Execution ſo geeilt. Die zerſtückelte Leiche Fahrensbach’s wurde in einen Sarg gethan und in der Franciscanerkirche zu Regensburg beigeſetzt. Das Schickſal hat die drei Officiere, auf deren bewußte falſche Ausſagen hin Obriſt von Fahrensbach verurtheilt und gerichtet wurde, ereilt. General Graf Cratz von Scharfenſtein wurde an Stelle des gemordeten Fahrensbach, Commandant der Feſtung Ingolſtadt. Er wurde verdächtigt, mit den Schweden zu liebäugeln und ſollte in Unterſuchung ge- zogen werden. Unter der Ausrede, er wolle einen Ritt zur kaiſerlichen Majeſtät nach Wien machen, um ſich vom Verdachte zu reinigen, ging er zu den Schweden über. In der Schlacht bei Nördlingen am 7. September 1634 wurde der verrätheriſche Graf gefangen, nach Wien gebracht und daſelbſt im Jahre 1635 ent- hauptet. Wallenſtein wurde, wie bekannt, am 25. Februar 1634 ermordet. Aber auch Aldringer mußte noch in dieſem Jahre vor den Richterſtuhl Gottes treten. Ueber den Tod dieſes Mannes berichtet die Priorin von Maria-Stein, Clara Staigerin, in ihrem Tagebuche wie folgt: „Den 20. July 1634 kombt böſſe Zeitung, daß der feindt Lanzhuet mit ſtürmeter Handt eingenommen, vnd die Inwonenten übel tractirt habe, welches von vnſerm Volckh gar wol hete kinden fürkommen werden, wen der General Altringer nit mit falſcher practickh dem feindt het luſſt gelaſſen, — der vrſachen er von einem gemainen Soldaten erſchoſſen vnd darauff er- ſoffen iſt, gott verzeih jm jn ewigkait!“ So endeten die meineidigen Ankläger des un- ſchuldig gerichteten tapferen Obriſten von Fahrensbach.

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 233, Wien, 12.10.1897, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost233_1897/2>, abgerufen am 29.03.2024.