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Reichspost. Nr. 105, Wien, 08.05.1894.

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Wien, Dienstag Reichspost. 8. Mai 1894. 105

[Spaltenumbruch]
Volkswirthlchaftlicher Theil.



Das Unfallversicherungs-Gesetz im
Herrenhause.

Auf dem Leidenswege, den in Oesterreich alle
social-politischen Vorlagen zu machen haben, ist das
Gesetz über die Ausdehnung der Unfallversicherung auch
bei der Station Herrenhaus angelangt. Man erinnert
sich, daß bei den Berathungen, die sich an diesen Ge-
setzentwurf im Abgeordnetenhause knüpften, die ganze
Linke wie ein Mann dafür eintrat, daß bei der Ein-
führung der obligatorischen Unfallversicherung der Eisen-
bahnbediensteten, denselben keine zu weitgehenden Be-
günstigungen eingeräumt und die Bahnen bei dieser
Gelegenheit von jeder weiteren Verpflichtung aus dem
bis dahin bestehenden, allerdings mangelhaft gehand-
habten Haftpflichtgesetze enthoben werden. Den armen
dividendensatten Bahngesellschaften kann man doch un-
möglich zumuthen, ihre schöne Bilanz durch die Sorge
für ihre Krüppel trüben zu lassen. Ja, wenn es sich
um die Belastung des Kleingewerbes gehandelt hätte,
da wären die Herren sofort dafür zu haben gewesen.
Dafür, daß 79 Percent aller Eisenbahnbediensteten durch
die Aufrechterhaltung des Haftpflichtgesetzes erhöhten
gesetzlichen Schutz bei Unfällen genießen würden, hatten
die Herren eben kein Verständniß.

Nun hatte Samstag das Herrenhaus über diese Vor-
lage zu berathen und es wurde zu Artikel VII des
vom Abgeordnetenhause beschlossenen Gesetzes, wonach
die Unfallversicherung der Eisenbahnbediensteten zwar
als obligatorisch erklärt worden, jedoch nur gegen dem,
daß diesen Arbeitern die Wohlthaten des Haftpflicht-
gesetzes entzogen werden, von der Herrenhauscommission
ein Vermittlungsantrag folgenden Sinnes gestellt:
1. Den durch ein Ereigniß im Verkehre beschädigten
Eisenbahnbediensteten den anderthalbfachen Betrag der
normalen Unfallsrente zuzuerkennen; 2. im Falle an-
dauernden Siechthums überdieß noch eine den Umstän-
den angemessene Unterstützung auszusprechen, welche bis
zu dem doppelten Betrage der normalen Unfallsrente
gehen kann, und 3. den Hinterbliebenen den Betrag der
ihnen nach dem Unfallversicherungsgesetze zukommenden
Rente um zwei Drittel zu erhöhen.

In der Debatte, die sich daran knüpfte, war es
Graf Chorinsky allein, der für die Aufrechterhaltung
der Haftpflicht neben der Unfallversicherung bei den
Eisenbahnen eintrat. Alle übrigen Pairs der liberalen
Partei und auch Graf Wurmbrand traten für den
Commissionsantrag ein. Das Gesetz wurde auch mit
den durch die Annahme dieses Antrages nothwendigen
Abänderungen votirt.




Der finanzielle Effect der durch die
Steuerreform

den Ländern zuzuwendenden Be-
günstigungen wäre nach den, dem Plener'schen im
Steuer-Ausschusse vorgelegten Finanzplane, beigegebenen
statistischen Daten ungefähr folgender: Auf Nieder-
österreich würden bei einer Gesammtvorschreibung an
allen Realsteuern per fl. 18,165.641 entfallen fl. 767.491
oder 25·6 Percent, auf Oberösterreich bei einer Ge-
sammtvorschreibung von fl. 374.834 fl. 156.823 oder
[Spaltenumbruch] 5·2 Percent, auf Salzburg bei einer Gesammtvor-
schreibung von fl. 634.292 fl. 26.798 oder 0·9 Per-
cent, auf Tirol bei einer Gesammtvorschreibung von
fl. 1,851.568 fl. 78.234 oder 2·6 Percent, auf Vor-
arlberg bei einer Gesammtvorschreibung von fl. 250.338
fl, 10.576 oder 0.4 Percent, auf Steiermark bei einer
Gesammtvorschreibung von fl. 4,136.924 fl. 174.783
oder 5·8 Percent, auf Kärnten bei einer Gesammt-
vorschreibung von fl. 1,002.872 fl. 42.370 oder 1·4
Percent, auf Krain bei einer Gesammtvorschreibung
von fl. 1,018.811 fl. 43.044 oder 1·4 Percent, auf
Triest bei einer Gesammtvorschreibung von fl. 1,256.793
fl. 53.098 oder 1·8 Percent, auf Görz und Gradisca
bei einer Gesammtvorschreibung von fl. 523.770
fl. 22.111 oder 0·8 Percent, auf Dalmatienbe in einer
Gesammtvorschreibung von fl. 566.996 fl. 23.955 oder
0.8 Percent, auf Böhmen bei einer Gesammtvor-
schreibnng von fl. 18,268.692 fl. 771.845 oder 25.7
Percent, auf Mähren bei einer Gesammtvorschreibung
von fl. 7,802.614 fl. 329.657 oder 11 Percent, auf
Schlesien bei einer Gesammtvorschreibung von
fl. 1,291 726 fl. 54.574 oder 1·8 Percent, auf Gali-
zien bei einer Gesammtvorschreibung von fl. 9,106.025
fl. 384.725 oder 12·8 Percent, endlich auf die Buko-
wina bei einer Gesammtvorschreibung von fl. 853.074
fl. 36.042 oder 1.2 Percent.

Nordamerikanische Tarifbill.

Die demo-
kratischen Senatoren faßten in einer jüngst abge-
haltenen Conferenz den Beschluß, für den Tarifentwurf
mit Compromißanträgen einzutreten. Die Aussichten
auf Annahme der Tarifbill im Senate haben sich in
den letzten Tagen wesentlich gebessert. Hinsichtlich des
künftigen, so viel amendirten Zolltarifs soll angeblich
der colossale Werthzollsatz von 40 Percent mit [unleserliches Material - 3 Zeichen fehlen] Percent
Zollzuschlag auf Raffinadezucker geplant sein. Ueberdies
soll Percent als Zuschlag auf jene Zufuhren gelegt
werden, welche aus Staaten, welche Zuckerprämien ge-
währen, herrühren. Die neuen Zollsätze sollen erst mit
Jahresbeginn in Kraft treten. Rohzucker bis Nr. 16
holl. Stand. war in den Vereinigten Staaten bisher
bekanntlich zollfrei und diese Zollfreiheit lag auch den
Reziprozitätsverträgen der Union mit den anderen
Staaten zugrunde.

Ein neues Checkgesetz.

Im Justizministerium
sind die Berathungen über den Entwurf eines Check-
gesetzes beendigt. Es wurden zu einer Enquete folgende
Herren einberufen: Director Blum von der Credit-
anstalt, Director Herz von der Bodencreditanstalt,
Director Kanitz und Präsidialsecretär Dr. Hammer-
schlag vom Giro- und Cassenverein, Philipp v. Schoeller
(Schoeller und Comp.), Clemens (Johann Liebig und
Comp.), R. Lieben (Lieben und Comp.), A. Weiß
(Weiß und Grohmann), kaiserlicher Rath Pollak
(Schweizerische Creditanstalt) und Felix Epstein. Ein
solches Gesetz ist angesichts der mit der Währungs-
reform verbnndenen Einführung der Hartgeldcircu-
lation sehr nothwendig. Die Zusammensetzung der En-
quete zeigt aber nur wieder, daß bei allem was Geld-
und Zahlungswesen betrifft, die Israeliten der Haute
finance
mitsprechen müssen.




Arbeiterbewegung.
Christl. Arbeiter-Bildungsverein "Einig-
keit".

Sonntag, den 24. April fand in Lilienfeld im
[Spaltenumbruch] Saale zum "weißen Hahn" eine freizugängliche
Wauderversammlung dieses Vereines statt. Der Saal
war dicht gefüllt mit Fabriks- und Bergarbeitern.
Die Mitglieder des socialdemokratischen Arbeiter-
bildungsvereines von Lilienfeld waren vollzählig er-
schienen. Metallarbeiter Wedral eröffnete die Ver-
sammlung und versicherte, die Wiener seien nicht ge-
kommen, um Unfrieden in die Arbeiterschaft zu
bringen, sondern einigend auf dieselbe einzuwirken.
Der Vereinsobmann Anton Schmid besprach die
wirthschaftliche Lage des arbeitenden Volkes und die
Schäden unserer Zeit, unter welchen alle Arbeiter in
gleicher Weise zu leiden haben. Von der socialdemo-
kratischen parteileitung sei eine Verbesserung der trost-
losen Lage der arbeitenden Bevölkerung nicht zu er-
warten Metallarbeiter Wedral sprach über das
Thema: Socialdemokratie und Christenthum, und
führt aus, daß das Christenthum zu allen Zeiten
und an allen Orten segensreich für alle
diejenigen gewirkt habe, welche dasselbe praktisch
geübt haben und stets das mächtigste Bollwerk gegen
revolutionäre Umsturzideen gewesen ist. Es ist daher
leicht begreiflich warum israelitische und confessionslose
Wortführer der Socialdemokraten das Christenthum
in der gehäßigsten und unglaublichsten Weise bekämpfen.
Der hochwürdige P. Mathäus Kurz referirte in
interessanter Weise über Arbeiterschutz und zeigte, daß
die katholische Kirche zu allen Zeiten zum Schutze und
zur Wohlfahrt der Arbeiter gewirkt habe. Redner ist
überzeugt daß manche Socialdemokraten ganz gute
Christen seien und auf die Dauer nicht Angehörige der
socialdemokratischen Partei bleiben würden, wenn
ihnen Gelegenheit geboten wird, sich einem christlichen
Vereine anzuschließen, welcher für die materielle Wohl-
fahrt seiner Mitglieder Sorge trägt. Ein social-
demokratischer Werkführer suchte durch fortwährende
Zwischenrufe die Versammlung zu stören. Sehr be-
zeichnend ist daß er läugnete kein Anhänger Dr. Adlers
zu sein. Die rohen Aeußerungen dieser Rothen gegen
P. Kurz veranlaßten den Metallarbeiter Wedral in
seinem Schlußwort zu einer kräftigen Erwiedernng.
Der reiche Beifall, welcher den Rednern gespendet
wurde, hat gezeigt, daß Lilienfeld ein guter Boden
für die christlichsociale Sache ist. Der Verein wird in
kürzester Zeit dort eine Ortsgruppe gründen.

Christlicher Arbeiter u. Arbeite rinnenverein
"Austrie".

Vom 8. Mai an werden jeden Dienstag
halb 8 Uhr Vortrag und Discussions-Abende in der
Centrale, 17. Bez., Hernals, Elterlein-
platz
7, abgehalten werden. An diesen Tagen findet
auch die Einzahlung und Aufnahme neuer Mitglieder
statt.

Christlicher Arbeiter und Arbeiterinnen
Verein "Austria", Ortsgruppe "Alsergrund".

Dienstag den 1. Mai fand im Ortsgruppenlocale in
Hölzl's Restauration, 9. Bez., Pramergasse 10, eine
überaus zahlreich besuchte Versammlung statt. Ob-
mann Herr Ott begrüßte den erschienenen Bezirksaus-
schuß Herrn Wenner und entschuldigte das Nichter-
scheinen des Herrn Dr. Vinc. Rabenlechner, worauf
Herr Leopold Kunschak, Sattlergehilfe, das Wort er-
griff, und darauf hinwies, daß die Ortsgruppe zu Be-
ginn ihrer Thätigkeit lebensfrisch ist und mit Ernst
darangeht, die christliche Arbeiterschaft an sich zu




[Spaltenumbruch]
99
Das Kind des Vagabunden.
Erz[ä]hlung von M. Ludolff.

(Nachdruck verboten.)

(Fortsetzung.)

"Doch, Sie verstehen mich. Ich weiß es,"
erwiderte Genaro, wobei ein eigener Ausdruck in
sein Gesicht kam. Die Täuschung ist zu Ende. In
Lyton-Hall kennt man bereits den Betrug. Vor
Notar und Zeugen hat Ihre Mutter das Geständ-
niß abgelegt."

"So gab sie mich preis! Die unglückselige
Betrügerin. O! das ist --"

"Gemach, Frau Nichte!" fiel Genaro mit
[bl]itzenden Augen ein. "Ihre Mutter ist todt!"

Das Wort traf Ricarda; sie taumelte einen
Schritt zurück.

"Todt!" wiederholte sie in einem Tone, als
bedürfe sie der Zeit, es zu fassen. "Was sagen Sie,
Mercedes sei gestorben?"

"Ja sie starb, ohne daß ihre herzlose Tochter
neben ihrem Todtenbette stand. Mit heißer Sehn-
sucht gedachte das unglückliche Weib Ihrer und
trug mir als letzte Bitte auf, Ihnen zu sagen:
daß sie alles vergebend, Sie inständig bitte, auch
ihr zu verzeihen und nicht im Zorne ihrcr zu ge-
denken."

Ricarda bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen
und wandte sich ab. Ihre ganze Gestalt zitterte.
Sie hatte Mercedes wenig Liebe bewiesen, selbst
dann nicht, nachdem sie erfahren, daß dieselbe ihre
Mutter sei. Sie dachte damals nur an sich. Nun
aber, als das Wort "todt" ihr entgegentönte, fiel
dies wie ein scharfer Stachel auf ihre Seele, und
sie hätte aufschreien und toben mögen vor Schmerz.
Eine Art Verzweiflung bemächtigte sich ihrer, ob
durch die Todesbotschaft oder die Entdeckung des
[Spaltenumbruch] Geheimnisses verursacht, läßt sich schwer entscheiden.
Wie vernichtet sank sie in den nächsten Sessel.

"Was soll ich beginnen?" jammerte sie, ihren
Stolz vergessend. "Wie vermag ich diese unselige
Aufklärung meinem Gatten beizubringen?"

"Ich will dies für Sie thun, um meiner
Schwester willen. Ueberlassen Sie es mir."

Ricarda nickte: "Sind Sie wirklich Mercedes,
meiner Mutter Bruder?"

"Ja, Frau Baronin, ich bin Ihr Oheim,"
lächelte Genaro sarkastisch, und es wird am zweck-
mäßigsten sein, daß Ihr Mann die erste Kunde
durch mich erhält. Ein Diener bin ich zwar nie
von ihm gewesen, nur aus Gefälligkeit Zeuge bei
Ihrer Trauung. Ich gehe nun den Baron zu
suchen, den Weg in den vornehmen Club kenne ich
bereits. Brüssel ist mir nicht fremd. Ich bin Kos-
mopolit."

Nachdem Genaro sich entfernt, verharrte Ri-
carda in dumpfer Verzweiflung. Aus derselben
weckten sie erst eilig nahende Schritte. Sie kannte
dieselben. Ihr Gatte kam; ein Zittern durchflog
ihre Glieder, eine drückende Furcht erfüllte sie, aber
fast starren Blickes schaute sie dem Eintretenden
entgegen. Er war nicht allein; Genaro begleitete
ihn. Baron Theodor sah sehr bleich und aufgeregt
aus. "Ricarda!" rief er heftig, "was ist das für
eine schreckliche Mähr, welche dieser Mensch hier
aus England bringt. Ich verstehe gar kein Wort
davon!"

Sie antwortete ihm nicht, sondern sah ihn
noch immer starr an.

Zornig fuhr der Baron fort: "Er behauptet,
Du seiest nicht Mr. Carres Tochter?"

"Er sagt damit die Wahrheit!" sagte Ricarda
jetzt -- "es ist nicht zu leugnen."


[Spaltenumbruch]

"Und Du wußtest dies vor unserer Trauung!"
stieß er knirschend zwischen den Zähnen hervor[, ]
rauh mit seiner Rechten ihr Handgelenk umspannend.

"Etwa vier Tage vor derselben erfuhr ich die
Wahrheit und ich vertraute den Betheuerungen
Deiner Liebe. Versichertest Du mir damals nicht
hoch und heilig, daß Du nicht Geld und Gut
suchtest, sondern nichts wie meine Liebe. Nun wohl,
ich glaubte Dir."

Er ließ ihre Hand so rasch los, daß er sie
fast zurückstieß. "Thor, Gimpel! der ich war,"
murmelte er, "so auf den Leim zu gehen! Mich
derart anführen zu lassen!" Laut aber begann er
mit einem Anflug seines unver besserlichen Leichtsinnes:
"Nun, das wird heiter werden! Ob wohl unsere
Liebe ausreichen wird, um davon zu leben? Oder
was denkst Du, daß wir jetzt thun sollen bei Deinen
Ansprüchen an Luxus und Wohlleben?"

"Müssen wir uns zeitweise etwas einschränken
-- gut, so ziehen uns wir auf das Land, in Dein
schönes, altes Stammschloß zurück, von dessen
Reichthum Du mir so viel erzähltest."

"Ah! das hat Dich verlockt!" lächelte der
Baron bitter mit jähem Verständnisse. "Na, das
ist nicht übel. Wir sind halt beide hereingefallen!"
Und er lachte laut auf: "Wie meintest Du,
Theure, ich soll Dich nach Schlesien auf meine
Besitzung führen? Du irrst, dieselbe liegt in
Utopien!"

"Theodor! Ist dies ein Moment zum Scherzen?
zürnte Ricarda. "Was soll das heißen?"

"Daß ich kein Schloß besitze, wohin ich Dich
führen könnte. Unser Stammgut gehört meinem
älteren Bruder. Er ist der Majoratsherr, nicht ich."

"Aber Du gabst Dich doch dafür aus!" rief
Ricarda bestürzt.

(Fortsetzung folgt)


Wien, Dienſtag Reichspoſt. 8. Mai 1894. 105

[Spaltenumbruch]
Volkswirthlchaftlicher Theil.



Das Unfallverſicherungs-Geſetz im
Herrenhauſe.

Auf dem Leidenswege, den in Oeſterreich alle
ſocial-politiſchen Vorlagen zu machen haben, iſt das
Geſetz über die Ausdehnung der Unfallverſicherung auch
bei der Station Herrenhaus angelangt. Man erinnert
ſich, daß bei den Berathungen, die ſich an dieſen Ge-
ſetzentwurf im Abgeordnetenhauſe knüpften, die ganze
Linke wie ein Mann dafür eintrat, daß bei der Ein-
führung der obligatoriſchen Unfallverſicherung der Eiſen-
bahnbedienſteten, denſelben keine zu weitgehenden Be-
günſtigungen eingeräumt und die Bahnen bei dieſer
Gelegenheit von jeder weiteren Verpflichtung aus dem
bis dahin beſtehenden, allerdings mangelhaft gehand-
habten Haftpflichtgeſetze enthoben werden. Den armen
dividendenſatten Bahngeſellſchaften kann man doch un-
möglich zumuthen, ihre ſchöne Bilanz durch die Sorge
für ihre Krüppel trüben zu laſſen. Ja, wenn es ſich
um die Belaſtung des Kleingewerbes gehandelt hätte,
da wären die Herren ſofort dafür zu haben geweſen.
Dafür, daß 79 Percent aller Eiſenbahnbedienſteten durch
die Aufrechterhaltung des Haftpflichtgeſetzes erhöhten
geſetzlichen Schutz bei Unfällen genießen würden, hatten
die Herren eben kein Verſtändniß.

Nun hatte Samſtag das Herrenhaus über dieſe Vor-
lage zu berathen und es wurde zu Artikel VII des
vom Abgeordnetenhauſe beſchloſſenen Geſetzes, wonach
die Unfallverſicherung der Eiſenbahnbedienſteten zwar
als obligatoriſch erklärt worden, jedoch nur gegen dem,
daß dieſen Arbeitern die Wohlthaten des Haftpflicht-
geſetzes entzogen werden, von der Herrenhauscommiſſion
ein Vermittlungsantrag folgenden Sinnes geſtellt:
1. Den durch ein Ereigniß im Verkehre beſchädigten
Eiſenbahnbedienſteten den anderthalbfachen Betrag der
normalen Unfallsrente zuzuerkennen; 2. im Falle an-
dauernden Siechthums überdieß noch eine den Umſtän-
den angemeſſene Unterſtützung auszuſprechen, welche bis
zu dem doppelten Betrage der normalen Unfallsrente
gehen kann, und 3. den Hinterbliebenen den Betrag der
ihnen nach dem Unfallverſicherungsgeſetze zukommenden
Rente um zwei Drittel zu erhöhen.

In der Debatte, die ſich daran knüpfte, war es
Graf Chorinsky allein, der für die Aufrechterhaltung
der Haftpflicht neben der Unfallverſicherung bei den
Eiſenbahnen eintrat. Alle übrigen Pairs der liberalen
Partei und auch Graf Wurmbrand traten für den
Commiſſionsantrag ein. Das Geſetz wurde auch mit
den durch die Annahme dieſes Antrages nothwendigen
Abänderungen votirt.




Der finanzielle Effect der durch die
Steuerreform

den Ländern zuzuwendenden Be-
günſtigungen wäre nach den, dem Plener’ſchen im
Steuer-Ausſchuſſe vorgelegten Finanzplane, beigegebenen
ſtatiſtiſchen Daten ungefähr folgender: Auf Nieder-
öſterreich würden bei einer Geſammtvorſchreibung an
allen Realſteuern per fl. 18,165.641 entfallen fl. 767.491
oder 25·6 Percent, auf Oberöſterreich bei einer Ge-
ſammtvorſchreibung von fl. 374.834 fl. 156.823 oder
[Spaltenumbruch] 5·2 Percent, auf Salzburg bei einer Geſammtvor-
ſchreibung von fl. 634.292 fl. 26.798 oder 0·9 Per-
cent, auf Tirol bei einer Geſammtvorſchreibung von
fl. 1,851.568 fl. 78.234 oder 2·6 Percent, auf Vor-
arlberg bei einer Geſammtvorſchreibung von fl. 250.338
fl, 10.576 oder 0.4 Percent, auf Steiermark bei einer
Geſammtvorſchreibung von fl. 4,136.924 fl. 174.783
oder 5·8 Percent, auf Kärnten bei einer Geſammt-
vorſchreibung von fl. 1,002.872 fl. 42.370 oder 1·4
Percent, auf Krain bei einer Geſammtvorſchreibung
von fl. 1,018.811 fl. 43.044 oder 1·4 Percent, auf
Trieſt bei einer Geſammtvorſchreibung von fl. 1,256.793
fl. 53.098 oder 1·8 Percent, auf Görz und Gradisca
bei einer Geſammtvorſchreibung von fl. 523.770
fl. 22.111 oder 0·8 Percent, auf Dalmatienbe in einer
Geſammtvorſchreibung von fl. 566.996 fl. 23.955 oder
0.8 Percent, auf Böhmen bei einer Geſammtvor-
ſchreibnng von fl. 18,268.692 fl. 771.845 oder 25.7
Percent, auf Mähren bei einer Geſammtvorſchreibung
von fl. 7,802.614 fl. 329.657 oder 11 Percent, auf
Schleſien bei einer Geſammtvorſchreibung von
fl. 1,291 726 fl. 54.574 oder 1·8 Percent, auf Gali-
zien bei einer Geſammtvorſchreibung von fl. 9,106.025
fl. 384.725 oder 12·8 Percent, endlich auf die Buko-
wina bei einer Geſammtvorſchreibung von fl. 853.074
fl. 36.042 oder 1.2 Percent.

Nordamerikaniſche Tarifbill.

Die demo-
kratiſchen Senatoren faßten in einer jüngſt abge-
haltenen Conferenz den Beſchluß, für den Tarifentwurf
mit Compromißanträgen einzutreten. Die Ausſichten
auf Annahme der Tarifbill im Senate haben ſich in
den letzten Tagen weſentlich gebeſſert. Hinſichtlich des
künftigen, ſo viel amendirten Zolltarifs ſoll angeblich
der coloſſale Werthzollſatz von 40 Percent mit [unleserliches Material – 3 Zeichen fehlen] Percent
Zollzuſchlag auf Raffinadezucker geplant ſein. Ueberdies
ſoll Percent als Zuſchlag auf jene Zufuhren gelegt
werden, welche aus Staaten, welche Zuckerprämien ge-
währen, herrühren. Die neuen Zollſätze ſollen erſt mit
Jahresbeginn in Kraft treten. Rohzucker bis Nr. 16
holl. Stand. war in den Vereinigten Staaten bisher
bekanntlich zollfrei und dieſe Zollfreiheit lag auch den
Reziprozitätsverträgen der Union mit den anderen
Staaten zugrunde.

Ein neues Checkgeſetz.

Im Juſtizminiſterium
ſind die Berathungen über den Entwurf eines Check-
geſetzes beendigt. Es wurden zu einer Enquete folgende
Herren einberufen: Director Blum von der Credit-
anſtalt, Director Herz von der Bodencreditanſtalt,
Director Kanitz und Präſidialſecretär Dr. Hammer-
ſchlag vom Giro- und Caſſenverein, Philipp v. Schoeller
(Schoeller und Comp.), Clemens (Johann Liebig und
Comp.), R. Lieben (Lieben und Comp.), A. Weiß
(Weiß und Grohmann), kaiſerlicher Rath Pollak
(Schweizeriſche Creditanſtalt) und Felix Epſtein. Ein
ſolches Geſetz iſt angeſichts der mit der Währungs-
reform verbnndenen Einführung der Hartgeldcircu-
lation ſehr nothwendig. Die Zuſammenſetzung der En-
quete zeigt aber nur wieder, daß bei allem was Geld-
und Zahlungsweſen betrifft, die Israeliten der Haute
finance
mitſprechen müſſen.




Arbeiterbewegung.
Chriſtl. Arbeiter-Bildungsverein „Einig-
keit“.

Sonntag, den 24. April fand in Lilienfeld im
[Spaltenumbruch] Saale zum „weißen Hahn“ eine freizugängliche
Wauderverſammlung dieſes Vereines ſtatt. Der Saal
war dicht gefüllt mit Fabriks- und Bergarbeitern.
Die Mitglieder des ſocialdemokratiſchen Arbeiter-
bildungsvereines von Lilienfeld waren vollzählig er-
ſchienen. Metallarbeiter Wedral eröffnete die Ver-
ſammlung und verſicherte, die Wiener ſeien nicht ge-
kommen, um Unfrieden in die Arbeiterſchaft zu
bringen, ſondern einigend auf dieſelbe einzuwirken.
Der Vereinsobmann Anton Schmid beſprach die
wirthſchaftliche Lage des arbeitenden Volkes und die
Schäden unſerer Zeit, unter welchen alle Arbeiter in
gleicher Weiſe zu leiden haben. Von der ſocialdemo-
kratiſchen parteileitung ſei eine Verbeſſerung der troſt-
loſen Lage der arbeitenden Bevölkerung nicht zu er-
warten Metallarbeiter Wedral ſprach über das
Thema: Socialdemokratie und Chriſtenthum, und
führt aus, daß das Chriſtenthum zu allen Zeiten
und an allen Orten ſegensreich für alle
diejenigen gewirkt habe, welche dasſelbe praktiſch
geübt haben und ſtets das mächtigſte Bollwerk gegen
revolutionäre Umſturzideen geweſen iſt. Es iſt daher
leicht begreiflich warum iſraelitiſche und confeſſionsloſe
Wortführer der Socialdemokraten das Chriſtenthum
in der gehäßigſten und unglaublichſten Weiſe bekämpfen.
Der hochwürdige P. Mathäus Kurz referirte in
intereſſanter Weiſe über Arbeiterſchutz und zeigte, daß
die katholiſche Kirche zu allen Zeiten zum Schutze und
zur Wohlfahrt der Arbeiter gewirkt habe. Redner iſt
überzeugt daß manche Socialdemokraten ganz gute
Chriſten ſeien und auf die Dauer nicht Angehörige der
ſocialdemokratiſchen Partei bleiben würden, wenn
ihnen Gelegenheit geboten wird, ſich einem chriſtlichen
Vereine anzuſchließen, welcher für die materielle Wohl-
fahrt ſeiner Mitglieder Sorge trägt. Ein ſocial-
demokratiſcher Werkführer ſuchte durch fortwährende
Zwiſchenrufe die Verſammlung zu ſtören. Sehr be-
zeichnend iſt daß er läugnete kein Anhänger Dr. Adlers
zu ſein. Die rohen Aeußerungen dieſer Rothen gegen
P. Kurz veranlaßten den Metallarbeiter Wedral in
ſeinem Schlußwort zu einer kräftigen Erwiedernng.
Der reiche Beifall, welcher den Rednern geſpendet
wurde, hat gezeigt, daß Lilienfeld ein guter Boden
für die chriſtlichſociale Sache iſt. Der Verein wird in
kürzeſter Zeit dort eine Ortsgruppe gründen.

Chriſtlicher Arbeiter u. Arbeite rinnenverein
„Auſtrie“.

Vom 8. Mai an werden jeden Dienſtag
halb 8 Uhr Vortrag und Discuſſions-Abende in der
Centrale, 17. Bez., Hernals, Elterlein-
platz
7, abgehalten werden. An dieſen Tagen findet
auch die Einzahlung und Aufnahme neuer Mitglieder
ſtatt.

Chriſtlicher Arbeiter und Arbeiterinnen
Verein „Auſtria“, Ortsgruppe „Alſergrund“.

Dienſtag den 1. Mai fand im Ortsgruppenlocale in
Hölzl’s Reſtauration, 9. Bez., Pramergaſſe 10, eine
überaus zahlreich beſuchte Verſammlung ſtatt. Ob-
mann Herr Ott begrüßte den erſchienenen Bezirksaus-
ſchuß Herrn Wenner und entſchuldigte das Nichter-
ſcheinen des Herrn Dr. Vinc. Rabenlechner, worauf
Herr Leopold Kunſchak, Sattlergehilfe, das Wort er-
griff, und darauf hinwies, daß die Ortsgruppe zu Be-
ginn ihrer Thätigkeit lebensfriſch iſt und mit Ernſt
darangeht, die chriſtliche Arbeiterſchaft an ſich zu




[Spaltenumbruch]
99
Das Kind des Vagabunden.
Erz[ä]hlung von M. Ludolff.

(Nachdruck verboten.)

(Fortſetzung.)

„Doch, Sie verſtehen mich. Ich weiß es,“
erwiderte Genaro, wobei ein eigener Ausdruck in
ſein Geſicht kam. Die Täuſchung iſt zu Ende. In
Lyton-Hall kennt man bereits den Betrug. Vor
Notar und Zeugen hat Ihre Mutter das Geſtänd-
niß abgelegt.“

„So gab ſie mich preis! Die unglückſelige
Betrügerin. O! das iſt —“

„Gemach, Frau Nichte!“ fiel Genaro mit
[bl]itzenden Augen ein. „Ihre Mutter iſt todt!“

Das Wort traf Ricarda; ſie taumelte einen
Schritt zurück.

„Todt!“ wiederholte ſie in einem Tone, als
bedürfe ſie der Zeit, es zu faſſen. „Was ſagen Sie,
Mercedes ſei geſtorben?“

„Ja ſie ſtarb, ohne daß ihre herzloſe Tochter
neben ihrem Todtenbette ſtand. Mit heißer Sehn-
ſucht gedachte das unglückliche Weib Ihrer und
trug mir als letzte Bitte auf, Ihnen zu ſagen:
daß ſie alles vergebend, Sie inſtändig bitte, auch
ihr zu verzeihen und nicht im Zorne ihrcr zu ge-
denken.“

Ricarda bedeckte ihr Geſicht mit beiden Händen
und wandte ſich ab. Ihre ganze Geſtalt zitterte.
Sie hatte Mercedes wenig Liebe bewieſen, ſelbſt
dann nicht, nachdem ſie erfahren, daß dieſelbe ihre
Mutter ſei. Sie dachte damals nur an ſich. Nun
aber, als das Wort „todt“ ihr entgegentönte, fiel
dies wie ein ſcharfer Stachel auf ihre Seele, und
ſie hätte aufſchreien und toben mögen vor Schmerz.
Eine Art Verzweiflung bemächtigte ſich ihrer, ob
durch die Todesbotſchaft oder die Entdeckung des
[Spaltenumbruch] Geheimniſſes verurſacht, läßt ſich ſchwer entſcheiden.
Wie vernichtet ſank ſie in den nächſten Seſſel.

„Was ſoll ich beginnen?“ jammerte ſie, ihren
Stolz vergeſſend. „Wie vermag ich dieſe unſelige
Aufklärung meinem Gatten beizubringen?“

„Ich will dies für Sie thun, um meiner
Schweſter willen. Ueberlaſſen Sie es mir.“

Ricarda nickte: „Sind Sie wirklich Mercedes,
meiner Mutter Bruder?“

„Ja, Frau Baronin, ich bin Ihr Oheim,“
lächelte Genaro ſarkaſtiſch, und es wird am zweck-
mäßigſten ſein, daß Ihr Mann die erſte Kunde
durch mich erhält. Ein Diener bin ich zwar nie
von ihm geweſen, nur aus Gefälligkeit Zeuge bei
Ihrer Trauung. Ich gehe nun den Baron zu
ſuchen, den Weg in den vornehmen Club kenne ich
bereits. Brüſſel iſt mir nicht fremd. Ich bin Kos-
mopolit.“

Nachdem Genaro ſich entfernt, verharrte Ri-
carda in dumpfer Verzweiflung. Aus derſelben
weckten ſie erſt eilig nahende Schritte. Sie kannte
dieſelben. Ihr Gatte kam; ein Zittern durchflog
ihre Glieder, eine drückende Furcht erfüllte ſie, aber
faſt ſtarren Blickes ſchaute ſie dem Eintretenden
entgegen. Er war nicht allein; Genaro begleitete
ihn. Baron Theodor ſah ſehr bleich und aufgeregt
aus. „Ricarda!“ rief er heftig, „was iſt das für
eine ſchreckliche Mähr, welche dieſer Menſch hier
aus England bringt. Ich verſtehe gar kein Wort
davon!“

Sie antwortete ihm nicht, ſondern ſah ihn
noch immer ſtarr an.

Zornig fuhr der Baron fort: „Er behauptet,
Du ſeieſt nicht Mr. Carres Tochter?“

„Er ſagt damit die Wahrheit!“ ſagte Ricarda
jetzt — „es iſt nicht zu leugnen.“


[Spaltenumbruch]

„Und Du wußteſt dies vor unſerer Trauung!“
ſtieß er knirſchend zwiſchen den Zähnen hervor[, ]
rauh mit ſeiner Rechten ihr Handgelenk umſpannend.

„Etwa vier Tage vor derſelben erfuhr ich die
Wahrheit und ich vertraute den Betheuerungen
Deiner Liebe. Verſicherteſt Du mir damals nicht
hoch und heilig, daß Du nicht Geld und Gut
ſuchteſt, ſondern nichts wie meine Liebe. Nun wohl,
ich glaubte Dir.“

Er ließ ihre Hand ſo raſch los, daß er ſie
faſt zurückſtieß. „Thor, Gimpel! der ich war,“
murmelte er, „ſo auf den Leim zu gehen! Mich
derart anführen zu laſſen!“ Laut aber begann er
mit einem Anflug ſeines unver beſſerlichen Leichtſinnes:
„Nun, das wird heiter werden! Ob wohl unſere
Liebe ausreichen wird, um davon zu leben? Oder
was denkſt Du, daß wir jetzt thun ſollen bei Deinen
Anſprüchen an Luxus und Wohlleben?“

„Müſſen wir uns zeitweiſe etwas einſchränken
— gut, ſo ziehen uns wir auf das Land, in Dein
ſchönes, altes Stammſchloß zurück, von deſſen
Reichthum Du mir ſo viel erzählteſt.“

„Ah! das hat Dich verlockt!“ lächelte der
Baron bitter mit jähem Verſtändniſſe. „Na, das
iſt nicht übel. Wir ſind halt beide hereingefallen!“
Und er lachte laut auf: „Wie meinteſt Du,
Theure, ich ſoll Dich nach Schleſien auf meine
Beſitzung führen? Du irrſt, dieſelbe liegt in
Utopien!“

„Theodor! Iſt dies ein Moment zum Scherzen?
zürnte Ricarda. „Was ſoll das heißen?“

„Daß ich kein Schloß beſitze, wohin ich Dich
führen könnte. Unſer Stammgut gehört meinem
älteren Bruder. Er iſt der Majoratsherr, nicht ich.“

„Aber Du gabſt Dich doch dafür aus!“ rief
Ricarda beſtürzt.

(Fortſetzung folgt)


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[4/0004] Wien, Dienſtag Reichspoſt. 8. Mai 1894. 105 Volkswirthlchaftlicher Theil. Das Unfallverſicherungs-Geſetz im Herrenhauſe. Auf dem Leidenswege, den in Oeſterreich alle ſocial-politiſchen Vorlagen zu machen haben, iſt das Geſetz über die Ausdehnung der Unfallverſicherung auch bei der Station Herrenhaus angelangt. Man erinnert ſich, daß bei den Berathungen, die ſich an dieſen Ge- ſetzentwurf im Abgeordnetenhauſe knüpften, die ganze Linke wie ein Mann dafür eintrat, daß bei der Ein- führung der obligatoriſchen Unfallverſicherung der Eiſen- bahnbedienſteten, denſelben keine zu weitgehenden Be- günſtigungen eingeräumt und die Bahnen bei dieſer Gelegenheit von jeder weiteren Verpflichtung aus dem bis dahin beſtehenden, allerdings mangelhaft gehand- habten Haftpflichtgeſetze enthoben werden. Den armen dividendenſatten Bahngeſellſchaften kann man doch un- möglich zumuthen, ihre ſchöne Bilanz durch die Sorge für ihre Krüppel trüben zu laſſen. Ja, wenn es ſich um die Belaſtung des Kleingewerbes gehandelt hätte, da wären die Herren ſofort dafür zu haben geweſen. Dafür, daß 79 Percent aller Eiſenbahnbedienſteten durch die Aufrechterhaltung des Haftpflichtgeſetzes erhöhten geſetzlichen Schutz bei Unfällen genießen würden, hatten die Herren eben kein Verſtändniß. Nun hatte Samſtag das Herrenhaus über dieſe Vor- lage zu berathen und es wurde zu Artikel VII des vom Abgeordnetenhauſe beſchloſſenen Geſetzes, wonach die Unfallverſicherung der Eiſenbahnbedienſteten zwar als obligatoriſch erklärt worden, jedoch nur gegen dem, daß dieſen Arbeitern die Wohlthaten des Haftpflicht- geſetzes entzogen werden, von der Herrenhauscommiſſion ein Vermittlungsantrag folgenden Sinnes geſtellt: 1. Den durch ein Ereigniß im Verkehre beſchädigten Eiſenbahnbedienſteten den anderthalbfachen Betrag der normalen Unfallsrente zuzuerkennen; 2. im Falle an- dauernden Siechthums überdieß noch eine den Umſtän- den angemeſſene Unterſtützung auszuſprechen, welche bis zu dem doppelten Betrage der normalen Unfallsrente gehen kann, und 3. den Hinterbliebenen den Betrag der ihnen nach dem Unfallverſicherungsgeſetze zukommenden Rente um zwei Drittel zu erhöhen. In der Debatte, die ſich daran knüpfte, war es Graf Chorinsky allein, der für die Aufrechterhaltung der Haftpflicht neben der Unfallverſicherung bei den Eiſenbahnen eintrat. Alle übrigen Pairs der liberalen Partei und auch Graf Wurmbrand traten für den Commiſſionsantrag ein. Das Geſetz wurde auch mit den durch die Annahme dieſes Antrages nothwendigen Abänderungen votirt. Der finanzielle Effect der durch die Steuerreform den Ländern zuzuwendenden Be- günſtigungen wäre nach den, dem Plener’ſchen im Steuer-Ausſchuſſe vorgelegten Finanzplane, beigegebenen ſtatiſtiſchen Daten ungefähr folgender: Auf Nieder- öſterreich würden bei einer Geſammtvorſchreibung an allen Realſteuern per fl. 18,165.641 entfallen fl. 767.491 oder 25·6 Percent, auf Oberöſterreich bei einer Ge- ſammtvorſchreibung von fl. 374.834 fl. 156.823 oder 5·2 Percent, auf Salzburg bei einer Geſammtvor- ſchreibung von fl. 634.292 fl. 26.798 oder 0·9 Per- cent, auf Tirol bei einer Geſammtvorſchreibung von fl. 1,851.568 fl. 78.234 oder 2·6 Percent, auf Vor- arlberg bei einer Geſammtvorſchreibung von fl. 250.338 fl, 10.576 oder 0.4 Percent, auf Steiermark bei einer Geſammtvorſchreibung von fl. 4,136.924 fl. 174.783 oder 5·8 Percent, auf Kärnten bei einer Geſammt- vorſchreibung von fl. 1,002.872 fl. 42.370 oder 1·4 Percent, auf Krain bei einer Geſammtvorſchreibung von fl. 1,018.811 fl. 43.044 oder 1·4 Percent, auf Trieſt bei einer Geſammtvorſchreibung von fl. 1,256.793 fl. 53.098 oder 1·8 Percent, auf Görz und Gradisca bei einer Geſammtvorſchreibung von fl. 523.770 fl. 22.111 oder 0·8 Percent, auf Dalmatienbe in einer Geſammtvorſchreibung von fl. 566.996 fl. 23.955 oder 0.8 Percent, auf Böhmen bei einer Geſammtvor- ſchreibnng von fl. 18,268.692 fl. 771.845 oder 25.7 Percent, auf Mähren bei einer Geſammtvorſchreibung von fl. 7,802.614 fl. 329.657 oder 11 Percent, auf Schleſien bei einer Geſammtvorſchreibung von fl. 1,291 726 fl. 54.574 oder 1·8 Percent, auf Gali- zien bei einer Geſammtvorſchreibung von fl. 9,106.025 fl. 384.725 oder 12·8 Percent, endlich auf die Buko- wina bei einer Geſammtvorſchreibung von fl. 853.074 fl. 36.042 oder 1.2 Percent. Nordamerikaniſche Tarifbill. Die demo- kratiſchen Senatoren faßten in einer jüngſt abge- haltenen Conferenz den Beſchluß, für den Tarifentwurf mit Compromißanträgen einzutreten. Die Ausſichten auf Annahme der Tarifbill im Senate haben ſich in den letzten Tagen weſentlich gebeſſert. Hinſichtlich des künftigen, ſo viel amendirten Zolltarifs ſoll angeblich der coloſſale Werthzollſatz von 40 Percent mit ___ Percent Zollzuſchlag auf Raffinadezucker geplant ſein. Ueberdies ſoll [FORMEL] Percent als Zuſchlag auf jene Zufuhren gelegt werden, welche aus Staaten, welche Zuckerprämien ge- währen, herrühren. Die neuen Zollſätze ſollen erſt mit Jahresbeginn in Kraft treten. Rohzucker bis Nr. 16 holl. Stand. war in den Vereinigten Staaten bisher bekanntlich zollfrei und dieſe Zollfreiheit lag auch den Reziprozitätsverträgen der Union mit den anderen Staaten zugrunde. Ein neues Checkgeſetz. Im Juſtizminiſterium ſind die Berathungen über den Entwurf eines Check- geſetzes beendigt. Es wurden zu einer Enquete folgende Herren einberufen: Director Blum von der Credit- anſtalt, Director Herz von der Bodencreditanſtalt, Director Kanitz und Präſidialſecretär Dr. Hammer- ſchlag vom Giro- und Caſſenverein, Philipp v. Schoeller (Schoeller und Comp.), Clemens (Johann Liebig und Comp.), R. Lieben (Lieben und Comp.), A. Weiß (Weiß und Grohmann), kaiſerlicher Rath Pollak (Schweizeriſche Creditanſtalt) und Felix Epſtein. Ein ſolches Geſetz iſt angeſichts der mit der Währungs- reform verbnndenen Einführung der Hartgeldcircu- lation ſehr nothwendig. Die Zuſammenſetzung der En- quete zeigt aber nur wieder, daß bei allem was Geld- und Zahlungsweſen betrifft, die Israeliten der Haute finance mitſprechen müſſen. Arbeiterbewegung. Chriſtl. Arbeiter-Bildungsverein „Einig- keit“. Sonntag, den 24. April fand in Lilienfeld im Saale zum „weißen Hahn“ eine freizugängliche Wauderverſammlung dieſes Vereines ſtatt. Der Saal war dicht gefüllt mit Fabriks- und Bergarbeitern. Die Mitglieder des ſocialdemokratiſchen Arbeiter- bildungsvereines von Lilienfeld waren vollzählig er- ſchienen. Metallarbeiter Wedral eröffnete die Ver- ſammlung und verſicherte, die Wiener ſeien nicht ge- kommen, um Unfrieden in die Arbeiterſchaft zu bringen, ſondern einigend auf dieſelbe einzuwirken. Der Vereinsobmann Anton Schmid beſprach die wirthſchaftliche Lage des arbeitenden Volkes und die Schäden unſerer Zeit, unter welchen alle Arbeiter in gleicher Weiſe zu leiden haben. Von der ſocialdemo- kratiſchen parteileitung ſei eine Verbeſſerung der troſt- loſen Lage der arbeitenden Bevölkerung nicht zu er- warten Metallarbeiter Wedral ſprach über das Thema: Socialdemokratie und Chriſtenthum, und führt aus, daß das Chriſtenthum zu allen Zeiten und an allen Orten ſegensreich für alle diejenigen gewirkt habe, welche dasſelbe praktiſch geübt haben und ſtets das mächtigſte Bollwerk gegen revolutionäre Umſturzideen geweſen iſt. Es iſt daher leicht begreiflich warum iſraelitiſche und confeſſionsloſe Wortführer der Socialdemokraten das Chriſtenthum in der gehäßigſten und unglaublichſten Weiſe bekämpfen. Der hochwürdige P. Mathäus Kurz referirte in intereſſanter Weiſe über Arbeiterſchutz und zeigte, daß die katholiſche Kirche zu allen Zeiten zum Schutze und zur Wohlfahrt der Arbeiter gewirkt habe. Redner iſt überzeugt daß manche Socialdemokraten ganz gute Chriſten ſeien und auf die Dauer nicht Angehörige der ſocialdemokratiſchen Partei bleiben würden, wenn ihnen Gelegenheit geboten wird, ſich einem chriſtlichen Vereine anzuſchließen, welcher für die materielle Wohl- fahrt ſeiner Mitglieder Sorge trägt. Ein ſocial- demokratiſcher Werkführer ſuchte durch fortwährende Zwiſchenrufe die Verſammlung zu ſtören. Sehr be- zeichnend iſt daß er läugnete kein Anhänger Dr. Adlers zu ſein. Die rohen Aeußerungen dieſer Rothen gegen P. Kurz veranlaßten den Metallarbeiter Wedral in ſeinem Schlußwort zu einer kräftigen Erwiedernng. Der reiche Beifall, welcher den Rednern geſpendet wurde, hat gezeigt, daß Lilienfeld ein guter Boden für die chriſtlichſociale Sache iſt. Der Verein wird in kürzeſter Zeit dort eine Ortsgruppe gründen. Chriſtlicher Arbeiter u. Arbeite rinnenverein „Auſtrie“. Vom 8. Mai an werden jeden Dienſtag halb 8 Uhr Vortrag und Discuſſions-Abende in der Centrale, 17. Bez., Hernals, Elterlein- platz 7, abgehalten werden. An dieſen Tagen findet auch die Einzahlung und Aufnahme neuer Mitglieder ſtatt. Chriſtlicher Arbeiter und Arbeiterinnen Verein „Auſtria“, Ortsgruppe „Alſergrund“. Dienſtag den 1. Mai fand im Ortsgruppenlocale in Hölzl’s Reſtauration, 9. Bez., Pramergaſſe 10, eine überaus zahlreich beſuchte Verſammlung ſtatt. Ob- mann Herr Ott begrüßte den erſchienenen Bezirksaus- ſchuß Herrn Wenner und entſchuldigte das Nichter- ſcheinen des Herrn Dr. Vinc. Rabenlechner, worauf Herr Leopold Kunſchak, Sattlergehilfe, das Wort er- griff, und darauf hinwies, daß die Ortsgruppe zu Be- ginn ihrer Thätigkeit lebensfriſch iſt und mit Ernſt darangeht, die chriſtliche Arbeiterſchaft an ſich zu 99 Das Kind des Vagabunden. Erzählung von M. Ludolff. (Nachdruck verboten.) (Fortſetzung.) „Doch, Sie verſtehen mich. Ich weiß es,“ erwiderte Genaro, wobei ein eigener Ausdruck in ſein Geſicht kam. Die Täuſchung iſt zu Ende. In Lyton-Hall kennt man bereits den Betrug. Vor Notar und Zeugen hat Ihre Mutter das Geſtänd- niß abgelegt.“ „So gab ſie mich preis! Die unglückſelige Betrügerin. O! das iſt —“ „Gemach, Frau Nichte!“ fiel Genaro mit blitzenden Augen ein. „Ihre Mutter iſt todt!“ Das Wort traf Ricarda; ſie taumelte einen Schritt zurück. „Todt!“ wiederholte ſie in einem Tone, als bedürfe ſie der Zeit, es zu faſſen. „Was ſagen Sie, Mercedes ſei geſtorben?“ „Ja ſie ſtarb, ohne daß ihre herzloſe Tochter neben ihrem Todtenbette ſtand. Mit heißer Sehn- ſucht gedachte das unglückliche Weib Ihrer und trug mir als letzte Bitte auf, Ihnen zu ſagen: daß ſie alles vergebend, Sie inſtändig bitte, auch ihr zu verzeihen und nicht im Zorne ihrcr zu ge- denken.“ Ricarda bedeckte ihr Geſicht mit beiden Händen und wandte ſich ab. Ihre ganze Geſtalt zitterte. Sie hatte Mercedes wenig Liebe bewieſen, ſelbſt dann nicht, nachdem ſie erfahren, daß dieſelbe ihre Mutter ſei. Sie dachte damals nur an ſich. Nun aber, als das Wort „todt“ ihr entgegentönte, fiel dies wie ein ſcharfer Stachel auf ihre Seele, und ſie hätte aufſchreien und toben mögen vor Schmerz. Eine Art Verzweiflung bemächtigte ſich ihrer, ob durch die Todesbotſchaft oder die Entdeckung des Geheimniſſes verurſacht, läßt ſich ſchwer entſcheiden. Wie vernichtet ſank ſie in den nächſten Seſſel. „Was ſoll ich beginnen?“ jammerte ſie, ihren Stolz vergeſſend. „Wie vermag ich dieſe unſelige Aufklärung meinem Gatten beizubringen?“ „Ich will dies für Sie thun, um meiner Schweſter willen. Ueberlaſſen Sie es mir.“ Ricarda nickte: „Sind Sie wirklich Mercedes, meiner Mutter Bruder?“ „Ja, Frau Baronin, ich bin Ihr Oheim,“ lächelte Genaro ſarkaſtiſch, und es wird am zweck- mäßigſten ſein, daß Ihr Mann die erſte Kunde durch mich erhält. Ein Diener bin ich zwar nie von ihm geweſen, nur aus Gefälligkeit Zeuge bei Ihrer Trauung. Ich gehe nun den Baron zu ſuchen, den Weg in den vornehmen Club kenne ich bereits. Brüſſel iſt mir nicht fremd. Ich bin Kos- mopolit.“ Nachdem Genaro ſich entfernt, verharrte Ri- carda in dumpfer Verzweiflung. Aus derſelben weckten ſie erſt eilig nahende Schritte. Sie kannte dieſelben. Ihr Gatte kam; ein Zittern durchflog ihre Glieder, eine drückende Furcht erfüllte ſie, aber faſt ſtarren Blickes ſchaute ſie dem Eintretenden entgegen. Er war nicht allein; Genaro begleitete ihn. Baron Theodor ſah ſehr bleich und aufgeregt aus. „Ricarda!“ rief er heftig, „was iſt das für eine ſchreckliche Mähr, welche dieſer Menſch hier aus England bringt. Ich verſtehe gar kein Wort davon!“ Sie antwortete ihm nicht, ſondern ſah ihn noch immer ſtarr an. Zornig fuhr der Baron fort: „Er behauptet, Du ſeieſt nicht Mr. Carres Tochter?“ „Er ſagt damit die Wahrheit!“ ſagte Ricarda jetzt — „es iſt nicht zu leugnen.“ „Und Du wußteſt dies vor unſerer Trauung!“ ſtieß er knirſchend zwiſchen den Zähnen hervor, rauh mit ſeiner Rechten ihr Handgelenk umſpannend. „Etwa vier Tage vor derſelben erfuhr ich die Wahrheit und ich vertraute den Betheuerungen Deiner Liebe. Verſicherteſt Du mir damals nicht hoch und heilig, daß Du nicht Geld und Gut ſuchteſt, ſondern nichts wie meine Liebe. Nun wohl, ich glaubte Dir.“ Er ließ ihre Hand ſo raſch los, daß er ſie faſt zurückſtieß. „Thor, Gimpel! der ich war,“ murmelte er, „ſo auf den Leim zu gehen! Mich derart anführen zu laſſen!“ Laut aber begann er mit einem Anflug ſeines unver beſſerlichen Leichtſinnes: „Nun, das wird heiter werden! Ob wohl unſere Liebe ausreichen wird, um davon zu leben? Oder was denkſt Du, daß wir jetzt thun ſollen bei Deinen Anſprüchen an Luxus und Wohlleben?“ „Müſſen wir uns zeitweiſe etwas einſchränken — gut, ſo ziehen uns wir auf das Land, in Dein ſchönes, altes Stammſchloß zurück, von deſſen Reichthum Du mir ſo viel erzählteſt.“ „Ah! das hat Dich verlockt!“ lächelte der Baron bitter mit jähem Verſtändniſſe. „Na, das iſt nicht übel. Wir ſind halt beide hereingefallen!“ Und er lachte laut auf: „Wie meinteſt Du, Theure, ich ſoll Dich nach Schleſien auf meine Beſitzung führen? Du irrſt, dieſelbe liegt in Utopien!“ „Theodor! Iſt dies ein Moment zum Scherzen? zürnte Ricarda. „Was ſoll das heißen?“ „Daß ich kein Schloß beſitze, wohin ich Dich führen könnte. Unſer Stammgut gehört meinem älteren Bruder. Er iſt der Majoratsherr, nicht ich.“ „Aber Du gabſt Dich doch dafür aus!“ rief Ricarda beſtürzt. (Fortſetzung folgt)

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 105, Wien, 08.05.1894, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost105_1894/4>, abgerufen am 22.11.2024.