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Reichspost. Nr. 105, Wien, 08.05.1894.

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105 Wien, Dienstag Reichspost. 8. Mai 1894.

[Spaltenumbruch] des Reichstages. Eine Zerspitterung dieser mächtigsten
Schutzwehr des katholischen Volkes im deutschen Reiche
wäre natürlich allen katholikenfeindlichen Elementen ein
hocherfreuliches Ereigniß, und wenn die jüdischliberalen
Blätter nicht, trotz der ihnen fälschlich beigelegten
großen Fixigkeit, in ihrem Christenhasse gar so --
dumm wären, so würden sie sich selbst sagen müssen,
daß ein Mann von der weitausschauenden politischen
Begabung wie Graf Konrad Preysing schon des-
halb sich mit aller Macht einer Abbröckelung des
Centrums widersetzen muß, weil einen Vortheil daraus
ja nur die gehässigsten Feinde des Katholicismus
haben würden. Zudem hat ja gerade Graf Konrad
Preysing im Reichstage mit allem Nachdruck erklärt,
daß er nie die Hand bieten werde zu einer Abson-
derung der bayerischen Mitglieder vom Centrum.
Was bedeutet aber ein Ehrenmann wie Konrad Prey-
sing den jüdischen Journalisten gegen den berüchtigten
"Vaterlands"-Sigl! Dieser sonderbare "Katholik",
der in seinem Schimpfblättchen noch keine Person un-
besudelt gelassen hat, die sich besondere Verdienste um
das katholische Volk erworben, behauptet zum großen
Gaudium aller Katholikenfeinde, er könne Ort und
Namen nennen, wo und vor denen Graf Preysing,
der manchmal den Diplomaten daheim lasse, bei einer
Gelegenheit, die ihn bis 1 Uhr Nachts inter pocula
sein ließ, sich für eine Trennung der Bayern vom
Centrum ausgesprochen habe. Der Ehren-Sigl sagt's,
mehr braucht's für einen jüdischen Zeitungsschreiber
nicht, und dann ist's wahr! Und auf solche Sigleien
bauen selbst "Weltblätter" politische Combinationen
auf! Man sieht, die jüdischliberalen Zeitungen sind
doch recht -- naiv.

Das Königreich der Niederlande unternimmt
die Ausführung einer großen That: Die Trockenlegung
des Zuyder-See. Die königliche Commission,
welche unter Vorsitz des Ministers für Handel und
Industrie C. Lely dieses großartige Project zu be-
rathen hatte, beendete ihre Arbeiten. Von 26 Mit-
gliedern sprachen sich 21 für die Trockenlegung und
die Errichtung eines Dammes von Nord-Holland nach
Friesland aus. Die Kosten werden mit 189 Millionen
Gulden oder 315 Millionen Gulden mit Zinseszinsen
veranschlagt. In diesem Betrage sind die Kosten für
die Vertheidigungsmaßregeln und für Schadloshaltung
der Fischer an der Zuyder-See inbegriffen. Die Com-
mission empfiehlt einstimmig, die Arbeiten durch den
Staat
ausführen zu lassen und jede Privatunter-
nehmung auszuschließen. Gerade diese Bestimmung
verleiht dem ganzen Projecte eine erhöhte culturelle
Wichtigkeit.

Die Weltausstellung in Antwerpen wurde
am 5. Mai in Gegenwart des Königs, der Kö-
nigin,
der Minister, des diplomatischen Corps etc. in
feierlicher Weise eröffnet. Auf verschiedene Eröffnungs-
ansprachen erwiderte der König in beredter und zu
Herzen dringender Weise unter großem Applaus. Ant-
werpen bot einen festlichen Anblick, die Ausstellung
selbst ist noch weit entfernt von ihrer Vollendung. Bei
dem Rundgange besichtigte der König die österrei-
chische Abtheilung,
die über Nacht fast fertigge-
stellt wurde und allen anderen weit voraus ist. Graf
Khevenhüller, Ritter v. Schoeller und andere empfingen
den König, der sich über das Arrangement der öster-
reichischen Abtheilung sehr befriedigt äußerte. Der
König besuchte hierauf die ungarische Abthei-
lung,
wohnte dann der Aufführung der Festcantate
bei, machte einen Rundgang durch die Maschinenhalle
und besichtigte Alt-Antwerpen, die Perle der Aus-
stellung, endlich die Abtheilung für schöne Künste.

Im italienischen Parlamente hielt der Minister
des Aeußern, Baron Blanc, eine bemerkenswerthe
Rede. Er gab zuerst eine kurze Darlegung des Ein-
flusses der auswärtigen Politik auf die
Volkswirthschaft
und unterzog sodann die Be-
hauptung einer näheren Prüfung, daß durch die Al-
liancen Italien der französische Markt entzogen worden
sei, ohne daß ihm seitens des Alliirten genügende Ab-
satzgebiete erschlossen worden wären. "Erstens wird die
keiner. Bündnisse verdächtige Schweiz von Frank-
reich in derselben Weise wie Italien behandelt; es
kommt daher nicht bloß die Politik in Frage. Zweitens
halte ich es nicht für ersprießlich, daß eine politisch
unabhängige Nation in wirthschafticher Beziehung auf
einen einzigen Markt angewiesen sei. Man hat die
Verschließung des französischen Marktes für Italien
mit Recht einer verlorenen Schlacht verglichen;
aber es erscheint nicht aussichtslos, die
Schlacht wieder zu gewinnen,
wenn man be-
denkt, daß wir gezwungen waren und es mit Rücksicht
auf unser zukünftiges Wohl noch heute sind, unsere
Absatzgebiete zu verallgemeinern.
Die
Einbuße, die wir Frankreich gegenüber erlitten haben,
wird nunmehr durch das Anwachsen unseres
Güteraustausches mit anderen Ländern

aufgewogen. Ich gebe mich aufrichtig der Ansicht hin,
daß wir darauf rechnen können, dem Ende der ernsten
Krisis, welche durch die Verschiebung unserer Handels-
verhältnisse herbeigeführt wurde, nahe zu sein." Der
Minister des Aeußern erörtert endlich die Auswan-
derungsfrage,
und die Frage der afrikani-
schen Colonien
Italiens. Er legte bei diesem An-
lasse der Kammer das mit England abgeschlossene
Uebereinkommen über die Grenzbestimmung der beider-
seitigen Colonien in Afrika vor und bemerkte: Wir
befinden uns angesichts der noch immer verwirrten
[Spaltenumbruch] und sehr gefährlichen Situation im Sudan in derselben
Lage wie die Engländer und sind mit ihnen natür-
licherweise solidarisch. -- Die Debatte über das Bud-
get des Ministeriums des Aeußern wurde sodann ge-
schlossen.




Parlamentarisches.

Das Herrenhaus hat am Freitag das Gesetz
über die Meldepflicht der Landsturm-
männer,
sowie das über die Ausdehnung der
Unfallversicherung
conform den seinerzeitigen
Beschlüssen des Abgeordnetenhauses angenommen.
Morgen wird sich dasselbe mit dem Gesetze, betreffend
die Erwerbung der Triester Lagerhäuser
durch den Staat
beschäftigen und voraussichtlich
dasselbe unverändert annehmen.

Abgeordnetenhaus.
(Schluß des samstägigen Berichtes.)

Bei der Abstimmung über die Vorlage, betreffend
das 35 Millionen-Anlehen der Gemeinde Wien wurde
der Antrag Exner auf Gewährung der Stempel- und
Gebührenfreiheit angenommen, der Antrag Lueger
auf Gewährung der Steuerfreiheit mit 97 gegen
20 Stimmen abgelehnt.

Nachdem sich die Jungczechen vollständig, die
Polen und Conservativen größtentheils absentirt hatten,
lag es vollständig in der Hand der
Liberalen,
für die Gemeinde Wien das wichtige
Zugeständniß, wie es der Antrag Lueger anstrebte,
durchzusetzen; doch diese Herren, die immer mit ihrer
Fürsorge für Wien flunkern, stimmten mit Ausnahme
einiger in Wien gewählter Abgeordneter, die für ihre
Mandate bange waren, geschlossen gegen die
Anträge Lueger.
Man wird sich's merken.

Hierauf wird das ganze Gesetz anch in dritter
Lesung angenommen und die Debatte über das Bud-
getcapitel "Finanzministerium", "Stempel, Taxen
und Gebühren" fortgesetzt.

Abg. Dr. Kronawetter beantragt folgende Re-
solution: "Die Regierung wird aufgefordert, eine No-
velle zum Gebührengesetze vom 9. Februar 1850 da-
hingehend einzubringen, daß die im § 72 desselben
normirte sächliche Haftung für die unmittelbar zu ent-
richtenden Gebühren demjenigen Erwerber einer unbe-
weglichen Sache gegenüber nicht geltend gemacht werden
kann, der eine Realität ohne grundbücherliche Belastung
mit einer Gebührenforderung an sich gebracht hat."

Abg. Hagenhofer beschwert sich über die Be-
handlung der Steuerträger durch die untergeordneten
Finanzbehörden und beantragt eine Resolution wegen
Rückersatz von nicht gesetzlich begründeten Gebühren.

Abg. Dr. Geßmann bespricht die Frage des
Zeitungsstempels. Derselbe bilde für die capitalistische
Presse ein Schutzmonopol gegen das Aufkommen der
kleinen Presse. Der Zeitungsstempel sollte, wenn nicht
aufgehoben, wenigstens nach dem Muster des früheren
preußischen Gesetzes nach dem Flächeninhalte der Zei-
tung berechnet werden. Zum Schlusse beschäftigt sich
Redner mit den Beschwerden der kaufmännischen Kreise
über die Rechnungsstempel und fordert die Abstellung
der diesbezüglichen Belastung.

Abg. Dr. Lueger (zur Geschäftsordnung): Der
Anblick des hohen Hauses begeistert mich zu dem An-
trage auf Schluß der Sitzung und ich bitte um Con-
statirung des Stimmenverhältnisses. Es sind vielleicht
zwanzig Mitgleider im Hause anwesend.

Abg. Dr. Graf Pininski ergreift das Wort.

Abg. Dr. Lueger: Ich bitte, Herr Vorsitzender,
über meinen Antrag muß noch abgestimmt werden.

Vicepräsident Ritter v. Abrahamowicz: Das
Haus muß erst beschlußfähig sein.

Abg. Dr. Lueger: Aber nach der Geschäfts-
ordnung muß sofort abgestimmt werden, ich bitte die
Beschlußfähigkeit zu constatiren. Als ich den Antrag
stellte, waren 24 Mitglieder anwesend.

Vicepräsident Ritter v. Abrahamowicz: In
diesem Momente ist das Haus nicht beschlußfähig, das
ist Thatsache; ich kann daher den Antrag nicht zur
Abstimmung bringen; das Haus muß erst beschluß-
fähig sein. (Widerspruch und Gelächter.)

Abg. Dr. Lueger: Dann müssen Sie die
Sitzung schließen.

Vicepräsident Ritter v. Abrahamowicz erklärt,
daß dem Abg. Grafen Pininski bereits das Wort er-
theilt sei.

Abg. Dr. Graf Pininski bezieht sich auf eine
im Budgetausschusse beschlosseue Resolution, dnrch
welche die Regierung aufgefordert wird, die Bestim-
mungen des Gesetzes über Gebührenerleichterungen auf
die Eigenthumsübertragung von Bauerngütern
zu erweitern. Die Erweiterung der gesetzlichen Be-
stimmungen möge in der Weise geschehen, daß diese
Begünstigungen nur in dem Falle einzutreten haben,
wo das Grundstück aus der Hand eines Bauern
in die Hand eines anderen Bauern übergeht.
Die Erhaltung der Bauernstandes sei ein social-
politisch wichtiges Ziel und es sei diese Maßregel
daher auf das Wärmste zu empfehlen. Redner be-
spricht weiters die Gebührengesetze; welche er als sehr
unpopulär bezeichnet, und dessen Bestimmungen so un-
klar und widerspruchsvoll seien, daß es auch für den
Rechtskundigen außerordentlich schwer sei, sich zu
orientiren. Eine Aenderung desselben sei unaus-
weichlich nothwendig, und bevor ein solches Gesetz zu
Stande komme, mögen wenigstens die Gebührenämter
[Spaltenumbruch] beauftragt werden, dafür zu sorgen, daß falsche Ge-
bührenbemessungen seltener vorkommen, als jetzt.

Nach dem Schlußworte des Berichterstatters werden
die in Verhandlung gestandenen Posten sammt den
hiezu beantragten Resolutionen angenommen. -- Der
Antrag des Abg. Hauck wird abgelehnt.

Zum Capitel "Lotto" spricht Abg. Dr. Roser
und constatirt, daß von Jahr zu Jahr die Spielwuth
in Oesterreich steige. Das Lotto richte ganze Familien
zu Grunde und trage den Geist des Aberglaubens in
die Bevölkerung. Redner führt eine Reihe von Opfern
des Lottospieles an und appellirt an die Coalitions-
regierung, ein Spiel aufzuheben, welches zum Verbrechen
und zum Selbstmorde führe. Er beantragt eine Reso-
lution, in welcher die Regierung aufgefordert werde,
ehebaldigst eine Vorlage wegen Aufhebung des Lotto
einzubringen.

Abg. Bendel empfiehlt die Einführung der
Classenlotterie statt des Lottos,

Das Capitel "Lotto" wird sodann sammt der vom
Ausschusse beantragten Resolution angenommen, die
Resolution des Abg. Dr. Roser dem Budgetausschusse
zugewiesen.

Beim Capitel "Mauthen" verweist Abg. Doctor
Kronawetter darauf, daß auf der Donau und dem
Donaucanal noch immer Haftgelder, Fahnenstangen-
und Signalgebühren eingehoben werden, obwohl deren
Einhebung nicht mehr gerechtfertigt sei, weil sie mit
dem Wassergesetze im Widerspruche stehen. Redner
fordert daher in einer Resolution die Regierung auf,
eine Gesetzesvorlage, betreffend die Aufhebung dieser
Gebühren, einzubringen.

Abg. Dr. Götz klagt, daß das neue Mauthgesetz
in Betreff der Begünstigung der Bewohner der Mauth-
orte viel fiscalischer sei als die früheren Mauth-
normalien.

Titel "Mauthen" wird hierauf unverändert an-
genommen.

Zu Capitel "Punzirung" ergreift das Wort
Abg. Dr. Weigl, um für eine Verbesserung der ma-
teriellen Lage der Punzirungsbeamten einzutreten.

Regierungsvertreter Sectionschef Freih. v. Nie-
bauer
bemerkt, daß von den 38 Punzirungsbeamten
sich in der achten, siebenten, respective sechsten Rangs-
classe 19 befinden; das Finanzministerium werde auf
eine Reorganisirung des Punzirungswesen Bedacht
nehmen.

Capitel "Punzirungswesen" wird hierauf ange-
nommen und Capitel "Staatsdruckerei" in Berathung
gezogen.

Abg. Dr. Geßmann betont, daß der Nenbau
der Staatsdruckerei am Rennweg sich schon jetzt als
entschieden zu klein herausgestellt habe, so daß eine
Anzahl von Unterämtern in anderen Localen unterge-
bracht werden muß. Er erörtert sodann eine Reihe
von Uebelständen, die in der Staatsdruckerei bestehen,
und hebt vor Allem die schwere Schädigung hervor,
welche der Privatindustrie durch
die Staatsdruckerei zugefügt werde.

Die Staatsdruckerei betreibe aber auch einen großen
Papierhandel, einen Handcl mit Tinte, Federn u. s. w.
Sie sei der Privatindustrie gegenüber im Vortheile,
da sie die Portofreiheit genieße, keine Steuern und
keinen Zins zahle. Redner bespricht ferner
die ungünstige materielle Lage der
Beamten,
insbesondere der zeitlich Angestellten,
und beklagt die ungünstigen Vorrückungsverhältnisse
derselben, sowie die in der letzten Zeit vorgekommenen
Entlassungen von Arbeitern. Für die Bediensteten der
Staatsdruckerei müsse etwas geschehen, damit der
Staat nicht das Odium auf sich lade, er sei einer der
härtesten Arbeitsgeber.

Regierungsvertreter Director der Staatsdruckerei
Hofrath Volkmer bemerkt gegenüber dem Abgeordneten
Geßmann, daß die Staatsdruckerei lediglich nach der
Amtsinstruktion handle. Bezüglich der Bezahlung der
Bediensteten sei vieles Gute geschehen. Durch die Ver-
ordnung im Jahre 1892 seien alle Arbeiter der
Altersversorgung unterzogen, und es sei auch eine
große Anzahl von k. k. Staatsbeamtenstellen creirt
worden, so daß die Zahl derselben, die früher 13
betrug, nunmehr auf 32 gestiegen sei.

Bei der Abstimmung wird Capitel "Staats-
druckerei" angenommen, und es erscheint hiemit der
Staatsvoranschlag des Finauzministeriums erledigt.

Nächste Sitzung Morgen 10 Uhr Vormittags. --
Tagesordnung: Berathung über die drei Gesetzentwürfe,
betreffend die Valutaregulirung.




Eingesendet.
Interessante Versammlung.

In der heutigen
großen Plenarversammlung des christlich-socialen Ver-
eines in Wien in Rudolf Krautstoffel's Prachtsälen,
10. Bez., Himbergerstraße 55, wird der gestern ange-
kommene Msgr. Stanislaus Stojalowski
anwesend sein und einen hochinteressanten Vortrag über
das sociale Elend und über die Verjudung in Galizien
halten. Der Monsignore, welcher mit seltenem Muthe
für das Wohl des arbeitenden Volkes eintritt, wurde
bekanntlich wegen seiner unerschrockenen politischen
Thätigkeit auf die unerhörteste Weise verfolgt und
achtmal, mitunter Monate lang, in das Gefängniß ge-
setzt, unlängst aber von den Geschworenen nach
einem mehrtägigem Processe glänzend und einstimmig
freigesprochen.


105 Wien, Dienſtag Reichspoſt. 8. Mai 1894.

[Spaltenumbruch] des Reichstages. Eine Zerſpitterung dieſer mächtigſten
Schutzwehr des katholiſchen Volkes im deutſchen Reiche
wäre natürlich allen katholikenfeindlichen Elementen ein
hocherfreuliches Ereigniß, und wenn die jüdiſchliberalen
Blätter nicht, trotz der ihnen fälſchlich beigelegten
großen Fixigkeit, in ihrem Chriſtenhaſſe gar ſo —
dumm wären, ſo würden ſie ſich ſelbſt ſagen müſſen,
daß ein Mann von der weitausſchauenden politiſchen
Begabung wie Graf Konrad Preyſing ſchon des-
halb ſich mit aller Macht einer Abbröckelung des
Centrums widerſetzen muß, weil einen Vortheil daraus
ja nur die gehäſſigſten Feinde des Katholicismus
haben würden. Zudem hat ja gerade Graf Konrad
Preyſing im Reichstage mit allem Nachdruck erklärt,
daß er nie die Hand bieten werde zu einer Abſon-
derung der bayeriſchen Mitglieder vom Centrum.
Was bedeutet aber ein Ehrenmann wie Konrad Prey-
ſing den jüdiſchen Journaliſten gegen den berüchtigten
„Vaterlands“-Sigl! Dieſer ſonderbare „Katholik“,
der in ſeinem Schimpfblättchen noch keine Perſon un-
beſudelt gelaſſen hat, die ſich beſondere Verdienſte um
das katholiſche Volk erworben, behauptet zum großen
Gaudium aller Katholikenfeinde, er könne Ort und
Namen nennen, wo und vor denen Graf Preyſing,
der manchmal den Diplomaten daheim laſſe, bei einer
Gelegenheit, die ihn bis 1 Uhr Nachts inter pocula
ſein ließ, ſich für eine Trennung der Bayern vom
Centrum ausgeſprochen habe. Der Ehren-Sigl ſagt’s,
mehr braucht’s für einen jüdiſchen Zeitungsſchreiber
nicht, und dann iſt’s wahr! Und auf ſolche Sigleien
bauen ſelbſt „Weltblätter“ politiſche Combinationen
auf! Man ſieht, die jüdiſchliberalen Zeitungen ſind
doch recht — naiv.

Das Königreich der Niederlande unternimmt
die Ausführung einer großen That: Die Trockenlegung
des Zuyder-See. Die königliche Commiſſion,
welche unter Vorſitz des Miniſters für Handel und
Induſtrie C. Lely dieſes großartige Project zu be-
rathen hatte, beendete ihre Arbeiten. Von 26 Mit-
gliedern ſprachen ſich 21 für die Trockenlegung und
die Errichtung eines Dammes von Nord-Holland nach
Friesland aus. Die Koſten werden mit 189 Millionen
Gulden oder 315 Millionen Gulden mit Zinſeszinſen
veranſchlagt. In dieſem Betrage ſind die Koſten für
die Vertheidigungsmaßregeln und für Schadloshaltung
der Fiſcher an der Zuyder-See inbegriffen. Die Com-
miſſion empfiehlt einſtimmig, die Arbeiten durch den
Staat
ausführen zu laſſen und jede Privatunter-
nehmung auszuſchließen. Gerade dieſe Beſtimmung
verleiht dem ganzen Projecte eine erhöhte culturelle
Wichtigkeit.

Die Weltausſtellung in Antwerpen wurde
am 5. Mai in Gegenwart des Königs, der Kö-
nigin,
der Miniſter, des diplomatiſchen Corps ꝛc. in
feierlicher Weiſe eröffnet. Auf verſchiedene Eröffnungs-
anſprachen erwiderte der König in beredter und zu
Herzen dringender Weiſe unter großem Applaus. Ant-
werpen bot einen feſtlichen Anblick, die Ausſtellung
ſelbſt iſt noch weit entfernt von ihrer Vollendung. Bei
dem Rundgange beſichtigte der König die öſterrei-
chiſche Abtheilung,
die über Nacht faſt fertigge-
ſtellt wurde und allen anderen weit voraus iſt. Graf
Khevenhüller, Ritter v. Schoeller und andere empfingen
den König, der ſich über das Arrangement der öſter-
reichiſchen Abtheilung ſehr befriedigt äußerte. Der
König beſuchte hierauf die ungariſche Abthei-
lung,
wohnte dann der Aufführung der Feſtcantate
bei, machte einen Rundgang durch die Maſchinenhalle
und beſichtigte Alt-Antwerpen, die Perle der Aus-
ſtellung, endlich die Abtheilung für ſchöne Künſte.

Im italieniſchen Parlamente hielt der Miniſter
des Aeußern, Baron Blanc, eine bemerkenswerthe
Rede. Er gab zuerſt eine kurze Darlegung des Ein-
fluſſes der auswärtigen Politik auf die
Volkswirthſchaft
und unterzog ſodann die Be-
hauptung einer näheren Prüfung, daß durch die Al-
liancen Italien der franzöſiſche Markt entzogen worden
ſei, ohne daß ihm ſeitens des Alliirten genügende Ab-
ſatzgebiete erſchloſſen worden wären. „Erſtens wird die
keiner. Bündniſſe verdächtige Schweiz von Frank-
reich in derſelben Weiſe wie Italien behandelt; es
kommt daher nicht bloß die Politik in Frage. Zweitens
halte ich es nicht für erſprießlich, daß eine politiſch
unabhängige Nation in wirthſchafticher Beziehung auf
einen einzigen Markt angewieſen ſei. Man hat die
Verſchließung des franzöſiſchen Marktes für Italien
mit Recht einer verlorenen Schlacht verglichen;
aber es erſcheint nicht ausſichtslos, die
Schlacht wieder zu gewinnen,
wenn man be-
denkt, daß wir gezwungen waren und es mit Rückſicht
auf unſer zukünftiges Wohl noch heute ſind, unſere
Abſatzgebiete zu verallgemeinern.
Die
Einbuße, die wir Frankreich gegenüber erlitten haben,
wird nunmehr durch das Anwachſen unſeres
Güteraustauſches mit anderen Ländern

aufgewogen. Ich gebe mich aufrichtig der Anſicht hin,
daß wir darauf rechnen können, dem Ende der ernſten
Kriſis, welche durch die Verſchiebung unſerer Handels-
verhältniſſe herbeigeführt wurde, nahe zu ſein.“ Der
Miniſter des Aeußern erörtert endlich die Auswan-
derungsfrage,
und die Frage der afrikani-
ſchen Colonien
Italiens. Er legte bei dieſem An-
laſſe der Kammer das mit England abgeſchloſſene
Uebereinkommen über die Grenzbeſtimmung der beider-
ſeitigen Colonien in Afrika vor und bemerkte: Wir
befinden uns angeſichts der noch immer verwirrten
[Spaltenumbruch] und ſehr gefährlichen Situation im Sudan in derſelben
Lage wie die Engländer und ſind mit ihnen natür-
licherweiſe ſolidariſch. — Die Debatte über das Bud-
get des Miniſteriums des Aeußern wurde ſodann ge-
ſchloſſen.




Parlamentariſches.

Das Herrenhaus hat am Freitag das Geſetz
über die Meldepflicht der Landſturm-
männer,
ſowie das über die Ausdehnung der
Unfallverſicherung
conform den ſeinerzeitigen
Beſchlüſſen des Abgeordnetenhauſes angenommen.
Morgen wird ſich dasſelbe mit dem Geſetze, betreffend
die Erwerbung der Trieſter Lagerhäuſer
durch den Staat
beſchäftigen und vorausſichtlich
dasſelbe unverändert annehmen.

Abgeordnetenhaus.
(Schluß des ſamſtägigen Berichtes.)

Bei der Abſtimmung über die Vorlage, betreffend
das 35 Millionen-Anlehen der Gemeinde Wien wurde
der Antrag Exner auf Gewährung der Stempel- und
Gebührenfreiheit angenommen, der Antrag Lueger
auf Gewährung der Steuerfreiheit mit 97 gegen
20 Stimmen abgelehnt.

Nachdem ſich die Jungczechen vollſtändig, die
Polen und Conſervativen größtentheils abſentirt hatten,
lag es vollſtändig in der Hand der
Liberalen,
für die Gemeinde Wien das wichtige
Zugeſtändniß, wie es der Antrag Lueger anſtrebte,
durchzuſetzen; doch dieſe Herren, die immer mit ihrer
Fürſorge für Wien flunkern, ſtimmten mit Ausnahme
einiger in Wien gewählter Abgeordneter, die für ihre
Mandate bange waren, geſchloſſen gegen die
Anträge Lueger.
Man wird ſich’s merken.

Hierauf wird das ganze Geſetz anch in dritter
Leſung angenommen und die Debatte über das Bud-
getcapitel „Finanzminiſterium“, „Stempel, Taxen
und Gebühren“ fortgeſetzt.

Abg. Dr. Kronawetter beantragt folgende Re-
ſolution: „Die Regierung wird aufgefordert, eine No-
velle zum Gebührengeſetze vom 9. Februar 1850 da-
hingehend einzubringen, daß die im § 72 desſelben
normirte ſächliche Haftung für die unmittelbar zu ent-
richtenden Gebühren demjenigen Erwerber einer unbe-
weglichen Sache gegenüber nicht geltend gemacht werden
kann, der eine Realität ohne grundbücherliche Belaſtung
mit einer Gebührenforderung an ſich gebracht hat.“

Abg. Hagenhofer beſchwert ſich über die Be-
handlung der Steuerträger durch die untergeordneten
Finanzbehörden und beantragt eine Reſolution wegen
Rückerſatz von nicht geſetzlich begründeten Gebühren.

Abg. Dr. Geßmann beſpricht die Frage des
Zeitungsſtempels. Derſelbe bilde für die capitaliſtiſche
Preſſe ein Schutzmonopol gegen das Aufkommen der
kleinen Preſſe. Der Zeitungsſtempel ſollte, wenn nicht
aufgehoben, wenigſtens nach dem Muſter des früheren
preußiſchen Geſetzes nach dem Flächeninhalte der Zei-
tung berechnet werden. Zum Schluſſe beſchäftigt ſich
Redner mit den Beſchwerden der kaufmänniſchen Kreiſe
über die Rechnungsſtempel und fordert die Abſtellung
der diesbezüglichen Belaſtung.

Abg. Dr. Lueger (zur Geſchäftsordnung): Der
Anblick des hohen Hauſes begeiſtert mich zu dem An-
trage auf Schluß der Sitzung und ich bitte um Con-
ſtatirung des Stimmenverhältniſſes. Es ſind vielleicht
zwanzig Mitgleider im Hauſe anweſend.

Abg. Dr. Graf Pininski ergreift das Wort.

Abg. Dr. Lueger: Ich bitte, Herr Vorſitzender,
über meinen Antrag muß noch abgeſtimmt werden.

Vicepräſident Ritter v. Abrahamowicz: Das
Haus muß erſt beſchlußfähig ſein.

Abg. Dr. Lueger: Aber nach der Geſchäfts-
ordnung muß ſofort abgeſtimmt werden, ich bitte die
Beſchlußfähigkeit zu conſtatiren. Als ich den Antrag
ſtellte, waren 24 Mitglieder anweſend.

Vicepräſident Ritter v. Abrahamowicz: In
dieſem Momente iſt das Haus nicht beſchlußfähig, das
iſt Thatſache; ich kann daher den Antrag nicht zur
Abſtimmung bringen; das Haus muß erſt beſchluß-
fähig ſein. (Widerſpruch und Gelächter.)

Abg. Dr. Lueger: Dann müſſen Sie die
Sitzung ſchließen.

Vicepräſident Ritter v. Abrahamowicz erklärt,
daß dem Abg. Grafen Pininski bereits das Wort er-
theilt ſei.

Abg. Dr. Graf Pininski bezieht ſich auf eine
im Budgetausſchuſſe beſchloſſeue Reſolution, dnrch
welche die Regierung aufgefordert wird, die Beſtim-
mungen des Geſetzes über Gebührenerleichterungen auf
die Eigenthumsübertragung von Bauerngütern
zu erweitern. Die Erweiterung der geſetzlichen Be-
ſtimmungen möge in der Weiſe geſchehen, daß dieſe
Begünſtigungen nur in dem Falle einzutreten haben,
wo das Grundſtück aus der Hand eines Bauern
in die Hand eines anderen Bauern übergeht.
Die Erhaltung der Bauernſtandes ſei ein ſocial-
politiſch wichtiges Ziel und es ſei dieſe Maßregel
daher auf das Wärmſte zu empfehlen. Redner be-
ſpricht weiters die Gebührengeſetze; welche er als ſehr
unpopulär bezeichnet, und deſſen Beſtimmungen ſo un-
klar und widerſpruchsvoll ſeien, daß es auch für den
Rechtskundigen außerordentlich ſchwer ſei, ſich zu
orientiren. Eine Aenderung desſelben ſei unaus-
weichlich nothwendig, und bevor ein ſolches Geſetz zu
Stande komme, mögen wenigſtens die Gebührenämter
[Spaltenumbruch] beauftragt werden, dafür zu ſorgen, daß falſche Ge-
bührenbemeſſungen ſeltener vorkommen, als jetzt.

Nach dem Schlußworte des Berichterſtatters werden
die in Verhandlung geſtandenen Poſten ſammt den
hiezu beantragten Reſolutionen angenommen. — Der
Antrag des Abg. Hauck wird abgelehnt.

Zum Capitel „Lotto“ ſpricht Abg. Dr. Roſer
und conſtatirt, daß von Jahr zu Jahr die Spielwuth
in Oeſterreich ſteige. Das Lotto richte ganze Familien
zu Grunde und trage den Geiſt des Aberglaubens in
die Bevölkerung. Redner führt eine Reihe von Opfern
des Lottoſpieles an und appellirt an die Coalitions-
regierung, ein Spiel aufzuheben, welches zum Verbrechen
und zum Selbſtmorde führe. Er beantragt eine Reſo-
lution, in welcher die Regierung aufgefordert werde,
ehebaldigſt eine Vorlage wegen Aufhebung des Lotto
einzubringen.

Abg. Bendel empfiehlt die Einführung der
Claſſenlotterie ſtatt des Lottos,

Das Capitel „Lotto“ wird ſodann ſammt der vom
Ausſchuſſe beantragten Reſolution angenommen, die
Reſolution des Abg. Dr. Roſer dem Budgetausſchuſſe
zugewieſen.

Beim Capitel „Mauthen“ verweiſt Abg. Doctor
Kronawetter darauf, daß auf der Donau und dem
Donaucanal noch immer Haftgelder, Fahnenſtangen-
und Signalgebühren eingehoben werden, obwohl deren
Einhebung nicht mehr gerechtfertigt ſei, weil ſie mit
dem Waſſergeſetze im Widerſpruche ſtehen. Redner
fordert daher in einer Reſolution die Regierung auf,
eine Geſetzesvorlage, betreffend die Aufhebung dieſer
Gebühren, einzubringen.

Abg. Dr. Götz klagt, daß das neue Mauthgeſetz
in Betreff der Begünſtigung der Bewohner der Mauth-
orte viel fiscaliſcher ſei als die früheren Mauth-
normalien.

Titel „Mauthen“ wird hierauf unverändert an-
genommen.

Zu Capitel „Punzirung“ ergreift das Wort
Abg. Dr. Weigl, um für eine Verbeſſerung der ma-
teriellen Lage der Punzirungsbeamten einzutreten.

Regierungsvertreter Sectionschef Freih. v. Nie-
bauer
bemerkt, daß von den 38 Punzirungsbeamten
ſich in der achten, ſiebenten, reſpective ſechſten Rangs-
claſſe 19 befinden; das Finanzminiſterium werde auf
eine Reorganiſirung des Punzirungsweſen Bedacht
nehmen.

Capitel „Punzirungsweſen“ wird hierauf ange-
nommen und Capitel „Staatsdruckerei“ in Berathung
gezogen.

Abg. Dr. Geßmann betont, daß der Nenbau
der Staatsdruckerei am Rennweg ſich ſchon jetzt als
entſchieden zu klein herausgeſtellt habe, ſo daß eine
Anzahl von Unterämtern in anderen Localen unterge-
bracht werden muß. Er erörtert ſodann eine Reihe
von Uebelſtänden, die in der Staatsdruckerei beſtehen,
und hebt vor Allem die ſchwere Schädigung hervor,
welche der Privatinduſtrie durch
die Staatsdruckerei zugefügt werde.

Die Staatsdruckerei betreibe aber auch einen großen
Papierhandel, einen Handcl mit Tinte, Federn u. ſ. w.
Sie ſei der Privatinduſtrie gegenüber im Vortheile,
da ſie die Portofreiheit genieße, keine Steuern und
keinen Zins zahle. Redner beſpricht ferner
die ungünſtige materielle Lage der
Beamten,
insbeſondere der zeitlich Angeſtellten,
und beklagt die ungünſtigen Vorrückungsverhältniſſe
derſelben, ſowie die in der letzten Zeit vorgekommenen
Entlaſſungen von Arbeitern. Für die Bedienſteten der
Staatsdruckerei müſſe etwas geſchehen, damit der
Staat nicht das Odium auf ſich lade, er ſei einer der
härteſten Arbeitsgeber.

Regierungsvertreter Director der Staatsdruckerei
Hofrath Volkmer bemerkt gegenüber dem Abgeordneten
Geßmann, daß die Staatsdruckerei lediglich nach der
Amtsinſtruktion handle. Bezüglich der Bezahlung der
Bedienſteten ſei vieles Gute geſchehen. Durch die Ver-
ordnung im Jahre 1892 ſeien alle Arbeiter der
Altersverſorgung unterzogen, und es ſei auch eine
große Anzahl von k. k. Staatsbeamtenſtellen creirt
worden, ſo daß die Zahl derſelben, die früher 13
betrug, nunmehr auf 32 geſtiegen ſei.

Bei der Abſtimmung wird Capitel „Staats-
druckerei“ angenommen, und es erſcheint hiemit der
Staatsvoranſchlag des Finauzminiſteriums erledigt.

Nächſte Sitzung Morgen 10 Uhr Vormittags. —
Tagesordnung: Berathung über die drei Geſetzentwürfe,
betreffend die Valutaregulirung.




Eingeſendet.
Intereſſante Verſammlung.

In der heutigen
großen Plenarverſammlung des chriſtlich-ſocialen Ver-
eines in Wien in Rudolf Krautſtoffel’s Prachtſälen,
10. Bez., Himbergerſtraße 55, wird der geſtern ange-
kommene Mſgr. Stanislaus Stojalowski
anweſend ſein und einen hochintereſſanten Vortrag über
das ſociale Elend und über die Verjudung in Galizien
halten. Der Monſignore, welcher mit ſeltenem Muthe
für das Wohl des arbeitenden Volkes eintritt, wurde
bekanntlich wegen ſeiner unerſchrockenen politiſchen
Thätigkeit auf die unerhörteſte Weiſe verfolgt und
achtmal, mitunter Monate lang, in das Gefängniß ge-
ſetzt, unlängſt aber von den Geſchworenen nach
einem mehrtägigem Proceſſe glänzend und einſtimmig
freigeſprochen.


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[3/0003] 105 Wien, Dienſtag Reichspoſt. 8. Mai 1894. des Reichstages. Eine Zerſpitterung dieſer mächtigſten Schutzwehr des katholiſchen Volkes im deutſchen Reiche wäre natürlich allen katholikenfeindlichen Elementen ein hocherfreuliches Ereigniß, und wenn die jüdiſchliberalen Blätter nicht, trotz der ihnen fälſchlich beigelegten großen Fixigkeit, in ihrem Chriſtenhaſſe gar ſo — dumm wären, ſo würden ſie ſich ſelbſt ſagen müſſen, daß ein Mann von der weitausſchauenden politiſchen Begabung wie Graf Konrad Preyſing ſchon des- halb ſich mit aller Macht einer Abbröckelung des Centrums widerſetzen muß, weil einen Vortheil daraus ja nur die gehäſſigſten Feinde des Katholicismus haben würden. Zudem hat ja gerade Graf Konrad Preyſing im Reichstage mit allem Nachdruck erklärt, daß er nie die Hand bieten werde zu einer Abſon- derung der bayeriſchen Mitglieder vom Centrum. Was bedeutet aber ein Ehrenmann wie Konrad Prey- ſing den jüdiſchen Journaliſten gegen den berüchtigten „Vaterlands“-Sigl! Dieſer ſonderbare „Katholik“, der in ſeinem Schimpfblättchen noch keine Perſon un- beſudelt gelaſſen hat, die ſich beſondere Verdienſte um das katholiſche Volk erworben, behauptet zum großen Gaudium aller Katholikenfeinde, er könne Ort und Namen nennen, wo und vor denen Graf Preyſing, der manchmal den Diplomaten daheim laſſe, bei einer Gelegenheit, die ihn bis 1 Uhr Nachts inter pocula ſein ließ, ſich für eine Trennung der Bayern vom Centrum ausgeſprochen habe. Der Ehren-Sigl ſagt’s, mehr braucht’s für einen jüdiſchen Zeitungsſchreiber nicht, und dann iſt’s wahr! Und auf ſolche Sigleien bauen ſelbſt „Weltblätter“ politiſche Combinationen auf! Man ſieht, die jüdiſchliberalen Zeitungen ſind doch recht — naiv. Das Königreich der Niederlande unternimmt die Ausführung einer großen That: Die Trockenlegung des Zuyder-See. Die königliche Commiſſion, welche unter Vorſitz des Miniſters für Handel und Induſtrie C. Lely dieſes großartige Project zu be- rathen hatte, beendete ihre Arbeiten. Von 26 Mit- gliedern ſprachen ſich 21 für die Trockenlegung und die Errichtung eines Dammes von Nord-Holland nach Friesland aus. Die Koſten werden mit 189 Millionen Gulden oder 315 Millionen Gulden mit Zinſeszinſen veranſchlagt. In dieſem Betrage ſind die Koſten für die Vertheidigungsmaßregeln und für Schadloshaltung der Fiſcher an der Zuyder-See inbegriffen. Die Com- miſſion empfiehlt einſtimmig, die Arbeiten durch den Staat ausführen zu laſſen und jede Privatunter- nehmung auszuſchließen. Gerade dieſe Beſtimmung verleiht dem ganzen Projecte eine erhöhte culturelle Wichtigkeit. Die Weltausſtellung in Antwerpen wurde am 5. Mai in Gegenwart des Königs, der Kö- nigin, der Miniſter, des diplomatiſchen Corps ꝛc. in feierlicher Weiſe eröffnet. Auf verſchiedene Eröffnungs- anſprachen erwiderte der König in beredter und zu Herzen dringender Weiſe unter großem Applaus. Ant- werpen bot einen feſtlichen Anblick, die Ausſtellung ſelbſt iſt noch weit entfernt von ihrer Vollendung. Bei dem Rundgange beſichtigte der König die öſterrei- chiſche Abtheilung, die über Nacht faſt fertigge- ſtellt wurde und allen anderen weit voraus iſt. Graf Khevenhüller, Ritter v. Schoeller und andere empfingen den König, der ſich über das Arrangement der öſter- reichiſchen Abtheilung ſehr befriedigt äußerte. Der König beſuchte hierauf die ungariſche Abthei- lung, wohnte dann der Aufführung der Feſtcantate bei, machte einen Rundgang durch die Maſchinenhalle und beſichtigte Alt-Antwerpen, die Perle der Aus- ſtellung, endlich die Abtheilung für ſchöne Künſte. Im italieniſchen Parlamente hielt der Miniſter des Aeußern, Baron Blanc, eine bemerkenswerthe Rede. Er gab zuerſt eine kurze Darlegung des Ein- fluſſes der auswärtigen Politik auf die Volkswirthſchaft und unterzog ſodann die Be- hauptung einer näheren Prüfung, daß durch die Al- liancen Italien der franzöſiſche Markt entzogen worden ſei, ohne daß ihm ſeitens des Alliirten genügende Ab- ſatzgebiete erſchloſſen worden wären. „Erſtens wird die keiner. Bündniſſe verdächtige Schweiz von Frank- reich in derſelben Weiſe wie Italien behandelt; es kommt daher nicht bloß die Politik in Frage. Zweitens halte ich es nicht für erſprießlich, daß eine politiſch unabhängige Nation in wirthſchafticher Beziehung auf einen einzigen Markt angewieſen ſei. Man hat die Verſchließung des franzöſiſchen Marktes für Italien mit Recht einer verlorenen Schlacht verglichen; aber es erſcheint nicht ausſichtslos, die Schlacht wieder zu gewinnen, wenn man be- denkt, daß wir gezwungen waren und es mit Rückſicht auf unſer zukünftiges Wohl noch heute ſind, unſere Abſatzgebiete zu verallgemeinern. Die Einbuße, die wir Frankreich gegenüber erlitten haben, wird nunmehr durch das Anwachſen unſeres Güteraustauſches mit anderen Ländern aufgewogen. Ich gebe mich aufrichtig der Anſicht hin, daß wir darauf rechnen können, dem Ende der ernſten Kriſis, welche durch die Verſchiebung unſerer Handels- verhältniſſe herbeigeführt wurde, nahe zu ſein.“ Der Miniſter des Aeußern erörtert endlich die Auswan- derungsfrage, und die Frage der afrikani- ſchen Colonien Italiens. Er legte bei dieſem An- laſſe der Kammer das mit England abgeſchloſſene Uebereinkommen über die Grenzbeſtimmung der beider- ſeitigen Colonien in Afrika vor und bemerkte: Wir befinden uns angeſichts der noch immer verwirrten und ſehr gefährlichen Situation im Sudan in derſelben Lage wie die Engländer und ſind mit ihnen natür- licherweiſe ſolidariſch. — Die Debatte über das Bud- get des Miniſteriums des Aeußern wurde ſodann ge- ſchloſſen. Parlamentariſches. Das Herrenhaus hat am Freitag das Geſetz über die Meldepflicht der Landſturm- männer, ſowie das über die Ausdehnung der Unfallverſicherung conform den ſeinerzeitigen Beſchlüſſen des Abgeordnetenhauſes angenommen. Morgen wird ſich dasſelbe mit dem Geſetze, betreffend die Erwerbung der Trieſter Lagerhäuſer durch den Staat beſchäftigen und vorausſichtlich dasſelbe unverändert annehmen. Abgeordnetenhaus. (Schluß des ſamſtägigen Berichtes.) Bei der Abſtimmung über die Vorlage, betreffend das 35 Millionen-Anlehen der Gemeinde Wien wurde der Antrag Exner auf Gewährung der Stempel- und Gebührenfreiheit angenommen, der Antrag Lueger auf Gewährung der Steuerfreiheit mit 97 gegen 20 Stimmen abgelehnt. Nachdem ſich die Jungczechen vollſtändig, die Polen und Conſervativen größtentheils abſentirt hatten, lag es vollſtändig in der Hand der Liberalen, für die Gemeinde Wien das wichtige Zugeſtändniß, wie es der Antrag Lueger anſtrebte, durchzuſetzen; doch dieſe Herren, die immer mit ihrer Fürſorge für Wien flunkern, ſtimmten mit Ausnahme einiger in Wien gewählter Abgeordneter, die für ihre Mandate bange waren, geſchloſſen gegen die Anträge Lueger. Man wird ſich’s merken. Hierauf wird das ganze Geſetz anch in dritter Leſung angenommen und die Debatte über das Bud- getcapitel „Finanzminiſterium“, „Stempel, Taxen und Gebühren“ fortgeſetzt. Abg. Dr. Kronawetter beantragt folgende Re- ſolution: „Die Regierung wird aufgefordert, eine No- velle zum Gebührengeſetze vom 9. Februar 1850 da- hingehend einzubringen, daß die im § 72 desſelben normirte ſächliche Haftung für die unmittelbar zu ent- richtenden Gebühren demjenigen Erwerber einer unbe- weglichen Sache gegenüber nicht geltend gemacht werden kann, der eine Realität ohne grundbücherliche Belaſtung mit einer Gebührenforderung an ſich gebracht hat.“ Abg. Hagenhofer beſchwert ſich über die Be- handlung der Steuerträger durch die untergeordneten Finanzbehörden und beantragt eine Reſolution wegen Rückerſatz von nicht geſetzlich begründeten Gebühren. Abg. Dr. Geßmann beſpricht die Frage des Zeitungsſtempels. Derſelbe bilde für die capitaliſtiſche Preſſe ein Schutzmonopol gegen das Aufkommen der kleinen Preſſe. Der Zeitungsſtempel ſollte, wenn nicht aufgehoben, wenigſtens nach dem Muſter des früheren preußiſchen Geſetzes nach dem Flächeninhalte der Zei- tung berechnet werden. Zum Schluſſe beſchäftigt ſich Redner mit den Beſchwerden der kaufmänniſchen Kreiſe über die Rechnungsſtempel und fordert die Abſtellung der diesbezüglichen Belaſtung. Abg. Dr. Lueger (zur Geſchäftsordnung): Der Anblick des hohen Hauſes begeiſtert mich zu dem An- trage auf Schluß der Sitzung und ich bitte um Con- ſtatirung des Stimmenverhältniſſes. Es ſind vielleicht zwanzig Mitgleider im Hauſe anweſend. Abg. Dr. Graf Pininski ergreift das Wort. Abg. Dr. Lueger: Ich bitte, Herr Vorſitzender, über meinen Antrag muß noch abgeſtimmt werden. Vicepräſident Ritter v. Abrahamowicz: Das Haus muß erſt beſchlußfähig ſein. Abg. Dr. Lueger: Aber nach der Geſchäfts- ordnung muß ſofort abgeſtimmt werden, ich bitte die Beſchlußfähigkeit zu conſtatiren. Als ich den Antrag ſtellte, waren 24 Mitglieder anweſend. Vicepräſident Ritter v. Abrahamowicz: In dieſem Momente iſt das Haus nicht beſchlußfähig, das iſt Thatſache; ich kann daher den Antrag nicht zur Abſtimmung bringen; das Haus muß erſt beſchluß- fähig ſein. (Widerſpruch und Gelächter.) Abg. Dr. Lueger: Dann müſſen Sie die Sitzung ſchließen. Vicepräſident Ritter v. Abrahamowicz erklärt, daß dem Abg. Grafen Pininski bereits das Wort er- theilt ſei. Abg. Dr. Graf Pininski bezieht ſich auf eine im Budgetausſchuſſe beſchloſſeue Reſolution, dnrch welche die Regierung aufgefordert wird, die Beſtim- mungen des Geſetzes über Gebührenerleichterungen auf die Eigenthumsübertragung von Bauerngütern zu erweitern. Die Erweiterung der geſetzlichen Be- ſtimmungen möge in der Weiſe geſchehen, daß dieſe Begünſtigungen nur in dem Falle einzutreten haben, wo das Grundſtück aus der Hand eines Bauern in die Hand eines anderen Bauern übergeht. Die Erhaltung der Bauernſtandes ſei ein ſocial- politiſch wichtiges Ziel und es ſei dieſe Maßregel daher auf das Wärmſte zu empfehlen. Redner be- ſpricht weiters die Gebührengeſetze; welche er als ſehr unpopulär bezeichnet, und deſſen Beſtimmungen ſo un- klar und widerſpruchsvoll ſeien, daß es auch für den Rechtskundigen außerordentlich ſchwer ſei, ſich zu orientiren. Eine Aenderung desſelben ſei unaus- weichlich nothwendig, und bevor ein ſolches Geſetz zu Stande komme, mögen wenigſtens die Gebührenämter beauftragt werden, dafür zu ſorgen, daß falſche Ge- bührenbemeſſungen ſeltener vorkommen, als jetzt. Nach dem Schlußworte des Berichterſtatters werden die in Verhandlung geſtandenen Poſten ſammt den hiezu beantragten Reſolutionen angenommen. — Der Antrag des Abg. Hauck wird abgelehnt. Zum Capitel „Lotto“ ſpricht Abg. Dr. Roſer und conſtatirt, daß von Jahr zu Jahr die Spielwuth in Oeſterreich ſteige. Das Lotto richte ganze Familien zu Grunde und trage den Geiſt des Aberglaubens in die Bevölkerung. Redner führt eine Reihe von Opfern des Lottoſpieles an und appellirt an die Coalitions- regierung, ein Spiel aufzuheben, welches zum Verbrechen und zum Selbſtmorde führe. Er beantragt eine Reſo- lution, in welcher die Regierung aufgefordert werde, ehebaldigſt eine Vorlage wegen Aufhebung des Lotto einzubringen. Abg. Bendel empfiehlt die Einführung der Claſſenlotterie ſtatt des Lottos, Das Capitel „Lotto“ wird ſodann ſammt der vom Ausſchuſſe beantragten Reſolution angenommen, die Reſolution des Abg. Dr. Roſer dem Budgetausſchuſſe zugewieſen. Beim Capitel „Mauthen“ verweiſt Abg. Doctor Kronawetter darauf, daß auf der Donau und dem Donaucanal noch immer Haftgelder, Fahnenſtangen- und Signalgebühren eingehoben werden, obwohl deren Einhebung nicht mehr gerechtfertigt ſei, weil ſie mit dem Waſſergeſetze im Widerſpruche ſtehen. Redner fordert daher in einer Reſolution die Regierung auf, eine Geſetzesvorlage, betreffend die Aufhebung dieſer Gebühren, einzubringen. Abg. Dr. Götz klagt, daß das neue Mauthgeſetz in Betreff der Begünſtigung der Bewohner der Mauth- orte viel fiscaliſcher ſei als die früheren Mauth- normalien. Titel „Mauthen“ wird hierauf unverändert an- genommen. Zu Capitel „Punzirung“ ergreift das Wort Abg. Dr. Weigl, um für eine Verbeſſerung der ma- teriellen Lage der Punzirungsbeamten einzutreten. Regierungsvertreter Sectionschef Freih. v. Nie- bauer bemerkt, daß von den 38 Punzirungsbeamten ſich in der achten, ſiebenten, reſpective ſechſten Rangs- claſſe 19 befinden; das Finanzminiſterium werde auf eine Reorganiſirung des Punzirungsweſen Bedacht nehmen. Capitel „Punzirungsweſen“ wird hierauf ange- nommen und Capitel „Staatsdruckerei“ in Berathung gezogen. Abg. Dr. Geßmann betont, daß der Nenbau der Staatsdruckerei am Rennweg ſich ſchon jetzt als entſchieden zu klein herausgeſtellt habe, ſo daß eine Anzahl von Unterämtern in anderen Localen unterge- bracht werden muß. Er erörtert ſodann eine Reihe von Uebelſtänden, die in der Staatsdruckerei beſtehen, und hebt vor Allem die ſchwere Schädigung hervor, welche der Privatinduſtrie durch die Staatsdruckerei zugefügt werde. Die Staatsdruckerei betreibe aber auch einen großen Papierhandel, einen Handcl mit Tinte, Federn u. ſ. w. Sie ſei der Privatinduſtrie gegenüber im Vortheile, da ſie die Portofreiheit genieße, keine Steuern und keinen Zins zahle. Redner beſpricht ferner die ungünſtige materielle Lage der Beamten, insbeſondere der zeitlich Angeſtellten, und beklagt die ungünſtigen Vorrückungsverhältniſſe derſelben, ſowie die in der letzten Zeit vorgekommenen Entlaſſungen von Arbeitern. Für die Bedienſteten der Staatsdruckerei müſſe etwas geſchehen, damit der Staat nicht das Odium auf ſich lade, er ſei einer der härteſten Arbeitsgeber. Regierungsvertreter Director der Staatsdruckerei Hofrath Volkmer bemerkt gegenüber dem Abgeordneten Geßmann, daß die Staatsdruckerei lediglich nach der Amtsinſtruktion handle. Bezüglich der Bezahlung der Bedienſteten ſei vieles Gute geſchehen. Durch die Ver- ordnung im Jahre 1892 ſeien alle Arbeiter der Altersverſorgung unterzogen, und es ſei auch eine große Anzahl von k. k. Staatsbeamtenſtellen creirt worden, ſo daß die Zahl derſelben, die früher 13 betrug, nunmehr auf 32 geſtiegen ſei. Bei der Abſtimmung wird Capitel „Staats- druckerei“ angenommen, und es erſcheint hiemit der Staatsvoranſchlag des Finauzminiſteriums erledigt. Nächſte Sitzung Morgen 10 Uhr Vormittags. — Tagesordnung: Berathung über die drei Geſetzentwürfe, betreffend die Valutaregulirung. Eingeſendet. Intereſſante Verſammlung. In der heutigen großen Plenarverſammlung des chriſtlich-ſocialen Ver- eines in Wien in Rudolf Krautſtoffel’s Prachtſälen, 10. Bez., Himbergerſtraße 55, wird der geſtern ange- kommene Mſgr. Stanislaus Stojalowski anweſend ſein und einen hochintereſſanten Vortrag über das ſociale Elend und über die Verjudung in Galizien halten. Der Monſignore, welcher mit ſeltenem Muthe für das Wohl des arbeitenden Volkes eintritt, wurde bekanntlich wegen ſeiner unerſchrockenen politiſchen Thätigkeit auf die unerhörteſte Weiſe verfolgt und achtmal, mitunter Monate lang, in das Gefängniß ge- ſetzt, unlängſt aber von den Geſchworenen nach einem mehrtägigem Proceſſe glänzend und einſtimmig freigeſprochen.

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 105, Wien, 08.05.1894, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost105_1894/3>, abgerufen am 29.03.2024.