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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Dritter Jahrgang, Nr. 110. Leipzig (Sachsen), 8. Frebruar 1855.

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[Beginn Spaltensatz]

Willst du mich nach Frankreich begleiten? Jch
habe eine Mutter, sie wird deine Mutter sein.

Sidiah ist deine Sklavin, sagte sie demüthig. Hast
du nicht meinen Vater begraben? Wo du hingehst,
will ich auch hingehen, deine Heimat soll meine Hei-
met sein.

Das Dampfschiff stieß ab vom Kai. Da lagen
die weißen dächerlosen Häuser Algiers an den Bergen
und spiegelten sich in dem blauen Meere, und drüber
herüber schauten die hohen Minarets und die schlan-
ken Palmen und in der Ferne die Gipfel des Atlas.
Lange stand Sidiah auf dem Verdeck und blickte star-
ren Auges hinüber nach den Bergen, wo sie unter
dem Zelte ihres Vaters, in der Nähe wasserreicher
Quellen, im Schatten der Palmen eine glückliche Ju-
gend verlebte. Jmmer weiter entschwand das Land ih-
ren Blicken, bald ragten nur noch die Gipfel der
Berge aus dem blauen Meere heraus und als auch
sie schwanden, da sank das bleiche arabische Mädchen
ohnmächtig um und man mußte die Bewußtlose in die
Kajüte tragen. Hier blieb sie. Längst sah man Frank-
reichs Küste und den Hafen von Toulon; Sidiah lag
theilnahmlos in ihrer Hängematte. Wie verstört stieg
sie ins Boot, das sie ans Land führen sollte; das
fremde Leben ringsherum stürmte zu gewaltig auf sie
ein und sie schmiegte sich ängstlich an ihren Beschützer,
der sie ohne Aufenthalt nach dem Landsitze seiner Mut-
ter führte.

Es war ein wonniges Wiedersehen; Vater und
Mutter, Bruder und Schwester erdrückten fast den
heimkehrenden Eugen vor Liebe; nur Sidiah stand,
ein paar große Thränen im Auge, demüthig von fern
in der Thür, von Niemand gesehen, von Niemand
geherzt! Eugen mußte erzählen; er berichtete von sei-
nen letzten Schicksalen und wie er dem Tode nahe auf
dem Schlachtfelde am Atlas gelegen. "Jch war un-
fehlbar eine Beute des Todes", rief Eugen, "da ret-
tete mich dieses Mädchen. Die Araberin rettete den
Feind ihres Volks! Jhr dankt es, daß ihr mich lebend
in euren Armen haltet." Und hiermit zog er das
schüchterne Mädchen herbei und führte es zur Mutter,
die die Fremde herzlich in ihre Arme schloß, und zu
den Schwestern, die sie herzten und küßten.

Sidiah war wieder unter liebenden Menschen; aber
diese Menschen sprachen eine andere Sprache, hatten
andere Sitten, eine andere Religion. Das Mädchen
der Wüste zog sich still in sich selbst zurück, sie sprach
nicht, sie lachte nicht, und nur wenn Eugen zu ihr
trat und sie in der süßen Sprache der Heimat anre-
dete, flog ein Strahl heller Freude über ihr Gesicht.

Es war Eugen's Geburtstag. Eine große Anzahl
Gäste war versammelt; Sidiah sollte heute zum ersten
male in fränkischen Kleidern erscheinen. Man hatte
ihr die schönsten Gewänder ausgesucht, ihre Haare ge-
flochten, und die Kammerfrau ihrer Herrin war ganz
bezaubert von der in eine Französin umgewandelten
schönen Araberin. Die Gäste kamen; aber Sidiah war
verschwunden. Vergebens suchte man sie überall; end-
lich fand sie Eugen in einem entlegenen Stübchen des
Hauses in den Kleidern ihres Stammes. Sie warf
sich weinend Eugen zu Füßen, sie bat und beschwor
ihn, ihr die Kleider zu lassen, die sie daheim getra-
gen. "Mir ist in euerm Schmucke wie einer verpflanz-
ten Blume; ich würde welken und sterben wie sie."

Kopfschüttelnd ließ sie Eugen. Aber Sidiah konnte
in Frankreich keine Araberin bleiben; sie verstand we-
der zu lesen noch zu schreiben, sie war unwissend in
Allem wie ein Kind, sie war eine Mohammedanerin
[Spaltenumbruch] mitten unter Christen. Sidiah ward in ein Kloster
gethan, wo sie ihre Erziehung vollenden sollte. Nun
mußten die heimatlichen Kleider weichen; das Kind des
Scheikhs mußte eine civilisirte Europäerin werden.

Mit tiefem Schmerze mußte sie eine der alten hei-
matlichen Sitten nach der andern ablegen, selbst ihre
alten lieben Gebete und den heiligen Koran und die
geweihten Amulete, die sie um den Hals trug. Es
war ihr, als nähme man ein Stück von ihrem Leben
nach dem andern; sie schwieg und fügte sich in ihr
Schicksal. Aber doch saß sie manchmal Abends weh-
müthig im Garten, das Gesicht gen Mittag gewendet,
wo ihre Heimat war, und die Augen voll Thränen.

Jetzt war die Erziehung vollendet und der Tag
herbeigekommen, wo sie das Letzte, ihren Glauben und
ihren Namen, ablegen sollte. Es war ein feierlicher
Augenblick, als die blasse arabische Jungfrau, umge-
ben von Eugen's Familie, am Taufstein ihr christli-
ches Glaubensbekenntniß sprach und in der heiligen
Taufe den Namen Marie erhielt!

Sidiah, die wir jetzt Marie nennen müssen, kehrte
zurück in Eugen's älterliches Haus; sie war äußerlich
eine Europäerin geworden, aber ihre Lebenskraft war
geknickt. Wie die in fremde Erde verpflanzte Blume
nach heimatlicher Sonne und Luft sich sehnend ihr
Haupt senkt und, abnehmend an Farbe und Duft,
nach und nach eingeht, so schien auch Sidiah=Marie,
von einem unheilbaren Heimweh ergriffen, zu verwel-
ken. Die Sehnsucht nach den Palmen ihrer Heimat,
nach den Heerden und den väterlichen Zelten, nach
den engen, beschränkten Frauengemächern ihres Landes
erfaßte sie mitten in den glänzendsten Gesellschaften,
auf den belebten Promenaden, in dem Kreise der sie
liebenden Familie. Die Röthe der Wangen, der Glanz
der Augen, die Elasticität der jugendlichen Glieder
wichen vor einer Krankheit, die kein Arzt kannte, keine
Arznei heilen konnte, vor dem Heimweh, das das sonst
so blühende Mädchen der Wüste verzehrte. Die um
sie besorgte Familie war in der größten Angst, Eugen
in Verzweiflung; er hätte seine Lebensretterin so gern
glücklich gesehen, so gern glücklich gemacht. Aber Nie-
mand erfuhr, was ihr fehle. "Mir fehlt nichts, nichts,
sagte sie dem fragenden Eugen. Hast du nicht mei-
nen Vater begraben? O ich könnte für dich sterben!"

Dabei schwand ihre Lebenskraft sichtlich und die
Aerzte, die sich nicht mehr zu helfen wußten, riethen
eine Luftveränderung, eine Reise nach Afrika; vielleicht
daß unter dem heimatlichen Himmel die Kranke genese.

Eugen und seine Schwester begleiteten unsere Si-
diah=Marie, die todesmatt in Marseille ankam. Ein
Gasthof am Meere nahm sie auf. Man führte die
Kranke ans offene Fenster. Da lag das blaue reizende
Meer, das Afrikas, der Heimat Küsten, bespülte, und
laue Lüfte führten Hunderte von weißbeflügelten Schiffen
herein in den schützenden Hafen.

Oh, oh! seufzte die Kranke und ein freudiges Lä-
cheln umspielte ihren blassen Mund, das sind heimat-
liche Lüfte, da könnte ich gesund werden!

Bei dem geöffneten Fenster schlief sie sanft wie seit
lange nicht, als ein lautes Gemurmel fremdartiger
Stimmen in der Nebenstube unsern Eugen, der an
ihrem Bette saß, aufmerksam machte. Deutlich unter-
schied man die Worte des arabischen Gebets: "Gott
ist Gott und Mohammed sein Prophet." Eugen horchte
hoch auf; das waren Männer von Sidiah's Volke,
die ihren Gott nach Mohammed's Weise verehrten.
Waren es Stammesgenossen oder Fremde?

Eugen ging, sich zu erkundigen und ließ die
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]

Willst du mich nach Frankreich begleiten? Jch
habe eine Mutter, sie wird deine Mutter sein.

Sidiah ist deine Sklavin, sagte sie demüthig. Hast
du nicht meinen Vater begraben? Wo du hingehst,
will ich auch hingehen, deine Heimat soll meine Hei-
met sein.

Das Dampfschiff stieß ab vom Kai. Da lagen
die weißen dächerlosen Häuser Algiers an den Bergen
und spiegelten sich in dem blauen Meere, und drüber
herüber schauten die hohen Minarets und die schlan-
ken Palmen und in der Ferne die Gipfel des Atlas.
Lange stand Sidiah auf dem Verdeck und blickte star-
ren Auges hinüber nach den Bergen, wo sie unter
dem Zelte ihres Vaters, in der Nähe wasserreicher
Quellen, im Schatten der Palmen eine glückliche Ju-
gend verlebte. Jmmer weiter entschwand das Land ih-
ren Blicken, bald ragten nur noch die Gipfel der
Berge aus dem blauen Meere heraus und als auch
sie schwanden, da sank das bleiche arabische Mädchen
ohnmächtig um und man mußte die Bewußtlose in die
Kajüte tragen. Hier blieb sie. Längst sah man Frank-
reichs Küste und den Hafen von Toulon; Sidiah lag
theilnahmlos in ihrer Hängematte. Wie verstört stieg
sie ins Boot, das sie ans Land führen sollte; das
fremde Leben ringsherum stürmte zu gewaltig auf sie
ein und sie schmiegte sich ängstlich an ihren Beschützer,
der sie ohne Aufenthalt nach dem Landsitze seiner Mut-
ter führte.

Es war ein wonniges Wiedersehen; Vater und
Mutter, Bruder und Schwester erdrückten fast den
heimkehrenden Eugen vor Liebe; nur Sidiah stand,
ein paar große Thränen im Auge, demüthig von fern
in der Thür, von Niemand gesehen, von Niemand
geherzt! Eugen mußte erzählen; er berichtete von sei-
nen letzten Schicksalen und wie er dem Tode nahe auf
dem Schlachtfelde am Atlas gelegen. „Jch war un-
fehlbar eine Beute des Todes“, rief Eugen, „da ret-
tete mich dieses Mädchen. Die Araberin rettete den
Feind ihres Volks! Jhr dankt es, daß ihr mich lebend
in euren Armen haltet.“ Und hiermit zog er das
schüchterne Mädchen herbei und führte es zur Mutter,
die die Fremde herzlich in ihre Arme schloß, und zu
den Schwestern, die sie herzten und küßten.

Sidiah war wieder unter liebenden Menschen; aber
diese Menschen sprachen eine andere Sprache, hatten
andere Sitten, eine andere Religion. Das Mädchen
der Wüste zog sich still in sich selbst zurück, sie sprach
nicht, sie lachte nicht, und nur wenn Eugen zu ihr
trat und sie in der süßen Sprache der Heimat anre-
dete, flog ein Strahl heller Freude über ihr Gesicht.

Es war Eugen's Geburtstag. Eine große Anzahl
Gäste war versammelt; Sidiah sollte heute zum ersten
male in fränkischen Kleidern erscheinen. Man hatte
ihr die schönsten Gewänder ausgesucht, ihre Haare ge-
flochten, und die Kammerfrau ihrer Herrin war ganz
bezaubert von der in eine Französin umgewandelten
schönen Araberin. Die Gäste kamen; aber Sidiah war
verschwunden. Vergebens suchte man sie überall; end-
lich fand sie Eugen in einem entlegenen Stübchen des
Hauses in den Kleidern ihres Stammes. Sie warf
sich weinend Eugen zu Füßen, sie bat und beschwor
ihn, ihr die Kleider zu lassen, die sie daheim getra-
gen. „Mir ist in euerm Schmucke wie einer verpflanz-
ten Blume; ich würde welken und sterben wie sie.“

Kopfschüttelnd ließ sie Eugen. Aber Sidiah konnte
in Frankreich keine Araberin bleiben; sie verstand we-
der zu lesen noch zu schreiben, sie war unwissend in
Allem wie ein Kind, sie war eine Mohammedanerin
[Spaltenumbruch] mitten unter Christen. Sidiah ward in ein Kloster
gethan, wo sie ihre Erziehung vollenden sollte. Nun
mußten die heimatlichen Kleider weichen; das Kind des
Scheikhs mußte eine civilisirte Europäerin werden.

Mit tiefem Schmerze mußte sie eine der alten hei-
matlichen Sitten nach der andern ablegen, selbst ihre
alten lieben Gebete und den heiligen Koran und die
geweihten Amulete, die sie um den Hals trug. Es
war ihr, als nähme man ein Stück von ihrem Leben
nach dem andern; sie schwieg und fügte sich in ihr
Schicksal. Aber doch saß sie manchmal Abends weh-
müthig im Garten, das Gesicht gen Mittag gewendet,
wo ihre Heimat war, und die Augen voll Thränen.

Jetzt war die Erziehung vollendet und der Tag
herbeigekommen, wo sie das Letzte, ihren Glauben und
ihren Namen, ablegen sollte. Es war ein feierlicher
Augenblick, als die blasse arabische Jungfrau, umge-
ben von Eugen's Familie, am Taufstein ihr christli-
ches Glaubensbekenntniß sprach und in der heiligen
Taufe den Namen Marie erhielt!

Sidiah, die wir jetzt Marie nennen müssen, kehrte
zurück in Eugen's älterliches Haus; sie war äußerlich
eine Europäerin geworden, aber ihre Lebenskraft war
geknickt. Wie die in fremde Erde verpflanzte Blume
nach heimatlicher Sonne und Luft sich sehnend ihr
Haupt senkt und, abnehmend an Farbe und Duft,
nach und nach eingeht, so schien auch Sidiah=Marie,
von einem unheilbaren Heimweh ergriffen, zu verwel-
ken. Die Sehnsucht nach den Palmen ihrer Heimat,
nach den Heerden und den väterlichen Zelten, nach
den engen, beschränkten Frauengemächern ihres Landes
erfaßte sie mitten in den glänzendsten Gesellschaften,
auf den belebten Promenaden, in dem Kreise der sie
liebenden Familie. Die Röthe der Wangen, der Glanz
der Augen, die Elasticität der jugendlichen Glieder
wichen vor einer Krankheit, die kein Arzt kannte, keine
Arznei heilen konnte, vor dem Heimweh, das das sonst
so blühende Mädchen der Wüste verzehrte. Die um
sie besorgte Familie war in der größten Angst, Eugen
in Verzweiflung; er hätte seine Lebensretterin so gern
glücklich gesehen, so gern glücklich gemacht. Aber Nie-
mand erfuhr, was ihr fehle. „Mir fehlt nichts, nichts,
sagte sie dem fragenden Eugen. Hast du nicht mei-
nen Vater begraben? O ich könnte für dich sterben!“

Dabei schwand ihre Lebenskraft sichtlich und die
Aerzte, die sich nicht mehr zu helfen wußten, riethen
eine Luftveränderung, eine Reise nach Afrika; vielleicht
daß unter dem heimatlichen Himmel die Kranke genese.

Eugen und seine Schwester begleiteten unsere Si-
diah=Marie, die todesmatt in Marseille ankam. Ein
Gasthof am Meere nahm sie auf. Man führte die
Kranke ans offene Fenster. Da lag das blaue reizende
Meer, das Afrikas, der Heimat Küsten, bespülte, und
laue Lüfte führten Hunderte von weißbeflügelten Schiffen
herein in den schützenden Hafen.

Oh, oh! seufzte die Kranke und ein freudiges Lä-
cheln umspielte ihren blassen Mund, das sind heimat-
liche Lüfte, da könnte ich gesund werden!

Bei dem geöffneten Fenster schlief sie sanft wie seit
lange nicht, als ein lautes Gemurmel fremdartiger
Stimmen in der Nebenstube unsern Eugen, der an
ihrem Bette saß, aufmerksam machte. Deutlich unter-
schied man die Worte des arabischen Gebets: „Gott
ist Gott und Mohammed sein Prophet.“ Eugen horchte
hoch auf; das waren Männer von Sidiah's Volke,
die ihren Gott nach Mohammed's Weise verehrten.
Waren es Stammesgenossen oder Fremde?

Eugen ging, sich zu erkundigen und ließ die
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[46/0006] 46 Willst du mich nach Frankreich begleiten? Jch habe eine Mutter, sie wird deine Mutter sein. Sidiah ist deine Sklavin, sagte sie demüthig. Hast du nicht meinen Vater begraben? Wo du hingehst, will ich auch hingehen, deine Heimat soll meine Hei- met sein. Das Dampfschiff stieß ab vom Kai. Da lagen die weißen dächerlosen Häuser Algiers an den Bergen und spiegelten sich in dem blauen Meere, und drüber herüber schauten die hohen Minarets und die schlan- ken Palmen und in der Ferne die Gipfel des Atlas. Lange stand Sidiah auf dem Verdeck und blickte star- ren Auges hinüber nach den Bergen, wo sie unter dem Zelte ihres Vaters, in der Nähe wasserreicher Quellen, im Schatten der Palmen eine glückliche Ju- gend verlebte. Jmmer weiter entschwand das Land ih- ren Blicken, bald ragten nur noch die Gipfel der Berge aus dem blauen Meere heraus und als auch sie schwanden, da sank das bleiche arabische Mädchen ohnmächtig um und man mußte die Bewußtlose in die Kajüte tragen. Hier blieb sie. Längst sah man Frank- reichs Küste und den Hafen von Toulon; Sidiah lag theilnahmlos in ihrer Hängematte. Wie verstört stieg sie ins Boot, das sie ans Land führen sollte; das fremde Leben ringsherum stürmte zu gewaltig auf sie ein und sie schmiegte sich ängstlich an ihren Beschützer, der sie ohne Aufenthalt nach dem Landsitze seiner Mut- ter führte. Es war ein wonniges Wiedersehen; Vater und Mutter, Bruder und Schwester erdrückten fast den heimkehrenden Eugen vor Liebe; nur Sidiah stand, ein paar große Thränen im Auge, demüthig von fern in der Thür, von Niemand gesehen, von Niemand geherzt! Eugen mußte erzählen; er berichtete von sei- nen letzten Schicksalen und wie er dem Tode nahe auf dem Schlachtfelde am Atlas gelegen. „Jch war un- fehlbar eine Beute des Todes“, rief Eugen, „da ret- tete mich dieses Mädchen. Die Araberin rettete den Feind ihres Volks! 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Es war ihr, als nähme man ein Stück von ihrem Leben nach dem andern; sie schwieg und fügte sich in ihr Schicksal. Aber doch saß sie manchmal Abends weh- müthig im Garten, das Gesicht gen Mittag gewendet, wo ihre Heimat war, und die Augen voll Thränen. Jetzt war die Erziehung vollendet und der Tag herbeigekommen, wo sie das Letzte, ihren Glauben und ihren Namen, ablegen sollte. Es war ein feierlicher Augenblick, als die blasse arabische Jungfrau, umge- ben von Eugen's Familie, am Taufstein ihr christli- ches Glaubensbekenntniß sprach und in der heiligen Taufe den Namen Marie erhielt! Sidiah, die wir jetzt Marie nennen müssen, kehrte zurück in Eugen's älterliches Haus; sie war äußerlich eine Europäerin geworden, aber ihre Lebenskraft war geknickt. Wie die in fremde Erde verpflanzte Blume nach heimatlicher Sonne und Luft sich sehnend ihr Haupt senkt und, abnehmend an Farbe und Duft, nach und nach eingeht, so schien auch Sidiah=Marie, von einem unheilbaren Heimweh ergriffen, zu verwel- ken. Die Sehnsucht nach den Palmen ihrer Heimat, nach den Heerden und den väterlichen Zelten, nach den engen, beschränkten Frauengemächern ihres Landes erfaßte sie mitten in den glänzendsten Gesellschaften, auf den belebten Promenaden, in dem Kreise der sie liebenden Familie. Die Röthe der Wangen, der Glanz der Augen, die Elasticität der jugendlichen Glieder wichen vor einer Krankheit, die kein Arzt kannte, keine Arznei heilen konnte, vor dem Heimweh, das das sonst so blühende Mädchen der Wüste verzehrte. Die um sie besorgte Familie war in der größten Angst, Eugen in Verzweiflung; er hätte seine Lebensretterin so gern glücklich gesehen, so gern glücklich gemacht. Aber Nie- mand erfuhr, was ihr fehle. „Mir fehlt nichts, nichts, sagte sie dem fragenden Eugen. Hast du nicht mei- nen Vater begraben? O ich könnte für dich sterben!“ Dabei schwand ihre Lebenskraft sichtlich und die Aerzte, die sich nicht mehr zu helfen wußten, riethen eine Luftveränderung, eine Reise nach Afrika; vielleicht daß unter dem heimatlichen Himmel die Kranke genese. Eugen und seine Schwester begleiteten unsere Si- diah=Marie, die todesmatt in Marseille ankam. Ein Gasthof am Meere nahm sie auf. Man führte die Kranke ans offene Fenster. Da lag das blaue reizende Meer, das Afrikas, der Heimat Küsten, bespülte, und laue Lüfte führten Hunderte von weißbeflügelten Schiffen herein in den schützenden Hafen. Oh, oh! seufzte die Kranke und ein freudiges Lä- cheln umspielte ihren blassen Mund, das sind heimat- liche Lüfte, da könnte ich gesund werden! Bei dem geöffneten Fenster schlief sie sanft wie seit lange nicht, als ein lautes Gemurmel fremdartiger Stimmen in der Nebenstube unsern Eugen, der an ihrem Bette saß, aufmerksam machte. Deutlich unter- schied man die Worte des arabischen Gebets: „Gott ist Gott und Mohammed sein Prophet.“ Eugen horchte hoch auf; das waren Männer von Sidiah's Volke, die ihren Gott nach Mohammed's Weise verehrten. Waren es Stammesgenossen oder Fremde? Eugen ging, sich zu erkundigen und ließ die

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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Dritter Jahrgang, Nr. 110. Leipzig (Sachsen), 8. Frebruar 1855, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig110_1855/6>, abgerufen am 16.07.2024.