Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Dritter Jahrgang, Nr. 110. Leipzig (Sachsen), 8. Frebruar 1855.[Beginn Spaltensatz]
ach, der Kopf der theuern Leiche fehlte! Lautweinend Und als die Sonne heraufkam über die Gebirge, Demüthig folgte sie dem jungen Franzosen nach Sidiah hieß die junge Araberin, die durch ihre Nach Frankreich, nach dem schönen Frankreich! Sidiah, sagte eines Tages Eugen, ich reise in Sidiah erbleichte; sie hatte Niemand, Niemand in [Beginn Spaltensatz]
ach, der Kopf der theuern Leiche fehlte! Lautweinend Und als die Sonne heraufkam über die Gebirge, Demüthig folgte sie dem jungen Franzosen nach Sidiah hieß die junge Araberin, die durch ihre Nach Frankreich, nach dem schönen Frankreich! Sidiah, sagte eines Tages Eugen, ich reise in Sidiah erbleichte; sie hatte Niemand, Niemand in <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <p><pb facs="#f0005" n="45"/><fw type="pageNum" place="top">45</fw><cb type="start"/> ach, der Kopf der theuern Leiche fehlte! Lautweinend<lb/> warf sie sich nieder — sie hatte den Gesuchten gefun-<lb/> den, aber todt! Nur die letzte Pflicht konnte sie ihm<lb/> erweisen, sie konnte ihn begraben. Entschlossen stand<lb/> sie auf; ein zerbrochener Säbel sollte ihr als Grab-<lb/> scheit, die Hände ihr als Schaufel dienen; aber die<lb/> Arbeit ging über ihre Kräfte; todtmüde vor Anstren-<lb/> gung und Weinen sank sie bald kraftlos nieder neben<lb/> dem geliebten Leichnam. Da war es ihr, als ob ein<lb/> vernehmliches Seufzen ihr Ohr träfe. Sie horcht ge-<lb/> nauer hin, sie geht dem Tone nach; da liegt mitten<lb/><cb n="2"/> unter den Arabern ein junger Franzose, der, obschon<lb/> schwer verwundet, noch lebt. Das Mädchen schau-<lb/> dert: „Er hat vielleicht meinen Vater getödtet!“ Aber<lb/> bald gewinnt die Menschlichkeit die Oberhand; sie zieht<lb/> ein Fläschchen aus ihrem Gewande, wäscht dem Be-<lb/> wußtlosen die Schläfe mit Balsam und der Verwun-<lb/> dete erwacht endlich aus todtenähnlicher Ohnmacht.<lb/> Das arabische Mädchen zündet schnell ein Feuer an<lb/> und bald erholt sich der Franzose. Er fragt, er sieht<lb/> um sich, er erblickt das unvollendete Grab und den<lb/> Leichnam des Arabers, neben dem das fremde Mäd-<lb/><cb type="end"/> <figure/><lb/><cb type="start"/> chen weinend sitzt; er ahnt den ganzen Zusammenhang.<lb/> „Du hast mir das Leben gerettet“, spricht er, „ich<lb/> helfe dir deinen Vater begraben.“ Es gelingt den<lb/> vereinten Anstrengungen, und ehe noch der Morgen<lb/> graut, legen Beide den Leichnam in das frische Grab.</p><lb/> <p>Und als die Sonne heraufkam über die Gebirge,<lb/> da blitzten auf den nächsten Höhen Bayonnete, die<lb/> dreifarbige Fahne flatterte im Morgenwinde, die Fran-<lb/> zosen kamen siegreich zurück! Ein ganzer Stamm war<lb/> vernichtet — Männer, Frauen und Kinder; die ge-<lb/> raubten Heerden begleiteten die siegreichen Krieger. Die<lb/> junge Araberin, die zitternd neben dem verwundeten<lb/> Franzosen stand, als die Feinde sich nahten, erfuhr,<lb/> daß sie nicht blos den Vater, sondern Alles, Heimat,<lb/> Geschwister und Verwandte verloren hatte!</p><lb/> <p>Demüthig folgte sie dem jungen Franzosen nach<lb/> Algier. „Du hast meinen Vater begraben; ich bin<lb/> deine Sklavin.“</p><lb/> <cb n="2"/> <p>Sidiah hieß die junge Araberin, die durch ihre<lb/> Schönheit, ihre Trauer und ihre Ergebenheit in die<lb/> Schickungen Gottes allgemeines Aufsehen in Algier<lb/> machte, wo sie der Jüngling in einer befreundeten Fa-<lb/> milie untergebracht hatte. Der junge Franzose, Na-<lb/> mens Eugen, war Offizier und von angesehener Fa-<lb/> milie; aber die empfangenen Wunden machten ihn zu<lb/> längerm Militärdienst untüchtig und er bekam den<lb/> Abschied.</p><lb/> <p>Nach Frankreich, nach dem schönen Frankreich!<lb/> Wer sehnte sich nicht dahin aus dem heißen Brande<lb/> der Wüste, aus dem wilden, barbarischen Kriegsleben?<lb/> Aber was sollte aus der armen Sidiah werden, die<lb/> ihm das Leben gerettet?</p><lb/> <p>Sidiah, sagte eines Tages Eugen, ich reise in<lb/> meine Heimat.</p><lb/> <p>Sidiah erbleichte; sie hatte Niemand, Niemand in<lb/> der Welt.</p><lb/> <cb type="end"/> </div> </body> </text> </TEI> [45/0005]
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ach, der Kopf der theuern Leiche fehlte! Lautweinend
warf sie sich nieder — sie hatte den Gesuchten gefun-
den, aber todt! Nur die letzte Pflicht konnte sie ihm
erweisen, sie konnte ihn begraben. Entschlossen stand
sie auf; ein zerbrochener Säbel sollte ihr als Grab-
scheit, die Hände ihr als Schaufel dienen; aber die
Arbeit ging über ihre Kräfte; todtmüde vor Anstren-
gung und Weinen sank sie bald kraftlos nieder neben
dem geliebten Leichnam. Da war es ihr, als ob ein
vernehmliches Seufzen ihr Ohr träfe. Sie horcht ge-
nauer hin, sie geht dem Tone nach; da liegt mitten
unter den Arabern ein junger Franzose, der, obschon
schwer verwundet, noch lebt. Das Mädchen schau-
dert: „Er hat vielleicht meinen Vater getödtet!“ Aber
bald gewinnt die Menschlichkeit die Oberhand; sie zieht
ein Fläschchen aus ihrem Gewande, wäscht dem Be-
wußtlosen die Schläfe mit Balsam und der Verwun-
dete erwacht endlich aus todtenähnlicher Ohnmacht.
Das arabische Mädchen zündet schnell ein Feuer an
und bald erholt sich der Franzose. Er fragt, er sieht
um sich, er erblickt das unvollendete Grab und den
Leichnam des Arabers, neben dem das fremde Mäd-
[Abbildung]
chen weinend sitzt; er ahnt den ganzen Zusammenhang.
„Du hast mir das Leben gerettet“, spricht er, „ich
helfe dir deinen Vater begraben.“ Es gelingt den
vereinten Anstrengungen, und ehe noch der Morgen
graut, legen Beide den Leichnam in das frische Grab.
Und als die Sonne heraufkam über die Gebirge,
da blitzten auf den nächsten Höhen Bayonnete, die
dreifarbige Fahne flatterte im Morgenwinde, die Fran-
zosen kamen siegreich zurück! Ein ganzer Stamm war
vernichtet — Männer, Frauen und Kinder; die ge-
raubten Heerden begleiteten die siegreichen Krieger. Die
junge Araberin, die zitternd neben dem verwundeten
Franzosen stand, als die Feinde sich nahten, erfuhr,
daß sie nicht blos den Vater, sondern Alles, Heimat,
Geschwister und Verwandte verloren hatte!
Demüthig folgte sie dem jungen Franzosen nach
Algier. „Du hast meinen Vater begraben; ich bin
deine Sklavin.“
Sidiah hieß die junge Araberin, die durch ihre
Schönheit, ihre Trauer und ihre Ergebenheit in die
Schickungen Gottes allgemeines Aufsehen in Algier
machte, wo sie der Jüngling in einer befreundeten Fa-
milie untergebracht hatte. Der junge Franzose, Na-
mens Eugen, war Offizier und von angesehener Fa-
milie; aber die empfangenen Wunden machten ihn zu
längerm Militärdienst untüchtig und er bekam den
Abschied.
Nach Frankreich, nach dem schönen Frankreich!
Wer sehnte sich nicht dahin aus dem heißen Brande
der Wüste, aus dem wilden, barbarischen Kriegsleben?
Aber was sollte aus der armen Sidiah werden, die
ihm das Leben gerettet?
Sidiah, sagte eines Tages Eugen, ich reise in
meine Heimat.
Sidiah erbleichte; sie hatte Niemand, Niemand in
der Welt.
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