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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 47. Stuttgart/Tübingen, 23. November 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Näheres über Stellung, Person und Namen Jhres
Auftraggebers mittheilen wollten; denn Chatterton, wie
er sich unterzeichnet, ist unbekannt und jedenfalls ein
Pseudonym, hinter welchem sich ein in der Geschichts-
wissenschaft bekannter Gelehrter verbirgt." -- "Jch be-
daure," erwiederte Smith bestimmt, "daß mir die Er-
füllung dieses Wunsches unmöglich ist."

"Wenige Dinge," lächelte der Ritter, "fast gar
keine auf der Welt, sind unmöglich, vorausgesetzt, daß
sie von dem Willen der Menschen abhängen. Wir ha-
ben ein großes Jnteresse an der persönlichen Bekannt-
schaft jenes Geheimnißvollen, und wer uns dazu ver-
helfen wollte, könnte auch von uns einen Dienst ver-
langen. Wenn Sie also, Herr Smith, etwas für sich
oder für Jhre Familie oder Freunde zu wünschen hätten,
wozu ich Jhnen bei Hof oder sonst dienlich seyn kann,
so lassen Sie uns zunächst davon reden."

"Jch habe nichts zu bitten, gnädiger Herr," er-
wiederte der junge Künstler, "um so weniger, als ich
Jhnen über Jhren Correspondenten nichts sagen kann,
da ich denselben gar nicht kenne. Mein Auftrag ist mir
durch einen Dritten geworden." -- Walpole sah den
Jüngling halb mißtrauisch, halb mit der Miene ge-
täuschter Erwartung an.

"Mein Auftrag," fuhr Smith fort, "geht dahin,
Jhre Meinung über diese Gedichte zu erfahren. Das
erste Stück hier betrifft die Schlacht von Hastings, das
andere enthält die Hauptstellen aus einer historischen
Tragödie."

"Jch halte mich zunächst an das erste," sagte
Walpole, das betreffende Papier vornehmend, "während
sich unsere schöne Freundin vielleicht mit dem andern
Stoff unterhalten wird, welcher ihrer künstlerischen Be-
schäftigung so nahe liegt." -- "Jch würde es gern,"
meinte die Schauspielerin, nachdem sie einen Blick in
die Manuscripte geworfen hatte, "allein ich fürchte
diese alterthümliche Sprache nicht zu verstehen."

"Es ist nicht so schwierig, wie Sie denken," ver-
setzte der Ritter; "der Unterschied von der heutigen
Sprache ist gering. Alterthümliche Endungen, ein paar
vergessene Worte, einige französische Elemente, welche
Jhnen, die Sie die anmuthigste Sprache der Welt an-
muthig zu sprechen wissen, keine Schwierigkeit machen
werden -- das ist alles."

Bald waren beide in die Lektüre der von Smith
überbrachten Schriftstücke vertieft, während sich dieser
mit Betrachtung bald der landschaftlichen Umgebung
des Erdbeerenbergs, bald der im Empfangzimmer zur
Schau gestellten mannigfachen Curiositäten unterhielt
und dabei den Eindruck beobachtete, welchen Toms Ge-
dichte auf den Ritter und die Schauspielerin machten.

[Spaltenumbruch]

Walpole zeigte sich bald sehr befriedigt und be-
gann seinen Eindrücken in abgerissenen, halblauten
Sätzen Ausdruck zu geben. "Ein stolzes Thema," sagte
er, "hat sich der alte Dichter gewählt und es stolz be-
handelt! -- Schön! beginnt mit einer Anrufung der
Wahrheit! Das ist originell für einen Poeten, denn
für ihn ist die Lüge die erste Stufe seiner Kunst. Nacht-
scene -- Trunkenheit -- Scharmützel -- vortreffliche
Episode, verräth nur ein wenig das antike Vorbild, den
Virgil. -- Aber," rief er plötzlich laut, "welches Ta-
lent der Beschreibung! Erlauben Sie mir Sie einen
Augenblick zu unterbrechen, schöne Freundin, um Jhnen
Stellen vorzutragen von so kräftiger Einfachheit, wie
nur die wilden Balladen vom englisch schottischen Grenz-
krieg und dem rauhen Jäger Robin in den Wäldern
des Nordens sie aufweisen. Hören Sie nur:

" Auch Herzog Wilhelm ordnete sein Heer
Jn Schlachtreih'n auf dem Plan, geschickt und klug.
Zuvorderst stand der Armbrustschützen Wehr,
Demnächst von wackern Rittern kam ein Zug
Zu Roß und mit dem Bogen wohlbekannt.
Ein Speer an jedem Sattelbogen hing,
Und einen trug ein Schildknapp in der Hand,
Der neben seinem Herrn zu Fuße ging.
Und spricht zu ihm: "Eil' hin zu Harold, frommer Mann,
Und sprich: Er wähle eines sich von drei'n,
Daß als Vasall er leiste Lehenspflicht,
Daß er mich setze sich zum Erben ein,
Daß er den Papst erkenn' als Schiedsgericht."

"Sehr schön und ganz historisch! -- Und nun der
Kampf! -- eine Reihe von Einzelgefechten! -- Ganz
homerisch, wie nach dem Kampf um die Schiffe, wo
der lokrische Ajax flüchtigen Fußes hervorspringt, um
den entrinnenden Feinden den Pfeil nachzusenden und
das Schwert in den Nacken zu hauen. Hören Sie noch
diese Stelle!"

" Nochmals entflog der leichtbeschwingte Pfeil
Vom straffen Bogen Wilhelms mit Gewalt
Und schoß hernieder wie ein Donnerkeil,
Wenn Mittags ein Gewitter dröhnend hallt,
Und dort traf das Geschoß auf Algar's Schild,
Fuhr mitten durch und in die Weichen dann;
Da krümmt sich hin in Pein auf dem Gefild,
Bis mild der Tod ihn heilt, der wunde Mann."

"Vortrefflich! Homer und Virgil haben nichts
Besseres gemacht. Und sieh, mitten im Gewühl un-
terbricht er sich wie jene, um uns in kurzer und rüh-
render Episode etwas von der Heimath und der Familie
der Helden zu berichten, deren Thaten und Schicksale
er melden will:"

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Näheres über Stellung, Person und Namen Jhres
Auftraggebers mittheilen wollten; denn Chatterton, wie
er sich unterzeichnet, ist unbekannt und jedenfalls ein
Pseudonym, hinter welchem sich ein in der Geschichts-
wissenschaft bekannter Gelehrter verbirgt.“ — „Jch be-
daure,“ erwiederte Smith bestimmt, „daß mir die Er-
füllung dieses Wunsches unmöglich ist.“

„Wenige Dinge,“ lächelte der Ritter, „fast gar
keine auf der Welt, sind unmöglich, vorausgesetzt, daß
sie von dem Willen der Menschen abhängen. Wir ha-
ben ein großes Jnteresse an der persönlichen Bekannt-
schaft jenes Geheimnißvollen, und wer uns dazu ver-
helfen wollte, könnte auch von uns einen Dienst ver-
langen. Wenn Sie also, Herr Smith, etwas für sich
oder für Jhre Familie oder Freunde zu wünschen hätten,
wozu ich Jhnen bei Hof oder sonst dienlich seyn kann,
so lassen Sie uns zunächst davon reden.“

„Jch habe nichts zu bitten, gnädiger Herr,“ er-
wiederte der junge Künstler, „um so weniger, als ich
Jhnen über Jhren Correspondenten nichts sagen kann,
da ich denselben gar nicht kenne. Mein Auftrag ist mir
durch einen Dritten geworden.“ — Walpole sah den
Jüngling halb mißtrauisch, halb mit der Miene ge-
täuschter Erwartung an.

„Mein Auftrag,“ fuhr Smith fort, „geht dahin,
Jhre Meinung über diese Gedichte zu erfahren. Das
erste Stück hier betrifft die Schlacht von Hastings, das
andere enthält die Hauptstellen aus einer historischen
Tragödie.“

„Jch halte mich zunächst an das erste,“ sagte
Walpole, das betreffende Papier vornehmend, „während
sich unsere schöne Freundin vielleicht mit dem andern
Stoff unterhalten wird, welcher ihrer künstlerischen Be-
schäftigung so nahe liegt.“ — „Jch würde es gern,“
meinte die Schauspielerin, nachdem sie einen Blick in
die Manuscripte geworfen hatte, „allein ich fürchte
diese alterthümliche Sprache nicht zu verstehen.“

„Es ist nicht so schwierig, wie Sie denken,“ ver-
setzte der Ritter; „der Unterschied von der heutigen
Sprache ist gering. Alterthümliche Endungen, ein paar
vergessene Worte, einige französische Elemente, welche
Jhnen, die Sie die anmuthigste Sprache der Welt an-
muthig zu sprechen wissen, keine Schwierigkeit machen
werden — das ist alles.“

Bald waren beide in die Lektüre der von Smith
überbrachten Schriftstücke vertieft, während sich dieser
mit Betrachtung bald der landschaftlichen Umgebung
des Erdbeerenbergs, bald der im Empfangzimmer zur
Schau gestellten mannigfachen Curiositäten unterhielt
und dabei den Eindruck beobachtete, welchen Toms Ge-
dichte auf den Ritter und die Schauspielerin machten.

[Spaltenumbruch]

Walpole zeigte sich bald sehr befriedigt und be-
gann seinen Eindrücken in abgerissenen, halblauten
Sätzen Ausdruck zu geben. „Ein stolzes Thema,“ sagte
er, „hat sich der alte Dichter gewählt und es stolz be-
handelt! — Schön! beginnt mit einer Anrufung der
Wahrheit! Das ist originell für einen Poeten, denn
für ihn ist die Lüge die erste Stufe seiner Kunst. Nacht-
scene — Trunkenheit — Scharmützel — vortreffliche
Episode, verräth nur ein wenig das antike Vorbild, den
Virgil. — Aber,“ rief er plötzlich laut, „welches Ta-
lent der Beschreibung! Erlauben Sie mir Sie einen
Augenblick zu unterbrechen, schöne Freundin, um Jhnen
Stellen vorzutragen von so kräftiger Einfachheit, wie
nur die wilden Balladen vom englisch schottischen Grenz-
krieg und dem rauhen Jäger Robin in den Wäldern
des Nordens sie aufweisen. Hören Sie nur:

„ Auch Herzog Wilhelm ordnete sein Heer
Jn Schlachtreih'n auf dem Plan, geschickt und klug.
Zuvorderst stand der Armbrustschützen Wehr,
Demnächst von wackern Rittern kam ein Zug
Zu Roß und mit dem Bogen wohlbekannt.
Ein Speer an jedem Sattelbogen hing,
Und einen trug ein Schildknapp in der Hand,
Der neben seinem Herrn zu Fuße ging.
Und spricht zu ihm: „Eil' hin zu Harold, frommer Mann,
Und sprich: Er wähle eines sich von drei'n,
Daß als Vasall er leiste Lehenspflicht,
Daß er mich setze sich zum Erben ein,
Daß er den Papst erkenn' als Schiedsgericht.“

„Sehr schön und ganz historisch! — Und nun der
Kampf! — eine Reihe von Einzelgefechten! — Ganz
homerisch, wie nach dem Kampf um die Schiffe, wo
der lokrische Ajax flüchtigen Fußes hervorspringt, um
den entrinnenden Feinden den Pfeil nachzusenden und
das Schwert in den Nacken zu hauen. Hören Sie noch
diese Stelle!“

„ Nochmals entflog der leichtbeschwingte Pfeil
Vom straffen Bogen Wilhelms mit Gewalt
Und schoß hernieder wie ein Donnerkeil,
Wenn Mittags ein Gewitter dröhnend hallt,
Und dort traf das Geschoß auf Algar's Schild,
Fuhr mitten durch und in die Weichen dann;
Da krümmt sich hin in Pein auf dem Gefild,
Bis mild der Tod ihn heilt, der wunde Mann.“

„Vortrefflich! Homer und Virgil haben nichts
Besseres gemacht. Und sieh, mitten im Gewühl un-
terbricht er sich wie jene, um uns in kurzer und rüh-
render Episode etwas von der Heimath und der Familie
der Helden zu berichten, deren Thaten und Schicksale
er melden will:“

[Ende Spaltensatz]
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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 47. Stuttgart/Tübingen, 23. November 1856, S. 1113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt47_1856/9>, abgerufen am 21.11.2024.