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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Soldaten verargen, wenn er diesen Enthusiasmus ernstlich
nimmt und glaubt, daß derselbe nie enden könne? daß er
auf die Lorbeern vertraut, welche die Dame aus ihren
schönen Händen auf ihn hat fallen lassen? Jn dieser Hin-
sicht folgt er ganz dem Beispiele seiner Offiziere. Auch
sie leben in Saus und Braus und glauben noch immer,
sie können wirklich die Herzen all der reichen Ladies ge-
winnen, deren Einbildungskraft sie bereits für sich ge-
wonnen hatten durch die Berichte, welche die Journale
von ihrer Tapferkeit und ihren Leiden täglich zu bringen
pflegten. Die Thoren! Sie vergessen, daß Offizier und
Gentleman in England nichts gilt, ohne die " property,"
die hinter ihm stehen muß, da er alle Grade, die kleinste
Beförderung, mit baarem Gelde zu erkaufen hat, und daß
er mit aller bewiesenen Tapferkeit keinen Schritt im Le-
ben vorwärts thun kann, wenn er nicht der Aristokratie
angehört oder diesen Mangel durch Reichthum ersetzt.

Der verabschiedete Soldat in England fällt gewöhn-
lich dem härtesten Mangel anheim, da ihm jede Aussicht
auf bürgerliche Versorgung von vornherein abgeschnitten
und er durch die lange Dienstzeit zu jeder sonstigen stäti-
gen Beschäftigung unfähig geworden ist. Die geringen
Civilämter werden meist, wie auf dem Continente, un-
mittelbar vom Staate als Belohnung geleisteter Dienste
an verabschiedete Soldaten oder Unteroffiziere vergeben.
Jedes Parlamentsglied hat eine gewisse Anzahl von Per-
sonen auf seiner Liste, die er zu den vakant gewordenen
Plätzen dem betreffenden Minister empfiehlt. Der Depu-
tirte muß vor allen Dingen darauf sehen, daß er mit
seinen Wählern in gutem Vernehmen bleibt, und die
Wähler machen es dem Deputirten zur Bedingung, daß
er diesen oder jenen Angehörigen dem Minister zu diesem
oder jenem Platze empfehle. Die Menschen, die eben,
weil außer aller gesellschaftlichen Verbindung stehend,
den Soldatenstand als letztes Mittel ergriffen haben, kön-
nen so wenig auf die Protektion des Deputirten, als
auf die des Ministers Anspruch machen. Die " Connexio-
nen " sind Alles in England, und der Soldat ist gerade
der Mann, der dergleichen am wenigsten hat. Seine
einzigen Connexionen sind Weib und Kinder; aber dieß
macht die Sache nur noch schlimmer für ihn. Also von
Civilversorgung kann für den Soldaten keine Rede seyn,
und trotz allem Enthusiasmus, den die Engländer sammt
Moses und Sohn den heimkehrenden Kriegern bewiesen
haben, werden sie doch ihre Jnteressen nicht so weit ver-
gessen, daß sie auf einmal die Routine bei Seite setzen
und freundlose Leute zu Aemtern befördern sollten, die
bereits für ihre eigenen Schützlinge in Anspruch genom-
men sind. Wenn man auf dem Continent nach überstan-
dener Dienstzeit im Militärstande verbleibt, so geschieht
es größtentheils in der Aussicht auf eine Civilversorgung.
Diese Aussicht ist nicht allein den englischen Soldaten
abgeschnitten, die militärische Laufbahn ist an und für
sich ein Grund, der sie von solcher Versorgung ausschließt.
Jn England wird, wie gesagt, nur Soldat, wer in allen
[Spaltenumbruch] andern Ständen kein Unterkommen mehr finden kann.
Der Soldatenstand ist der letzte Stand, zu dem man seine
Zuflucht nimmt. Aus dem Dienste entlassen, stehen die
Soldaten nicht allein ohne Stand, ohne Versorgung,
ohne Beschäftigung und ohne Arbeit da, sondern der
Engländer scheut sich ordentlich, ihnen Beschäftigung und
Arbeit zu geben. Wären sie früher zu irgend etwas
tauglich gewesen, heißt es, so hätten sie nicht nöthig ge-
habt, Soldaten zu werden, und jetzt, wo sie aus dem
Stande treten, ist am allerwenigsten zu vermuthen, daß
sie sich zu einer bürgerlichen Beschäftigung eignen. So
lange der Enthusiasmus anhält, will der Engländer ihnen
gerne Bier und Tabak vollauf zu Theil werden lassen,
und hat seine Freude an ihnen, wenn sie von Laufgräben
und Russen, Bomben und Granaten erzählen. Aber dieser
Enthusiasmus erstreckt sich nicht über das public-house;
über den Tanz = oder Concertsaal hinaus, und in die
wirklichen Geschäfte verliert sich von der Begeisterung
für Kriegs= und Heldenthaten kein Atom hinüber. Die
Ehrenzeichen lassen sich nicht so leicht escomptiren, als
die jährliche Pension, und die jährlichen Pensionen haben
die geschäftskundigen Moses bereits mit großem Profit
an sich zu ziehen gewußt. Es ist allerdings eine schöne
Sache um die Herzen der Damen, die so freigebig mit
Lorbeern und Lächeln gewesen; aber diese Lorbeere und
dieses Lächeln sind eben nicht kostspielig, und für die
übrigen guten Dinge, welche die Engländer durch ihren
Handel und ihre Jndustrie in so reichlichem Maaße zu
beschaffen wissen, hängen die Weider von der Kasse der
Männer ab, und sie können mit denselben nicht so frei-
gebig seyn, als mit ihrem Herzen, ihrem Lächeln und
ihren Lorbeern.

Die Engländer sehen sich daher in keine geringe Ver-
legenheit versetzt, wenn es sich darum handelt, für ihre
entlassenen oder verabschiedeten Helden ein Unterkommen
zu finden. Für die Krüppel oder Verstümmelte brauchen
sie allerdings keine Sorge zu tragen; diese wissen sich am
besten selbst durchzuhelfen, da sie, wie gesagt, bei jeder
öffentlichen Schaustellung figuriren können. Sehen wir
nicht Hunderte und Tausende von Matrosen, die ein gutes
Einkommen von ihren verstümmelten Gliedern ziehen, und
sind die Verstümmelten aus der Krimm nicht hundertmal
interessanter als die auf gewöhnliche Weise verstümmelten
Matrosen? Auch für die Todten braucht der Staat so
wenig zu sorgen, als die Privaten. Die Todten stehen
sich in dieser Hinsicht am besten, wenn sie das Glück ge-
habt haben, im Augenblick zu sterben, wo der Krieg am
stärksten wüthete und die Aristokratie und Büreaukratie
nicht Kopf genug hatten, für die gewöhnlichsten Bedürf-
nisse der Soldaten zu sorgen. Da bildete sich der " pa-
triotic funds
" zur Unterstützung der Wittwen und Waisen
der Gefallenen. Das war, wie gesagt, während des Kriegs
selbst, und im Augenblick, wo die Bürger noch Dienst-
leistungen von den Soldaten zu erwarten hatten, um
durch Handel und Jndustrie die guten Dinge des Lebens
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Soldaten verargen, wenn er diesen Enthusiasmus ernstlich
nimmt und glaubt, daß derselbe nie enden könne? daß er
auf die Lorbeern vertraut, welche die Dame aus ihren
schönen Händen auf ihn hat fallen lassen? Jn dieser Hin-
sicht folgt er ganz dem Beispiele seiner Offiziere. Auch
sie leben in Saus und Braus und glauben noch immer,
sie können wirklich die Herzen all der reichen Ladies ge-
winnen, deren Einbildungskraft sie bereits für sich ge-
wonnen hatten durch die Berichte, welche die Journale
von ihrer Tapferkeit und ihren Leiden täglich zu bringen
pflegten. Die Thoren! Sie vergessen, daß Offizier und
Gentleman in England nichts gilt, ohne die » property
die hinter ihm stehen muß, da er alle Grade, die kleinste
Beförderung, mit baarem Gelde zu erkaufen hat, und daß
er mit aller bewiesenen Tapferkeit keinen Schritt im Le-
ben vorwärts thun kann, wenn er nicht der Aristokratie
angehört oder diesen Mangel durch Reichthum ersetzt.

Der verabschiedete Soldat in England fällt gewöhn-
lich dem härtesten Mangel anheim, da ihm jede Aussicht
auf bürgerliche Versorgung von vornherein abgeschnitten
und er durch die lange Dienstzeit zu jeder sonstigen stäti-
gen Beschäftigung unfähig geworden ist. Die geringen
Civilämter werden meist, wie auf dem Continente, un-
mittelbar vom Staate als Belohnung geleisteter Dienste
an verabschiedete Soldaten oder Unteroffiziere vergeben.
Jedes Parlamentsglied hat eine gewisse Anzahl von Per-
sonen auf seiner Liste, die er zu den vakant gewordenen
Plätzen dem betreffenden Minister empfiehlt. Der Depu-
tirte muß vor allen Dingen darauf sehen, daß er mit
seinen Wählern in gutem Vernehmen bleibt, und die
Wähler machen es dem Deputirten zur Bedingung, daß
er diesen oder jenen Angehörigen dem Minister zu diesem
oder jenem Platze empfehle. Die Menschen, die eben,
weil außer aller gesellschaftlichen Verbindung stehend,
den Soldatenstand als letztes Mittel ergriffen haben, kön-
nen so wenig auf die Protektion des Deputirten, als
auf die des Ministers Anspruch machen. Die „ Connexio-
nen “ sind Alles in England, und der Soldat ist gerade
der Mann, der dergleichen am wenigsten hat. Seine
einzigen Connexionen sind Weib und Kinder; aber dieß
macht die Sache nur noch schlimmer für ihn. Also von
Civilversorgung kann für den Soldaten keine Rede seyn,
und trotz allem Enthusiasmus, den die Engländer sammt
Moses und Sohn den heimkehrenden Kriegern bewiesen
haben, werden sie doch ihre Jnteressen nicht so weit ver-
gessen, daß sie auf einmal die Routine bei Seite setzen
und freundlose Leute zu Aemtern befördern sollten, die
bereits für ihre eigenen Schützlinge in Anspruch genom-
men sind. Wenn man auf dem Continent nach überstan-
dener Dienstzeit im Militärstande verbleibt, so geschieht
es größtentheils in der Aussicht auf eine Civilversorgung.
Diese Aussicht ist nicht allein den englischen Soldaten
abgeschnitten, die militärische Laufbahn ist an und für
sich ein Grund, der sie von solcher Versorgung ausschließt.
Jn England wird, wie gesagt, nur Soldat, wer in allen
[Spaltenumbruch] andern Ständen kein Unterkommen mehr finden kann.
Der Soldatenstand ist der letzte Stand, zu dem man seine
Zuflucht nimmt. Aus dem Dienste entlassen, stehen die
Soldaten nicht allein ohne Stand, ohne Versorgung,
ohne Beschäftigung und ohne Arbeit da, sondern der
Engländer scheut sich ordentlich, ihnen Beschäftigung und
Arbeit zu geben. Wären sie früher zu irgend etwas
tauglich gewesen, heißt es, so hätten sie nicht nöthig ge-
habt, Soldaten zu werden, und jetzt, wo sie aus dem
Stande treten, ist am allerwenigsten zu vermuthen, daß
sie sich zu einer bürgerlichen Beschäftigung eignen. So
lange der Enthusiasmus anhält, will der Engländer ihnen
gerne Bier und Tabak vollauf zu Theil werden lassen,
und hat seine Freude an ihnen, wenn sie von Laufgräben
und Russen, Bomben und Granaten erzählen. Aber dieser
Enthusiasmus erstreckt sich nicht über das public-house;
über den Tanz = oder Concertsaal hinaus, und in die
wirklichen Geschäfte verliert sich von der Begeisterung
für Kriegs= und Heldenthaten kein Atom hinüber. Die
Ehrenzeichen lassen sich nicht so leicht escomptiren, als
die jährliche Pension, und die jährlichen Pensionen haben
die geschäftskundigen Moses bereits mit großem Profit
an sich zu ziehen gewußt. Es ist allerdings eine schöne
Sache um die Herzen der Damen, die so freigebig mit
Lorbeern und Lächeln gewesen; aber diese Lorbeere und
dieses Lächeln sind eben nicht kostspielig, und für die
übrigen guten Dinge, welche die Engländer durch ihren
Handel und ihre Jndustrie in so reichlichem Maaße zu
beschaffen wissen, hängen die Weider von der Kasse der
Männer ab, und sie können mit denselben nicht so frei-
gebig seyn, als mit ihrem Herzen, ihrem Lächeln und
ihren Lorbeern.

Die Engländer sehen sich daher in keine geringe Ver-
legenheit versetzt, wenn es sich darum handelt, für ihre
entlassenen oder verabschiedeten Helden ein Unterkommen
zu finden. Für die Krüppel oder Verstümmelte brauchen
sie allerdings keine Sorge zu tragen; diese wissen sich am
besten selbst durchzuhelfen, da sie, wie gesagt, bei jeder
öffentlichen Schaustellung figuriren können. Sehen wir
nicht Hunderte und Tausende von Matrosen, die ein gutes
Einkommen von ihren verstümmelten Gliedern ziehen, und
sind die Verstümmelten aus der Krimm nicht hundertmal
interessanter als die auf gewöhnliche Weise verstümmelten
Matrosen? Auch für die Todten braucht der Staat so
wenig zu sorgen, als die Privaten. Die Todten stehen
sich in dieser Hinsicht am besten, wenn sie das Glück ge-
habt haben, im Augenblick zu sterben, wo der Krieg am
stärksten wüthete und die Aristokratie und Büreaukratie
nicht Kopf genug hatten, für die gewöhnlichsten Bedürf-
nisse der Soldaten zu sorgen. Da bildete sich der » pa-
triotic funds
« zur Unterstützung der Wittwen und Waisen
der Gefallenen. Das war, wie gesagt, während des Kriegs
selbst, und im Augenblick, wo die Bürger noch Dienst-
leistungen von den Soldaten zu erwarten hatten, um
durch Handel und Jndustrie die guten Dinge des Lebens
[Ende Spaltensatz]

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Es ist allerdings eine schöne Sache um die Herzen der Damen, die so freigebig mit Lorbeern und Lächeln gewesen; aber diese Lorbeere und dieses Lächeln sind eben nicht kostspielig, und für die übrigen guten Dinge, welche die Engländer durch ihren Handel und ihre Jndustrie in so reichlichem Maaße zu beschaffen wissen, hängen die Weider von der Kasse der Männer ab, und sie können mit denselben nicht so frei- gebig seyn, als mit ihrem Herzen, ihrem Lächeln und ihren Lorbeern. Die Engländer sehen sich daher in keine geringe Ver- legenheit versetzt, wenn es sich darum handelt, für ihre entlassenen oder verabschiedeten Helden ein Unterkommen zu finden. Für die Krüppel oder Verstümmelte brauchen sie allerdings keine Sorge zu tragen; diese wissen sich am besten selbst durchzuhelfen, da sie, wie gesagt, bei jeder öffentlichen Schaustellung figuriren können. Sehen wir nicht Hunderte und Tausende von Matrosen, die ein gutes Einkommen von ihren verstümmelten Gliedern ziehen, und sind die Verstümmelten aus der Krimm nicht hundertmal interessanter als die auf gewöhnliche Weise verstümmelten Matrosen? Auch für die Todten braucht der Staat so wenig zu sorgen, als die Privaten. Die Todten stehen sich in dieser Hinsicht am besten, wenn sie das Glück ge- habt haben, im Augenblick zu sterben, wo der Krieg am stärksten wüthete und die Aristokratie und Büreaukratie nicht Kopf genug hatten, für die gewöhnlichsten Bedürf- nisse der Soldaten zu sorgen. Da bildete sich der » pa- triotic funds « zur Unterstützung der Wittwen und Waisen der Gefallenen. Das war, wie gesagt, während des Kriegs selbst, und im Augenblick, wo die Bürger noch Dienst- leistungen von den Soldaten zu erwarten hatten, um durch Handel und Jndustrie die guten Dinge des Lebens

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856, S. 813. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt34_1856/21>, abgerufen am 14.06.2024.