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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856.

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[Beginn Spaltensatz] immer reichlicher beschaffen zu können. Für die Wittwen
und Waisen der Gefallenen ist also ebenfalls gesorgt.
Wer sich am schlechtesten steht, das sind alle, die ganz
und unbeschädigt aus der Krimm zurückgekehrt sind, und
die, als sie in "Gesundheit und voller Kraft" vor den Fen-
stern der Ladies vorüberzogen, mit solch allgemeinen
Enthusiasmus empfangen worden sind.

Man weiß, welche Mühe es die Engländer gekostet
hat, eine Miliz zusammen zu bringen. Es scheint nun,
daß die Entlassung derselben mit noch größerer Beschwerde
verbunden ist. Alle diese Leute stehen vom Augenblick,
wo sie aus dem Dienste treten, standlos, geldlos da, aller
[Spaltenumbruch] Mittel beraubt, ein Unterkommen zu finden. Die Ent-
lassung eines Regiments in Jrland hat bereits zu einem
Aufstande geführt. Die Leute hatten auf längere Dienst-
zeit gerechnet, und glaubten nicht, daß man ihnen die
Kosten für die Ausrüstung von ihrem Solde und ihrer
" bounty " ( Handgeld ) abziehen würde, so daß ihnen, als
sie austraten, nicht allein nichts zu gute kam, sondern
sie so zu sagen kleider= und schuhlos dastanden. Es kam
zu blutigen Auftritten zwischen ihnen und den regulären
Truppen, und sie konnten bloß durch Gewalt gezwungen
werden, ihre Waffen auszuliefern.

[Ende Spaltensatz]



Rorschach, August.

Lindau. -- Villen am Bodensee. -- Der Lindenhof. -- Rorschach. -- Pensionen.

[Beginn Spaltensatz]

Die Eisenbahnen haben alle Entfernungen verschlun-
gen. Wie man sonst ein Landhaus bezog, um der schwü-
len Sommerluft einer großen Stadt zu entgehen, so eilt
man jetzt in ferne Länder, sucht die Küsten der Nord-
und Ostsee, miethet eine Wohnung auf dem Harz, im
Riesengebirge, am Genfer See, und wählt mit jedem
kommenden Frühling einen andern schönen Punkt. Man
sucht neue Eindrücke, aber bald findet man sie nicht
mehr. Trachten, Sitten, Gebräuche, alles gleicht sich
aus durch diese gesteigerte Reiselust, und bald wird man
sagen können, wohin man auch gehe: c'est tout comme
chez nous
. -- Dresden und seine Nachbarschaft bieten der
schönen Punkte so viele; aber man ist daran gewöhnt,
man will etwas anderes. Die Eisenbahn führt in gerader
Linie an den Bodensee; warum nicht dorthin gehen, um
sich die heißen Tage des Juli und August erträglich zu
machen? -- Wir erreichen Lindau in dreißig Stunden.
Die kleine Stadt, auf einer Jnsel des Bodensees erbaut,
nennt sich das Venedig des Nordens. Diese Benennung
verdient es in dem Sinne seines Abgeschlossenseyns vom
Continent; denn allerdings hängt es nur durch zwei
Brücken mit demselben zusammen, die eine von Holz für
den Fußgänger, die andere kürzlich eröffnet, um die Ei-
senbahn in das Herz der Jnsel zu führen. Vom sehr ge-
schmackvollen Bahnhof geht man in das gegenüber ge-
legene schöne Hotel zum Bayerischen Hof und blickt aus
den Fenstern des Speisezimmers auf das weite Becken
der Bodensees, mit seinen bald blau, bald smaragdgrün
gefärbten Wassern, die hier von hohen Bergen umschlossen
sind, über welche das schneebedeckte Haupt des Säntis
[Spaltenumbruch] ernst hervorragt. Es ist eine sehr schöne, wechselvolle
Fernsicht. Bei jedem Erwachen sucht das Auge die fer-
nen Berge, die sich häufig hinter Wolken verstecken, bald
in einem Sonnenstrahle sichtbar werden, bald gänzlich
verschwinden, so daß nur der See, wie mit einem Ne-
belreif umkränzt, sichtbar bleibt, bis endlich, von der
Abendröthe in Purpur getaucht, die Berge noch einmal
in den schönsten Färbungen leuchten, worauf die Nacht
ihren Schleier über See und Land deckt und in der Seele
des Schauenden nur die Ahnung dessen zurückläßt, was
dahinter verborgen ruht.

Lindau war einst eine kleine Reichsstadt. Der Han-
del sicherte seinen Bewohnern großen Wohlstand, und die
Ueberreste dieser Zeit des Glanzes haften hier noch. Der
kleine Ort hat viele sehr wohlhabende Einwohner, deren
Capitale zu nützlichen Unternehmungen verwendet wer-
den. Schöne Villen erheben sich am Ufer und zeugen
von diesem Glanze. Die Familie Gruber allein hat de-
ren mehrere, so schön, so geschmackvoll, daß wahrhaft
fürstlicher Reichthum zu ihrem Unterhalte gehört. Friedrich
Gruber, das Haupt dieser Familie, erlaubte den Be-
wohnern der Stadt Lindau den freien Zutritt zu seinen
Gärten und Anlagen. Diese Berechtigung ist in neuerer
Zeit auf zwei Tage in der Woche beschränkt worden,
weil der Andrang des Publikums dem jetzigen Besitzer
doch zu groß wurde. Hart am See hin wandelt man
auf einem schmalen Pfade fort, bis man das Thor er-
reicht, das in die weitläuftigen Anlagen führt, die des
Sehenswürdigen viel bieten. Hier stößt man zuerst auf
eine Villa im Schweizer Styl, mit einer rings um
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] immer reichlicher beschaffen zu können. Für die Wittwen
und Waisen der Gefallenen ist also ebenfalls gesorgt.
Wer sich am schlechtesten steht, das sind alle, die ganz
und unbeschädigt aus der Krimm zurückgekehrt sind, und
die, als sie in „Gesundheit und voller Kraft“ vor den Fen-
stern der Ladies vorüberzogen, mit solch allgemeinen
Enthusiasmus empfangen worden sind.

Man weiß, welche Mühe es die Engländer gekostet
hat, eine Miliz zusammen zu bringen. Es scheint nun,
daß die Entlassung derselben mit noch größerer Beschwerde
verbunden ist. Alle diese Leute stehen vom Augenblick,
wo sie aus dem Dienste treten, standlos, geldlos da, aller
[Spaltenumbruch] Mittel beraubt, ein Unterkommen zu finden. Die Ent-
lassung eines Regiments in Jrland hat bereits zu einem
Aufstande geführt. Die Leute hatten auf längere Dienst-
zeit gerechnet, und glaubten nicht, daß man ihnen die
Kosten für die Ausrüstung von ihrem Solde und ihrer
» bounty « ( Handgeld ) abziehen würde, so daß ihnen, als
sie austraten, nicht allein nichts zu gute kam, sondern
sie so zu sagen kleider= und schuhlos dastanden. Es kam
zu blutigen Auftritten zwischen ihnen und den regulären
Truppen, und sie konnten bloß durch Gewalt gezwungen
werden, ihre Waffen auszuliefern.

[Ende Spaltensatz]



Rorschach, August.

Lindau. — Villen am Bodensee. — Der Lindenhof. — Rorschach. — Pensionen.

[Beginn Spaltensatz]

Die Eisenbahnen haben alle Entfernungen verschlun-
gen. Wie man sonst ein Landhaus bezog, um der schwü-
len Sommerluft einer großen Stadt zu entgehen, so eilt
man jetzt in ferne Länder, sucht die Küsten der Nord-
und Ostsee, miethet eine Wohnung auf dem Harz, im
Riesengebirge, am Genfer See, und wählt mit jedem
kommenden Frühling einen andern schönen Punkt. Man
sucht neue Eindrücke, aber bald findet man sie nicht
mehr. Trachten, Sitten, Gebräuche, alles gleicht sich
aus durch diese gesteigerte Reiselust, und bald wird man
sagen können, wohin man auch gehe: c'est tout comme
chez nous
. — Dresden und seine Nachbarschaft bieten der
schönen Punkte so viele; aber man ist daran gewöhnt,
man will etwas anderes. Die Eisenbahn führt in gerader
Linie an den Bodensee; warum nicht dorthin gehen, um
sich die heißen Tage des Juli und August erträglich zu
machen? — Wir erreichen Lindau in dreißig Stunden.
Die kleine Stadt, auf einer Jnsel des Bodensees erbaut,
nennt sich das Venedig des Nordens. Diese Benennung
verdient es in dem Sinne seines Abgeschlossenseyns vom
Continent; denn allerdings hängt es nur durch zwei
Brücken mit demselben zusammen, die eine von Holz für
den Fußgänger, die andere kürzlich eröffnet, um die Ei-
senbahn in das Herz der Jnsel zu führen. Vom sehr ge-
schmackvollen Bahnhof geht man in das gegenüber ge-
legene schöne Hotel zum Bayerischen Hof und blickt aus
den Fenstern des Speisezimmers auf das weite Becken
der Bodensees, mit seinen bald blau, bald smaragdgrün
gefärbten Wassern, die hier von hohen Bergen umschlossen
sind, über welche das schneebedeckte Haupt des Säntis
[Spaltenumbruch] ernst hervorragt. Es ist eine sehr schöne, wechselvolle
Fernsicht. Bei jedem Erwachen sucht das Auge die fer-
nen Berge, die sich häufig hinter Wolken verstecken, bald
in einem Sonnenstrahle sichtbar werden, bald gänzlich
verschwinden, so daß nur der See, wie mit einem Ne-
belreif umkränzt, sichtbar bleibt, bis endlich, von der
Abendröthe in Purpur getaucht, die Berge noch einmal
in den schönsten Färbungen leuchten, worauf die Nacht
ihren Schleier über See und Land deckt und in der Seele
des Schauenden nur die Ahnung dessen zurückläßt, was
dahinter verborgen ruht.

Lindau war einst eine kleine Reichsstadt. Der Han-
del sicherte seinen Bewohnern großen Wohlstand, und die
Ueberreste dieser Zeit des Glanzes haften hier noch. Der
kleine Ort hat viele sehr wohlhabende Einwohner, deren
Capitale zu nützlichen Unternehmungen verwendet wer-
den. Schöne Villen erheben sich am Ufer und zeugen
von diesem Glanze. Die Familie Gruber allein hat de-
ren mehrere, so schön, so geschmackvoll, daß wahrhaft
fürstlicher Reichthum zu ihrem Unterhalte gehört. Friedrich
Gruber, das Haupt dieser Familie, erlaubte den Be-
wohnern der Stadt Lindau den freien Zutritt zu seinen
Gärten und Anlagen. Diese Berechtigung ist in neuerer
Zeit auf zwei Tage in der Woche beschränkt worden,
weil der Andrang des Publikums dem jetzigen Besitzer
doch zu groß wurde. Hart am See hin wandelt man
auf einem schmalen Pfade fort, bis man das Thor er-
reicht, das in die weitläuftigen Anlagen führt, die des
Sehenswürdigen viel bieten. Hier stößt man zuerst auf
eine Villa im Schweizer Styl, mit einer rings um
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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856, S. 814. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt34_1856/22>, abgerufen am 27.11.2024.