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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856.

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[Beginn Spaltensatz] und Stuarts erinnert, wurde Lezonnet, der tapfere
Priester, Kommandant der nunmehr katholischen Be-
satzung. Er übergab die Stadt ohne Zaudern, als
Heinrich IV. den Protestantismus abschwur und leistete
diesem gegen die Ligues, namentlich gegen die sehr
liguistische Stadt Quimper große Dienste.

Der Art Erinnerungen werden beim Anblick dieser
kleinen Festung so lebendig, daß die Phantasie unauf-
haltsam in historische Zeiten zurück schweift und man
für den frisch waltenden Reiz der Gegenwart blind wird.
Dennoch, als wir genug auf den Wällen umher ge-
wandelt, ruhten unsere Augen mit Vergnügen bald auf
dem schönen Thale, durch das ein kleiner Bach dem
Meerbusen zueilt, bald auf der kleinen Bucht, die von
Hunderten von Fischerbarken bedeckt war.

Bergauf und bergab, erst vom Meere begleitet,
dann von einem prächtigen Wald schön begrenzt, führt
die Straße fünf Stunden weit nordwärts in die Haupt-
stadt des Departements, nach dem alten Quimper-
Corentin, einer der Städte, von denen die Franzosen,
wie wir von Nürnberg, gerne närrische Geschichten er-
zählen; dergleichen Gewohnheiten eines Volks haben
wohl gewöhnlich ihre Ursachen mehr in dem Volk, das
die Narrheiten erzählt, als in der Stadt, von der sie
erzählt werden. Quimper hat eine ganz ernste, theil-
weise sogar schauerlich fanatische Geschichte; seine Ein-
wohner haben sich viele Jahre überaus tapfer und aus-
dauernd erwiesen; es hat auch nicht eine einzige Epi-
sode in seinem tausendjährigen Leben, die es lächerlich
machen könnte. Dennoch machen sich die Franzosen
über diese Stadt eben so lustig, wie über das höchst
ehrenwerthe, spekulative, hoch aufstrebende Marseille.
Das kommt wohl daher, daß die Franzosen alles ihnen
Fremde mißverstehen und lieber das Mißverstandene
verlachen, als sich darüber aufklären. Wir haben schon
angedeutet, wie fremd ihnen die Bretagne im Ganzen
ist, und es mag nicht unwahrscheinlich seyn, daß sie
das Komische des ganzen Landes auf eine seiner Haupt-
städte übertragen haben. Dasselbe mag ihnen mit der
alten Stadt der Phokäer, die niemals Pariser werden
wollten und bis auf den heutigen Tag ihren alten
Charakter bewahrt haben, begegnet seyn.

Die größte Lächerlichkeit, die man denen von
Quimper=Corentin vorwerfen kann, ist wohl die, daß
sie den Namen ihrer Stadt gerne von Chorinäus, einem
aus Troja entwischten Helden, herleiten, während der
Name Corentin erst im fünften Jahrhundert zu Ehren
des ersten Bischofs und Apostels dieser Gegend hinzu-
gekommen und der Name Quimper einfach von dem
celtischen Kymper, d. h. Zusammenfluß, abstammt. Die
Stadt liegt nämlich an der Vereinigung des Odet und
[Spaltenumbruch] des Eir, welche beiden Flüsse unterhalb derselben in
einem schmalen Meerarm zusammen treffend, mit grünen
und überaus üppig beschatteten Ufern das alte Quim-
per auf's schönste einrahmen. Der Hafen, auf dessen
breiten Quais die Promenaden auslaufen und sich mit
riesigen Bäumen großartig ausdehnen, ist nichts ande-
res als das letzte Ende des langen Meerarms, welcher
schwere Schiffe bis an die Stadtmauer herauf führt.
Dort, und wo die beiden Flüsse hart an den alten Fe-
stungswerken, oder den bemoosten Häusern vorüber
ziehen, gehört Quimper zu den malerischsten Städten,
die es gibt. Da finden sich Winkel, die rein photo-
graphisch aufgenommen die vollendetsten Kunstwerke
liefern würden. Dort wanderten wir bei Sonnenauf-
gang und Untergang umher und es kostete uns jedes-
mal einige Ueberwindung, in die innere Stadt zurück-
zukehren, welche nur wenig zu bieten hat und trotz der
sonderbaren Trachten ihrer Bewohner und der Landleute
aus der Umgegend, bald langweilig wird. Das be-
deutendste Gebäude derselben ist die Kathedrale, die
größte der Bretagne, gothischen Styls und auf den
Ruinen einer älteren Kirche im fünften Jahrhundert
aufgeführt. Sie zeichnet sich dadurch aus, daß ihre
Achse nicht gerade durch geht und daß das äußerste Ende
der Abside nicht dem Portale gegenüber liegt, die Achse
weicht im Chor gegen die rechte Seite bedeutend ab.
Der Architekt hat sich hier nicht das Kreuz selbst, son-
dern den Gekreuzigten zum Muster genommen und die
nach der rechten Seite geneigte Abside soll das geneigte
Haupt des Heilands vorstellen. Uebrigens steht diese
architektonisch mystische Sonderbarkeit nicht allein da;
die Kathedrale von Quimper hat sie mit mehreren andern,
aus derselben Zeit stammenden Kirchen Frankreichs ge-
mein. Die Facade ist, wie beim Kölner Dom, von
zwei starken Thürmen eingefaßt und über das reich ge-
schmückte Portal läuft eine Ballustrade hin, auf welcher
ehemals die Reiterstatue des Königs Grallon oder
Gradlon stand, welcher nach dem Untergang seiner
Hauptstadt Js der eigentliche Gründer von Quimper
wurde. Die Thürme wurden, man könnte fast sagen
wie natürlich, bei einer gothischen Kirche nicht vollendet.

Ehemals fand auf und vor der Kathedrale ein
sonderbares Volksfest statt. An einem gewissen Tage
bestieg der Bischof, gefolgt vom ganzen Clerus und der
Municipalität, die Plattform, wo Hymnen gesungen und
große Musikstücke ausgeführt wurden. Während dessen
stieg ein Stadtsoldat, eine Flasche in der einen, ein
Glas und eine Serviette in der andern Hand, auf das
Pferd des Königs Gradlon. Er goß das Glas voll und
bot es dem bronzenen König an; da dieser aber nicht
trank, leerte er es selber und wischte dem König den
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] und Stuarts erinnert, wurde Lezonnet, der tapfere
Priester, Kommandant der nunmehr katholischen Be-
satzung. Er übergab die Stadt ohne Zaudern, als
Heinrich IV. den Protestantismus abschwur und leistete
diesem gegen die Ligues, namentlich gegen die sehr
liguistische Stadt Quimper große Dienste.

Der Art Erinnerungen werden beim Anblick dieser
kleinen Festung so lebendig, daß die Phantasie unauf-
haltsam in historische Zeiten zurück schweift und man
für den frisch waltenden Reiz der Gegenwart blind wird.
Dennoch, als wir genug auf den Wällen umher ge-
wandelt, ruhten unsere Augen mit Vergnügen bald auf
dem schönen Thale, durch das ein kleiner Bach dem
Meerbusen zueilt, bald auf der kleinen Bucht, die von
Hunderten von Fischerbarken bedeckt war.

Bergauf und bergab, erst vom Meere begleitet,
dann von einem prächtigen Wald schön begrenzt, führt
die Straße fünf Stunden weit nordwärts in die Haupt-
stadt des Departements, nach dem alten Quimper-
Corentin, einer der Städte, von denen die Franzosen,
wie wir von Nürnberg, gerne närrische Geschichten er-
zählen; dergleichen Gewohnheiten eines Volks haben
wohl gewöhnlich ihre Ursachen mehr in dem Volk, das
die Narrheiten erzählt, als in der Stadt, von der sie
erzählt werden. Quimper hat eine ganz ernste, theil-
weise sogar schauerlich fanatische Geschichte; seine Ein-
wohner haben sich viele Jahre überaus tapfer und aus-
dauernd erwiesen; es hat auch nicht eine einzige Epi-
sode in seinem tausendjährigen Leben, die es lächerlich
machen könnte. Dennoch machen sich die Franzosen
über diese Stadt eben so lustig, wie über das höchst
ehrenwerthe, spekulative, hoch aufstrebende Marseille.
Das kommt wohl daher, daß die Franzosen alles ihnen
Fremde mißverstehen und lieber das Mißverstandene
verlachen, als sich darüber aufklären. Wir haben schon
angedeutet, wie fremd ihnen die Bretagne im Ganzen
ist, und es mag nicht unwahrscheinlich seyn, daß sie
das Komische des ganzen Landes auf eine seiner Haupt-
städte übertragen haben. Dasselbe mag ihnen mit der
alten Stadt der Phokäer, die niemals Pariser werden
wollten und bis auf den heutigen Tag ihren alten
Charakter bewahrt haben, begegnet seyn.

Die größte Lächerlichkeit, die man denen von
Quimper=Corentin vorwerfen kann, ist wohl die, daß
sie den Namen ihrer Stadt gerne von Chorinäus, einem
aus Troja entwischten Helden, herleiten, während der
Name Corentin erst im fünften Jahrhundert zu Ehren
des ersten Bischofs und Apostels dieser Gegend hinzu-
gekommen und der Name Quimper einfach von dem
celtischen Kymper, d. h. Zusammenfluß, abstammt. Die
Stadt liegt nämlich an der Vereinigung des Odet und
[Spaltenumbruch] des Eir, welche beiden Flüsse unterhalb derselben in
einem schmalen Meerarm zusammen treffend, mit grünen
und überaus üppig beschatteten Ufern das alte Quim-
per auf's schönste einrahmen. Der Hafen, auf dessen
breiten Quais die Promenaden auslaufen und sich mit
riesigen Bäumen großartig ausdehnen, ist nichts ande-
res als das letzte Ende des langen Meerarms, welcher
schwere Schiffe bis an die Stadtmauer herauf führt.
Dort, und wo die beiden Flüsse hart an den alten Fe-
stungswerken, oder den bemoosten Häusern vorüber
ziehen, gehört Quimper zu den malerischsten Städten,
die es gibt. Da finden sich Winkel, die rein photo-
graphisch aufgenommen die vollendetsten Kunstwerke
liefern würden. Dort wanderten wir bei Sonnenauf-
gang und Untergang umher und es kostete uns jedes-
mal einige Ueberwindung, in die innere Stadt zurück-
zukehren, welche nur wenig zu bieten hat und trotz der
sonderbaren Trachten ihrer Bewohner und der Landleute
aus der Umgegend, bald langweilig wird. Das be-
deutendste Gebäude derselben ist die Kathedrale, die
größte der Bretagne, gothischen Styls und auf den
Ruinen einer älteren Kirche im fünften Jahrhundert
aufgeführt. Sie zeichnet sich dadurch aus, daß ihre
Achse nicht gerade durch geht und daß das äußerste Ende
der Abside nicht dem Portale gegenüber liegt, die Achse
weicht im Chor gegen die rechte Seite bedeutend ab.
Der Architekt hat sich hier nicht das Kreuz selbst, son-
dern den Gekreuzigten zum Muster genommen und die
nach der rechten Seite geneigte Abside soll das geneigte
Haupt des Heilands vorstellen. Uebrigens steht diese
architektonisch mystische Sonderbarkeit nicht allein da;
die Kathedrale von Quimper hat sie mit mehreren andern,
aus derselben Zeit stammenden Kirchen Frankreichs ge-
mein. Die Façade ist, wie beim Kölner Dom, von
zwei starken Thürmen eingefaßt und über das reich ge-
schmückte Portal läuft eine Ballustrade hin, auf welcher
ehemals die Reiterstatue des Königs Grallon oder
Gradlon stand, welcher nach dem Untergang seiner
Hauptstadt Js der eigentliche Gründer von Quimper
wurde. Die Thürme wurden, man könnte fast sagen
wie natürlich, bei einer gothischen Kirche nicht vollendet.

Ehemals fand auf und vor der Kathedrale ein
sonderbares Volksfest statt. An einem gewissen Tage
bestieg der Bischof, gefolgt vom ganzen Clerus und der
Municipalität, die Plattform, wo Hymnen gesungen und
große Musikstücke ausgeführt wurden. Während dessen
stieg ein Stadtsoldat, eine Flasche in der einen, ein
Glas und eine Serviette in der andern Hand, auf das
Pferd des Königs Gradlon. Er goß das Glas voll und
bot es dem bronzenen König an; da dieser aber nicht
trank, leerte er es selber und wischte dem König den
[Ende Spaltensatz]

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Das kommt wohl daher, daß die Franzosen alles ihnen Fremde mißverstehen und lieber das Mißverstandene verlachen, als sich darüber aufklären. Wir haben schon angedeutet, wie fremd ihnen die Bretagne im Ganzen ist, und es mag nicht unwahrscheinlich seyn, daß sie das Komische des ganzen Landes auf eine seiner Haupt- städte übertragen haben. Dasselbe mag ihnen mit der alten Stadt der Phokäer, die niemals Pariser werden wollten und bis auf den heutigen Tag ihren alten Charakter bewahrt haben, begegnet seyn. Die größte Lächerlichkeit, die man denen von Quimper=Corentin vorwerfen kann, ist wohl die, daß sie den Namen ihrer Stadt gerne von Chorinäus, einem aus Troja entwischten Helden, herleiten, während der Name Corentin erst im fünften Jahrhundert zu Ehren des ersten Bischofs und Apostels dieser Gegend hinzu- gekommen und der Name Quimper einfach von dem celtischen Kymper, d. h. Zusammenfluß, abstammt. 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Uebrigens steht diese architektonisch mystische Sonderbarkeit nicht allein da; die Kathedrale von Quimper hat sie mit mehreren andern, aus derselben Zeit stammenden Kirchen Frankreichs ge- mein. Die Façade ist, wie beim Kölner Dom, von zwei starken Thürmen eingefaßt und über das reich ge- schmückte Portal läuft eine Ballustrade hin, auf welcher ehemals die Reiterstatue des Königs Grallon oder Gradlon stand, welcher nach dem Untergang seiner Hauptstadt Js der eigentliche Gründer von Quimper wurde. Die Thürme wurden, man könnte fast sagen wie natürlich, bei einer gothischen Kirche nicht vollendet. Ehemals fand auf und vor der Kathedrale ein sonderbares Volksfest statt. An einem gewissen Tage bestieg der Bischof, gefolgt vom ganzen Clerus und der Municipalität, die Plattform, wo Hymnen gesungen und große Musikstücke ausgeführt wurden. Während dessen stieg ein Stadtsoldat, eine Flasche in der einen, ein Glas und eine Serviette in der andern Hand, auf das Pferd des Königs Gradlon. Er goß das Glas voll und bot es dem bronzenen König an; da dieser aber nicht trank, leerte er es selber und wischte dem König den

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856, S. 802. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt34_1856/10>, abgerufen am 24.11.2024.