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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856.

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Wanderungen durch celtisches Land.
( Fortsetzung. )
[Beginn Spaltensatz]

Der Canonicus Moreau erzählt weiter, wie noch
die Stadt Quimper unter Anführung des Herrn von
Pratmaria den Belagerern starken Succurs schickte und
daß man den Herrn de la Vigne mit einer großen
goldenen Kette, die dreimal um seinen Hals ging, oft
auf den Stadtmauern sah, und fährt fort:

"Die Belagerung dauerte auf diese Weise vom
17. bis zum 22. Januar. Da gab es einen jungen
Mann zu Concarneau, bei welchem Herr von Ker-
massonet mit einigen andern wohnte und der deßwegen
nicht wie die andern Einwohner eingesperrt worden war.
Er hieß Charles Le Bris, Kaufmann aus Quimper,
und wie er einmal in sein Haus zurückkehrte, fand er
daselbst den besagten Herrn von Kermassonet und einen
andern Edelmann, welche sich in ihren Kleidern auf
das Bett geworfen hatten und im sichern Schlummer
lagen, weil sie die ganze Nacht gewacht hatten. Sie
hatten nur ihre Degen und Gürtel mit den Dolchen
auf den Tisch neben dem Bette gelegt. Besagter Ker-
massonet hatte die Thorschlüssel in einem Bunde um
seinen Arm, daß es unmöglich oder gefährlich war, sie
ihm, ohne ihn zu wecken, wegzunehmen. Der junge
Mann erwog, wie elend die Stadt und das Land wä-
ren, sowohl in Beziehung auf die Religion, als in
Rücksicht auf die Ehre und die Mittel, wenn diese Leute
da verblieben, und wie schwer es seyn müßte, sich ihrer
zu entledigen, wenn die erwartete Hülfe aus La Rochelle
ankäme; er erwog ferner die schöne Gelegenheit, dem
Lande einen ausgezeichneten Dienst zu leisten, so wie,
daß die andern alle schliefen, ausgenommen die Schild-
wachen auf den Mauern, und daß niemand in der
Straße war. So beschloß er denn, eine That der Ehre
und des Muthes auszuführen, und er ging hin und
nahm die beiden Dolche der beiden Schlafenden und stach
sie beide in die Brust und Stoß auf Stoß führend,
tödtete er beide, ohne daß sie Zeit hatten, auch nur ei-
nen Schrei auszustoßen. Nun die beiden todt, nimmt
Le Bris die Schlüssel und wandert die Straßen entlang,
als ob nichts vorgefallen wäre, dem Hauptthore der
Stadt zu, um sie den Belagerern zu öffnen. Wie er
so hinging, war ein Soldat auf den Mauern, welcher
seine Aufregung bemerkte und dachte, daß er etwas zu
ihrem Schaden unternehmen wolle, weßwegen er sich
oben auf der Mauer dem Thore näherte. Besagter Le Bris
näherte sich in Eile und der Soldat auch, dann fing
[Spaltenumbruch] er an zu laufen, schwitzend und keuchend, um das Thor
zu öffnen, und der Soldat, um ihn daran zu verhin-
dern, das nackte Schwert in der Faust und Verrath!
rufend. Aber die Mauer war an der Stelle, wo der
Soldat herabsteigen wollte, sehr hoch, und da er die
Schlüssel in den Händen des besagten Le Bris sah,
that er den gefährlichen Sprung und warf sich von der
Höhe der Mauer hinab auf das Pflaster, und war es
wie ein Wunder, daß er nicht den Hals gebrochen; er
that sich kein Leid, das ihn verhindert hätte, sich schnell
zu erheben, und er lief zum Thore, hoffend, Le Bris
zuvor zu kommen, und er wäre bei Zeiten angekommen,
wenn nicht zum Glücke und durch eine besondere Gnade
Gottes der erste Schlüssel, den Le Bris, welcher die
Schlüssel des Thors nicht kannte, versuchte, der rechte
gewesen wäre, und sobald er ihn drehte, fiel die Zug-
brücke und das Thor öffnete sich. Le Bris lief hinaus,
die Belagerer rufend und den Soldaten hinter sich,
welcher ihn außerhalb des Thors verfolgte, das Schwert
fast in seinen Rippen, und welcher nicht zu sterben
fürchtete, wenn er nur Jenen tödtete. Und in der That
lief er so weit, daß er sich umzingelt sah, und da er
nicht vor und nicht zurück konnte, warf er sich in den
Schlamm auf der Seeseite, wo er getödtet wurde und
die Stadt auf diese Weise genommen, den 22. Januar
1576. Die Feinde, welche theils auf der Mauer,
theil eingeschlafen waren, wurden alle getödtet. Nach-
dem die Wuth der Soldaten vorüber war, warfen sie
sich auf einen Diener des Herrn de la Vigne, welcher
noch allein übrig war und welchen man aus der Stadt
brachte, um ihn zu erschießen. Und als man ihn hin-
führte, hörte er den Herrn von Pratmaria nennen,
und er fragte, ob dieser Herr da wäre. Die ihn ge-
fangen hielten, sagten Ja. "Laßt mich zu ihm sprechen,"
sagte er, und wie er vor ihn geführt wurde, flüsterte
er ihm leise zu: "Wenn Jhr mir das Leben retten
könnt, will ich Euch sogleich die goldene Kette des Herrn
de la Vigne verschaffen." Der Herr von Pratmaria
sagte ihm, daß er wohl seinen Tod verhüten werde,
und besagte goldene Kette wurde ihm ausgeliefert. Und
er schickte den Diener an das Parlament von Rennes,
wo er sechs oder sieben Monate später hingerichtet
wurde."

Nach dieser merkwürdigen Begebenheit, die an die
Belagerungen schottischer Schlösser unter den Douglas
[Ende Spaltensatz]

Wanderungen durch celtisches Land.
( Fortsetzung. )
[Beginn Spaltensatz]

Der Canonicus Moreau erzählt weiter, wie noch
die Stadt Quimper unter Anführung des Herrn von
Pratmaria den Belagerern starken Succurs schickte und
daß man den Herrn de la Vigne mit einer großen
goldenen Kette, die dreimal um seinen Hals ging, oft
auf den Stadtmauern sah, und fährt fort:

„Die Belagerung dauerte auf diese Weise vom
17. bis zum 22. Januar. Da gab es einen jungen
Mann zu Concarneau, bei welchem Herr von Ker-
massonet mit einigen andern wohnte und der deßwegen
nicht wie die andern Einwohner eingesperrt worden war.
Er hieß Charles Le Bris, Kaufmann aus Quimper,
und wie er einmal in sein Haus zurückkehrte, fand er
daselbst den besagten Herrn von Kermassonet und einen
andern Edelmann, welche sich in ihren Kleidern auf
das Bett geworfen hatten und im sichern Schlummer
lagen, weil sie die ganze Nacht gewacht hatten. Sie
hatten nur ihre Degen und Gürtel mit den Dolchen
auf den Tisch neben dem Bette gelegt. Besagter Ker-
massonet hatte die Thorschlüssel in einem Bunde um
seinen Arm, daß es unmöglich oder gefährlich war, sie
ihm, ohne ihn zu wecken, wegzunehmen. Der junge
Mann erwog, wie elend die Stadt und das Land wä-
ren, sowohl in Beziehung auf die Religion, als in
Rücksicht auf die Ehre und die Mittel, wenn diese Leute
da verblieben, und wie schwer es seyn müßte, sich ihrer
zu entledigen, wenn die erwartete Hülfe aus La Rochelle
ankäme; er erwog ferner die schöne Gelegenheit, dem
Lande einen ausgezeichneten Dienst zu leisten, so wie,
daß die andern alle schliefen, ausgenommen die Schild-
wachen auf den Mauern, und daß niemand in der
Straße war. So beschloß er denn, eine That der Ehre
und des Muthes auszuführen, und er ging hin und
nahm die beiden Dolche der beiden Schlafenden und stach
sie beide in die Brust und Stoß auf Stoß führend,
tödtete er beide, ohne daß sie Zeit hatten, auch nur ei-
nen Schrei auszustoßen. Nun die beiden todt, nimmt
Le Bris die Schlüssel und wandert die Straßen entlang,
als ob nichts vorgefallen wäre, dem Hauptthore der
Stadt zu, um sie den Belagerern zu öffnen. Wie er
so hinging, war ein Soldat auf den Mauern, welcher
seine Aufregung bemerkte und dachte, daß er etwas zu
ihrem Schaden unternehmen wolle, weßwegen er sich
oben auf der Mauer dem Thore näherte. Besagter Le Bris
näherte sich in Eile und der Soldat auch, dann fing
[Spaltenumbruch] er an zu laufen, schwitzend und keuchend, um das Thor
zu öffnen, und der Soldat, um ihn daran zu verhin-
dern, das nackte Schwert in der Faust und Verrath!
rufend. Aber die Mauer war an der Stelle, wo der
Soldat herabsteigen wollte, sehr hoch, und da er die
Schlüssel in den Händen des besagten Le Bris sah,
that er den gefährlichen Sprung und warf sich von der
Höhe der Mauer hinab auf das Pflaster, und war es
wie ein Wunder, daß er nicht den Hals gebrochen; er
that sich kein Leid, das ihn verhindert hätte, sich schnell
zu erheben, und er lief zum Thore, hoffend, Le Bris
zuvor zu kommen, und er wäre bei Zeiten angekommen,
wenn nicht zum Glücke und durch eine besondere Gnade
Gottes der erste Schlüssel, den Le Bris, welcher die
Schlüssel des Thors nicht kannte, versuchte, der rechte
gewesen wäre, und sobald er ihn drehte, fiel die Zug-
brücke und das Thor öffnete sich. Le Bris lief hinaus,
die Belagerer rufend und den Soldaten hinter sich,
welcher ihn außerhalb des Thors verfolgte, das Schwert
fast in seinen Rippen, und welcher nicht zu sterben
fürchtete, wenn er nur Jenen tödtete. Und in der That
lief er so weit, daß er sich umzingelt sah, und da er
nicht vor und nicht zurück konnte, warf er sich in den
Schlamm auf der Seeseite, wo er getödtet wurde und
die Stadt auf diese Weise genommen, den 22. Januar
1576. Die Feinde, welche theils auf der Mauer,
theil eingeschlafen waren, wurden alle getödtet. Nach-
dem die Wuth der Soldaten vorüber war, warfen sie
sich auf einen Diener des Herrn de la Vigne, welcher
noch allein übrig war und welchen man aus der Stadt
brachte, um ihn zu erschießen. Und als man ihn hin-
führte, hörte er den Herrn von Pratmaria nennen,
und er fragte, ob dieser Herr da wäre. Die ihn ge-
fangen hielten, sagten Ja. „Laßt mich zu ihm sprechen,“
sagte er, und wie er vor ihn geführt wurde, flüsterte
er ihm leise zu: „Wenn Jhr mir das Leben retten
könnt, will ich Euch sogleich die goldene Kette des Herrn
de la Vigne verschaffen.“ Der Herr von Pratmaria
sagte ihm, daß er wohl seinen Tod verhüten werde,
und besagte goldene Kette wurde ihm ausgeliefert. Und
er schickte den Diener an das Parlament von Rennes,
wo er sechs oder sieben Monate später hingerichtet
wurde.“

Nach dieser merkwürdigen Begebenheit, die an die
Belagerungen schottischer Schlösser unter den Douglas
[Ende Spaltensatz]

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[801/0009] 801 Wanderungen durch celtisches Land. ( Fortsetzung. ) Der Canonicus Moreau erzählt weiter, wie noch die Stadt Quimper unter Anführung des Herrn von Pratmaria den Belagerern starken Succurs schickte und daß man den Herrn de la Vigne mit einer großen goldenen Kette, die dreimal um seinen Hals ging, oft auf den Stadtmauern sah, und fährt fort: „Die Belagerung dauerte auf diese Weise vom 17. bis zum 22. Januar. Da gab es einen jungen Mann zu Concarneau, bei welchem Herr von Ker- massonet mit einigen andern wohnte und der deßwegen nicht wie die andern Einwohner eingesperrt worden war. Er hieß Charles Le Bris, Kaufmann aus Quimper, und wie er einmal in sein Haus zurückkehrte, fand er daselbst den besagten Herrn von Kermassonet und einen andern Edelmann, welche sich in ihren Kleidern auf das Bett geworfen hatten und im sichern Schlummer lagen, weil sie die ganze Nacht gewacht hatten. Sie hatten nur ihre Degen und Gürtel mit den Dolchen auf den Tisch neben dem Bette gelegt. Besagter Ker- massonet hatte die Thorschlüssel in einem Bunde um seinen Arm, daß es unmöglich oder gefährlich war, sie ihm, ohne ihn zu wecken, wegzunehmen. Der junge Mann erwog, wie elend die Stadt und das Land wä- ren, sowohl in Beziehung auf die Religion, als in Rücksicht auf die Ehre und die Mittel, wenn diese Leute da verblieben, und wie schwer es seyn müßte, sich ihrer zu entledigen, wenn die erwartete Hülfe aus La Rochelle ankäme; er erwog ferner die schöne Gelegenheit, dem Lande einen ausgezeichneten Dienst zu leisten, so wie, daß die andern alle schliefen, ausgenommen die Schild- wachen auf den Mauern, und daß niemand in der Straße war. So beschloß er denn, eine That der Ehre und des Muthes auszuführen, und er ging hin und nahm die beiden Dolche der beiden Schlafenden und stach sie beide in die Brust und Stoß auf Stoß führend, tödtete er beide, ohne daß sie Zeit hatten, auch nur ei- nen Schrei auszustoßen. Nun die beiden todt, nimmt Le Bris die Schlüssel und wandert die Straßen entlang, als ob nichts vorgefallen wäre, dem Hauptthore der Stadt zu, um sie den Belagerern zu öffnen. Wie er so hinging, war ein Soldat auf den Mauern, welcher seine Aufregung bemerkte und dachte, daß er etwas zu ihrem Schaden unternehmen wolle, weßwegen er sich oben auf der Mauer dem Thore näherte. Besagter Le Bris näherte sich in Eile und der Soldat auch, dann fing er an zu laufen, schwitzend und keuchend, um das Thor zu öffnen, und der Soldat, um ihn daran zu verhin- dern, das nackte Schwert in der Faust und Verrath! rufend. Aber die Mauer war an der Stelle, wo der Soldat herabsteigen wollte, sehr hoch, und da er die Schlüssel in den Händen des besagten Le Bris sah, that er den gefährlichen Sprung und warf sich von der Höhe der Mauer hinab auf das Pflaster, und war es wie ein Wunder, daß er nicht den Hals gebrochen; er that sich kein Leid, das ihn verhindert hätte, sich schnell zu erheben, und er lief zum Thore, hoffend, Le Bris zuvor zu kommen, und er wäre bei Zeiten angekommen, wenn nicht zum Glücke und durch eine besondere Gnade Gottes der erste Schlüssel, den Le Bris, welcher die Schlüssel des Thors nicht kannte, versuchte, der rechte gewesen wäre, und sobald er ihn drehte, fiel die Zug- brücke und das Thor öffnete sich. Le Bris lief hinaus, die Belagerer rufend und den Soldaten hinter sich, welcher ihn außerhalb des Thors verfolgte, das Schwert fast in seinen Rippen, und welcher nicht zu sterben fürchtete, wenn er nur Jenen tödtete. Und in der That lief er so weit, daß er sich umzingelt sah, und da er nicht vor und nicht zurück konnte, warf er sich in den Schlamm auf der Seeseite, wo er getödtet wurde und die Stadt auf diese Weise genommen, den 22. Januar 1576. Die Feinde, welche theils auf der Mauer, theil eingeschlafen waren, wurden alle getödtet. Nach- dem die Wuth der Soldaten vorüber war, warfen sie sich auf einen Diener des Herrn de la Vigne, welcher noch allein übrig war und welchen man aus der Stadt brachte, um ihn zu erschießen. Und als man ihn hin- führte, hörte er den Herrn von Pratmaria nennen, und er fragte, ob dieser Herr da wäre. Die ihn ge- fangen hielten, sagten Ja. „Laßt mich zu ihm sprechen,“ sagte er, und wie er vor ihn geführt wurde, flüsterte er ihm leise zu: „Wenn Jhr mir das Leben retten könnt, will ich Euch sogleich die goldene Kette des Herrn de la Vigne verschaffen.“ Der Herr von Pratmaria sagte ihm, daß er wohl seinen Tod verhüten werde, und besagte goldene Kette wurde ihm ausgeliefert. Und er schickte den Diener an das Parlament von Rennes, wo er sechs oder sieben Monate später hingerichtet wurde.“ Nach dieser merkwürdigen Begebenheit, die an die Belagerungen schottischer Schlösser unter den Douglas

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856, S. 801. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt34_1856/9>, abgerufen am 24.11.2024.