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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Mund mit der Serviette. Hierauf warf er das Glas
unter die vor der Kathedrale versammelte Menge. Der
Glückliche, dem es gelang, das Glas in der Luft auf-
zufangen, ohne daß es in Stücke ging, erhielt vom
Bischof eine Belohnung von fünfhundert Francs. Das
Fest wurde damit beschlossen, daß man dem König
Gradlon einen Lorbeerzweig in die Hand steckte.

Einen netten Gegensatz zur Kathedrale bildet die
Kirche St. Mathieu, ganz im Style und in der Größe
jener kleinen Dorfkirchen, von denen wir schon gespro-
chen haben. Jhr Dach kann vielleicht ein Großgewachsener
mit der Hand erreichen. Alle Gebäude, die sie umge-
ben, stehen, was ihre Größe betrifft, im rechten Ver-
hältniß zu ihr. Wir glaubten uns auf diesem Platze
auf dem Forum der Liliputer zu befinden.

Die Umgegend von Quimper ist reicher an alten
Gebäuden, als die Stadt selbst, wir nennen nur das
alte Schloß de la Foret, mit seinen dicken Thürmen
am Ufer des Odet; das Schloß Coatbily, in der Mitte
einer reich bebuschten Landschaft; das Herrenhaus Ker-
dur, ganz in der Nähe desselben, mit zwei Thürmen,
einer Kapelle, und malerischen Zinnen; die Burg Ker-
hinek, und endlich das uralte Pulkinan, welches König
Grallon bewohnt haben soll, und das in der That noch
einiges Mauerwerk besitzt, das aus dem fünften Jahr-
hundert stammen könnte. Von Kirchen und Kirchlein,
die über die ganze Umgegend ausgestreut sind, wollen
wir bloß die kleine gothische Kirche der Mutter Gottes
erwähnen, und die Reste einer befestigten Commanderie
der Tempelherrn, welche das Volk "den Tempel der
falschen Götter" nennt, welche Bezeichnung wohl von
den Vorstellungen herrührt, die man sich von dem ge-
heimen Treiben der Tempelherrn machte. Bis zu ihrer
Vernichtung durch Philipp den Schönen waren sie in
der Bretagne eben so mächtig und reicher als heute die
Jesuiten; aber nach ihrem Falle, da man sie zu fürch-
ten aufgehört, dichtete ihnen das phantasievolle breto-
nische Volk alle mögliche Teufelei an, und die Ueber-
reste ihrer Wohnhäuser werden heutzutage nur mit
Grauen betrachtet. Darauf deutet auch der Name eines
andern Schlosses der Tempelherrn, in der Nähe von
Quimper; man nennt es "die Wohnung des Wissens
oder der geheimen Wissenschaft" ( Kergujek ) , was so viel
sagen will, als: Zauberei. Und in der That sieht das
alte Haus arabischen Styls wie eine Herberge von
Adepten, Nekromanten und Tausendkünstlern aus.

So reich an Ruinen oder wohlerhaltenen Gebäu-
den des Mittelalters, ja selbst der alten Zeit ( denn
auch hier fanden wir wieder viele Druidensteine ) ist die
Umgegend von Quimper, daß wir nach zweitägiger
Wanderung matt und übersättigt von Ruinen in die
[Spaltenumbruch] Stadt zurückkehrten, voll Sehnsucht nach dem großen
Ocean und nach dem Schauspiele, das uns Reisebücher
und Freunde an der schrecklichen Pointe du Raz ver-
sprachen. Dorthin, als nach dem Climax unserer Reise
machten wir uns, an einem schönen Sonntagsmorgen,
das Herz voll Erwartung, auf.

IV.

Die Halbinsel von Plogoff zwischen den Golfen von
Audierne und Douarnenez. -- Pontcroix. -- Der Ligueur
La Fontenelle. -- Audierne. -- Blutegelteich. -- Der Ca-
mao. -- Plogoff, das Dorf der Fährleute der Todten. --
Sagen und religiöse Ansichten. -- Volkslieder über Pa-
radies und Hölle. -- Die Pointe du Raz, die Klippen,
die Hölle, die Baie des Trepass e s. -- Die Jnsel Sein. --
Die versunkene Stadt Js oder Keris. -- Wanderung durchs
innere Land; sein Charakter, seine Zustände. -- Douar-
nenez. -- Sardinenfang und Handel. -- Die Jnsel Tristan
und Fontenelle.

Wir hätten unmöglich einen besseren Tag wählen
können, denn das Land, das aus strotzender Ueppigkeit
bald wieder in öde Heide überging, hätte uns eben so
wenig gefallen als die politischen Gespräche des Advo-
katen und Zöllners, die mit uns im Wagen saßen;
wenn es nicht überall auf das Schönste von den nach
den Kirchen in allen Richtungen hinwallenden Land-
leuten belebt gewesen wäre. Unzählige Pilger wander-
ten durch die rothe Erica, auf vielgeschlungenen
Pfaden, die Hüte mit wilden Blumen geschmückt; an-
dere kamen uns auf der Landstraße entgegen, Mann
und Weib auf Einem Pferde sitzend, manchmal Mann,
Weib und Kind; oft trug ein einziger Pferderücken drei
Männer, daß wir auf das Lebhafteste an die Haimons-
kinder erinnert wurden. Dazu hallte aus den unzäh-
ligen gothischen Kirchlein von allen Seiten, durch den
heitern, sanft durchfeuchteten Morgen, dörfliches Sonn-
tagsglockengeläute zu uns herüber, so daß selbst der
Advokat andächtig gestimmt wurde, und seine Plaidoyers
für die Stadt Quimper einstellte. Vor Douarnenez
wurde der Weg plötzlich wild und romantisch. Das
Land hügelt sich; die Kirchen, unter andern die in Lie-
dern viel besungene von Ploir e, blicken von bedeuten-
den Erhöhungen herab; in der Ferne gegen Westen er-
heben sich schroffe Felswände, die sich bald als Ufer
des herrlichen Golfes von Douarnenez ausbreiten. Jn
Douarnenez, dessen kleine Nebenbucht an der Jnsel
Tristan, das im ersten Augenblick den Eindruck eines
schottischen Lochs machte, hielten wir uns dießmal nur
wenige Minuten auf, angestarrt von den Bauern, die
an fremde Gesichter nicht gewöhnt sind, und eilten auf
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Mund mit der Serviette. Hierauf warf er das Glas
unter die vor der Kathedrale versammelte Menge. Der
Glückliche, dem es gelang, das Glas in der Luft auf-
zufangen, ohne daß es in Stücke ging, erhielt vom
Bischof eine Belohnung von fünfhundert Francs. Das
Fest wurde damit beschlossen, daß man dem König
Gradlon einen Lorbeerzweig in die Hand steckte.

Einen netten Gegensatz zur Kathedrale bildet die
Kirche St. Mathieu, ganz im Style und in der Größe
jener kleinen Dorfkirchen, von denen wir schon gespro-
chen haben. Jhr Dach kann vielleicht ein Großgewachsener
mit der Hand erreichen. Alle Gebäude, die sie umge-
ben, stehen, was ihre Größe betrifft, im rechten Ver-
hältniß zu ihr. Wir glaubten uns auf diesem Platze
auf dem Forum der Liliputer zu befinden.

Die Umgegend von Quimper ist reicher an alten
Gebäuden, als die Stadt selbst, wir nennen nur das
alte Schloß de la Forêt, mit seinen dicken Thürmen
am Ufer des Odet; das Schloß Coatbily, in der Mitte
einer reich bebuschten Landschaft; das Herrenhaus Ker-
dur, ganz in der Nähe desselben, mit zwei Thürmen,
einer Kapelle, und malerischen Zinnen; die Burg Ker-
hinek, und endlich das uralte Pulkinan, welches König
Grallon bewohnt haben soll, und das in der That noch
einiges Mauerwerk besitzt, das aus dem fünften Jahr-
hundert stammen könnte. Von Kirchen und Kirchlein,
die über die ganze Umgegend ausgestreut sind, wollen
wir bloß die kleine gothische Kirche der Mutter Gottes
erwähnen, und die Reste einer befestigten Commanderie
der Tempelherrn, welche das Volk „den Tempel der
falschen Götter“ nennt, welche Bezeichnung wohl von
den Vorstellungen herrührt, die man sich von dem ge-
heimen Treiben der Tempelherrn machte. Bis zu ihrer
Vernichtung durch Philipp den Schönen waren sie in
der Bretagne eben so mächtig und reicher als heute die
Jesuiten; aber nach ihrem Falle, da man sie zu fürch-
ten aufgehört, dichtete ihnen das phantasievolle breto-
nische Volk alle mögliche Teufelei an, und die Ueber-
reste ihrer Wohnhäuser werden heutzutage nur mit
Grauen betrachtet. Darauf deutet auch der Name eines
andern Schlosses der Tempelherrn, in der Nähe von
Quimper; man nennt es „die Wohnung des Wissens
oder der geheimen Wissenschaft“ ( Kergujek ) , was so viel
sagen will, als: Zauberei. Und in der That sieht das
alte Haus arabischen Styls wie eine Herberge von
Adepten, Nekromanten und Tausendkünstlern aus.

So reich an Ruinen oder wohlerhaltenen Gebäu-
den des Mittelalters, ja selbst der alten Zeit ( denn
auch hier fanden wir wieder viele Druidensteine ) ist die
Umgegend von Quimper, daß wir nach zweitägiger
Wanderung matt und übersättigt von Ruinen in die
[Spaltenumbruch] Stadt zurückkehrten, voll Sehnsucht nach dem großen
Ocean und nach dem Schauspiele, das uns Reisebücher
und Freunde an der schrecklichen Pointe du Raz ver-
sprachen. Dorthin, als nach dem Climax unserer Reise
machten wir uns, an einem schönen Sonntagsmorgen,
das Herz voll Erwartung, auf.

IV.

Die Halbinsel von Plogoff zwischen den Golfen von
Audierne und Douarnenez. — Pontcroix. — Der Ligueur
La Fontenelle. — Audierne. — Blutegelteich. — Der Ca-
mao. — Plogoff, das Dorf der Fährleute der Todten. —
Sagen und religiöse Ansichten. — Volkslieder über Pa-
radies und Hölle. — Die Pointe du Raz, die Klippen,
die Hölle, die Baie des Trepass é s. — Die Jnsel Sein. —
Die versunkene Stadt Js oder Keris. — Wanderung durchs
innere Land; sein Charakter, seine Zustände. — Douar-
nenez. — Sardinenfang und Handel. — Die Jnsel Tristan
und Fontenelle.

Wir hätten unmöglich einen besseren Tag wählen
können, denn das Land, das aus strotzender Ueppigkeit
bald wieder in öde Heide überging, hätte uns eben so
wenig gefallen als die politischen Gespräche des Advo-
katen und Zöllners, die mit uns im Wagen saßen;
wenn es nicht überall auf das Schönste von den nach
den Kirchen in allen Richtungen hinwallenden Land-
leuten belebt gewesen wäre. Unzählige Pilger wander-
ten durch die rothe Erica, auf vielgeschlungenen
Pfaden, die Hüte mit wilden Blumen geschmückt; an-
dere kamen uns auf der Landstraße entgegen, Mann
und Weib auf Einem Pferde sitzend, manchmal Mann,
Weib und Kind; oft trug ein einziger Pferderücken drei
Männer, daß wir auf das Lebhafteste an die Haimons-
kinder erinnert wurden. Dazu hallte aus den unzäh-
ligen gothischen Kirchlein von allen Seiten, durch den
heitern, sanft durchfeuchteten Morgen, dörfliches Sonn-
tagsglockengeläute zu uns herüber, so daß selbst der
Advokat andächtig gestimmt wurde, und seine Plaidoyers
für die Stadt Quimper einstellte. Vor Douarnenez
wurde der Weg plötzlich wild und romantisch. Das
Land hügelt sich; die Kirchen, unter andern die in Lie-
dern viel besungene von Ploir é, blicken von bedeuten-
den Erhöhungen herab; in der Ferne gegen Westen er-
heben sich schroffe Felswände, die sich bald als Ufer
des herrlichen Golfes von Douarnenez ausbreiten. Jn
Douarnenez, dessen kleine Nebenbucht an der Jnsel
Tristan, das im ersten Augenblick den Eindruck eines
schottischen Lochs machte, hielten wir uns dießmal nur
wenige Minuten auf, angestarrt von den Bauern, die
an fremde Gesichter nicht gewöhnt sind, und eilten auf
[Ende Spaltensatz]

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Jn Douarnenez, dessen kleine Nebenbucht an der Jnsel Tristan, das im ersten Augenblick den Eindruck eines schottischen Lochs machte, hielten wir uns dießmal nur wenige Minuten auf, angestarrt von den Bauern, die an fremde Gesichter nicht gewöhnt sind, und eilten auf

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856, S. 803. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt34_1856/11>, abgerufen am 24.11.2024.