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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 6. Stuttgart/Tübingen, 10. Februar 1856.

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Korrespondenz=Nachrichten.
Aus der Provinz Sachsen, Januar.
Schriftsteller der Provinz. [Beginn Spaltensatz]

Der ohnehin nicht sehr dichte Kreis unserer Schrift-
steller ist in der lezten Zeit noch mehr durch den Tod ge-
lichtet. Jch will mit der Nennung des Jüngsten unter
diesen Verstorbenen, der zugleich der Jüngstverstorbene
ist, beginnen, mit Friedrich Bense nämlich, dessen
Name Jhnen freilich unbekannt geblieben seyn dürfte und
an den wir uns auch nur deßhalb erinnern, weil er unter
den Literaten der Gegenwart mit seinem Weltschmerz ( und
er hatte noch Weltschmerz, ächten vormärzlichen Welt-
schmerz ) eine so besonders charakteristische Erscheinung war.
Friedrich Bense war in einer Stadt an der Bode geboren
und galt auf den von ihm besuchten Gymnasien in den
Augen sehr achtbarer Lehrer für einen Musterschüler we-
gen seiner wahrhaft weiblichen Empfänglichkeit, die für
Talent gehalten wurde, seiner unbedingten Folgsamkeit,
die für Tugend galt und großentheils nur in dem gänz-
lichen Mangel eigenen Charakters begründet war, und
seines unbestreitbaren Fleißes. Man erwartete Außeror-
dentliches von ihm, doch blieb er, nachdem die Schulzeit
absolvirt war, in seiner Entwicklung sogleich stehen, und
es war traurig zu hören, wie er später daran dachte,
durch Einreichung einer schon auf der Schule verfaßten
philosophischen Arbeit sich die philosophische Doctorwürde
zu erwerben. Auf der Universität Berlin gab der Um-
gang mit Freunden von leichteren Sitten seinen schwan-
kenden Lebensansichten den empfindlichsten Stoß. Dann
kehrte er als Auscultator an das Gericht der Stadt
zurück, deren Gymnasium er besucht hatte und in der er
nun durch sein Leben seinem trefflichen Rector nur be-
weisen zu wollen schien, daß er sich in ihm geirrt, als
er ihm in's Abgangszeugniß schrieb, daß sein Leben einst
"dem höheren Schönen" geweiht seyn werde. Das Wochen-
blatt der Stadt brachte Gedichte von ihm auf bestimmte
Damen, denen niemand zugetraut haben würde, daß sie
noch jugendliche Herzen rühren könnten. Mit der neueren
Poesie hatte sich Bense, stolz auf einen gewissen Anflug
philosophischer Schulbildung, nur sehr obenhin bekannt
gemacht und war auf diese Weise ein Nachahmer Heines
geworden, auch in Bezug auf politische Poesie, die bei
ihm gänzlich zum Pasquill ausartete. Er war schwach
genug, sich in dieser Richtung sogar durch Buchhändler
bestärken zu lassen, welche ihm wegen solcher Gedichte
schmeichelten, die sie aus Furcht vor dem Gesetz nicht
drucken zu können erklärten, oder ihm aus Furcht vor
ihm selbst wohl gar abkauften, um sie niemals zu ver-
öffentlichen. Während der Revolutionszeit bielt er sich
[Spaltenumbruch] auch nicht mehr für verpflichtet, seine gerichtlichen Ge-
schäftsstunden zu beobachten, und während er einen kleinen
Termin abhalten sollte, streifte er wohl im nahen Harze
umher. Jn dieser Zeit war es auch, daß ein von ihm
auf der Stube eines Freundes verfaßtes politisches Ge-
dicht, das "Champagnerlied" ( wieder eine Nachahmung
Heines ) , bei jenem, der es wohl einigermaßen verbreitet
haben mochte, was man dem Verfasser nicht schuld geben
konnte, gefunden wurde, worauf Bense, sey es aus Edel-
muth, da sonst der Freund auf den Staatsdienst hätte
verzichten müssen, oder weil er selbst des Staatsdienstes
schon gänzlich überdrüssig war, sich selbst als den Verfasser
nannte. Die Geschworenen fanden ihn als bloßen Ver-
fasser des Gedichts nicht strafbar, doch wurde er nun auf
dem Disciplinarwege aus dem Justizdienste entfernt. Bense
lebte jezt als sogenannter Literat, in seinem Pulte häuften
sich die Gedichte immer mehr, und wenn es ihm gelang,
eines derselben zum Druck zu bringen, so trug es gewöhn-
lich genug von einem Pasquill in sich, um gleich einer
zerplatzenden Bombe zu wirken und zunächst die Gefahr
der Concessionsentziehung dem Blatte, in dem es erschien,
ganz nabe zu bringen. Er hatte ein scharfes Auge für
Culturzustände, aber bei seiner Heine'schen Jronie und
dem gänzlichen Mangel aller reellen Lebensansichten konnte
auch seine Prosa nur schädlich wirken. Er war der Jules
Janin einer ganz kleinen Stadt und dadurch mit dem
Fluche des Lächerlichen behaftet, der ihm in einer Stadt
mit einem stehenden Theater u. s. w. nicht so hätte an-
kleben können. Er war auf Bahnhöfen, Märkten und
Freischießen in seinem Demokratenhute, den er noch immer
trug, wohl bekannt. Alle Vorstellungen, alle Aufforde-
rungen, nur überhaupt einige historische Studien für seine
Publicistik zu machen, wies er von seinem philosophischen
Standpunkte, bei dem sich das Erhabene mit dem Lächer-
lichen berührte, consequent zurück. Selbst einige Kenntniß-
nahme von unserer heutigen Tagespresse, in der er wohl
noch zu verwenden gewesen wäre, fand er zu unbequem.
Dennoch machte ihn endlich der Zufall zum zweiten Re-
dakteur einer politischen Zeitung in der Hauptstadt der
Provinz, wo er, etwa dreißig Jahre alt, gegen Ende des
vorigen Jahrs starb. Er selbst hielt sich für ein musikali-
sches Talent und hatte noch in reiferen Jahren daran ge-
dacht. bei Franz Liszt sich in der Musik auszubilden.

Früher schon im vorigen Jahre starb der Prediger
Nagel zu Gatersleben, mit seinem langen Gehörrohr
und seiner dröhnenden Stimme seiner Zeit in den licht-
[Ende Spaltensatz]


Korrespondenz=Nachrichten.
Aus der Provinz Sachsen, Januar.
Schriftsteller der Provinz. [Beginn Spaltensatz]

Der ohnehin nicht sehr dichte Kreis unserer Schrift-
steller ist in der lezten Zeit noch mehr durch den Tod ge-
lichtet. Jch will mit der Nennung des Jüngsten unter
diesen Verstorbenen, der zugleich der Jüngstverstorbene
ist, beginnen, mit Friedrich Bense nämlich, dessen
Name Jhnen freilich unbekannt geblieben seyn dürfte und
an den wir uns auch nur deßhalb erinnern, weil er unter
den Literaten der Gegenwart mit seinem Weltschmerz ( und
er hatte noch Weltschmerz, ächten vormärzlichen Welt-
schmerz ) eine so besonders charakteristische Erscheinung war.
Friedrich Bense war in einer Stadt an der Bode geboren
und galt auf den von ihm besuchten Gymnasien in den
Augen sehr achtbarer Lehrer für einen Musterschüler we-
gen seiner wahrhaft weiblichen Empfänglichkeit, die für
Talent gehalten wurde, seiner unbedingten Folgsamkeit,
die für Tugend galt und großentheils nur in dem gänz-
lichen Mangel eigenen Charakters begründet war, und
seines unbestreitbaren Fleißes. Man erwartete Außeror-
dentliches von ihm, doch blieb er, nachdem die Schulzeit
absolvirt war, in seiner Entwicklung sogleich stehen, und
es war traurig zu hören, wie er später daran dachte,
durch Einreichung einer schon auf der Schule verfaßten
philosophischen Arbeit sich die philosophische Doctorwürde
zu erwerben. Auf der Universität Berlin gab der Um-
gang mit Freunden von leichteren Sitten seinen schwan-
kenden Lebensansichten den empfindlichsten Stoß. Dann
kehrte er als Auscultator an das Gericht der Stadt
zurück, deren Gymnasium er besucht hatte und in der er
nun durch sein Leben seinem trefflichen Rector nur be-
weisen zu wollen schien, daß er sich in ihm geirrt, als
er ihm in's Abgangszeugniß schrieb, daß sein Leben einst
„dem höheren Schönen“ geweiht seyn werde. Das Wochen-
blatt der Stadt brachte Gedichte von ihm auf bestimmte
Damen, denen niemand zugetraut haben würde, daß sie
noch jugendliche Herzen rühren könnten. Mit der neueren
Poesie hatte sich Bense, stolz auf einen gewissen Anflug
philosophischer Schulbildung, nur sehr obenhin bekannt
gemacht und war auf diese Weise ein Nachahmer Heines
geworden, auch in Bezug auf politische Poesie, die bei
ihm gänzlich zum Pasquill ausartete. Er war schwach
genug, sich in dieser Richtung sogar durch Buchhändler
bestärken zu lassen, welche ihm wegen solcher Gedichte
schmeichelten, die sie aus Furcht vor dem Gesetz nicht
drucken zu können erklärten, oder ihm aus Furcht vor
ihm selbst wohl gar abkauften, um sie niemals zu ver-
öffentlichen. Während der Revolutionszeit bielt er sich
[Spaltenumbruch] auch nicht mehr für verpflichtet, seine gerichtlichen Ge-
schäftsstunden zu beobachten, und während er einen kleinen
Termin abhalten sollte, streifte er wohl im nahen Harze
umher. Jn dieser Zeit war es auch, daß ein von ihm
auf der Stube eines Freundes verfaßtes politisches Ge-
dicht, das „Champagnerlied“ ( wieder eine Nachahmung
Heines ) , bei jenem, der es wohl einigermaßen verbreitet
haben mochte, was man dem Verfasser nicht schuld geben
konnte, gefunden wurde, worauf Bense, sey es aus Edel-
muth, da sonst der Freund auf den Staatsdienst hätte
verzichten müssen, oder weil er selbst des Staatsdienstes
schon gänzlich überdrüssig war, sich selbst als den Verfasser
nannte. Die Geschworenen fanden ihn als bloßen Ver-
fasser des Gedichts nicht strafbar, doch wurde er nun auf
dem Disciplinarwege aus dem Justizdienste entfernt. Bense
lebte jezt als sogenannter Literat, in seinem Pulte häuften
sich die Gedichte immer mehr, und wenn es ihm gelang,
eines derselben zum Druck zu bringen, so trug es gewöhn-
lich genug von einem Pasquill in sich, um gleich einer
zerplatzenden Bombe zu wirken und zunächst die Gefahr
der Concessionsentziehung dem Blatte, in dem es erschien,
ganz nabe zu bringen. Er hatte ein scharfes Auge für
Culturzustände, aber bei seiner Heine'schen Jronie und
dem gänzlichen Mangel aller reellen Lebensansichten konnte
auch seine Prosa nur schädlich wirken. Er war der Jules
Janin einer ganz kleinen Stadt und dadurch mit dem
Fluche des Lächerlichen behaftet, der ihm in einer Stadt
mit einem stehenden Theater u. s. w. nicht so hätte an-
kleben können. Er war auf Bahnhöfen, Märkten und
Freischießen in seinem Demokratenhute, den er noch immer
trug, wohl bekannt. Alle Vorstellungen, alle Aufforde-
rungen, nur überhaupt einige historische Studien für seine
Publicistik zu machen, wies er von seinem philosophischen
Standpunkte, bei dem sich das Erhabene mit dem Lächer-
lichen berührte, consequent zurück. Selbst einige Kenntniß-
nahme von unserer heutigen Tagespresse, in der er wohl
noch zu verwenden gewesen wäre, fand er zu unbequem.
Dennoch machte ihn endlich der Zufall zum zweiten Re-
dakteur einer politischen Zeitung in der Hauptstadt der
Provinz, wo er, etwa dreißig Jahre alt, gegen Ende des
vorigen Jahrs starb. Er selbst hielt sich für ein musikali-
sches Talent und hatte noch in reiferen Jahren daran ge-
dacht. bei Franz Liszt sich in der Musik auszubilden.

Früher schon im vorigen Jahre starb der Prediger
Nagel zu Gatersleben, mit seinem langen Gehörrohr
und seiner dröhnenden Stimme seiner Zeit in den licht-
[Ende Spaltensatz]

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[137/0017] 137 Korrespondenz=Nachrichten. Aus der Provinz Sachsen, Januar. Schriftsteller der Provinz. Der ohnehin nicht sehr dichte Kreis unserer Schrift- steller ist in der lezten Zeit noch mehr durch den Tod ge- lichtet. Jch will mit der Nennung des Jüngsten unter diesen Verstorbenen, der zugleich der Jüngstverstorbene ist, beginnen, mit Friedrich Bense nämlich, dessen Name Jhnen freilich unbekannt geblieben seyn dürfte und an den wir uns auch nur deßhalb erinnern, weil er unter den Literaten der Gegenwart mit seinem Weltschmerz ( und er hatte noch Weltschmerz, ächten vormärzlichen Welt- schmerz ) eine so besonders charakteristische Erscheinung war. Friedrich Bense war in einer Stadt an der Bode geboren und galt auf den von ihm besuchten Gymnasien in den Augen sehr achtbarer Lehrer für einen Musterschüler we- gen seiner wahrhaft weiblichen Empfänglichkeit, die für Talent gehalten wurde, seiner unbedingten Folgsamkeit, die für Tugend galt und großentheils nur in dem gänz- lichen Mangel eigenen Charakters begründet war, und seines unbestreitbaren Fleißes. Man erwartete Außeror- dentliches von ihm, doch blieb er, nachdem die Schulzeit absolvirt war, in seiner Entwicklung sogleich stehen, und es war traurig zu hören, wie er später daran dachte, durch Einreichung einer schon auf der Schule verfaßten philosophischen Arbeit sich die philosophische Doctorwürde zu erwerben. Auf der Universität Berlin gab der Um- gang mit Freunden von leichteren Sitten seinen schwan- kenden Lebensansichten den empfindlichsten Stoß. Dann kehrte er als Auscultator an das Gericht der Stadt zurück, deren Gymnasium er besucht hatte und in der er nun durch sein Leben seinem trefflichen Rector nur be- weisen zu wollen schien, daß er sich in ihm geirrt, als er ihm in's Abgangszeugniß schrieb, daß sein Leben einst „dem höheren Schönen“ geweiht seyn werde. Das Wochen- blatt der Stadt brachte Gedichte von ihm auf bestimmte Damen, denen niemand zugetraut haben würde, daß sie noch jugendliche Herzen rühren könnten. Mit der neueren Poesie hatte sich Bense, stolz auf einen gewissen Anflug philosophischer Schulbildung, nur sehr obenhin bekannt gemacht und war auf diese Weise ein Nachahmer Heines geworden, auch in Bezug auf politische Poesie, die bei ihm gänzlich zum Pasquill ausartete. Er war schwach genug, sich in dieser Richtung sogar durch Buchhändler bestärken zu lassen, welche ihm wegen solcher Gedichte schmeichelten, die sie aus Furcht vor dem Gesetz nicht drucken zu können erklärten, oder ihm aus Furcht vor ihm selbst wohl gar abkauften, um sie niemals zu ver- öffentlichen. Während der Revolutionszeit bielt er sich auch nicht mehr für verpflichtet, seine gerichtlichen Ge- schäftsstunden zu beobachten, und während er einen kleinen Termin abhalten sollte, streifte er wohl im nahen Harze umher. Jn dieser Zeit war es auch, daß ein von ihm auf der Stube eines Freundes verfaßtes politisches Ge- dicht, das „Champagnerlied“ ( wieder eine Nachahmung Heines ) , bei jenem, der es wohl einigermaßen verbreitet haben mochte, was man dem Verfasser nicht schuld geben konnte, gefunden wurde, worauf Bense, sey es aus Edel- muth, da sonst der Freund auf den Staatsdienst hätte verzichten müssen, oder weil er selbst des Staatsdienstes schon gänzlich überdrüssig war, sich selbst als den Verfasser nannte. Die Geschworenen fanden ihn als bloßen Ver- fasser des Gedichts nicht strafbar, doch wurde er nun auf dem Disciplinarwege aus dem Justizdienste entfernt. Bense lebte jezt als sogenannter Literat, in seinem Pulte häuften sich die Gedichte immer mehr, und wenn es ihm gelang, eines derselben zum Druck zu bringen, so trug es gewöhn- lich genug von einem Pasquill in sich, um gleich einer zerplatzenden Bombe zu wirken und zunächst die Gefahr der Concessionsentziehung dem Blatte, in dem es erschien, ganz nabe zu bringen. Er hatte ein scharfes Auge für Culturzustände, aber bei seiner Heine'schen Jronie und dem gänzlichen Mangel aller reellen Lebensansichten konnte auch seine Prosa nur schädlich wirken. Er war der Jules Janin einer ganz kleinen Stadt und dadurch mit dem Fluche des Lächerlichen behaftet, der ihm in einer Stadt mit einem stehenden Theater u. s. w. nicht so hätte an- kleben können. Er war auf Bahnhöfen, Märkten und Freischießen in seinem Demokratenhute, den er noch immer trug, wohl bekannt. Alle Vorstellungen, alle Aufforde- rungen, nur überhaupt einige historische Studien für seine Publicistik zu machen, wies er von seinem philosophischen Standpunkte, bei dem sich das Erhabene mit dem Lächer- lichen berührte, consequent zurück. Selbst einige Kenntniß- nahme von unserer heutigen Tagespresse, in der er wohl noch zu verwenden gewesen wäre, fand er zu unbequem. Dennoch machte ihn endlich der Zufall zum zweiten Re- dakteur einer politischen Zeitung in der Hauptstadt der Provinz, wo er, etwa dreißig Jahre alt, gegen Ende des vorigen Jahrs starb. Er selbst hielt sich für ein musikali- sches Talent und hatte noch in reiferen Jahren daran ge- dacht. bei Franz Liszt sich in der Musik auszubilden. Früher schon im vorigen Jahre starb der Prediger Nagel zu Gatersleben, mit seinem langen Gehörrohr und seiner dröhnenden Stimme seiner Zeit in den licht-

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 6. Stuttgart/Tübingen, 10. Februar 1856, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt06_1856/17>, abgerufen am 24.11.2024.