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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 6. Stuttgart/Tübingen, 10. Februar 1856.

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[Beginn Spaltensatz] freundlichen Versammlungen der Provinz eine wohlbekannte
Erscheinung. Er schrieb über das Fürstenthum Halberstadt
zur Zeit der Fremdherrschaft, unter der er jedoch selbst als
junger Candidat eine Rolle zu spielen verstanden hatte.
Schon in einem der früheren Jahre starb der Prediger
Hundecker zu Hötensleben, ein geistlicher Liederdichter,
der auch in Albert Knapps geistlichem Liederschatz berück-
sichtigt ist.

Um nun auch noch von einigen lebenden Schrift-
stellern zu reden, so gedenke ich zuerst eines Greises, des
Oberlehrers Keßlin zu Wernigerode, der am 5. Februar
sein fünfzigjähriges Lehrerjubiläum feiern wird. Der
wissenschaftliche Verein zu Wernigerode, welchem er als
Mitglied angehört, wußte dasselbe nicht würdiger durch
eine literarische Arbeit zu verherrlichen, als indem er zu
dem Feste ein von dem Jubilar verfaßtes Manuscript,
"Nachrichten von Gelehrten, Schriftstellern und Künstlern
der Grafschaft Wernigerode," in Druck gab. Sie haben
unverkennbaren Werth für Literaturgeschichte und Biblio-
graphie und gehen von der ältesten bis auf die neueste
Zeit. Sie beschäftigen sich unter andern mit den Schrift-
stellern Augustin ( dem bekannten Oberdomprediger und
Alterthumsforscher in Halberstadt ) , Ernst Förstemann
( dem Herausgeber des altdeutschen Namenbuches ) , Gleim,
Göckingk, Herrand ( ein alter Jlsenburger Abt, der älteste
Schriftsteller der Grafschaft ) , Löhr ( Verfasser des "Neuen
Andreas" ) , Puttrich, Raßmann, Streithorst, Thymus
[Spaltenumbruch] ( der Dichter des Peter Unverfehrden von Wallmoden ) ,
Unzer und Zerenner. -- Bei einer ähnlichen Gelegenheit,
zur Feier der fünfundzwanzigjährigen Amtsthätigkeit des
Dr. Fr. A. Eckstein, Condirektors der Francke'schen Stif-
tungen und Rektors der lateinischen Hauptschule zu Halle,
zum 1. Januar 1856, ließ Dr. Daniel "Ramlers erste
Ode auf Friedrich den Großen" zum erstenmal drucken.
Jn der Waisenhausbuchhandlung zu Halle erschien als ein
umfangreicher und sehr werthvoller Beitrag zur deutschen
Literaturgeschichte: "Die Sagen von Merlin, erläutert
von San=Marte," unter welchem Namen der verdiente
A. Schulz, Regierungsrath im Provincialschulcollegium
zu Magdeburg, bisher schrieb. Er ist bekanntlich auch der
Uebersetzer und Erläuterer des Parcival, mit welcher Ar-
beit er dem tiefsinnigen Wolfram von Eschenbach so viele
Freunde erworben, und gegenwärtig bereitet er mit selte-
nem Fleiße die zweite Auflage dieser Dichtung vor. Eine
andere sehr gründliche und dabei doch noch immer ein
gewisses allgemeineres Jnteresse beanspruchende Schrift,
die ganz kürzlich im Halle'schen Waisenhause erschien, ist
"Alexander und Aristoteles in ihren gegenseitigen Bezie-
hungen, von Dr. Robert Geier. " Bekanntlich war es bis
jetzt unter den Lebenden besonders Adolf Stabr, der
sich in seiner früheren Periode mit Aristoteles beschäftigte
und auf dessen " Aristotelia " Geier, welcher Lehrer an der
lateinischen Schule des Waisenhauses ist, daher auch viel-
fach Bezug genommen hat.

[Ende Spaltensatz]



Aus der Westschweiz, Januar.

Das Erdbeben. -- Die Pflanzenseuchen und ihre Erklärer. -- Die Cholera.


[Beginn Spaltensatz]

Nous dansons sur un volcan, -- so dürfte zu dieser
Fastnachtszeit unsere tanzlustige Jugend mit eben so gutem
Rechte sagen, als zu seiner Zeit der Staatsmann und
Schriftsteller Salvandy. Nicht als ob in irgend einem
der zweiundzwanzig Kantone einer gemeinen Eidgenossen-
schaft ein politischer Vesuvius auszubrechen Miene machte.
Jm Gegentheil, seit sechzig Jahren herrschte vielleicht keine
solche politische Windstille zwischen den Alpen und dem
Jura als eben jetzt. Fuston ist das Losungswort, welches
sogar die Herren Fazy in Genf und Schaller in Frei-
burg zu ihrer Devise gemacht haben. Einige publicistische
Catone bezeichnen zwar diese beginnende Verträglichkeit
zwischen Conservativen und Radikalen mit dem verächtli-
chen Ausdruck "Verlumpung der Principien." Trotzdem
kann ich Jhnen betheuern, daß sich unter diesem "Ver-
[Spaltenumbruch] lumpungssystem" viel angenehmer leben läßt, als zur Zeit,
da die Parteien einander gegenüber standen, gleich zwei
pustenden Katern, und man jeden Augenblick gewärtigen
mußte, die eine Hälfte der Enkel Winkelrieds der andern
über den Pelz fahren zu sehen.

Der Vulkan, von welchem ich Jhnen sprach, ist
keine Redefigur, sondern ein ächter wirklicher, der nun
schon seit vollen sechs Monaten seine Gegenwart unter
unsern Füßen durch fortwährendes Brummen und Rütteln
kund gibt, und nur die gelegene Stimmung abzuwarten
scheint, um sich eines kühlen Morgens Luft zu machen und
mittelst eines wohlconditionirten Aschenregens oder an-
ständigen Lavastromes bei uns förmlich zu accreditiren.
Dabei ist höchst auffallend, daß die Umsturzpartei unter
den Erdgeistern zum Hauptschauplatz ihrer Wühlereien das
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] freundlichen Versammlungen der Provinz eine wohlbekannte
Erscheinung. Er schrieb über das Fürstenthum Halberstadt
zur Zeit der Fremdherrschaft, unter der er jedoch selbst als
junger Candidat eine Rolle zu spielen verstanden hatte.
Schon in einem der früheren Jahre starb der Prediger
Hundecker zu Hötensleben, ein geistlicher Liederdichter,
der auch in Albert Knapps geistlichem Liederschatz berück-
sichtigt ist.

Um nun auch noch von einigen lebenden Schrift-
stellern zu reden, so gedenke ich zuerst eines Greises, des
Oberlehrers Keßlin zu Wernigerode, der am 5. Februar
sein fünfzigjähriges Lehrerjubiläum feiern wird. Der
wissenschaftliche Verein zu Wernigerode, welchem er als
Mitglied angehört, wußte dasselbe nicht würdiger durch
eine literarische Arbeit zu verherrlichen, als indem er zu
dem Feste ein von dem Jubilar verfaßtes Manuscript,
„Nachrichten von Gelehrten, Schriftstellern und Künstlern
der Grafschaft Wernigerode,“ in Druck gab. Sie haben
unverkennbaren Werth für Literaturgeschichte und Biblio-
graphie und gehen von der ältesten bis auf die neueste
Zeit. Sie beschäftigen sich unter andern mit den Schrift-
stellern Augustin ( dem bekannten Oberdomprediger und
Alterthumsforscher in Halberstadt ) , Ernst Förstemann
( dem Herausgeber des altdeutschen Namenbuches ) , Gleim,
Göckingk, Herrand ( ein alter Jlsenburger Abt, der älteste
Schriftsteller der Grafschaft ) , Löhr ( Verfasser des „Neuen
Andreas“ ) , Puttrich, Raßmann, Streithorst, Thymus
[Spaltenumbruch] ( der Dichter des Peter Unverfehrden von Wallmoden ) ,
Unzer und Zerenner. — Bei einer ähnlichen Gelegenheit,
zur Feier der fünfundzwanzigjährigen Amtsthätigkeit des
Dr. Fr. A. Eckstein, Condirektors der Francke'schen Stif-
tungen und Rektors der lateinischen Hauptschule zu Halle,
zum 1. Januar 1856, ließ Dr. Daniel „Ramlers erste
Ode auf Friedrich den Großen“ zum erstenmal drucken.
Jn der Waisenhausbuchhandlung zu Halle erschien als ein
umfangreicher und sehr werthvoller Beitrag zur deutschen
Literaturgeschichte: „Die Sagen von Merlin, erläutert
von San=Marte,“ unter welchem Namen der verdiente
A. Schulz, Regierungsrath im Provincialschulcollegium
zu Magdeburg, bisher schrieb. Er ist bekanntlich auch der
Uebersetzer und Erläuterer des Parcival, mit welcher Ar-
beit er dem tiefsinnigen Wolfram von Eschenbach so viele
Freunde erworben, und gegenwärtig bereitet er mit selte-
nem Fleiße die zweite Auflage dieser Dichtung vor. Eine
andere sehr gründliche und dabei doch noch immer ein
gewisses allgemeineres Jnteresse beanspruchende Schrift,
die ganz kürzlich im Halle'schen Waisenhause erschien, ist
„Alexander und Aristoteles in ihren gegenseitigen Bezie-
hungen, von Dr. Robert Geier. “ Bekanntlich war es bis
jetzt unter den Lebenden besonders Adolf Stabr, der
sich in seiner früheren Periode mit Aristoteles beschäftigte
und auf dessen » Aristotelia « Geier, welcher Lehrer an der
lateinischen Schule des Waisenhauses ist, daher auch viel-
fach Bezug genommen hat.

[Ende Spaltensatz]



Aus der Westschweiz, Januar.

Das Erdbeben. — Die Pflanzenseuchen und ihre Erklärer. — Die Cholera.


[Beginn Spaltensatz]

Nous dansons sur un volcan, — so dürfte zu dieser
Fastnachtszeit unsere tanzlustige Jugend mit eben so gutem
Rechte sagen, als zu seiner Zeit der Staatsmann und
Schriftsteller Salvandy. Nicht als ob in irgend einem
der zweiundzwanzig Kantone einer gemeinen Eidgenossen-
schaft ein politischer Vesuvius auszubrechen Miene machte.
Jm Gegentheil, seit sechzig Jahren herrschte vielleicht keine
solche politische Windstille zwischen den Alpen und dem
Jura als eben jetzt. Fuston ist das Losungswort, welches
sogar die Herren Fazy in Genf und Schaller in Frei-
burg zu ihrer Devise gemacht haben. Einige publicistische
Catone bezeichnen zwar diese beginnende Verträglichkeit
zwischen Conservativen und Radikalen mit dem verächtli-
chen Ausdruck „Verlumpung der Principien.“ Trotzdem
kann ich Jhnen betheuern, daß sich unter diesem „Ver-
[Spaltenumbruch] lumpungssystem“ viel angenehmer leben läßt, als zur Zeit,
da die Parteien einander gegenüber standen, gleich zwei
pustenden Katern, und man jeden Augenblick gewärtigen
mußte, die eine Hälfte der Enkel Winkelrieds der andern
über den Pelz fahren zu sehen.

Der Vulkan, von welchem ich Jhnen sprach, ist
keine Redefigur, sondern ein ächter wirklicher, der nun
schon seit vollen sechs Monaten seine Gegenwart unter
unsern Füßen durch fortwährendes Brummen und Rütteln
kund gibt, und nur die gelegene Stimmung abzuwarten
scheint, um sich eines kühlen Morgens Luft zu machen und
mittelst eines wohlconditionirten Aschenregens oder an-
ständigen Lavastromes bei uns förmlich zu accreditiren.
Dabei ist höchst auffallend, daß die Umsturzpartei unter
den Erdgeistern zum Hauptschauplatz ihrer Wühlereien das
[Ende Spaltensatz]

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 6. Stuttgart/Tübingen, 10. Februar 1856, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt06_1856/18>, abgerufen am 27.06.2024.