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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 6. Stuttgart/Tübingen, 10. Februar 1856.

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[Beginn Spaltensatz] kommt er wiederholt zurück. Den Grund der auffallen-
den allgemeinen Vertraulichkeit findet er in dem " kö-
niglichen Jnstinkt eines unermeßlichen Unterschieds zwi-
schen beiden Parteien," der durch keine noch so große
Annäherung und Ermuthigung verrückt werden könne.
"Je ferner ihr steht, mit desto mehr Sicherheit kann
die erhabene Person den Enthusiasmus eurer Bewun-
derung gewähren lassen. Je größer ihre Verdienste und
je bezaubernder ihre Herablassung, um so weniger könnt
ihr so unbescheiden seyn, euch selbst geltend machen zu
wollen. Jhr könnt euch zu Vertraulichkeiten hinreißen
lassen; das ist zu entschuldigen, wenn auch nicht wün-
schenswerth; sich aber gar nicht hinreißen lassen, keine
Unbesonnenheit begehen und auf der andern Seite auch
kein ernstliches Entzücken an den Tag legen, ist eine
Beleidigung."

Mit dieser Vertraulichkeit war eine unglaubliche
Jndiskretion verbunden. Er hatte die Gewohnheit, je-
den, der ihm nahe kam, zum Theilnehmer an seinen
Geheimnissen zu machen. "Die Rücksichtslosigkeit, mit der
er seine Verhältnisse mittheilte und die Briefe anderer
an ihn zeigte, war -- glaube ich -- einzig in ihrer
Art. Mit lezteren machte er sogar Geschenke, und ich
habe einige von ihnen angenommen, um sie nicht wei-
ter kommen zu lassen." Die verschwenderische Freund-
schaft war also eigentlich ein Mangel an allem wirk-
lichen Gefühl für dieselbe. Er liebte seine Freunde nicht
um ihrer selbst willen; sie sollten ihm ebenfalls nur als
Mittel zur Erhöhung seines Selbstgefühls dienen; deß-
wegen war er gegen die anwesenden eben so rücksichts-
los, wie er nachher kein Bedenken trug, die Schwächen
der abwesenden schonungslos aufzudecken.

Nicht nur über Abwesende machte er sich auf eine
nicht zu billigende Weise lustig, sondern auch über die
Gegenwärtigen erlaubte er sich zu spotten unter Umständen,
die ein solches Begegnen nicht angenehm erscheinen lassen
konnten. "Als er mich in England kennen lernte als
einen unabhängigen Mann, der ihm nützlich werden konnte,
erlaubte er sich nie einen Spott über mich; in Jtalien
sing er bald an mich damit zu bedienen, und ich war,
in unserem beider Jnteresse, genöthigt, ihm zu sagen,
daß ich das nicht liebe. Sticheleien, wenn sie nicht mit
[Spaltenumbruch] großer Feinheit angebracht und von beiden Seiten gleich
gut aufgenommen werden, sind in der That keine Sache
für Leute von gereiftem Verstand. Wie bei Jungen,
die sich zum Spaß balgen, fällt ein tüchtiger Schlag,
und dann geht es im Ernst. Ein vorübergehender fei-
ner Spott ist etwas anderes und kann uns Nutzen eben
so wohl als Vergnügen gewähren, aber er fordert eine
ausgezeichnete Handhabung. Wir wollen z. B. an Sir
Richard Steele denken oder an einen andern gutmüthi-
gen Mann von Witz. Mein Freund Charles Lamb hat
über mich gespottet und gemacht, daß ich ihn nur um
so mehr liebte, ebenso Shelley. Bei einem Mann,
dessen aufrichtig wohlwollende Gesinnung weniger un-
zweifelhaft ist, bei Addison z. B. mit seinem von Natur
zurückhaltenden Wesen und seinem angeborenen Kanzel-
ton, würde man bald die Motive beargwöhnen, und bei
Swift oder Johnson gab es ohne Zweifel öfter Veran-
lassung zu unsanften Repliken, als die Biographen zu
erwähnen für angemessen fanden."

Die leztere Bemerkung findet auch auf Byron ihre
volle Anwendung. Witzige Schriftsteller denkt man sich
immer gerüstet mit den Bonmots, die sich in ihren
Schriften so gut ausnehmen, während ihnen, wie an-
dern Leuten, das Beste in der Regel auch erst hinten-
nach einfällt und sie nur den Vortheil voraus haben,
was mündlich zurückblieb, schriftlich an der rechten
Stelle nachholen zu können. So ist Byron, im Don
Juan namentlich, mit so unerschöpflichen Sarkasmen
versehen, daß man meinen sollte, er sey nicht so leicht
aus der Fassung zu bringen gewesen. Dieselbe Ansicht
muß man gewinnen aus seinen erzählenden Gedichten,
deren Helden gewöhnlich durch kalte Ueberlegenheit und
ruhige Selbstconcentration imponiren. Was hier dem
Helden beigelegt wird, sollte man denken, müsse in
reichstem Maße auch in dem Dichter gewesen seyn.
Nach dem aber, was uns Hunt mittheilt, scheint ge-
rade das entgegengesezte der Fall gewesen zu seyn, daß
nämlich der Dichter mit Vorliebe das darzustellen suchte,
was er an sich am wenigsten fand, was also ein Ge-
genstand seiner Vorliebe nur deßwegen wurde, weil er
es gern gehabt hätte.

[Ende Spaltensatz]

( Schluß folgt. )




[Beginn Spaltensatz] kommt er wiederholt zurück. Den Grund der auffallen-
den allgemeinen Vertraulichkeit findet er in dem „ kö-
niglichen Jnstinkt eines unermeßlichen Unterschieds zwi-
schen beiden Parteien,“ der durch keine noch so große
Annäherung und Ermuthigung verrückt werden könne.
„Je ferner ihr steht, mit desto mehr Sicherheit kann
die erhabene Person den Enthusiasmus eurer Bewun-
derung gewähren lassen. Je größer ihre Verdienste und
je bezaubernder ihre Herablassung, um so weniger könnt
ihr so unbescheiden seyn, euch selbst geltend machen zu
wollen. Jhr könnt euch zu Vertraulichkeiten hinreißen
lassen; das ist zu entschuldigen, wenn auch nicht wün-
schenswerth; sich aber gar nicht hinreißen lassen, keine
Unbesonnenheit begehen und auf der andern Seite auch
kein ernstliches Entzücken an den Tag legen, ist eine
Beleidigung.“

Mit dieser Vertraulichkeit war eine unglaubliche
Jndiskretion verbunden. Er hatte die Gewohnheit, je-
den, der ihm nahe kam, zum Theilnehmer an seinen
Geheimnissen zu machen. „Die Rücksichtslosigkeit, mit der
er seine Verhältnisse mittheilte und die Briefe anderer
an ihn zeigte, war — glaube ich — einzig in ihrer
Art. Mit lezteren machte er sogar Geschenke, und ich
habe einige von ihnen angenommen, um sie nicht wei-
ter kommen zu lassen.“ Die verschwenderische Freund-
schaft war also eigentlich ein Mangel an allem wirk-
lichen Gefühl für dieselbe. Er liebte seine Freunde nicht
um ihrer selbst willen; sie sollten ihm ebenfalls nur als
Mittel zur Erhöhung seines Selbstgefühls dienen; deß-
wegen war er gegen die anwesenden eben so rücksichts-
los, wie er nachher kein Bedenken trug, die Schwächen
der abwesenden schonungslos aufzudecken.

Nicht nur über Abwesende machte er sich auf eine
nicht zu billigende Weise lustig, sondern auch über die
Gegenwärtigen erlaubte er sich zu spotten unter Umständen,
die ein solches Begegnen nicht angenehm erscheinen lassen
konnten. „Als er mich in England kennen lernte als
einen unabhängigen Mann, der ihm nützlich werden konnte,
erlaubte er sich nie einen Spott über mich; in Jtalien
sing er bald an mich damit zu bedienen, und ich war,
in unserem beider Jnteresse, genöthigt, ihm zu sagen,
daß ich das nicht liebe. Sticheleien, wenn sie nicht mit
[Spaltenumbruch] großer Feinheit angebracht und von beiden Seiten gleich
gut aufgenommen werden, sind in der That keine Sache
für Leute von gereiftem Verstand. Wie bei Jungen,
die sich zum Spaß balgen, fällt ein tüchtiger Schlag,
und dann geht es im Ernst. Ein vorübergehender fei-
ner Spott ist etwas anderes und kann uns Nutzen eben
so wohl als Vergnügen gewähren, aber er fordert eine
ausgezeichnete Handhabung. Wir wollen z. B. an Sir
Richard Steele denken oder an einen andern gutmüthi-
gen Mann von Witz. Mein Freund Charles Lamb hat
über mich gespottet und gemacht, daß ich ihn nur um
so mehr liebte, ebenso Shelley. Bei einem Mann,
dessen aufrichtig wohlwollende Gesinnung weniger un-
zweifelhaft ist, bei Addison z. B. mit seinem von Natur
zurückhaltenden Wesen und seinem angeborenen Kanzel-
ton, würde man bald die Motive beargwöhnen, und bei
Swift oder Johnson gab es ohne Zweifel öfter Veran-
lassung zu unsanften Repliken, als die Biographen zu
erwähnen für angemessen fanden.“

Die leztere Bemerkung findet auch auf Byron ihre
volle Anwendung. Witzige Schriftsteller denkt man sich
immer gerüstet mit den Bonmots, die sich in ihren
Schriften so gut ausnehmen, während ihnen, wie an-
dern Leuten, das Beste in der Regel auch erst hinten-
nach einfällt und sie nur den Vortheil voraus haben,
was mündlich zurückblieb, schriftlich an der rechten
Stelle nachholen zu können. So ist Byron, im Don
Juan namentlich, mit so unerschöpflichen Sarkasmen
versehen, daß man meinen sollte, er sey nicht so leicht
aus der Fassung zu bringen gewesen. Dieselbe Ansicht
muß man gewinnen aus seinen erzählenden Gedichten,
deren Helden gewöhnlich durch kalte Ueberlegenheit und
ruhige Selbstconcentration imponiren. Was hier dem
Helden beigelegt wird, sollte man denken, müsse in
reichstem Maße auch in dem Dichter gewesen seyn.
Nach dem aber, was uns Hunt mittheilt, scheint ge-
rade das entgegengesezte der Fall gewesen zu seyn, daß
nämlich der Dichter mit Vorliebe das darzustellen suchte,
was er an sich am wenigsten fand, was also ein Ge-
genstand seiner Vorliebe nur deßwegen wurde, weil er
es gern gehabt hätte.

[Ende Spaltensatz]

( Schluß folgt. )




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[136/0016] 136 kommt er wiederholt zurück. Den Grund der auffallen- den allgemeinen Vertraulichkeit findet er in dem „ kö- niglichen Jnstinkt eines unermeßlichen Unterschieds zwi- schen beiden Parteien,“ der durch keine noch so große Annäherung und Ermuthigung verrückt werden könne. „Je ferner ihr steht, mit desto mehr Sicherheit kann die erhabene Person den Enthusiasmus eurer Bewun- derung gewähren lassen. Je größer ihre Verdienste und je bezaubernder ihre Herablassung, um so weniger könnt ihr so unbescheiden seyn, euch selbst geltend machen zu wollen. Jhr könnt euch zu Vertraulichkeiten hinreißen lassen; das ist zu entschuldigen, wenn auch nicht wün- schenswerth; sich aber gar nicht hinreißen lassen, keine Unbesonnenheit begehen und auf der andern Seite auch kein ernstliches Entzücken an den Tag legen, ist eine Beleidigung.“ Mit dieser Vertraulichkeit war eine unglaubliche Jndiskretion verbunden. Er hatte die Gewohnheit, je- den, der ihm nahe kam, zum Theilnehmer an seinen Geheimnissen zu machen. „Die Rücksichtslosigkeit, mit der er seine Verhältnisse mittheilte und die Briefe anderer an ihn zeigte, war — glaube ich — einzig in ihrer Art. Mit lezteren machte er sogar Geschenke, und ich habe einige von ihnen angenommen, um sie nicht wei- ter kommen zu lassen.“ Die verschwenderische Freund- schaft war also eigentlich ein Mangel an allem wirk- lichen Gefühl für dieselbe. Er liebte seine Freunde nicht um ihrer selbst willen; sie sollten ihm ebenfalls nur als Mittel zur Erhöhung seines Selbstgefühls dienen; deß- wegen war er gegen die anwesenden eben so rücksichts- los, wie er nachher kein Bedenken trug, die Schwächen der abwesenden schonungslos aufzudecken. Nicht nur über Abwesende machte er sich auf eine nicht zu billigende Weise lustig, sondern auch über die Gegenwärtigen erlaubte er sich zu spotten unter Umständen, die ein solches Begegnen nicht angenehm erscheinen lassen konnten. „Als er mich in England kennen lernte als einen unabhängigen Mann, der ihm nützlich werden konnte, erlaubte er sich nie einen Spott über mich; in Jtalien sing er bald an mich damit zu bedienen, und ich war, in unserem beider Jnteresse, genöthigt, ihm zu sagen, daß ich das nicht liebe. Sticheleien, wenn sie nicht mit großer Feinheit angebracht und von beiden Seiten gleich gut aufgenommen werden, sind in der That keine Sache für Leute von gereiftem Verstand. Wie bei Jungen, die sich zum Spaß balgen, fällt ein tüchtiger Schlag, und dann geht es im Ernst. Ein vorübergehender fei- ner Spott ist etwas anderes und kann uns Nutzen eben so wohl als Vergnügen gewähren, aber er fordert eine ausgezeichnete Handhabung. Wir wollen z. B. an Sir Richard Steele denken oder an einen andern gutmüthi- gen Mann von Witz. Mein Freund Charles Lamb hat über mich gespottet und gemacht, daß ich ihn nur um so mehr liebte, ebenso Shelley. Bei einem Mann, dessen aufrichtig wohlwollende Gesinnung weniger un- zweifelhaft ist, bei Addison z. B. mit seinem von Natur zurückhaltenden Wesen und seinem angeborenen Kanzel- ton, würde man bald die Motive beargwöhnen, und bei Swift oder Johnson gab es ohne Zweifel öfter Veran- lassung zu unsanften Repliken, als die Biographen zu erwähnen für angemessen fanden.“ Die leztere Bemerkung findet auch auf Byron ihre volle Anwendung. Witzige Schriftsteller denkt man sich immer gerüstet mit den Bonmots, die sich in ihren Schriften so gut ausnehmen, während ihnen, wie an- dern Leuten, das Beste in der Regel auch erst hinten- nach einfällt und sie nur den Vortheil voraus haben, was mündlich zurückblieb, schriftlich an der rechten Stelle nachholen zu können. So ist Byron, im Don Juan namentlich, mit so unerschöpflichen Sarkasmen versehen, daß man meinen sollte, er sey nicht so leicht aus der Fassung zu bringen gewesen. Dieselbe Ansicht muß man gewinnen aus seinen erzählenden Gedichten, deren Helden gewöhnlich durch kalte Ueberlegenheit und ruhige Selbstconcentration imponiren. Was hier dem Helden beigelegt wird, sollte man denken, müsse in reichstem Maße auch in dem Dichter gewesen seyn. Nach dem aber, was uns Hunt mittheilt, scheint ge- rade das entgegengesezte der Fall gewesen zu seyn, daß nämlich der Dichter mit Vorliebe das darzustellen suchte, was er an sich am wenigsten fand, was also ein Ge- genstand seiner Vorliebe nur deßwegen wurde, weil er es gern gehabt hätte. ( Schluß folgt. )

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 6. Stuttgart/Tübingen, 10. Februar 1856, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt06_1856/16>, abgerufen am 27.11.2024.