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Mährisches Tagblatt. Nr. 243, Olmütz, 24.10.1892.

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[Spaltenumbruch]

größte Unrecht. Die entscheidenden Factoren der
Armee können nichts dafür, daß Ungarns Staats-
männer sie irregeführt haben. Die Aufhäufung
von Fehlern, mit welchen diese Angelegenheit
vom Ministerpräsidenten geführt wurde, ist ge-
radezu staunenswerth. Ehe ein Staatsmann den
höchsten Factor im Staate, sein eigenes Cabinet,
seine eigene Partei in eine Angelegenheit hinein-
führt, die Sanction der Krone zu derselben for-
dert, ist es doch Pflicht, sich über die öffentliche
Stimmung zu orientiren und sich die Gewißheit
darüber zu verschaffen, daß dasjenige, was er
beantragt, auf der einmüthigen Billigung der
öffentlichen Meinung beruht und der allgemeinen
Empfindung entspricht. Wer sühnen und versöhnen
will, wer eine nationale Feier veranstalten will,
durch welche alte Kämpfe vergessen und nicht
neue Kämpfe heraufbeschworen werden sollen,
muß doch der öffentlichen Meinung sicher sein.
Sich darüber Gewißheit zu verschaffen hat der
Ministerpräsident verabsäumt. Offenbar durch seine
disherigen großen politischen Erfolge geblendet
(Schallende Heiterkeit und Applaus links), dachte
er sicher, er kenne die öffentliche Meinung so
genau, daß er Niemandes Rath bedürfe. Mit
seiner Genialität glaubte er Alles selbst zu
finden und setzte er voraus, daß Alle sich beugen
werden, und daß er hiedurch das Piedestal seiner
staatsmännischen Größe erhöhen werde. (Wieder-
holte Heiterkeit.) Nun aber folgt die Krönung
des Gebäudes, und es stelle sich heraus, daß
dasjenige, worüber wir hier tagelang debattiren,
wofür der Ministerpräsident die Zustimmung
der Krone angesucht hat, wofür die Solidarität
des Cabinets engagirt wurde, einfach gegen-
standslos geworden ist. (Lautes Gelächter bei
der Opposition.) Hoffentlich ist auch jede Dis-
cussion über die Regierungsfähigkeit und den
Regierungsberuf des Ministerpräsidenten nun-
mehr gegenstandslos geworden. (Wiederholte
Heiterkeit und Applaus links.) Wenn der Kranz
für das Hentzi-Denkmal mit der Inschrift auf
den Schleifen: Sie ruhen in Frieden! bereits
bestellt war, möge derselbe auf den Sarg der
Regierungsfähigkeit des Ministerprädenten nie-
dergelegt werden. (Minutenlanger Applaus links.)
Wenn aber nach Compromittirung alles dessen,
was im Staate nicht compromittirt werden darf,
seine Regierung noch fortdauern dürfte, dann
gebe ich ihm wohl den Kranz, aber nicht die
Aufschrift, denn er wird von unserer Seite weder
Ruhe noch Frieden haben. Ich schließe mit den
Worten des französischen Schriftstellers: C'est
le ridicule, qui tue!

Der Ministerpräsident erklärte, die Absetzung
von der Tagesordnung bedeute nicht das letzte
Wort in dieser Sache. Er acceptire ein Urtheil
über das Vorgehen der Regierung nicht von der
[Spaltenumbruch] leidenschaftlichen Opposition, sondern nur von
competenter Seite. Hätten Jedermann die Ziele
vorgeschwebt, welche die Regierung im Auge
hatte, würde die von der Opposition geltend
gemachte Aufregung nicht entstanden sein. Das
Haus beschloß einstimmig die Absetzung von der
Tagesordnung. Die nächste Sitzung findet am
3. November statt.




Politische Nachrichten.
(Der Abschied des Freiherrn v. Winkler.)

Der Landespräsident von Krain, Freiherr von
Winkler, welcher vor Kurzem seine Entlassung bekam,
hat in seiner Abschiedsrede an die Beamten gegen
jene deutschen Blätter polemisirt, welche sich die
Freiheit genommen haben, seine Amtswirksamkeit
und deren Folgen mit ungeschminkter Aufrichtig-
keit zu kennzeichnen. Die "Grazer Tagespost"
schreibt hierüber: Wir wollen nicht ausführlich
darauf repliciren, zumal der Herr Präsident doch
nicht mehr in der Lage wäre, zu antworten; nur
kurz sei bemerkt, daß die Ruhe und der Friede,
welche Freiherr v. Winkler dem von ihm so lange
regierten Lande angeblich hinterläßt, sonst nirgeds
zu erblicken ist, als auf dem Bilde, das er mit
kundiger Hand zu entwerfen verstand. Umgekehrt
werden die während seiner Herrschaft so kräftig
emporgewachsenen russischen Neigungen, von denen
nach seiner Behauptung nichts zu entdecken ist,
überall gesehen, verspürt, beklagt -- nur von ihm
selbst nicht. Sogar die clericale Presse gibt das
Vorhandensein einer russischen Strömung rück-
haltlos zu, und bekanntlich war es in erster Linie
Krain, welches die Bischöfe im Auge hatten, als
sie in ihrem gemeinsamen Hirtenbriefe der pan-
slavistischen Gefahr entgegentraten. Man sieht,
Freiherr von Winkler war auch noch zu guterletzt
größer in der gewandten formellen Conception
seiner Rede, als in der Kraft ihrer Beweisgründe.

(Zur Reform des Militär-Strafprocesses.)

Wie die "Allg. Juristen-Zeitung" erfährt, liegt
die Schwierigkeit, welche das Zustandekommen
eines neuen Militär-Strafverfahrens, trotz der
allseits anerkannten Dringlichkeit, schon so lange
hindert, in erster Linie und vielleicht ausschließlich
nur darin, daß das Reichs-Kriegsministerium einen
ganz anderen principiellen Standpunct einnimmt,
als die beiderseitigen Justizministerien. Sowohl
der Justizminister Graf Schönborn als auch der
jenseitige Justizminister vertreten die Anschauung,
daß das Militär-Strafverfahren nicht jener
Garantien entbehren kann, welche die moderne
Rechtswissenschaft zum Schutze des Angeklagten
für unerläßlich hält. Die Garantien sind haupt-
sächlich: Oeffentlichkeit des Verfahrens, Zulassung
eines Vertheidigers und Beschwerde, respective
Appellation gegen ein ungerechtes Urtheil. Beide
[Spaltenumbruch] Justizministerien sind so einig in dieser Auffassung,
daß bereits für beide Reichshälften ein auf diesen
Principien beruhender, fast identischer Entwurf
eines neuen Militär-Strasprocesses ausgearbeitet
wurde, wobei auf die besonderen Verhältnisse des
Militärdienstes volle Rücksicht genommen wurde.
Das Reichs-Kriegsministerium glaubt den Stand-
punct der Justizministerien nicht acceptiren zu
können; anderseits aber ist es ebenso gewiß, daß
weder das Parlament in Wien noch jenes in
Budapest einen Entwurf, welcher die oben citir-
ten Principien außer Acht läßt, jemals acceptiren
werden. Auf diese Weise bleibt bedauerlicherweise
Alles beim Alten.

(Die Mitglieder des Bischofscomites),

welche in den letzten Tagen in Wien verweilten,
haben, wie man uns von dort schreibt, an Car-
dinal Gruscha ein Schreiben gerichtet, in
welchem sie dem tiefsten Schmerze über die
schweren Kränkungen Ausdruck geben, die dem
Cardinal bereits wiederholt namentlich aber an-
läßlich des bekannten Kreuzzeichen-Erlasses unter
dem Vorwande des Eintretens für die Sache des
Christenthums in unqualificirbarer Weise zuge-
fügt wurden. Das Schreiben constatirt, daß der
österreichische Episcopat nichts unterlassen habe,
um eine Umgestaltung des Volksschulwesens
auf confessioneller Grundlage herbeizuführen.
Das Schreiben erinnert an die verschiedenen
Schritte des Episcopats in Angelegenheit der
confessionellen Schule und daran, daß eine Er-
klärung in der Schulcommission des Herrenhauses
infolge der Auflösung des Reichsrathes eine Ant-
wort nicht erhalten hat. Trotzdem habe der
Episcopat unterm 13. März dieses Jahres eine
neuerliche Eingabe bezüglich der Volksschule an
das Gesammtministerium gerichtet. Eine vollkom-
mene Gesundung unserer Schuleinrichtungen sei
allerdings erst dann zu hoffen, wenn ein inten-
siveres Verständniß dafür durch Zusammenwirken
der berufenen Kreise bei den Wahlen in die
verschiedenen Vertretungskörper und Schulräthe
maßgebenden Einfluß genommen haben wird.

(Zur Auflösung der Reichenberger Stadt-
vertretung.)

Der "Politik" wird aus Reichen-
berg telegraphirt: Wie verlautet, wird Dr. Schücker
die Wahl zum Bürgermeister, wenn sie ihm an-
getragen werden sollte, ablehnen, wahrscheinlich
weil er besorgt, die kaiserliche Bestätigung nicht
zu erhalten.

(Ein Widerruf des Mechanikers Schneider.)

Mechaniker Schneider publicirt in den anti-libe-
ralen Blättern einen Widerruf, in welchem er
den Wiener Erzbischof um Verzeihung bittet.
Die betreffende Zuschrift lautet: "In meiner
Wählerversammlung vom 20. d. M. habe ich
gegen Se. Eminenz den Herrn Erzbischof an-
läßlich des jüngsten Schulerlasses Vorwürfe er-




[Spaltenumbruch]

nun, meinen Fall dem Plenum unseres Clubs
vorzutragen; mögen meine Freunde über mich
richten.

Genehmigen Sie, hochverehrtester Herr
Präsident die Versicherung meiner besonderen
Werthschätzung
mit der ich verbleibe stets Ihr
Prinz Felix Rawanojeff."

Nun faltete er sorgsam den Brief zusam-
men, hielt ihn an die Flamme einer Kerze, bis
er gänzlich verbrannt war. Die Asche wurde in
einem Teller aufgesammelt.

"Lieber Herr Cartagny, wollen Sie nun die
Freundlichkeit haben, und die Angelegenheit des
Prinzen uns vortragen?"

Der glattrasirte Schauspieler verneigte sich,
übernahm vom Präsidenten das Manuscript und
begann vorzulesen. Er hatte ein angenehmes,
klangvolles Organ, eine sehr deutliche, hübsche
Aussprache, -- einen besseren Vorleser konnte
man sich kaum denken.

"Hochverehrte Versammlung!" las er, "ich
werde Sie nicht lange ermüden, auch nicht Ihre
Geduld auf eine allzuharte Probe stellen. Doch
bevor ich in medias res übergehe, muß ich mir
zwei Bemerkungen gestatten: Erstens bitte ich
um vollste Discretion und Verbrennung dieses
Manuscriptes nach beendeter Vorlesung, zweitens:
bitte, ja flehe ich Sie an: üben Sie Gerechtig-
keit! --

Wie Ihnen allen bekannt ist, zähle ich jetzt
32 Jahre. Ich bin in Petersburg geboren, lebte
aber größtentheils im Auslande, besonders in Lon-
don und Paris. Hier und da kam ich auch nach
[Spaltenumbruch] Wien oder München; ferner wissen Sie Alle,
daß ich seit jeher zur Kunst mich hingezogen
fühle, daß ich selbst schwache Versuche wagte, sie
auszuüben, zumeist mich aber damit begnügen
muß, für selbe zu schwärmen, sie zu lieben, mich
für alles Schöne zu begeistern. Dieser mein Hang
zum Träumerischen, Idealen, wie er von vielen
Seiten so falsch aufgefaßt, verstanden und beur-
theilt wurde, hat mir von mancher Seite Spott,
von anderer aufrichtige Freundschaft eingetragen.
Letzteres in besonderem Maße bei einem jungen,
schwärmerisch veranlagten Kunstacademiker, dessen
Name ich noch vorläufig geheim halten muß.
Wir lernten uns in der Bibliothek Saint-Querin
kennen, wo wir neben einander die alten Kupfer-
stiche und Radirungen copirten. Die Gleichartig-
keit der Beschäftigung, die Nachbarschaft, das fast
gleiche Alter hatte uns bald zusammengeführt,
wir wurden gute Freunde. Da ich aber schon zu
Anfang dieser Bekanntschaft die ärmlichen, sorg-
reichen Verhältnisse meines jungen Freundes er-
kannt hatte, (er copirte des lieben Verdienstes
willen), scheute ich mich, ihm meinen wahren
Namen anzugeben, aus Furcht, seine Auf-
richtigkeit gegen mich werde darunter leiden.
Erblickte er aber in mir Einen seines
Gleichen, so hatte er ja keinen Grund, in die
Tiefe und Wahrhaftigkeit meiner Freundschaft
Zweifel zu setzen. Ich war für ihn einfach ein
Felix Ranewski, ein russischer Kunstjünger, der
zufällig mehr Geld hatte als er, und der sich
deshalb den Spaß machen durfte, seinem Freunde
von Fall zu Fall kleinere Summen vorzustrecken.
Größere hätte er nicht angenommen; wüßte
[Spaltenumbruch] er, von wem das Geld stammt, er wäre gewiß
beleidigt gewesen, denn er war ungemein zart-
fühlend. Dies merkte ich sehr oft aus seinen
Reden.

Wir verlebten oft sehr herrliche Stunden.

Alfred --, Sie verzeihen meine Herren, wenn
ich ihn bei diesem erdichteten Vornamen nenne,
-- war durch und durch Künstler. Einfach, be-
scheiden und unschuldig heiteren, wahrhaft kindli-
chen Gemüthes; offenes, ehrliches Gesicht, den
ein kurzer, krauser Blondbart einrahmte; helle,
braune Augen und volle, wellige Locken, die den
schön geformten Kopf in reicher Fülle übergossen.
Sein ganzes Wesen glich einem Spiegel, das
noch kein Hauch getrübt, es lag vor mir, wie
ein offenes Buch, dessen Seiten noch unbeschrie-
ben sind. Wenn ihn auch hie und da Sorgen
bedrückten, er war doch zufrieden; er wiegte sich
immer in süßen Hoffnungen, baute Luftschlösser
und war Alles in Allem glücklich. Seine Auf-
richtigkeit gegen mich that mir we[h], denn ich
begann es zu bereuen, ihn über meine Person ge-
täuscht zu haben. Aber die unselige Eitelkeit,
die häßliche Eigenliebe, vor ihm nicht als Lüg-
ner zu erscheinen, hielten mich ab, mich ihm zu
offenbaren, trotzdem ich mir dies jedesmal auf's
Neue vornahm. Ich schämte mich vor ihm. Seine
Freundlichkeit, Liebenswürdigkeit, seine aufrichtige
Art begannen mir wehe zu thun -- --
ich begann ihn zu meiden. Sie können es mir
glauben, meine Herren, meine Lüge drückte mich
nieder und ich fühlte mich in Alfreds Nähe so
erbärmlich klein, so unwürdig seiner Liebe, daß
ich mich vor mir selbst schämte und meine unse-


[Spaltenumbruch]

größte Unrecht. Die entſcheidenden Factoren der
Armee können nichts dafür, daß Ungarns Staats-
männer ſie irregeführt haben. Die Aufhäufung
von Fehlern, mit welchen dieſe Angelegenheit
vom Miniſterpräſidenten geführt wurde, iſt ge-
radezu ſtaunenswerth. Ehe ein Staatsmann den
höchſten Factor im Staate, ſein eigenes Cabinet,
ſeine eigene Partei in eine Angelegenheit hinein-
führt, die Sanction der Krone zu derſelben for-
dert, iſt es doch Pflicht, ſich über die öffentliche
Stimmung zu orientiren und ſich die Gewißheit
darüber zu verſchaffen, daß dasjenige, was er
beantragt, auf der einmüthigen Billigung der
öffentlichen Meinung beruht und der allgemeinen
Empfindung entſpricht. Wer ſühnen und verſöhnen
will, wer eine nationale Feier veranſtalten will,
durch welche alte Kämpfe vergeſſen und nicht
neue Kämpfe heraufbeſchworen werden ſollen,
muß doch der öffentlichen Meinung ſicher ſein.
Sich darüber Gewißheit zu verſchaffen hat der
Miniſterpräſident verabſäumt. Offenbar durch ſeine
disherigen großen politiſchen Erfolge geblendet
(Schallende Heiterkeit und Applaus links), dachte
er ſicher, er kenne die öffentliche Meinung ſo
genau, daß er Niemandes Rath bedürfe. Mit
ſeiner Genialität glaubte er Alles ſelbſt zu
finden und ſetzte er voraus, daß Alle ſich beugen
werden, und daß er hiedurch das Piedeſtal ſeiner
ſtaatsmänniſchen Größe erhöhen werde. (Wieder-
holte Heiterkeit.) Nun aber folgt die Krönung
des Gebäudes, und es ſtelle ſich heraus, daß
dasjenige, worüber wir hier tagelang debattiren,
wofür der Miniſterpräſident die Zuſtimmung
der Krone angeſucht hat, wofür die Solidarität
des Cabinets engagirt wurde, einfach gegen-
ſtandslos geworden iſt. (Lautes Gelächter bei
der Oppoſition.) Hoffentlich iſt auch jede Dis-
cuſſion über die Regierungsfähigkeit und den
Regierungsberuf des Miniſterpräſidenten nun-
mehr gegenſtandslos geworden. (Wiederholte
Heiterkeit und Applaus links.) Wenn der Kranz
für das Hentzi-Denkmal mit der Inſchrift auf
den Schleifen: Sie ruhen in Frieden! bereits
beſtellt war, möge derſelbe auf den Sarg der
Regierungsfähigkeit des Miniſterprädenten nie-
dergelegt werden. (Minutenlanger Applaus links.)
Wenn aber nach Compromittirung alles deſſen,
was im Staate nicht compromittirt werden darf,
ſeine Regierung noch fortdauern dürfte, dann
gebe ich ihm wohl den Kranz, aber nicht die
Aufſchrift, denn er wird von unſerer Seite weder
Ruhe noch Frieden haben. Ich ſchließe mit den
Worten des franzöſiſchen Schriftſtellers: C’est
le ridicule, qui tue!

Der Miniſterpräſident erklärte, die Abſetzung
von der Tagesordnung bedeute nicht das letzte
Wort in dieſer Sache. Er acceptire ein Urtheil
über das Vorgehen der Regierung nicht von der
[Spaltenumbruch] leidenſchaftlichen Oppoſition, ſondern nur von
competenter Seite. Hätten Jedermann die Ziele
vorgeſchwebt, welche die Regierung im Auge
hatte, würde die von der Oppoſition geltend
gemachte Aufregung nicht entſtanden ſein. Das
Haus beſchloß einſtimmig die Abſetzung von der
Tagesordnung. Die nächſte Sitzung findet am
3. November ſtatt.




Politiſche Nachrichten.
(Der Abſchied des Freiherrn v. Winkler.)

Der Landespräſident von Krain, Freiherr von
Winkler, welcher vor Kurzem ſeine Entlaſſung bekam,
hat in ſeiner Abſchiedsrede an die Beamten gegen
jene deutſchen Blätter polemiſirt, welche ſich die
Freiheit genommen haben, ſeine Amtswirkſamkeit
und deren Folgen mit ungeſchminkter Aufrichtig-
keit zu kennzeichnen. Die „Grazer Tagespoſt“
ſchreibt hierüber: Wir wollen nicht ausführlich
darauf repliciren, zumal der Herr Präſident doch
nicht mehr in der Lage wäre, zu antworten; nur
kurz ſei bemerkt, daß die Ruhe und der Friede,
welche Freiherr v. Winkler dem von ihm ſo lange
regierten Lande angeblich hinterläßt, ſonſt nirgeds
zu erblicken iſt, als auf dem Bilde, das er mit
kundiger Hand zu entwerfen verſtand. Umgekehrt
werden die während ſeiner Herrſchaft ſo kräftig
emporgewachſenen ruſſiſchen Neigungen, von denen
nach ſeiner Behauptung nichts zu entdecken iſt,
überall geſehen, verſpürt, beklagt — nur von ihm
ſelbſt nicht. Sogar die clericale Preſſe gibt das
Vorhandenſein einer ruſſiſchen Strömung rück-
haltlos zu, und bekanntlich war es in erſter Linie
Krain, welches die Biſchöfe im Auge hatten, als
ſie in ihrem gemeinſamen Hirtenbriefe der pan-
ſlaviſtiſchen Gefahr entgegentraten. Man ſieht,
Freiherr von Winkler war auch noch zu guterletzt
größer in der gewandten formellen Conception
ſeiner Rede, als in der Kraft ihrer Beweisgründe.

(Zur Reform des Militär-Strafproceſſes.)

Wie die „Allg. Juriſten-Zeitung“ erfährt, liegt
die Schwierigkeit, welche das Zuſtandekommen
eines neuen Militär-Strafverfahrens, trotz der
allſeits anerkannten Dringlichkeit, ſchon ſo lange
hindert, in erſter Linie und vielleicht ausſchließlich
nur darin, daß das Reichs-Kriegsminiſterium einen
ganz anderen principiellen Standpunct einnimmt,
als die beiderſeitigen Juſtizminiſterien. Sowohl
der Juſtizminiſter Graf Schönborn als auch der
jenſeitige Juſtizminiſter vertreten die Anſchauung,
daß das Militär-Strafverfahren nicht jener
Garantien entbehren kann, welche die moderne
Rechtswiſſenſchaft zum Schutze des Angeklagten
für unerläßlich hält. Die Garantien ſind haupt-
ſächlich: Oeffentlichkeit des Verfahrens, Zulaſſung
eines Vertheidigers und Beſchwerde, reſpective
Appellation gegen ein ungerechtes Urtheil. Beide
[Spaltenumbruch] Juſtizminiſterien ſind ſo einig in dieſer Auffaſſung,
daß bereits für beide Reichshälften ein auf dieſen
Principien beruhender, faſt identiſcher Entwurf
eines neuen Militär-Straſproceſſes ausgearbeitet
wurde, wobei auf die beſonderen Verhältniſſe des
Militärdienſtes volle Rückſicht genommen wurde.
Das Reichs-Kriegsminiſterium glaubt den Stand-
punct der Juſtizminiſterien nicht acceptiren zu
können; anderſeits aber iſt es ebenſo gewiß, daß
weder das Parlament in Wien noch jenes in
Budapeſt einen Entwurf, welcher die oben citir-
ten Principien außer Acht läßt, jemals acceptiren
werden. Auf dieſe Weiſe bleibt bedauerlicherweiſe
Alles beim Alten.

(Die Mitglieder des Biſchofscomités),

welche in den letzten Tagen in Wien verweilten,
haben, wie man uns von dort ſchreibt, an Car-
dinal Gruſcha ein Schreiben gerichtet, in
welchem ſie dem tiefſten Schmerze über die
ſchweren Kränkungen Ausdruck geben, die dem
Cardinal bereits wiederholt namentlich aber an-
läßlich des bekannten Kreuzzeichen-Erlaſſes unter
dem Vorwande des Eintretens für die Sache des
Chriſtenthums in unqualificirbarer Weiſe zuge-
fügt wurden. Das Schreiben conſtatirt, daß der
öſterreichiſche Episcopat nichts unterlaſſen habe,
um eine Umgeſtaltung des Volksſchulweſens
auf confeſſioneller Grundlage herbeizuführen.
Das Schreiben erinnert an die verſchiedenen
Schritte des Episcopats in Angelegenheit der
confeſſionellen Schule und daran, daß eine Er-
klärung in der Schulcommiſſion des Herrenhauſes
infolge der Auflöſung des Reichsrathes eine Ant-
wort nicht erhalten hat. Trotzdem habe der
Episcopat unterm 13. März dieſes Jahres eine
neuerliche Eingabe bezüglich der Volksſchule an
das Geſammtminiſterium gerichtet. Eine vollkom-
mene Geſundung unſerer Schuleinrichtungen ſei
allerdings erſt dann zu hoffen, wenn ein inten-
ſiveres Verſtändniß dafür durch Zuſammenwirken
der berufenen Kreiſe bei den Wahlen in die
verſchiedenen Vertretungskörper und Schulräthe
maßgebenden Einfluß genommen haben wird.

(Zur Auflöſung der Reichenberger Stadt-
vertretung.)

Der „Politik“ wird aus Reichen-
berg telegraphirt: Wie verlautet, wird Dr. Schücker
die Wahl zum Bürgermeiſter, wenn ſie ihm an-
getragen werden ſollte, ablehnen, wahrſcheinlich
weil er beſorgt, die kaiſerliche Beſtätigung nicht
zu erhalten.

(Ein Widerruf des Mechanikers Schneider.)

Mechaniker Schneider publicirt in den anti-libe-
ralen Blättern einen Widerruf, in welchem er
den Wiener Erzbiſchof um Verzeihung bittet.
Die betreffende Zuſchrift lautet: „In meiner
Wählerverſammlung vom 20. d. M. habe ich
gegen Se. Eminenz den Herrn Erzbiſchof an-
läßlich des jüngſten Schulerlaſſes Vorwürfe er-




[Spaltenumbruch]

nun, meinen Fall dem Plenum unſeres Clubs
vorzutragen; mögen meine Freunde über mich
richten.

Genehmigen Sie, hochverehrteſter Herr
Präſident die Verſicherung meiner beſonderen
Werthſchätzung
mit der ich verbleibe ſtets Ihr
Prinz Felix Rawanojeff.“

Nun faltete er ſorgſam den Brief zuſam-
men, hielt ihn an die Flamme einer Kerze, bis
er gänzlich verbrannt war. Die Aſche wurde in
einem Teller aufgeſammelt.

„Lieber Herr Cartagny, wollen Sie nun die
Freundlichkeit haben, und die Angelegenheit des
Prinzen uns vortragen?“

Der glattraſirte Schauſpieler verneigte ſich,
übernahm vom Präſidenten das Manuſcript und
begann vorzuleſen. Er hatte ein angenehmes,
klangvolles Organ, eine ſehr deutliche, hübſche
Ausſprache, — einen beſſeren Vorleſer konnte
man ſich kaum denken.

„Hochverehrte Verſammlung!“ las er, „ich
werde Sie nicht lange ermüden, auch nicht Ihre
Geduld auf eine allzuharte Probe ſtellen. Doch
bevor ich in medias res übergehe, muß ich mir
zwei Bemerkungen geſtatten: Erſtens bitte ich
um vollſte Discretion und Verbrennung dieſes
Manuſcriptes nach beendeter Vorleſung, zweitens:
bitte, ja flehe ich Sie an: üben Sie Gerechtig-
keit! —

Wie Ihnen allen bekannt iſt, zähle ich jetzt
32 Jahre. Ich bin in Petersburg geboren, lebte
aber größtentheils im Auslande, beſonders in Lon-
don und Paris. Hier und da kam ich auch nach
[Spaltenumbruch] Wien oder München; ferner wiſſen Sie Alle,
daß ich ſeit jeher zur Kunſt mich hingezogen
fühle, daß ich ſelbſt ſchwache Verſuche wagte, ſie
auszuüben, zumeiſt mich aber damit begnügen
muß, für ſelbe zu ſchwärmen, ſie zu lieben, mich
für alles Schöne zu begeiſtern. Dieſer mein Hang
zum Träumeriſchen, Idealen, wie er von vielen
Seiten ſo falſch aufgefaßt, verſtanden und beur-
theilt wurde, hat mir von mancher Seite Spott,
von anderer aufrichtige Freundſchaft eingetragen.
Letzteres in beſonderem Maße bei einem jungen,
ſchwärmeriſch veranlagten Kunſtacademiker, deſſen
Name ich noch vorläufig geheim halten muß.
Wir lernten uns in der Bibliothek Saint-Querin
kennen, wo wir neben einander die alten Kupfer-
ſtiche und Radirungen copirten. Die Gleichartig-
keit der Beſchäftigung, die Nachbarſchaft, das faſt
gleiche Alter hatte uns bald zuſammengeführt,
wir wurden gute Freunde. Da ich aber ſchon zu
Anfang dieſer Bekanntſchaft die ärmlichen, ſorg-
reichen Verhältniſſe meines jungen Freundes er-
kannt hatte, (er copirte des lieben Verdienſtes
willen), ſcheute ich mich, ihm meinen wahren
Namen anzugeben, aus Furcht, ſeine Auf-
richtigkeit gegen mich werde darunter leiden.
Erblickte er aber in mir Einen ſeines
Gleichen, ſo hatte er ja keinen Grund, in die
Tiefe und Wahrhaftigkeit meiner Freundſchaft
Zweifel zu ſetzen. Ich war für ihn einfach ein
Felix Ranewski, ein ruſſiſcher Kunſtjünger, der
zufällig mehr Geld hatte als er, und der ſich
deshalb den Spaß machen durfte, ſeinem Freunde
von Fall zu Fall kleinere Summen vorzuſtrecken.
Größere hätte er nicht angenommen; wüßte
[Spaltenumbruch] er, von wem das Geld ſtammt, er wäre gewiß
beleidigt geweſen, denn er war ungemein zart-
fühlend. Dies merkte ich ſehr oft aus ſeinen
Reden.

Wir verlebten oft ſehr herrliche Stunden.

Alfred —, Sie verzeihen meine Herren, wenn
ich ihn bei dieſem erdichteten Vornamen nenne,
— war durch und durch Künſtler. Einfach, be-
ſcheiden und unſchuldig heiteren, wahrhaft kindli-
chen Gemüthes; offenes, ehrliches Geſicht, den
ein kurzer, krauſer Blondbart einrahmte; helle,
braune Augen und volle, wellige Locken, die den
ſchön geformten Kopf in reicher Fülle übergoſſen.
Sein ganzes Weſen glich einem Spiegel, das
noch kein Hauch getrübt, es lag vor mir, wie
ein offenes Buch, deſſen Seiten noch unbeſchrie-
ben ſind. Wenn ihn auch hie und da Sorgen
bedrückten, er war doch zufrieden; er wiegte ſich
immer in ſüßen Hoffnungen, baute Luftſchlöſſer
und war Alles in Allem glücklich. Seine Auf-
richtigkeit gegen mich that mir we[h], denn ich
begann es zu bereuen, ihn über meine Perſon ge-
täuſcht zu haben. Aber die unſelige Eitelkeit,
die häßliche Eigenliebe, vor ihm nicht als Lüg-
ner zu erſcheinen, hielten mich ab, mich ihm zu
offenbaren, trotzdem ich mir dies jedesmal auf’s
Neue vornahm. Ich ſchämte mich vor ihm. Seine
Freundlichkeit, Liebenswürdigkeit, ſeine aufrichtige
Art begannen mir wehe zu thun — —
ich begann ihn zu meiden. Sie können es mir
glauben, meine Herren, meine Lüge drückte mich
nieder und ich fühlte mich in Alfreds Nähe ſo
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[[2]/0002] größte Unrecht. Die entſcheidenden Factoren der Armee können nichts dafür, daß Ungarns Staats- männer ſie irregeführt haben. Die Aufhäufung von Fehlern, mit welchen dieſe Angelegenheit vom Miniſterpräſidenten geführt wurde, iſt ge- radezu ſtaunenswerth. Ehe ein Staatsmann den höchſten Factor im Staate, ſein eigenes Cabinet, ſeine eigene Partei in eine Angelegenheit hinein- führt, die Sanction der Krone zu derſelben for- dert, iſt es doch Pflicht, ſich über die öffentliche Stimmung zu orientiren und ſich die Gewißheit darüber zu verſchaffen, daß dasjenige, was er beantragt, auf der einmüthigen Billigung der öffentlichen Meinung beruht und der allgemeinen Empfindung entſpricht. Wer ſühnen und verſöhnen will, wer eine nationale Feier veranſtalten will, durch welche alte Kämpfe vergeſſen und nicht neue Kämpfe heraufbeſchworen werden ſollen, muß doch der öffentlichen Meinung ſicher ſein. Sich darüber Gewißheit zu verſchaffen hat der Miniſterpräſident verabſäumt. Offenbar durch ſeine disherigen großen politiſchen Erfolge geblendet (Schallende Heiterkeit und Applaus links), dachte er ſicher, er kenne die öffentliche Meinung ſo genau, daß er Niemandes Rath bedürfe. Mit ſeiner Genialität glaubte er Alles ſelbſt zu finden und ſetzte er voraus, daß Alle ſich beugen werden, und daß er hiedurch das Piedeſtal ſeiner ſtaatsmänniſchen Größe erhöhen werde. (Wieder- holte Heiterkeit.) Nun aber folgt die Krönung des Gebäudes, und es ſtelle ſich heraus, daß dasjenige, worüber wir hier tagelang debattiren, wofür der Miniſterpräſident die Zuſtimmung der Krone angeſucht hat, wofür die Solidarität des Cabinets engagirt wurde, einfach gegen- ſtandslos geworden iſt. (Lautes Gelächter bei der Oppoſition.) Hoffentlich iſt auch jede Dis- cuſſion über die Regierungsfähigkeit und den Regierungsberuf des Miniſterpräſidenten nun- mehr gegenſtandslos geworden. (Wiederholte Heiterkeit und Applaus links.) Wenn der Kranz für das Hentzi-Denkmal mit der Inſchrift auf den Schleifen: Sie ruhen in Frieden! bereits beſtellt war, möge derſelbe auf den Sarg der Regierungsfähigkeit des Miniſterprädenten nie- dergelegt werden. (Minutenlanger Applaus links.) Wenn aber nach Compromittirung alles deſſen, was im Staate nicht compromittirt werden darf, ſeine Regierung noch fortdauern dürfte, dann gebe ich ihm wohl den Kranz, aber nicht die Aufſchrift, denn er wird von unſerer Seite weder Ruhe noch Frieden haben. Ich ſchließe mit den Worten des franzöſiſchen Schriftſtellers: C’est le ridicule, qui tue! Der Miniſterpräſident erklärte, die Abſetzung von der Tagesordnung bedeute nicht das letzte Wort in dieſer Sache. Er acceptire ein Urtheil über das Vorgehen der Regierung nicht von der leidenſchaftlichen Oppoſition, ſondern nur von competenter Seite. Hätten Jedermann die Ziele vorgeſchwebt, welche die Regierung im Auge hatte, würde die von der Oppoſition geltend gemachte Aufregung nicht entſtanden ſein. Das Haus beſchloß einſtimmig die Abſetzung von der Tagesordnung. Die nächſte Sitzung findet am 3. November ſtatt. Politiſche Nachrichten. (Der Abſchied des Freiherrn v. Winkler.) Der Landespräſident von Krain, Freiherr von Winkler, welcher vor Kurzem ſeine Entlaſſung bekam, hat in ſeiner Abſchiedsrede an die Beamten gegen jene deutſchen Blätter polemiſirt, welche ſich die Freiheit genommen haben, ſeine Amtswirkſamkeit und deren Folgen mit ungeſchminkter Aufrichtig- keit zu kennzeichnen. Die „Grazer Tagespoſt“ ſchreibt hierüber: Wir wollen nicht ausführlich darauf repliciren, zumal der Herr Präſident doch nicht mehr in der Lage wäre, zu antworten; nur kurz ſei bemerkt, daß die Ruhe und der Friede, welche Freiherr v. Winkler dem von ihm ſo lange regierten Lande angeblich hinterläßt, ſonſt nirgeds zu erblicken iſt, als auf dem Bilde, das er mit kundiger Hand zu entwerfen verſtand. Umgekehrt werden die während ſeiner Herrſchaft ſo kräftig emporgewachſenen ruſſiſchen Neigungen, von denen nach ſeiner Behauptung nichts zu entdecken iſt, überall geſehen, verſpürt, beklagt — nur von ihm ſelbſt nicht. Sogar die clericale Preſſe gibt das Vorhandenſein einer ruſſiſchen Strömung rück- haltlos zu, und bekanntlich war es in erſter Linie Krain, welches die Biſchöfe im Auge hatten, als ſie in ihrem gemeinſamen Hirtenbriefe der pan- ſlaviſtiſchen Gefahr entgegentraten. Man ſieht, Freiherr von Winkler war auch noch zu guterletzt größer in der gewandten formellen Conception ſeiner Rede, als in der Kraft ihrer Beweisgründe. (Zur Reform des Militär-Strafproceſſes.) Wie die „Allg. Juriſten-Zeitung“ erfährt, liegt die Schwierigkeit, welche das Zuſtandekommen eines neuen Militär-Strafverfahrens, trotz der allſeits anerkannten Dringlichkeit, ſchon ſo lange hindert, in erſter Linie und vielleicht ausſchließlich nur darin, daß das Reichs-Kriegsminiſterium einen ganz anderen principiellen Standpunct einnimmt, als die beiderſeitigen Juſtizminiſterien. Sowohl der Juſtizminiſter Graf Schönborn als auch der jenſeitige Juſtizminiſter vertreten die Anſchauung, daß das Militär-Strafverfahren nicht jener Garantien entbehren kann, welche die moderne Rechtswiſſenſchaft zum Schutze des Angeklagten für unerläßlich hält. Die Garantien ſind haupt- ſächlich: Oeffentlichkeit des Verfahrens, Zulaſſung eines Vertheidigers und Beſchwerde, reſpective Appellation gegen ein ungerechtes Urtheil. Beide Juſtizminiſterien ſind ſo einig in dieſer Auffaſſung, daß bereits für beide Reichshälften ein auf dieſen Principien beruhender, faſt identiſcher Entwurf eines neuen Militär-Straſproceſſes ausgearbeitet wurde, wobei auf die beſonderen Verhältniſſe des Militärdienſtes volle Rückſicht genommen wurde. Das Reichs-Kriegsminiſterium glaubt den Stand- punct der Juſtizminiſterien nicht acceptiren zu können; anderſeits aber iſt es ebenſo gewiß, daß weder das Parlament in Wien noch jenes in Budapeſt einen Entwurf, welcher die oben citir- ten Principien außer Acht läßt, jemals acceptiren werden. Auf dieſe Weiſe bleibt bedauerlicherweiſe Alles beim Alten. (Die Mitglieder des Biſchofscomités), welche in den letzten Tagen in Wien verweilten, haben, wie man uns von dort ſchreibt, an Car- dinal Gruſcha ein Schreiben gerichtet, in welchem ſie dem tiefſten Schmerze über die ſchweren Kränkungen Ausdruck geben, die dem Cardinal bereits wiederholt namentlich aber an- läßlich des bekannten Kreuzzeichen-Erlaſſes unter dem Vorwande des Eintretens für die Sache des Chriſtenthums in unqualificirbarer Weiſe zuge- fügt wurden. Das Schreiben conſtatirt, daß der öſterreichiſche Episcopat nichts unterlaſſen habe, um eine Umgeſtaltung des Volksſchulweſens auf confeſſioneller Grundlage herbeizuführen. Das Schreiben erinnert an die verſchiedenen Schritte des Episcopats in Angelegenheit der confeſſionellen Schule und daran, daß eine Er- klärung in der Schulcommiſſion des Herrenhauſes infolge der Auflöſung des Reichsrathes eine Ant- wort nicht erhalten hat. Trotzdem habe der Episcopat unterm 13. März dieſes Jahres eine neuerliche Eingabe bezüglich der Volksſchule an das Geſammtminiſterium gerichtet. Eine vollkom- mene Geſundung unſerer Schuleinrichtungen ſei allerdings erſt dann zu hoffen, wenn ein inten- ſiveres Verſtändniß dafür durch Zuſammenwirken der berufenen Kreiſe bei den Wahlen in die verſchiedenen Vertretungskörper und Schulräthe maßgebenden Einfluß genommen haben wird. (Zur Auflöſung der Reichenberger Stadt- vertretung.) Der „Politik“ wird aus Reichen- berg telegraphirt: Wie verlautet, wird Dr. Schücker die Wahl zum Bürgermeiſter, wenn ſie ihm an- getragen werden ſollte, ablehnen, wahrſcheinlich weil er beſorgt, die kaiſerliche Beſtätigung nicht zu erhalten. (Ein Widerruf des Mechanikers Schneider.) Mechaniker Schneider publicirt in den anti-libe- ralen Blättern einen Widerruf, in welchem er den Wiener Erzbiſchof um Verzeihung bittet. Die betreffende Zuſchrift lautet: „In meiner Wählerverſammlung vom 20. d. M. habe ich gegen Se. Eminenz den Herrn Erzbiſchof an- läßlich des jüngſten Schulerlaſſes Vorwürfe er- nun, meinen Fall dem Plenum unſeres Clubs vorzutragen; mögen meine Freunde über mich richten. Genehmigen Sie, hochverehrteſter Herr Präſident die Verſicherung meiner beſonderen Werthſchätzung mit der ich verbleibe ſtets Ihr Prinz Felix Rawanojeff.“ Nun faltete er ſorgſam den Brief zuſam- men, hielt ihn an die Flamme einer Kerze, bis er gänzlich verbrannt war. Die Aſche wurde in einem Teller aufgeſammelt. „Lieber Herr Cartagny, wollen Sie nun die Freundlichkeit haben, und die Angelegenheit des Prinzen uns vortragen?“ Der glattraſirte Schauſpieler verneigte ſich, übernahm vom Präſidenten das Manuſcript und begann vorzuleſen. Er hatte ein angenehmes, klangvolles Organ, eine ſehr deutliche, hübſche Ausſprache, — einen beſſeren Vorleſer konnte man ſich kaum denken. „Hochverehrte Verſammlung!“ las er, „ich werde Sie nicht lange ermüden, auch nicht Ihre Geduld auf eine allzuharte Probe ſtellen. Doch bevor ich in medias res übergehe, muß ich mir zwei Bemerkungen geſtatten: Erſtens bitte ich um vollſte Discretion und Verbrennung dieſes Manuſcriptes nach beendeter Vorleſung, zweitens: bitte, ja flehe ich Sie an: üben Sie Gerechtig- keit! — Wie Ihnen allen bekannt iſt, zähle ich jetzt 32 Jahre. Ich bin in Petersburg geboren, lebte aber größtentheils im Auslande, beſonders in Lon- don und Paris. Hier und da kam ich auch nach Wien oder München; ferner wiſſen Sie Alle, daß ich ſeit jeher zur Kunſt mich hingezogen fühle, daß ich ſelbſt ſchwache Verſuche wagte, ſie auszuüben, zumeiſt mich aber damit begnügen muß, für ſelbe zu ſchwärmen, ſie zu lieben, mich für alles Schöne zu begeiſtern. Dieſer mein Hang zum Träumeriſchen, Idealen, wie er von vielen Seiten ſo falſch aufgefaßt, verſtanden und beur- theilt wurde, hat mir von mancher Seite Spott, von anderer aufrichtige Freundſchaft eingetragen. Letzteres in beſonderem Maße bei einem jungen, ſchwärmeriſch veranlagten Kunſtacademiker, deſſen Name ich noch vorläufig geheim halten muß. Wir lernten uns in der Bibliothek Saint-Querin kennen, wo wir neben einander die alten Kupfer- ſtiche und Radirungen copirten. Die Gleichartig- keit der Beſchäftigung, die Nachbarſchaft, das faſt gleiche Alter hatte uns bald zuſammengeführt, wir wurden gute Freunde. Da ich aber ſchon zu Anfang dieſer Bekanntſchaft die ärmlichen, ſorg- reichen Verhältniſſe meines jungen Freundes er- kannt hatte, (er copirte des lieben Verdienſtes willen), ſcheute ich mich, ihm meinen wahren Namen anzugeben, aus Furcht, ſeine Auf- richtigkeit gegen mich werde darunter leiden. Erblickte er aber in mir Einen ſeines Gleichen, ſo hatte er ja keinen Grund, in die Tiefe und Wahrhaftigkeit meiner Freundſchaft Zweifel zu ſetzen. Ich war für ihn einfach ein Felix Ranewski, ein ruſſiſcher Kunſtjünger, der zufällig mehr Geld hatte als er, und der ſich deshalb den Spaß machen durfte, ſeinem Freunde von Fall zu Fall kleinere Summen vorzuſtrecken. Größere hätte er nicht angenommen; wüßte er, von wem das Geld ſtammt, er wäre gewiß beleidigt geweſen, denn er war ungemein zart- fühlend. Dies merkte ich ſehr oft aus ſeinen Reden. Wir verlebten oft ſehr herrliche Stunden. Alfred —, Sie verzeihen meine Herren, wenn ich ihn bei dieſem erdichteten Vornamen nenne, — war durch und durch Künſtler. Einfach, be- ſcheiden und unſchuldig heiteren, wahrhaft kindli- chen Gemüthes; offenes, ehrliches Geſicht, den ein kurzer, krauſer Blondbart einrahmte; helle, braune Augen und volle, wellige Locken, die den ſchön geformten Kopf in reicher Fülle übergoſſen. Sein ganzes Weſen glich einem Spiegel, das noch kein Hauch getrübt, es lag vor mir, wie ein offenes Buch, deſſen Seiten noch unbeſchrie- ben ſind. Wenn ihn auch hie und da Sorgen bedrückten, er war doch zufrieden; er wiegte ſich immer in ſüßen Hoffnungen, baute Luftſchlöſſer und war Alles in Allem glücklich. Seine Auf- richtigkeit gegen mich that mir weh, denn ich begann es zu bereuen, ihn über meine Perſon ge- täuſcht zu haben. Aber die unſelige Eitelkeit, die häßliche Eigenliebe, vor ihm nicht als Lüg- ner zu erſcheinen, hielten mich ab, mich ihm zu offenbaren, trotzdem ich mir dies jedesmal auf’s Neue vornahm. Ich ſchämte mich vor ihm. Seine Freundlichkeit, Liebenswürdigkeit, ſeine aufrichtige Art begannen mir wehe zu thun — — ich begann ihn zu meiden. Sie können es mir glauben, meine Herren, meine Lüge drückte mich nieder und ich fühlte mich in Alfreds Nähe ſo erbärmlich klein, ſo unwürdig ſeiner Liebe, daß ich mich vor mir ſelbſt ſchämte und meine unſe-

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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 243, Olmütz, 24.10.1892, S. [2]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches243_1892/2>, abgerufen am 19.04.2024.