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Mährisches Tagblatt. Nr. 136, Olmütz, 14.06.1888.

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[Spaltenumbruch]

wenn sich nicht die unberechenbaren moralischen
Folgen daran geknüpft hätten. Wird eine solche
Wirkung auf die Dauer hintanzuhalten sein? Daß
der Kaiser mit dem politischen Gesammtsystem
nicht übereinstimmt, daß er namentlich die geübte
Wahlpraxis auf das schärfste verurthei[l]t, war
vor den letzten Ereignissen schon bekannt und ist
durch denselben auf das nachdrücklichste bestätigt
worden. Die bleiche Angst der Reaction vor der
Veröffentlichung des kaiserlichen Schreibens über
die Wahlfreiheit redet ganze Bände. Hierin liegt
die Bedeutung der letzten Vorgänge und diese
wird sich früher oder später geltend machen. Je-
denfalls wenn die freisinnige Partei und Presse
einigermaßen ihre Aufgabe erkennt und in ver-
nünftiger und zweckmäßiger Weise ihre Schul-
digkeit thut. Zweimal hat der Kaiser gezeigt,
daß er die Schichte, die zwischen ihm und dem
freisinnigen Volke liegt, durchbrechen will und
das sollte d[o]ch eine Mahnung an das deutsche
Volk sein, diesen hochherzigen Intentionen des
Monarchen aus eigener Kraft gerecht zu werden.
Um die Stellung des Fürsten Bismarck braucht
der Nation nicht bange zu sein. Nicht nur kann
es als sicher gelten, daß auch Kaiser Friedrich
sich von dem großen Staatsmanne nicht trennen
will und nicht trennen wird; man gewinnt auch
immer mehr den Eindruck, als betrachte Fürst
Bismarck die Zeit für gekommen, da man auch
ohne die reactionären Parteien regieren kann. Der
geniale Realpolitiker hat sich niemals an Parteien
und Systeme gebunden und er wird die Politik
der freien Hand auch fernerhin zu bethätigen
wissen.




Politische Nachrichten.
(Aus dem Heeresausschusse der unga-
rischen Delegation.)

Gestern erstattete, wie die
"Wiener Allg. Ztg." meldet, der Kriegsminister
Baron Bauer sein Expose im Heeres-Ausschuß
der ungarischen Delegation. Die Rede des Kriegs-
ministers wurde als eine streng vertrauliche er-
klärt, weßhalb sich nur über den äußeren Ein-
druck berichten läßt. Seine Rede machte im Allge-
meinen durch die treffenden Argumente, welche er
anführte, den besten Eindruck. Auch die opposi-
tionellen Delegirten waren zufrieden, da der Kriegs-
minister der staatsrechtlichen Stellung der Armee
auch den Ungarn gegenüber gerecht wurde. Aus
diesem Grunde dürfte das Heeres-Erforderniß
auch bei der Opposition auf keine großen Hin-
dernisse stoßen. Der Kriegsminister erwähnte in
seiner Rede, daß, wie die Delegirten ohnedies
wissen, die Situation eine gespannte sei. Bei den
Ausgaben für die Erhöhung des Officiersstandes
verweilte Baron Bauer längere Zeit. Diese Er-
höhung, sagte er, sei eine nothwendige Vorsicht
[Spaltenumbruch] für einen etwaigen ernsten Moment, womit nicht
gesagt sein will, daß ein ernster Moment eintre-
ten müsse, aber er sei immerhin möglich. Nach
dem Tenor der ganzen Rede des Kriegsministers
läßt sich nur so viel sagen, daß die Situation
keine momentane Gefahr in sich berge, was aber
nicht ausschließt, daß sie sich unerwartet in eine
gefahrvolle verwandeln kann.

Nach dem Kriegsminister Baron Bauer er-
hob sich der Delegirte Beöthy, und erklärte,
daß er zwischen dem Vorgehen des jetzigen und
dem des früheren Kriegsministers einen großen
Widerspruch finde. Während Bylandt-Rheidt die
Armee für vollendet erklärte, komme ein neuer
Kriegsminister mit neuen Forderungen, ein Beweis,
daß die Armee noch immer Verbesserungen haben
müsse.

Minister-Präsident Tisza erwidert, daß
dieser Widerspruch nicht existire, da die jetzigen
Vorlagen nicht von Bauer, sondern noch von
Bylandt-Rheidt herrühren.

Der Delegirte Hegedüs will wissen, ob die
Mehrerfordernisse stabil seien oder blos in diesem
Jahre gefordert werden

Hierauf antwortete Minister-Präsident Tisza,
daß das Erforderniß wegen der politischen Situa-
tion nothwendig sei und die bewilligten Mittel
dazu beitragen, daß im Nothfalle die Armee um
vierzehn Tage früher in Bereitschaft zu sein
vermag.

(Nochmals der Rücktritt Puttkamers.)

Angesichts der betrübenden Nachrichten über das
Befinden Kaiser Friedrich's verlieren die Mel-
dungen und Aeußerungen, welche auf den Rück-
tritt Puttkamer's Bezug haben, ihren augenblick-
lichen Werth. Das Interesse vereinigt sich in der
Frage, wer den freigewordenen Posten eines
Ministers des Innern übernehmen wird. Nach
einer Mittheilung der Münchener "Allg. Ztg."
genehmigte der Kaiser den Oberpräsidenten von
Posen, Grafen Zedlitz-Trützschler, als Candidaten
für das Ministerium des Innern, doch steht die
Antwort des Grafen auf die betreffende Anfrage
noch aus. Inzwischen werden Stimmen laut,
welche darauf hinweisen, daß die Krise mit dem
Rücktritt Puttkamer's nicht abgeschlossen sei. Be-
zeichnend nach dieser Richtung sind die Ausfüh-
rungen der "Köln. Ztg." Das mit den Anschau-
ungen im Reichskanzleramt vertraute Blatt schreibt:
"Hinter dem albernen Reactionsgeschrei, welches
harmlose Gemüther fast zu dem Glauben ver-
leiten könnte, wir hätten im Deutschland des
großen Kaisers Withelm unter einer unerträg-
lichen Knechtschaft geschmachtet, steckt nichts als
die Sehnsucht einer gründlich abgewirthschafteten
Partei nach einer brauchbaren, das heißt, auf
die Einfalt berechneten Wahlparole, und es ist nur
zu bedauern, wenn sich am preußischen Hofe unver-
[Spaltenumbruch] antwortliche Berather finden sollten, die kein Be-
denken tragen, einem Eugen Richter in die Hände
zu arbeiten. Zwar wird die Behauptung, daß
nach Herrn v. Puttkamer's Abgang noch andere
Mitglieder des Cabinets sich veranlaßt gesehen
hätten, Entlassungsgesuche einzureichen, in gut
unterrichteten Kreisen als unbegründet bezeichnet:
dennoch können wir uns der patriotischen Besorg-
niß nicht entschlagen, daß es den in dem officiösen
Artikel bezeichneten Hofkreisen durch ihre fortge-
setzten Mückenstiche schließlich doch noch gelingen
werde, dem Fürsten Bismarck die Amtsbürde,
welche er unter schwierigen Umständen mit be-
wundernswerther Opferwilligkeit weiterträgt, zu
verleiden. Das deutsche Volk steht angesichts der
Vorgänge der letzten Monate unter dem trüben
Eindrucke, daß es politisch einer ganz unberechen-
baren Zukunft entgegengeht."

(Ein Sieg der clericalen Partei in
Velgien.)

In Belgien sind vorgesten die Er-
gänzungswahlen für den Senat und die Reprä-
sentanten-Kammer entschieden zu Gunsten der
clericalen Partei ausgefallen. In Brüssel ist eine
Stichwahl zwischen den Candidaten der gemäßig-
ten Liberalen und den "Independenten" erforder-
lich. Doch ist aus den vorliegenden Telegrammen
noch nicht zu ersehen, ob für alle Mandate (16
Abgeordnete und 8 Senatoren) oder bloß für
eine Anzahl derselben Stichwahlen nöthig sind.
Die nächsten Abgeordnetenwahlen für die andere
Hälfte der Kammer finden erst nach zwei Jahren
die nächsten Senatswahlen in vier Jahren statt.
Die vorgestrigen Wahlen fanden in den Provin-
zen Antwerpen, Brabant, Luxemburg, Namur
und Ost-Flandern statt, welche zusammen 69 Abge-
ordnete an Stelle der ausscheidenden zu wählen
hatten. Von den Letzteren gehörten nur fünf der
liberalen Partei an, die also in dem Wahlkampfe
weit mehr zu gewinnen als zu verlieren hatte. Den-
noch hat sie zwei von den besessenen fünf Sitzen
verloren, einen in Ostende und den anderen in
Virton, und bleibt in der Minderheit, auch wenn
sie am nächsten Dienstag in Brüssel vollständig
siegen sollte; denn in der bisherigen Kammer
hatte sie den 96 Stimmen der Rechten und der
Unabhängigen, die im Senate ebenfalls die Mehr-
heit behalten, nur 42 entgegenzustellen. Der vor-
gestrige Wahltag hat dem clericalen Regiment in
Belgien neue Stärke verliehen, und steht eine
weitere Zerstörung des staatlichen Schulwesens,
wie es von der früheren liberalen Regierung ein-
gerichtet worden war, zu erwarten. Ueberdies
planen die Clericalen ein neues Wahlgesetz, welches
den ländlichen Wählern das Uebergewicht ver-
schaffen und dadurch die Herrschaft des Clericalis-
mus festigen soll.

(Anruhen in Scutari)

In Albanien
gährt es fortwährend. Der "Pol. Corr." wird




[Spaltenumbruch]

Garbanzos verlieren die Könige unendlich rasch
den Re[i]z der Neuheit, und das veränderliche Volk
jagt sie manchmal davon, noch bevor sie ihre
Lenden mit dem eben vom Schneider gebrachten
neuen Hermelinschlafrocke gürten konnten. Man
kann es daher Alfolso XIII. nicht verdenken,
wenn er den wichtigsten Staatsactionen eine ge-
wisse souveräne Gleichgiltigkeit entgegenbringt. Ich
entnehme einem Bericht über die Eröffnungs-
ceremonien von Barcelona folgende characteristische
Einzelheiten:

"Seine Majestät Alfonso X[I]II. trug ein
sehr k[l]eidsames weißes Spitzencostüm. Dasselbe
war tief decolletirt und ließ auch die königlichen
Arme, sowie die allerhöchsten Beine vom Knie
abwärts frei. Rückwärts an der Taille hatte der
König eine große Rosamasche ... Der Hofstaat
das diplomatische Corps, die ersten Würdenträger
und Großen des Reiches, waren bereits voll-
zählig versammelt als der König geruhte, sich
die Estrade hinauftragen und auf den Thron-
sessel setzen zu lassen. Hierbei ließ S. Maje-
stät wiederholt ein allergnädigstes "Hottoh"
vernehmen. Dem gleichzeitigen Wunsche Höchst-
desselben, ein wenig "Pferdchen" zu spielen,
konnte jedoch aus politischen Gründen nicht
sofort Folge gegeben werden. Dies erregte
seinen Allerhöchsten Unwillen, und der König
streckte gegen den Ministerpräsidenten, sowie
gegen den Vorsitzenden des Senats die Zunge
heraus. Glücklicherweise wurde jetzt ein Tusch
geblasen, was den König wieder heiter stimmte.
Er schlug die Händchen zusammen, strampelte
mit den allerdurchlauchtigsten Beinen und lachte
[Spaltenumbruch] laut auf. Während der officiellen Ansprachen
unterhielt sich Se. Majestät damit, die vor
ihm auf einem Tabouret sitzenden Infantinnen
an den Haarzöpfen zu reißen. Anfangs ver-
bissen Ihre königlichen Hoheiten den Schmerz,
endlich aber kniffen Höchstdieselben unbemerkt
Se. Majestät in die Wade. Der König be-
gann bitterlich zu heulen -- und die Feier-
lichkeit mußte für kurze Zeit unterbrochen
werden ..."

Warum hat uns der officiöse Telgraph
eigentlich diese kleine Episode verschwiegen? Ich
finde sie viel interessanter, als die ganze Welt-
ausstellung ...


("Berl. Tagblatt.")



Der Kampf wider den Tabak.

Als Friedrich Wilhelm, der große Curfürst
von Brandenburg, jene ersten Versuche machte,
das Banner der Hohenzollern auch an der west-
afrikanischen Küste einzubürgern, kamen seine
neuen Unterthanen vom Stamme Chams gelegent-
lich eines Austausches von allerhand Freuudlich-
keiten auch einmal nach Berlin. Es war jeden-
falls wohl das erste Mal, daß die Bewohner
desselben einen echten unverfälschten Schwarzen
in ihrer Mitte sahen. Die Afrikaner mit dem
Pomp ihrer bunten, steinverzierten Kleidung
erregten daher auch kein kleines Anfsehen in der
märkischen Hauptstadt, jedoch das allergrößte ver-
ursachte ein Umstand, welcher den Leuten zwischen
der Spree und Havel wie eine Ungeheuerlichkeit
vorkam. Die Fremden führten nämlich einen
[Spaltenumbruch] brennenden Stengel im Munde, welcher fortglomm,
während sie den Dampf aus ihren Lippen bliesen.
Berlin gerieth schließlich aus Rand und Band
ob dieses Wunders, welches in seinen Mauern
stattfand, und sogar aus der Umgegend strömte
man in Schaaren herbei, um desselben an-
sichtig zu werden. Inzwischen stolzirten die
Schwarzen unablässig durch die Straßen Berlins,
nicht wenig stolz auf das Staunen, welches sie
hervorriefen. Nichtsdestoweniger zeigten sie sich in
hohem Grade zugänglich, und als ein Bäuerlein
aus der Mark, welche gleichfalls auf die Kunde
von diesem Wunder nach Berlin gekommen war,
Mund und Augen gar zu auffällig aufriß, ging ein
Schwarzer in seiner Freundlichkeit sogar so weit,
daß er den dampfenden Tabakstengel aus dem
Munde nahm und ihn den Gaffer anbot. Der
aber nahm, wie der gewissenhafte Chronist be-
richtet, angsterfüllt Reißaus vor der Zumuthung,
welche man an ihn stellte, indem er dabei in
die Worte ausbrach: "Nee, gnädijer Herr Düwel,
(Teufel): Ick fräte (fresse) keen Füihr (Feuer)!"

Dieser Kampf wider den Tabak wurde in
den Ländern, wo heute die größten Consumenten
desselben ansässig sind, mit einer Energie geführt,
welche unsere Generation kaum begreifen kann.
Lag darin etwa die instinctive Ahnung, daß das
an sich so wohlfeile und leicht zu erzielende Kraut
einmal ihren Werth finden würden, welchen die
Menschheit, sobald sie sich erst an den Genuß
desselben gewöhnt, kaum noch erschwingen könne?
Merkwürdigerweise diente der Tabak zuerst
keineswegs zu dem Zwecke, für welchen ihn heute
die Menschheit in ihrer großen Mehrheit bestimmt.


[Spaltenumbruch]

wenn ſich nicht die unberechenbaren moraliſchen
Folgen daran geknüpft hätten. Wird eine ſolche
Wirkung auf die Dauer hintanzuhalten ſein? Daß
der Kaiſer mit dem politiſchen Geſammtſyſtem
nicht übereinſtimmt, daß er namentlich die geübte
Wahlpraxis auf das ſchärfſte verurthei[l]t, war
vor den letzten Ereigniſſen ſchon bekannt und iſt
durch denſelben auf das nachdrücklichſte beſtätigt
worden. Die bleiche Angſt der Reaction vor der
Veröffentlichung des kaiſerlichen Schreibens über
die Wahlfreiheit redet ganze Bände. Hierin liegt
die Bedeutung der letzten Vorgänge und dieſe
wird ſich früher oder ſpäter geltend machen. Je-
denfalls wenn die freiſinnige Partei und Preſſe
einigermaßen ihre Aufgabe erkennt und in ver-
nünftiger und zweckmäßiger Weiſe ihre Schul-
digkeit thut. Zweimal hat der Kaiſer gezeigt,
daß er die Schichte, die zwiſchen ihm und dem
freiſinnigen Volke liegt, durchbrechen will und
das ſollte d[o]ch eine Mahnung an das deutſche
Volk ſein, dieſen hochherzigen Intentionen des
Monarchen aus eigener Kraft gerecht zu werden.
Um die Stellung des Fürſten Bismarck braucht
der Nation nicht bange zu ſein. Nicht nur kann
es als ſicher gelten, daß auch Kaiſer Friedrich
ſich von dem großen Staatsmanne nicht trennen
will und nicht trennen wird; man gewinnt auch
immer mehr den Eindruck, als betrachte Fürſt
Bismarck die Zeit für gekommen, da man auch
ohne die reactionären Parteien regieren kann. Der
geniale Realpolitiker hat ſich niemals an Parteien
und Syſteme gebunden und er wird die Politik
der freien Hand auch fernerhin zu bethätigen
wiſſen.




Politiſche Nachrichten.
(Aus dem Heeresausſchuſſe der unga-
riſchen Delegation.)

Geſtern erſtattete, wie die
„Wiener Allg. Ztg.“ meldet, der Kriegsminiſter
Baron Bauer ſein Expoſé im Heeres-Ausſchuß
der ungariſchen Delegation. Die Rede des Kriegs-
miniſters wurde als eine ſtreng vertrauliche er-
klärt, weßhalb ſich nur über den äußeren Ein-
druck berichten läßt. Seine Rede machte im Allge-
meinen durch die treffenden Argumente, welche er
anführte, den beſten Eindruck. Auch die oppoſi-
tionellen Delegirten waren zufrieden, da der Kriegs-
miniſter der ſtaatsrechtlichen Stellung der Armee
auch den Ungarn gegenüber gerecht wurde. Aus
dieſem Grunde dürfte das Heeres-Erforderniß
auch bei der Oppoſition auf keine großen Hin-
derniſſe ſtoßen. Der Kriegsminiſter erwähnte in
ſeiner Rede, daß, wie die Delegirten ohnedies
wiſſen, die Situation eine geſpannte ſei. Bei den
Ausgaben für die Erhöhung des Officiersſtandes
verweilte Baron Bauer längere Zeit. Dieſe Er-
höhung, ſagte er, ſei eine nothwendige Vorſicht
[Spaltenumbruch] für einen etwaigen ernſten Moment, womit nicht
geſagt ſein will, daß ein ernſter Moment eintre-
ten müſſe, aber er ſei immerhin möglich. Nach
dem Tenor der ganzen Rede des Kriegsminiſters
läßt ſich nur ſo viel ſagen, daß die Situation
keine momentane Gefahr in ſich berge, was aber
nicht ausſchließt, daß ſie ſich unerwartet in eine
gefahrvolle verwandeln kann.

Nach dem Kriegsminiſter Baron Bauer er-
hob ſich der Delegirte Beöthy, und erklärte,
daß er zwiſchen dem Vorgehen des jetzigen und
dem des früheren Kriegsminiſters einen großen
Widerſpruch finde. Während Bylandt-Rheidt die
Armee für vollendet erklärte, komme ein neuer
Kriegsminiſter mit neuen Forderungen, ein Beweis,
daß die Armee noch immer Verbeſſerungen haben
müſſe.

Miniſter-Präſident Tisza erwidert, daß
dieſer Widerſpruch nicht exiſtire, da die jetzigen
Vorlagen nicht von Bauer, ſondern noch von
Bylandt-Rheidt herrühren.

Der Delegirte Hegedüs will wiſſen, ob die
Mehrerforderniſſe ſtabil ſeien oder blos in dieſem
Jahre gefordert werden

Hierauf antwortete Miniſter-Präſident Tisza,
daß das Erforderniß wegen der politiſchen Situa-
tion nothwendig ſei und die bewilligten Mittel
dazu beitragen, daß im Nothfalle die Armee um
vierzehn Tage früher in Bereitſchaft zu ſein
vermag.

(Nochmals der Rücktritt Puttkamers.)

Angeſichts der betrübenden Nachrichten über das
Befinden Kaiſer Friedrich’s verlieren die Mel-
dungen und Aeußerungen, welche auf den Rück-
tritt Puttkamer’s Bezug haben, ihren augenblick-
lichen Werth. Das Intereſſe vereinigt ſich in der
Frage, wer den freigewordenen Poſten eines
Miniſters des Innern übernehmen wird. Nach
einer Mittheilung der Münchener „Allg. Ztg.“
genehmigte der Kaiſer den Oberpräſidenten von
Poſen, Grafen Zedlitz-Trützſchler, als Candidaten
für das Miniſterium des Innern, doch ſteht die
Antwort des Grafen auf die betreffende Anfrage
noch aus. Inzwiſchen werden Stimmen laut,
welche darauf hinweiſen, daß die Kriſe mit dem
Rücktritt Puttkamer’s nicht abgeſchloſſen ſei. Be-
zeichnend nach dieſer Richtung ſind die Ausfüh-
rungen der „Köln. Ztg.“ Das mit den Anſchau-
ungen im Reichskanzleramt vertraute Blatt ſchreibt:
„Hinter dem albernen Reactionsgeſchrei, welches
harmloſe Gemüther faſt zu dem Glauben ver-
leiten könnte, wir hätten im Deutſchland des
großen Kaiſers Withelm unter einer unerträg-
lichen Knechtſchaft geſchmachtet, ſteckt nichts als
die Sehnſucht einer gründlich abgewirthſchafteten
Partei nach einer brauchbaren, das heißt, auf
die Einfalt berechneten Wahlparole, und es iſt nur
zu bedauern, wenn ſich am preußiſchen Hofe unver-
[Spaltenumbruch] antwortliche Berather finden ſollten, die kein Be-
denken tragen, einem Eugen Richter in die Hände
zu arbeiten. Zwar wird die Behauptung, daß
nach Herrn v. Puttkamer’s Abgang noch andere
Mitglieder des Cabinets ſich veranlaßt geſehen
hätten, Entlaſſungsgeſuche einzureichen, in gut
unterrichteten Kreiſen als unbegründet bezeichnet:
dennoch können wir uns der patriotiſchen Beſorg-
niß nicht entſchlagen, daß es den in dem officiöſen
Artikel bezeichneten Hofkreiſen durch ihre fortge-
ſetzten Mückenſtiche ſchließlich doch noch gelingen
werde, dem Fürſten Bismarck die Amtsbürde,
welche er unter ſchwierigen Umſtänden mit be-
wundernswerther Opferwilligkeit weiterträgt, zu
verleiden. Das deutſche Volk ſteht angeſichts der
Vorgänge der letzten Monate unter dem trüben
Eindrucke, daß es politiſch einer ganz unberechen-
baren Zukunft entgegengeht.“

(Ein Sieg der clericalen Partei in
Velgien.)

In Belgien ſind vorgeſten die Er-
gänzungswahlen für den Senat und die Reprä-
ſentanten-Kammer entſchieden zu Gunſten der
clericalen Partei ausgefallen. In Brüſſel iſt eine
Stichwahl zwiſchen den Candidaten der gemäßig-
ten Liberalen und den „Independenten“ erforder-
lich. Doch iſt aus den vorliegenden Telegrammen
noch nicht zu erſehen, ob für alle Mandate (16
Abgeordnete und 8 Senatoren) oder bloß für
eine Anzahl derſelben Stichwahlen nöthig ſind.
Die nächſten Abgeordnetenwahlen für die andere
Hälfte der Kammer finden erſt nach zwei Jahren
die nächſten Senatswahlen in vier Jahren ſtatt.
Die vorgeſtrigen Wahlen fanden in den Provin-
zen Antwerpen, Brabant, Luxemburg, Namur
und Oſt-Flandern ſtatt, welche zuſammen 69 Abge-
ordnete an Stelle der ausſcheidenden zu wählen
hatten. Von den Letzteren gehörten nur fünf der
liberalen Partei an, die alſo in dem Wahlkampfe
weit mehr zu gewinnen als zu verlieren hatte. Den-
noch hat ſie zwei von den beſeſſenen fünf Sitzen
verloren, einen in Oſtende und den anderen in
Virton, und bleibt in der Minderheit, auch wenn
ſie am nächſten Dienstag in Brüſſel vollſtändig
ſiegen ſollte; denn in der bisherigen Kammer
hatte ſie den 96 Stimmen der Rechten und der
Unabhängigen, die im Senate ebenfalls die Mehr-
heit behalten, nur 42 entgegenzuſtellen. Der vor-
geſtrige Wahltag hat dem clericalen Regiment in
Belgien neue Stärke verliehen, und ſteht eine
weitere Zerſtörung des ſtaatlichen Schulweſens,
wie es von der früheren liberalen Regierung ein-
gerichtet worden war, zu erwarten. Ueberdies
planen die Clericalen ein neues Wahlgeſetz, welches
den ländlichen Wählern das Uebergewicht ver-
ſchaffen und dadurch die Herrſchaft des Clericalis-
mus feſtigen ſoll.

(Anruhen in Scutari)

In Albanien
gährt es fortwährend. Der „Pol. Corr.“ wird




[Spaltenumbruch]

Garbanzos verlieren die Könige unendlich raſch
den Re[i]z der Neuheit, und das veränderliche Volk
jagt ſie manchmal davon, noch bevor ſie ihre
Lenden mit dem eben vom Schneider gebrachten
neuen Hermelinſchlafrocke gürten konnten. Man
kann es daher Alfolſo XIII. nicht verdenken,
wenn er den wichtigſten Staatsactionen eine ge-
wiſſe ſouveräne Gleichgiltigkeit entgegenbringt. Ich
entnehme einem Bericht über die Eröffnungs-
ceremonien von Barcelona folgende characteriſtiſche
Einzelheiten:

„Seine Majeſtät Alfonſo X[I]II. trug ein
ſehr k[l]eidſames weißes Spitzencoſtüm. Dasſelbe
war tief decolletirt und ließ auch die königlichen
Arme, ſowie die allerhöchſten Beine vom Knie
abwärts frei. Rückwärts an der Taille hatte der
König eine große Roſamaſche ... Der Hofſtaat
das diplomatiſche Corps, die erſten Würdenträger
und Großen des Reiches, waren bereits voll-
zählig verſammelt als der König geruhte, ſich
die Eſtrade hinauftragen und auf den Thron-
ſeſſel ſetzen zu laſſen. Hierbei ließ S. Maje-
ſtät wiederholt ein allergnädigſtes „Hottoh“
vernehmen. Dem gleichzeitigen Wunſche Höchſt-
desſelben, ein wenig „Pferdchen“ zu ſpielen,
konnte jedoch aus politiſchen Gründen nicht
ſofort Folge gegeben werden. Dies erregte
ſeinen Allerhöchſten Unwillen, und der König
ſtreckte gegen den Miniſterpräſidenten, ſowie
gegen den Vorſitzenden des Senats die Zunge
heraus. Glücklicherweiſe wurde jetzt ein Tuſch
geblaſen, was den König wieder heiter ſtimmte.
Er ſchlug die Händchen zuſammen, ſtrampelte
mit den allerdurchlauchtigſten Beinen und lachte
[Spaltenumbruch] laut auf. Während der officiellen Anſprachen
unterhielt ſich Se. Majeſtät damit, die vor
ihm auf einem Tabouret ſitzenden Infantinnen
an den Haarzöpfen zu reißen. Anfangs ver-
biſſen Ihre königlichen Hoheiten den Schmerz,
endlich aber kniffen Höchſtdieſelben unbemerkt
Se. Majeſtät in die Wade. Der König be-
gann bitterlich zu heulen — und die Feier-
lichkeit mußte für kurze Zeit unterbrochen
werden ...“

Warum hat uns der officiöſe Telgraph
eigentlich dieſe kleine Epiſode verſchwiegen? Ich
finde ſie viel intereſſanter, als die ganze Welt-
ausſtellung ...


(„Berl. Tagblatt.“)



Der Kampf wider den Tabak.

Als Friedrich Wilhelm, der große Curfürſt
von Brandenburg, jene erſten Verſuche machte,
das Banner der Hohenzollern auch an der weſt-
afrikaniſchen Küſte einzubürgern, kamen ſeine
neuen Unterthanen vom Stamme Chams gelegent-
lich eines Austauſches von allerhand Freuudlich-
keiten auch einmal nach Berlin. Es war jeden-
falls wohl das erſte Mal, daß die Bewohner
desſelben einen echten unverfälſchten Schwarzen
in ihrer Mitte ſahen. Die Afrikaner mit dem
Pomp ihrer bunten, ſteinverzierten Kleidung
erregten daher auch kein kleines Anfſehen in der
märkiſchen Hauptſtadt, jedoch das allergrößte ver-
urſachte ein Umſtand, welcher den Leuten zwiſchen
der Spree und Havel wie eine Ungeheuerlichkeit
vorkam. Die Fremden führten nämlich einen
[Spaltenumbruch] brennenden Stengel im Munde, welcher fortglomm,
während ſie den Dampf aus ihren Lippen blieſen.
Berlin gerieth ſchließlich aus Rand und Band
ob dieſes Wunders, welches in ſeinen Mauern
ſtattfand, und ſogar aus der Umgegend ſtrömte
man in Schaaren herbei, um desſelben an-
ſichtig zu werden. Inzwiſchen ſtolzirten die
Schwarzen unabläſſig durch die Straßen Berlins,
nicht wenig ſtolz auf das Staunen, welches ſie
hervorriefen. Nichtsdeſtoweniger zeigten ſie ſich in
hohem Grade zugänglich, und als ein Bäuerlein
aus der Mark, welche gleichfalls auf die Kunde
von dieſem Wunder nach Berlin gekommen war,
Mund und Augen gar zu auffällig aufriß, ging ein
Schwarzer in ſeiner Freundlichkeit ſogar ſo weit,
daß er den dampfenden Tabakſtengel aus dem
Munde nahm und ihn den Gaffer anbot. Der
aber nahm, wie der gewiſſenhafte Chroniſt be-
richtet, angſterfüllt Reißaus vor der Zumuthung,
welche man an ihn ſtellte, indem er dabei in
die Worte ausbrach: „Nee, gnädijer Herr Düwel,
(Teufel): Ick fräte (freſſe) keen Füihr (Feuer)!“

Dieſer Kampf wider den Tabak wurde in
den Ländern, wo heute die größten Conſumenten
desſelben anſäſſig ſind, mit einer Energie geführt,
welche unſere Generation kaum begreifen kann.
Lag darin etwa die inſtinctive Ahnung, daß das
an ſich ſo wohlfeile und leicht zu erzielende Kraut
einmal ihren Werth finden würden, welchen die
Menſchheit, ſobald ſie ſich erſt an den Genuß
desſelben gewöhnt, kaum noch erſchwingen könne?
Merkwürdigerweiſe diente der Tabak zuerſt
keineswegs zu dem Zwecke, für welchen ihn heute
die Menſchheit in ihrer großen Mehrheit beſtimmt.


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[[2]/0002] wenn ſich nicht die unberechenbaren moraliſchen Folgen daran geknüpft hätten. Wird eine ſolche Wirkung auf die Dauer hintanzuhalten ſein? Daß der Kaiſer mit dem politiſchen Geſammtſyſtem nicht übereinſtimmt, daß er namentlich die geübte Wahlpraxis auf das ſchärfſte verurtheilt, war vor den letzten Ereigniſſen ſchon bekannt und iſt durch denſelben auf das nachdrücklichſte beſtätigt worden. Die bleiche Angſt der Reaction vor der Veröffentlichung des kaiſerlichen Schreibens über die Wahlfreiheit redet ganze Bände. Hierin liegt die Bedeutung der letzten Vorgänge und dieſe wird ſich früher oder ſpäter geltend machen. Je- denfalls wenn die freiſinnige Partei und Preſſe einigermaßen ihre Aufgabe erkennt und in ver- nünftiger und zweckmäßiger Weiſe ihre Schul- digkeit thut. Zweimal hat der Kaiſer gezeigt, daß er die Schichte, die zwiſchen ihm und dem freiſinnigen Volke liegt, durchbrechen will und das ſollte doch eine Mahnung an das deutſche Volk ſein, dieſen hochherzigen Intentionen des Monarchen aus eigener Kraft gerecht zu werden. Um die Stellung des Fürſten Bismarck braucht der Nation nicht bange zu ſein. Nicht nur kann es als ſicher gelten, daß auch Kaiſer Friedrich ſich von dem großen Staatsmanne nicht trennen will und nicht trennen wird; man gewinnt auch immer mehr den Eindruck, als betrachte Fürſt Bismarck die Zeit für gekommen, da man auch ohne die reactionären Parteien regieren kann. Der geniale Realpolitiker hat ſich niemals an Parteien und Syſteme gebunden und er wird die Politik der freien Hand auch fernerhin zu bethätigen wiſſen. Politiſche Nachrichten. (Aus dem Heeresausſchuſſe der unga- riſchen Delegation.) Geſtern erſtattete, wie die „Wiener Allg. Ztg.“ meldet, der Kriegsminiſter Baron Bauer ſein Expoſé im Heeres-Ausſchuß der ungariſchen Delegation. Die Rede des Kriegs- miniſters wurde als eine ſtreng vertrauliche er- klärt, weßhalb ſich nur über den äußeren Ein- druck berichten läßt. Seine Rede machte im Allge- meinen durch die treffenden Argumente, welche er anführte, den beſten Eindruck. Auch die oppoſi- tionellen Delegirten waren zufrieden, da der Kriegs- miniſter der ſtaatsrechtlichen Stellung der Armee auch den Ungarn gegenüber gerecht wurde. Aus dieſem Grunde dürfte das Heeres-Erforderniß auch bei der Oppoſition auf keine großen Hin- derniſſe ſtoßen. Der Kriegsminiſter erwähnte in ſeiner Rede, daß, wie die Delegirten ohnedies wiſſen, die Situation eine geſpannte ſei. Bei den Ausgaben für die Erhöhung des Officiersſtandes verweilte Baron Bauer längere Zeit. Dieſe Er- höhung, ſagte er, ſei eine nothwendige Vorſicht für einen etwaigen ernſten Moment, womit nicht geſagt ſein will, daß ein ernſter Moment eintre- ten müſſe, aber er ſei immerhin möglich. Nach dem Tenor der ganzen Rede des Kriegsminiſters läßt ſich nur ſo viel ſagen, daß die Situation keine momentane Gefahr in ſich berge, was aber nicht ausſchließt, daß ſie ſich unerwartet in eine gefahrvolle verwandeln kann. Nach dem Kriegsminiſter Baron Bauer er- hob ſich der Delegirte Beöthy, und erklärte, daß er zwiſchen dem Vorgehen des jetzigen und dem des früheren Kriegsminiſters einen großen Widerſpruch finde. Während Bylandt-Rheidt die Armee für vollendet erklärte, komme ein neuer Kriegsminiſter mit neuen Forderungen, ein Beweis, daß die Armee noch immer Verbeſſerungen haben müſſe. Miniſter-Präſident Tisza erwidert, daß dieſer Widerſpruch nicht exiſtire, da die jetzigen Vorlagen nicht von Bauer, ſondern noch von Bylandt-Rheidt herrühren. Der Delegirte Hegedüs will wiſſen, ob die Mehrerforderniſſe ſtabil ſeien oder blos in dieſem Jahre gefordert werden Hierauf antwortete Miniſter-Präſident Tisza, daß das Erforderniß wegen der politiſchen Situa- tion nothwendig ſei und die bewilligten Mittel dazu beitragen, daß im Nothfalle die Armee um vierzehn Tage früher in Bereitſchaft zu ſein vermag. (Nochmals der Rücktritt Puttkamers.) Angeſichts der betrübenden Nachrichten über das Befinden Kaiſer Friedrich’s verlieren die Mel- dungen und Aeußerungen, welche auf den Rück- tritt Puttkamer’s Bezug haben, ihren augenblick- lichen Werth. Das Intereſſe vereinigt ſich in der Frage, wer den freigewordenen Poſten eines Miniſters des Innern übernehmen wird. Nach einer Mittheilung der Münchener „Allg. Ztg.“ genehmigte der Kaiſer den Oberpräſidenten von Poſen, Grafen Zedlitz-Trützſchler, als Candidaten für das Miniſterium des Innern, doch ſteht die Antwort des Grafen auf die betreffende Anfrage noch aus. Inzwiſchen werden Stimmen laut, welche darauf hinweiſen, daß die Kriſe mit dem Rücktritt Puttkamer’s nicht abgeſchloſſen ſei. Be- zeichnend nach dieſer Richtung ſind die Ausfüh- rungen der „Köln. Ztg.“ Das mit den Anſchau- ungen im Reichskanzleramt vertraute Blatt ſchreibt: „Hinter dem albernen Reactionsgeſchrei, welches harmloſe Gemüther faſt zu dem Glauben ver- leiten könnte, wir hätten im Deutſchland des großen Kaiſers Withelm unter einer unerträg- lichen Knechtſchaft geſchmachtet, ſteckt nichts als die Sehnſucht einer gründlich abgewirthſchafteten Partei nach einer brauchbaren, das heißt, auf die Einfalt berechneten Wahlparole, und es iſt nur zu bedauern, wenn ſich am preußiſchen Hofe unver- antwortliche Berather finden ſollten, die kein Be- denken tragen, einem Eugen Richter in die Hände zu arbeiten. Zwar wird die Behauptung, daß nach Herrn v. Puttkamer’s Abgang noch andere Mitglieder des Cabinets ſich veranlaßt geſehen hätten, Entlaſſungsgeſuche einzureichen, in gut unterrichteten Kreiſen als unbegründet bezeichnet: dennoch können wir uns der patriotiſchen Beſorg- niß nicht entſchlagen, daß es den in dem officiöſen Artikel bezeichneten Hofkreiſen durch ihre fortge- ſetzten Mückenſtiche ſchließlich doch noch gelingen werde, dem Fürſten Bismarck die Amtsbürde, welche er unter ſchwierigen Umſtänden mit be- wundernswerther Opferwilligkeit weiterträgt, zu verleiden. Das deutſche Volk ſteht angeſichts der Vorgänge der letzten Monate unter dem trüben Eindrucke, daß es politiſch einer ganz unberechen- baren Zukunft entgegengeht.“ (Ein Sieg der clericalen Partei in Velgien.) In Belgien ſind vorgeſten die Er- gänzungswahlen für den Senat und die Reprä- ſentanten-Kammer entſchieden zu Gunſten der clericalen Partei ausgefallen. In Brüſſel iſt eine Stichwahl zwiſchen den Candidaten der gemäßig- ten Liberalen und den „Independenten“ erforder- lich. Doch iſt aus den vorliegenden Telegrammen noch nicht zu erſehen, ob für alle Mandate (16 Abgeordnete und 8 Senatoren) oder bloß für eine Anzahl derſelben Stichwahlen nöthig ſind. Die nächſten Abgeordnetenwahlen für die andere Hälfte der Kammer finden erſt nach zwei Jahren die nächſten Senatswahlen in vier Jahren ſtatt. Die vorgeſtrigen Wahlen fanden in den Provin- zen Antwerpen, Brabant, Luxemburg, Namur und Oſt-Flandern ſtatt, welche zuſammen 69 Abge- ordnete an Stelle der ausſcheidenden zu wählen hatten. Von den Letzteren gehörten nur fünf der liberalen Partei an, die alſo in dem Wahlkampfe weit mehr zu gewinnen als zu verlieren hatte. Den- noch hat ſie zwei von den beſeſſenen fünf Sitzen verloren, einen in Oſtende und den anderen in Virton, und bleibt in der Minderheit, auch wenn ſie am nächſten Dienstag in Brüſſel vollſtändig ſiegen ſollte; denn in der bisherigen Kammer hatte ſie den 96 Stimmen der Rechten und der Unabhängigen, die im Senate ebenfalls die Mehr- heit behalten, nur 42 entgegenzuſtellen. Der vor- geſtrige Wahltag hat dem clericalen Regiment in Belgien neue Stärke verliehen, und ſteht eine weitere Zerſtörung des ſtaatlichen Schulweſens, wie es von der früheren liberalen Regierung ein- gerichtet worden war, zu erwarten. Ueberdies planen die Clericalen ein neues Wahlgeſetz, welches den ländlichen Wählern das Uebergewicht ver- ſchaffen und dadurch die Herrſchaft des Clericalis- mus feſtigen ſoll. (Anruhen in Scutari) In Albanien gährt es fortwährend. Der „Pol. Corr.“ wird Garbanzos verlieren die Könige unendlich raſch den Reiz der Neuheit, und das veränderliche Volk jagt ſie manchmal davon, noch bevor ſie ihre Lenden mit dem eben vom Schneider gebrachten neuen Hermelinſchlafrocke gürten konnten. Man kann es daher Alfolſo XIII. nicht verdenken, wenn er den wichtigſten Staatsactionen eine ge- wiſſe ſouveräne Gleichgiltigkeit entgegenbringt. Ich entnehme einem Bericht über die Eröffnungs- ceremonien von Barcelona folgende characteriſtiſche Einzelheiten: „Seine Majeſtät Alfonſo XIII. trug ein ſehr kleidſames weißes Spitzencoſtüm. Dasſelbe war tief decolletirt und ließ auch die königlichen Arme, ſowie die allerhöchſten Beine vom Knie abwärts frei. Rückwärts an der Taille hatte der König eine große Roſamaſche ... Der Hofſtaat das diplomatiſche Corps, die erſten Würdenträger und Großen des Reiches, waren bereits voll- zählig verſammelt als der König geruhte, ſich die Eſtrade hinauftragen und auf den Thron- ſeſſel ſetzen zu laſſen. Hierbei ließ S. Maje- ſtät wiederholt ein allergnädigſtes „Hottoh“ vernehmen. Dem gleichzeitigen Wunſche Höchſt- desſelben, ein wenig „Pferdchen“ zu ſpielen, konnte jedoch aus politiſchen Gründen nicht ſofort Folge gegeben werden. Dies erregte ſeinen Allerhöchſten Unwillen, und der König ſtreckte gegen den Miniſterpräſidenten, ſowie gegen den Vorſitzenden des Senats die Zunge heraus. Glücklicherweiſe wurde jetzt ein Tuſch geblaſen, was den König wieder heiter ſtimmte. Er ſchlug die Händchen zuſammen, ſtrampelte mit den allerdurchlauchtigſten Beinen und lachte laut auf. Während der officiellen Anſprachen unterhielt ſich Se. Majeſtät damit, die vor ihm auf einem Tabouret ſitzenden Infantinnen an den Haarzöpfen zu reißen. Anfangs ver- biſſen Ihre königlichen Hoheiten den Schmerz, endlich aber kniffen Höchſtdieſelben unbemerkt Se. Majeſtät in die Wade. Der König be- gann bitterlich zu heulen — und die Feier- lichkeit mußte für kurze Zeit unterbrochen werden ...“ Warum hat uns der officiöſe Telgraph eigentlich dieſe kleine Epiſode verſchwiegen? Ich finde ſie viel intereſſanter, als die ganze Welt- ausſtellung ... („Berl. Tagblatt.“) Der Kampf wider den Tabak. Als Friedrich Wilhelm, der große Curfürſt von Brandenburg, jene erſten Verſuche machte, das Banner der Hohenzollern auch an der weſt- afrikaniſchen Küſte einzubürgern, kamen ſeine neuen Unterthanen vom Stamme Chams gelegent- lich eines Austauſches von allerhand Freuudlich- keiten auch einmal nach Berlin. Es war jeden- falls wohl das erſte Mal, daß die Bewohner desſelben einen echten unverfälſchten Schwarzen in ihrer Mitte ſahen. Die Afrikaner mit dem Pomp ihrer bunten, ſteinverzierten Kleidung erregten daher auch kein kleines Anfſehen in der märkiſchen Hauptſtadt, jedoch das allergrößte ver- urſachte ein Umſtand, welcher den Leuten zwiſchen der Spree und Havel wie eine Ungeheuerlichkeit vorkam. Die Fremden führten nämlich einen brennenden Stengel im Munde, welcher fortglomm, während ſie den Dampf aus ihren Lippen blieſen. Berlin gerieth ſchließlich aus Rand und Band ob dieſes Wunders, welches in ſeinen Mauern ſtattfand, und ſogar aus der Umgegend ſtrömte man in Schaaren herbei, um desſelben an- ſichtig zu werden. Inzwiſchen ſtolzirten die Schwarzen unabläſſig durch die Straßen Berlins, nicht wenig ſtolz auf das Staunen, welches ſie hervorriefen. Nichtsdeſtoweniger zeigten ſie ſich in hohem Grade zugänglich, und als ein Bäuerlein aus der Mark, welche gleichfalls auf die Kunde von dieſem Wunder nach Berlin gekommen war, Mund und Augen gar zu auffällig aufriß, ging ein Schwarzer in ſeiner Freundlichkeit ſogar ſo weit, daß er den dampfenden Tabakſtengel aus dem Munde nahm und ihn den Gaffer anbot. Der aber nahm, wie der gewiſſenhafte Chroniſt be- richtet, angſterfüllt Reißaus vor der Zumuthung, welche man an ihn ſtellte, indem er dabei in die Worte ausbrach: „Nee, gnädijer Herr Düwel, (Teufel): Ick fräte (freſſe) keen Füihr (Feuer)!“ Dieſer Kampf wider den Tabak wurde in den Ländern, wo heute die größten Conſumenten desſelben anſäſſig ſind, mit einer Energie geführt, welche unſere Generation kaum begreifen kann. Lag darin etwa die inſtinctive Ahnung, daß das an ſich ſo wohlfeile und leicht zu erzielende Kraut einmal ihren Werth finden würden, welchen die Menſchheit, ſobald ſie ſich erſt an den Genuß desſelben gewöhnt, kaum noch erſchwingen könne? Merkwürdigerweiſe diente der Tabak zuerſt keineswegs zu dem Zwecke, für welchen ihn heute die Menſchheit in ihrer großen Mehrheit beſtimmt.

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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 136, Olmütz, 14.06.1888, S. [2]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches136_1888/2>, abgerufen am 24.04.2024.