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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 10. Berlin-Charlottenburg, 23. März 1905.

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Prof. Dr. A. Forel: Das Recht der Kinder.
also nur Einzelne sein, die sich auf Grund ihrer persönlichen Veranlagung bis
zu einem gewissen Grade von ihm emanzipieren. Gänzlich sich von ihm frei
zu machen, scheint mir überhaupt ausgeschlossen. Aber schon die Tatsache, daß
in jedem Lager, in jeder Partei, in jeder Kirche, in jedem Berufe Männer
zu finden sind, die ohne die Scheuklappen der Zunft sich die Dinge betrachten,
wirkt beruhigend und läßt an der Möglichkeit eines gegenseitigen Verständnisses
trotz aller Gegensätze nicht verzweifeln. Und weil Adolf Wagner ein Mann
ist, der in dieser Beziehung das Herz auf dem rechten Flecke hat, der demo-
kratisch durch und durch empfindet, wenn er auch politisch der Demokratie noch
so ferne stehen mag, kurz, weil Wagner über dem Politiker, Professor und
Pädagogen nicht verlernt hat, als Mensch einfach zu sehen, zu denken und zu
fühlen, -- deswegen war es mir Bedürfnis, auch an dieser Stelle aus Anlaß
des Tages, an dem Adolf Wagner siebzig Jahre wird, seiner zu gedenken.

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Das Recht der Kinder.*)
Von Prof. Dr. A. Forel, Chigny.

Die Kinder sind es, welche den wahren phylogenetisch und psychologisch
tief fundierten Kitt der Ehe und der Familie bilden. Das ist so wahr, daß
bei vielen wilden Völkern eine Ehe so lange nicht als rechtsgültig betrachtet
wird, als keine Kinder da sind, und daß bei den meisten Kulturvölkern sterile
Frauen als minderwertig gelten. Man kann daher dreist den Paragraphen
des Code Napoleon, der die Vaterschaftsnachforschungen verbietet, als eine
enorme Naturwidrigkeit und eine zivilrechtliche Monstrosität bezeichnen. Die
Pflichten, die zwei Menschen durch die Zeugung weiterer Menschen auf sich
nehmen, sind hohe, ja vielleicht die höchsten sozialen Pflichten, die Menschen
überhaupt auf sich nehmen können. Es ist daher eine niederträchtige Wider-
natürlichkeit, den Einen der Erzeuger, den Mann, gesetzlich von diesen
Pflichten nur deshalb völlig zu entheben, weil vor der Zeugung gewisse reli-
giöse und gesetzliche Formalitäten nicht erfüllt worden sind. Jst vielleicht der
Mann bei einer außerehelichen Zeugung weniger schuldig als das Weib, wenn
man hier überhaupt von Schuld sprechen will? Jst es nicht ein Hohn und
eine Lächerlichkeit, wenn man außerehelich gezeugte Kinder in der französischen
Sprache mit dem Ausdruck " Enfants naturels " ( auch gelegentlich in der

*) Die folgende Abhandlung bildet ein Kapitel aus Prof. Dr. A. Forels Buch
"Die sexuelle Frage", das dieser Tage im Verlag von Ernst Reinhardt in München
erscheint, und ist mir vom Verfasser mit freundlicher Genehmigung des Verlegers zur
Verfügung gestellt. Sie wird das besondere Jnteresse derjenigen Leser erregen, die
den Artikel "Ein typischer Fall der Gegenwart" von Dr. Anita Augspurg in Nr. 7 der
Europa gelesen haben.

Prof. Dr. A. Forel: Das Recht der Kinder.
also nur Einzelne sein, die sich auf Grund ihrer persönlichen Veranlagung bis
zu einem gewissen Grade von ihm emanzipieren. Gänzlich sich von ihm frei
zu machen, scheint mir überhaupt ausgeschlossen. Aber schon die Tatsache, daß
in jedem Lager, in jeder Partei, in jeder Kirche, in jedem Berufe Männer
zu finden sind, die ohne die Scheuklappen der Zunft sich die Dinge betrachten,
wirkt beruhigend und läßt an der Möglichkeit eines gegenseitigen Verständnisses
trotz aller Gegensätze nicht verzweifeln. Und weil Adolf Wagner ein Mann
ist, der in dieser Beziehung das Herz auf dem rechten Flecke hat, der demo-
kratisch durch und durch empfindet, wenn er auch politisch der Demokratie noch
so ferne stehen mag, kurz, weil Wagner über dem Politiker, Professor und
Pädagogen nicht verlernt hat, als Mensch einfach zu sehen, zu denken und zu
fühlen, — deswegen war es mir Bedürfnis, auch an dieser Stelle aus Anlaß
des Tages, an dem Adolf Wagner siebzig Jahre wird, seiner zu gedenken.

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Das Recht der Kinder.*)
Von Prof. Dr. A. Forel, Chigny.

Die Kinder sind es, welche den wahren phylogenetisch und psychologisch
tief fundierten Kitt der Ehe und der Familie bilden. Das ist so wahr, daß
bei vielen wilden Völkern eine Ehe so lange nicht als rechtsgültig betrachtet
wird, als keine Kinder da sind, und daß bei den meisten Kulturvölkern sterile
Frauen als minderwertig gelten. Man kann daher dreist den Paragraphen
des Code Napoléon, der die Vaterschaftsnachforschungen verbietet, als eine
enorme Naturwidrigkeit und eine zivilrechtliche Monstrosität bezeichnen. Die
Pflichten, die zwei Menschen durch die Zeugung weiterer Menschen auf sich
nehmen, sind hohe, ja vielleicht die höchsten sozialen Pflichten, die Menschen
überhaupt auf sich nehmen können. Es ist daher eine niederträchtige Wider-
natürlichkeit, den Einen der Erzeuger, den Mann, gesetzlich von diesen
Pflichten nur deshalb völlig zu entheben, weil vor der Zeugung gewisse reli-
giöse und gesetzliche Formalitäten nicht erfüllt worden sind. Jst vielleicht der
Mann bei einer außerehelichen Zeugung weniger schuldig als das Weib, wenn
man hier überhaupt von Schuld sprechen will? Jst es nicht ein Hohn und
eine Lächerlichkeit, wenn man außerehelich gezeugte Kinder in der französischen
Sprache mit dem Ausdruck „ Enfants naturels “ ( auch gelegentlich in der

*) Die folgende Abhandlung bildet ein Kapitel aus Prof. Dr. A. Forels Buch
„Die sexuelle Frage“, das dieser Tage im Verlag von Ernst Reinhardt in München
erscheint, und ist mir vom Verfasser mit freundlicher Genehmigung des Verlegers zur
Verfügung gestellt. Sie wird das besondere Jnteresse derjenigen Leser erregen, die
den Artikel „Ein typischer Fall der Gegenwart“ von Dr. Anita Augspurg in Nr. 7 der
Europa gelesen haben.
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[454/0022] Prof. Dr. A. Forel: Das Recht der Kinder. also nur Einzelne sein, die sich auf Grund ihrer persönlichen Veranlagung bis zu einem gewissen Grade von ihm emanzipieren. Gänzlich sich von ihm frei zu machen, scheint mir überhaupt ausgeschlossen. Aber schon die Tatsache, daß in jedem Lager, in jeder Partei, in jeder Kirche, in jedem Berufe Männer zu finden sind, die ohne die Scheuklappen der Zunft sich die Dinge betrachten, wirkt beruhigend und läßt an der Möglichkeit eines gegenseitigen Verständnisses trotz aller Gegensätze nicht verzweifeln. Und weil Adolf Wagner ein Mann ist, der in dieser Beziehung das Herz auf dem rechten Flecke hat, der demo- kratisch durch und durch empfindet, wenn er auch politisch der Demokratie noch so ferne stehen mag, kurz, weil Wagner über dem Politiker, Professor und Pädagogen nicht verlernt hat, als Mensch einfach zu sehen, zu denken und zu fühlen, — deswegen war es mir Bedürfnis, auch an dieser Stelle aus Anlaß des Tages, an dem Adolf Wagner siebzig Jahre wird, seiner zu gedenken. [Abbildung] Das Recht der Kinder. *) Von Prof. Dr. A. Forel, Chigny. Die Kinder sind es, welche den wahren phylogenetisch und psychologisch tief fundierten Kitt der Ehe und der Familie bilden. Das ist so wahr, daß bei vielen wilden Völkern eine Ehe so lange nicht als rechtsgültig betrachtet wird, als keine Kinder da sind, und daß bei den meisten Kulturvölkern sterile Frauen als minderwertig gelten. Man kann daher dreist den Paragraphen des Code Napoléon, der die Vaterschaftsnachforschungen verbietet, als eine enorme Naturwidrigkeit und eine zivilrechtliche Monstrosität bezeichnen. Die Pflichten, die zwei Menschen durch die Zeugung weiterer Menschen auf sich nehmen, sind hohe, ja vielleicht die höchsten sozialen Pflichten, die Menschen überhaupt auf sich nehmen können. Es ist daher eine niederträchtige Wider- natürlichkeit, den Einen der Erzeuger, den Mann, gesetzlich von diesen Pflichten nur deshalb völlig zu entheben, weil vor der Zeugung gewisse reli- giöse und gesetzliche Formalitäten nicht erfüllt worden sind. Jst vielleicht der Mann bei einer außerehelichen Zeugung weniger schuldig als das Weib, wenn man hier überhaupt von Schuld sprechen will? Jst es nicht ein Hohn und eine Lächerlichkeit, wenn man außerehelich gezeugte Kinder in der französischen Sprache mit dem Ausdruck „ Enfants naturels “ ( auch gelegentlich in der *) Die folgende Abhandlung bildet ein Kapitel aus Prof. Dr. A. Forels Buch „Die sexuelle Frage“, das dieser Tage im Verlag von Ernst Reinhardt in München erscheint, und ist mir vom Verfasser mit freundlicher Genehmigung des Verlegers zur Verfügung gestellt. Sie wird das besondere Jnteresse derjenigen Leser erregen, die den Artikel „Ein typischer Fall der Gegenwart“ von Dr. Anita Augspurg in Nr. 7 der Europa gelesen haben.

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 10. Berlin-Charlottenburg, 23. März 1905, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0110_1905/22>, abgerufen am 27.11.2024.