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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 8. Berlin-Charlottenburg, 9. März 1905.

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Dr. Heinrich Pudor: Moderner Landwirtschaftsbetrieb.
erforschen, dann dürften die Forscher daheim ruhig sich hinter den Ofen setzen
und dem lieben Herrgott danken! --

Wir Deutschen kommen -- wie schon eingangs gesagt -- wie überall,
so auch nach Abessinien zu spät; der abessinische Markt ist von dem Export
Englands, Frankreichs und Jtaliens bereits so stark belegt, daß da bei der
Bedürfnislosigkeit des Landes kaum noch irgend ein Platz zu finden sein wird,
wo wir die deutsche Verkaufsbude aufschlagen könnten. -- Am Schlusse des
Jahres werden wir sagen: Unser erstes kolonialpolitisches Fiasko im
Jahre
1905 war Abessinien! --

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Moderner Landwirtschaftsbetrieb.
Von Dr. Heinrich Pudor, Wilmersdorf.

Es gibt heute noch Menschen und zwar nicht nur Großagrarier, welche
der Meinung sind, Landwirtschaft bedeute soviel als Getreidebau. Als die
Zolltarifvorlage das Licht der Welt erblickte, dachten die meisten, es handle
sich in der Hauptsache "nur" um eine Verzollung des Brotgetreides. Und in
der Tat ist diese Vorlage zum Sonderstandpunkt des auf Getreideproduktion
zugeschnittenen Landwirtschaftsbetriebes gemacht. Darin liegt zugleich ihr schärf-
ster Tadel ausgesprochen. Sie dient nicht nur Sonderinteressen der deutschen
Berufsstände im allgemeinen, sondern den Sonderinteressen derjenigen Landwirte,
welche Getreidebau im Großen betreiben. Das erkennt man aus der Art der
Verzollung der Futtermittel.

Dabei hat sich aber der Schwerpunkt des Landwirtschaftsbetriebes schon
längst vom Getreidebau fort auf die Viehwirtschaft und auf die industrielle
Verwertung der Viehprodukte verlegt und ist im Begriffe nach dieser Richtung
hin sich noch mehr zu verschieben; der Gemüsekultur und dem Obstbau wird
in den westeuropäischen Ländern mehr und mehr der Getreidebau und zum Teil
selbst die Viehwirtschaft weichen. Sogar in den Vereinigten Staaten von
Amerika ist dies der Fall. Dortselbst übertraf nach einem Bericht des "Crop
Reporter" die Bohnenernte in den Jahren 1895 bis 1899 den Durchschnitt
der Reisernte um 85 Millionen Pfund. Noch größer, nämlich ungefähr drei-
mal größer, ist die Bohnenproduktion in Mexiko, welches im Jahre 1900
99_120 Bushel ( Bushel -33 1 / 3 l ) nach den Vereinigten Staaten exportierte.

Kommen wir aber vorerst wieder auf die Viehwirtschaft zurück. Als der
größte Viehmarkt der Welt darf derjenige von Chicago angesehen werden. Der
Gesamtwert des Umsatzes auf diesem Viehmarkt aber war im Jahre 1901 nach
einem Bericht des dortigen "Economist" größer, als der des gesamten Getreides,

Dr. Heinrich Pudor: Moderner Landwirtschaftsbetrieb.
erforschen, dann dürften die Forscher daheim ruhig sich hinter den Ofen setzen
und dem lieben Herrgott danken! —

Wir Deutschen kommen — wie schon eingangs gesagt — wie überall,
so auch nach Abessinien zu spät; der abessinische Markt ist von dem Export
Englands, Frankreichs und Jtaliens bereits so stark belegt, daß da bei der
Bedürfnislosigkeit des Landes kaum noch irgend ein Platz zu finden sein wird,
wo wir die deutsche Verkaufsbude aufschlagen könnten. — Am Schlusse des
Jahres werden wir sagen: Unser erstes kolonialpolitisches Fiasko im
Jahre
1905 war Abessinien!

[Abbildung]
Moderner Landwirtschaftsbetrieb.
Von Dr. Heinrich Pudor, Wilmersdorf.

Es gibt heute noch Menschen und zwar nicht nur Großagrarier, welche
der Meinung sind, Landwirtschaft bedeute soviel als Getreidebau. Als die
Zolltarifvorlage das Licht der Welt erblickte, dachten die meisten, es handle
sich in der Hauptsache „nur“ um eine Verzollung des Brotgetreides. Und in
der Tat ist diese Vorlage zum Sonderstandpunkt des auf Getreideproduktion
zugeschnittenen Landwirtschaftsbetriebes gemacht. Darin liegt zugleich ihr schärf-
ster Tadel ausgesprochen. Sie dient nicht nur Sonderinteressen der deutschen
Berufsstände im allgemeinen, sondern den Sonderinteressen derjenigen Landwirte,
welche Getreidebau im Großen betreiben. Das erkennt man aus der Art der
Verzollung der Futtermittel.

Dabei hat sich aber der Schwerpunkt des Landwirtschaftsbetriebes schon
längst vom Getreidebau fort auf die Viehwirtschaft und auf die industrielle
Verwertung der Viehprodukte verlegt und ist im Begriffe nach dieser Richtung
hin sich noch mehr zu verschieben; der Gemüsekultur und dem Obstbau wird
in den westeuropäischen Ländern mehr und mehr der Getreidebau und zum Teil
selbst die Viehwirtschaft weichen. Sogar in den Vereinigten Staaten von
Amerika ist dies der Fall. Dortselbst übertraf nach einem Bericht des „Crop
Reporter“ die Bohnenernte in den Jahren 1895 bis 1899 den Durchschnitt
der Reisernte um 85 Millionen Pfund. Noch größer, nämlich ungefähr drei-
mal größer, ist die Bohnenproduktion in Mexiko, welches im Jahre 1900
99_120 Bushel ( Bushel -33 1 / 3 l ) nach den Vereinigten Staaten exportierte.

Kommen wir aber vorerst wieder auf die Viehwirtschaft zurück. Als der
größte Viehmarkt der Welt darf derjenige von Chicago angesehen werden. Der
Gesamtwert des Umsatzes auf diesem Viehmarkt aber war im Jahre 1901 nach
einem Bericht des dortigen „Economist“ größer, als der des gesamten Getreides,

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[368/0032] Dr. Heinrich Pudor: Moderner Landwirtschaftsbetrieb. erforschen, dann dürften die Forscher daheim ruhig sich hinter den Ofen setzen und dem lieben Herrgott danken! — Wir Deutschen kommen — wie schon eingangs gesagt — wie überall, so auch nach Abessinien zu spät; der abessinische Markt ist von dem Export Englands, Frankreichs und Jtaliens bereits so stark belegt, daß da bei der Bedürfnislosigkeit des Landes kaum noch irgend ein Platz zu finden sein wird, wo wir die deutsche Verkaufsbude aufschlagen könnten. — Am Schlusse des Jahres werden wir sagen: Unser erstes kolonialpolitisches Fiasko im Jahre 1905 war Abessinien! — [Abbildung] Moderner Landwirtschaftsbetrieb. Von Dr. Heinrich Pudor, Wilmersdorf. Es gibt heute noch Menschen und zwar nicht nur Großagrarier, welche der Meinung sind, Landwirtschaft bedeute soviel als Getreidebau. Als die Zolltarifvorlage das Licht der Welt erblickte, dachten die meisten, es handle sich in der Hauptsache „nur“ um eine Verzollung des Brotgetreides. Und in der Tat ist diese Vorlage zum Sonderstandpunkt des auf Getreideproduktion zugeschnittenen Landwirtschaftsbetriebes gemacht. Darin liegt zugleich ihr schärf- ster Tadel ausgesprochen. Sie dient nicht nur Sonderinteressen der deutschen Berufsstände im allgemeinen, sondern den Sonderinteressen derjenigen Landwirte, welche Getreidebau im Großen betreiben. Das erkennt man aus der Art der Verzollung der Futtermittel. Dabei hat sich aber der Schwerpunkt des Landwirtschaftsbetriebes schon längst vom Getreidebau fort auf die Viehwirtschaft und auf die industrielle Verwertung der Viehprodukte verlegt und ist im Begriffe nach dieser Richtung hin sich noch mehr zu verschieben; der Gemüsekultur und dem Obstbau wird in den westeuropäischen Ländern mehr und mehr der Getreidebau und zum Teil selbst die Viehwirtschaft weichen. Sogar in den Vereinigten Staaten von Amerika ist dies der Fall. Dortselbst übertraf nach einem Bericht des „Crop Reporter“ die Bohnenernte in den Jahren 1895 bis 1899 den Durchschnitt der Reisernte um 85 Millionen Pfund. Noch größer, nämlich ungefähr drei- mal größer, ist die Bohnenproduktion in Mexiko, welches im Jahre 1900 99_120 Bushel ( Bushel -33 1 / 3 l ) nach den Vereinigten Staaten exportierte. Kommen wir aber vorerst wieder auf die Viehwirtschaft zurück. Als der größte Viehmarkt der Welt darf derjenige von Chicago angesehen werden. Der Gesamtwert des Umsatzes auf diesem Viehmarkt aber war im Jahre 1901 nach einem Bericht des dortigen „Economist“ größer, als der des gesamten Getreides,

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 8. Berlin-Charlottenburg, 9. März 1905, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0108_1905/32>, abgerufen am 24.11.2024.